Читать книгу Ensō - Radka van Bashuisen - Страница 7

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Ferien, Sommer, schulfrei. Die schönste Zeit im Leben einer, fast 17-Jährigen. Wir lieben unsere Hauspartys, Disco-Besuche und spontanen Treffen zum Grillen am Ufer des Flusses. Aber diese ganzen Aktivitäten kosten nun mal Geld, was wir leider nicht in ausreichender Menge zur Verfügung haben. Das Taschengeld ist niedrig, die Eltern sind knausrig, deswegen beschließen wir, im Sommer einen ganzen Monat dem Arbeiten zu opfern und erst im August die Ferien gehörig zu zelebrieren.

Es ist soweit, für die Sommerbrigade in einem landwirtschaftlichen Großbetrieb ist alles organisiert und gepackt. Wir fahren in das 50 Kilometer entfernte kleine Städtchen, um in Kuhstallungen zu arbeiten. Irgendwie zwar nicht so ganz meins, in einer Parfümerie wäre ich sicherlich besser aufgehoben gewesen, aber das Geld stinkt nicht, wie man so schön sagt. Und da es kaum einer machen will, sind diese Aushilfsjobs richtig gut bezahlt. Wir verdienen mit den ganzen Zuschlägen sogar mehr, als unsere Eltern am Monatsende nach Hause bringen. Fangen dafür aber auch schon um 4 Uhr morgens an zu arbeiten und kommen teils auch an den Wochenenden. Nur einen Tag in der Woche haben wir wirklich frei, um richtig relaxen zu können. Schon ein ziemlicher Unterschied zu den üblichen Schulzeiten.

Unsere Unterkunft ist eine mittelgroße Hütte für sechs Personen, die wir schon penibel genau aus unserer Klasse herausgepickt haben. Wir müssen uns ja schließlich vier Wochen lang gegenseitig Tag und Nacht ertragen. Zickenkrieg wäre an dieser Stelle nicht besonders angenehm.

Der erste Arbeitstag fängt an. Um 3 Uhr morgens aufstehen, um 3:30 Uhr werden wir mit einem Sammel-Taxi abgeholt, da die Unterkünfte nicht direkt dem Betrieb angegliedert sind. Dieser Transferdienst ist eine kostenlose Serviceleistung des Unternehmens, was uns natürlich sehr entgegenkommt.

Es ist der absolute Horror, um diese Zeit aufzustehen und vor allem auch noch wachzubleiben. Sitzend im Minibus fallen uns die Augen ständig zu. Ans Arbeiten kann keiner, auch nur ansatzweise denken. Das einzige, was ich mir in diesem Zustand vorstellen kann, ist, vor lauter Müdigkeit, in den ersten Misthaufen zu fallen und trotz des intensiven Landduftes einfach nur weiterzuschlafen. Hauptsache, weich und warm liegen, das sind in diesem Moment meine angenehmsten Gedanken.

Der Minibus hält an, der Motor geht aus, wir sind offensichtlich angekommen. Mit wenig Freude, aber doch voller Neugier steigen wir aus und schleppen uns regelrecht im Halbschlaf dem Fahrer hinterher. Das kann was werden. Der Tag fängt so was von gequält an. Überall ist es noch dunkel, nur ein einziges Fenster, in dem vor uns liegenden Gebäude, ist beleuchtet. Wie die Motten folgen wir diesem Licht, der Weg ist Gott sei Dank nicht so arg lang und damit auch für unsere Schlafwandler-Truppe zu schaffen. Gleich am Eingang werden wir von einem sehr netten und vor allem sehr hübschen Mann begrüßt. Die Pilgerfahrt ins Ungewisse hat sich doch gelohnt. Von einer Sekunde auf die andere sind wir schlagartig wach und voller Elan. Was für ein Typ! Wow! Was macht bitte so ein heißer Arsch morgens um 4 Uhr in einem Kuhbetrieb? Wieso modelt er nicht für eine Zeitung und macht Werbung für die neueste Unterwäsche-Kollektion? Oder sogar ein Fotoshooting ganz ohne? Schade, überhaupt irgendeinen Stoff zu verschwenden, um damit so einen wohlgeformten Körper zu bedecken. Die heißen Vorstellungen überfluten unsere Köpfe.

Er bittet uns herein, wir nehmen Platz in einem Besprechungsraum, wo er uns irgendwelche Sicherheitsvorschriften erklärt, die aber keine von uns wirklich interessieren. Kaum eine hört zu. Unsere Gedanken sind ganz woanders. Die Fantasie geht voll mit uns durch. Unsere Blicke hängen immer noch an ihm, niemand rührt sich vom Stuhl, obwohl er uns bereits aufgefordert hat, ihm zu folgen und unsere Arbeitskleidung in Empfang zu nehmen. Arbeitskleidung? Brauchen wir die wirklich? Können wir nicht bei ihm vielleicht jeden Tag zweimal das Büro reinigen und die Fenster putzen? Das würde uns sicherlich mehr Spaß machen, als den Kuhstall auszumisten. Da sich aber niemand traut, diese blendende Idee auszusprechen, schleichen wir ihm hinterher in die große Halle, wo wir wohl die nächsten vier Wochen verbringen werden. Der intensive Tier- und Dunggeruch trübt etwas die Stimmung, aber unsere Augen leuchten und blinken voller Herzen, durchspießt von Amor-Pfeilen, von denen wir alle Sechs auf einen Schlag getroffen worden sind. Wir kichern nur so vor uns hin und streiten, welche von uns als erste versuchen wird, ihn herumzukriegen. Aber wie stellen wir es an? Er sitzt weit weg von der Halle in seinem Büro und damit sehen und treffen wir ihn wohl kaum. Lange dauert es nicht und die erste Idee ist schon geboren. Wir könnten abwechselnd, ganz unauffällig mit der Mistgabel in der Hand vor seinem Fenster herumirren, und wenn er es bemerkt, fragen wir einfach nach dem Weg zu Halle, als hätten wir uns verlaufen. Irgendwie doof, so etwas kauft er uns im Leben nicht ab. Also weiter nachdenken. Unterdessen ziehen wir unsere hübschen Kittel und Gummistiefel an, die wir ausgehändigt bekommen haben. Von ihm an die festangestellten Damen des Betriebes übergeben, bekommen wir unsere Aufgaben erklärt. Er verabschiedet sich und wir sind gezwungen, zu dem unangenehmen Teil des Tages überzugehen, der sich Arbeiten nennt. Die Freude und Begeisterung sind schlagartig gesunken. Acht Stunden harte körperliche Arbeit in diesem Mief, umgeben von Tausenden von Fliegen und Bergen von Mist steht uns jetzt bevor. Aber mit der Vorstellung des fetten Lohnes am Monatsende beißen wir uns die ersten Stunden ganz gut durch. Rühren irgendein Kraftfutter für die Kälbchen und trächtigen Kühe, was unser Hungergefühl ziemlich verstärkt. Das frischgekochte Getreide duftet nämlich ganz lecker und gerade mich erinnert es an meinen täglichen Haferflocken-Brei, den ich mir zuhause immer vor der Schule zubereite. Fast schon dazu geneigt, ein wenig davon zu probieren, obwohl die Körner nicht geschrotet sind, klatscht einer der Festangestellten irgendein Pulverzeug darauf, was wir unterrühren sollen. Der Appetit ist uns damit vergangen und wir schleppen tapfer weiter diese schwere Masse in Eimern zu den Stallungen der trächtigen Kühe und der Kuh-Mamas mit ihren frisch geborenen Kälbchen und portionieren mit einer großen Kelle die Tagesration in deren Trog. Die sind so süß, diese Kuhbabys, wir füttern denen mit einer großen Metallflasche mit einem Schnuller in Euterform auch noch Milch zu. Mir fängt es hier langsam an zu gefallen, ich gebe jedem der Kälbchen, je nach Aussehen, einen Namen. Nur diese Nummern auf den Ohrenschildern gefallen mir nicht. Es ist so unpersönlich, das sind doch auch Lebewesen wie wir alle. Die Fütterung ist unsere Hauptaufgabe morgens, später geht es an die Stallarbeit. Gut, dass wir in einem Jahr unser Abi machen werden, lebenslang möchte ich dieser Tätigkeit definitiv nicht nachgehen müssen, wie es die älteren Damen hier seit Jahren tun. Aber für jetzt ist es o.k. Geld ist Geld, irgendwie werden wir die vier Wochen schon herumkriegen.

Endlich 12 Uhr. Feierabend. Wir werden abgeholt und zu unserer Unterkunft zurückgebracht. Ohne jegliche Reinigung und Essen, verschwitzt und nach Kuhstall miefend fallen wir in die Betten. K.O. ist kein Ausdruck, der unserer Erschöpfung gerecht wäre. Wir sind tot. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nur noch schlafen zählt. Wir schlafen bis zum nächsten Morgen durch und träumen eine wie die andere von unserem süßen, wohlgeformten Zootechniker, der uns schon am ersten Tag so die Köpfe verdreht hat.

Das Aufstehen morgens gestaltet sich nach wie vor etwas mühsam, es ist einfach nicht unsere Zeit. Dafür ist aber der Feierabend, mitten am Tag einfach genial. Und wir genießen es auch. Gehen fast täglich direkt nach der Arbeit an den nahliegenden Stausee zum Baden. Um die Mittagszeit ist kaum jemand da, der künstlich angelegte Sandstrand gehört also nur uns allein. Vom Feeling her fast wie am Meer, weit weg irgendwo im südlichen Ausland. Da sind die Strapazen des harten Arbeitstages schnell vergessen, man fällt sofort in den Entspannungsmodus. Und den setzen wir auch abends fort, beim Ausgehen. In den verschiedensten Bars und Diskotheken genießen wir unsere alkoholfreien Cocktails und amüsieren uns prächtig in diesem zwar überschaubaren, aber sehr modernen Städtchen. Der Bürgermeister hat sich schon etwas Besonders einfallen lassen. Einen Music Club in Form eines Fasses, ein ausrangiertes Frachtflugzeug mitten in der Innenstadt stehend, in dem sich ein Restaurant befindet, eine Pferderennbahn, wo sich Wochenende für Wochenende nicht nur die High Society von nah und fern trifft. Den ausgefallenen Ideen sind keine Grenzen gesetzt und wir genießen dieses, überaus große Angebot an gesellschaftlichen Aktivitäten, die wie ein Magnet Tausende von Touristen anziehen. Busweise kommen die Besucher, um diese kleine, bis vor kurzem völlig unbekannte und unbedeutende Stadt zu bewundern. Mittlerweile eine wahre Attraktion dieser Region. Und wir sind mittendrin!

Die Temperaturen steigen, die Hitze ist schon extrem an diesen Tagen, ein knackiger Sommer auf jeden Fall. Die moderne Halle, die man kaum als Kuhstall bezeichnen kann, heizt sich ebenso unerträglich auf. Und so suchen wir uns in unserer großen Pause ein schattiges oder zumindest angenehmeres Plätzchen, um etwas gemütlicher die freie Zeit zu verbringen. Wir verzichten bewusst aufs Essen, das einzig Wichtige ist, uns kurz hinzulegen. Der gestrige Cocktailabend, der dank ein paar älterer Jungs, nicht ganz alkoholfrei geblieben ist, hat sich nämlich etwas in die Länge gezogen und so sind wir erst um Mitternacht ins Bett gekommen. Die drei Stunden bis zum Aufstehen waren zwar sehr wohltuend, aber doch nicht so ganz ausreichend. Und so schleichen wir umher und schauen, wo wir unsere übermüdeten Körperreste niederlegen könnten. Wir kommen an einer Treppe mit dem Schild „Betreten verboten“ vorbei. Alle schweigen, unsere Blicke treffen sich und besagen nur eins: Los, rauf, die Treppe hoch, dieses Schild ist doch eine klare Aufforderung dazu. Verbotenes Obst schmeckt bekanntlich am besten und darauf stehen wir doch. Gefühlt tausend Stufen steigen wir empor und endlich oben angekommen, staunen wir völlig erschöpft und vergessen sogar unseren Mund zu schließen. Ein Wasserreservoir von ziemlicher Größe erblicken unsere müden Augen und die überhitzten Körper lechzen nur so nach Abkühlung. Wäre da nicht schon wieder ein weiteres Schild mit dem nächsten Verbot: „Trinkwasser, Baden verboten“. Oh man, wie doof ist das denn! Die ganze Mühe umsonst. Vom Schatten keine Spur, Baden verboten, geht’s noch unvorteilhafter? Eine von uns hat aber den Sinn für Humor immer noch nicht verloren und meint nur trocken: „Was regt ihr euch auf, baden dürfen wir zwar nicht, leer saufen aber schon. Ist ja schließlich Trinkwasser.“ Trotz der Erschöpfung und des Frustes bekommen wir alle einen Lachanfall und finden die Idee gar nicht so abwegig. Wir beschließen also, wenigstens einen Schluck zu nehmen, um uns zumindest innerlich abzukühlen, und eilen zu den Hektolitern an Wasser. Am Rande hockend fangen wir an, uns „ein paar Tropfen“ ins Gesicht zu spritzen, der Erfrischung wegen, und finden so einen Gefallen daran, dass wir zum Schluss mit völlig nassen Klamotten dastehen. Und jetzt? So können wir doch nicht wieder runter und weiterarbeiten. Also alles ausziehen. Auf dem Gras liegen wir nackt neben den ausgebreiteten Klamotten und warten, bis alles wieder trocken ist. Erfrischt, ein wenig ausgeruht ziehen wir uns wieder an, steigen die gefühlt tausend Stufen wieder herunter und stehen bald, mit der Mistgabel gewappnet, zum nächsten Arbeitseinsatz in der Halle bereit. Dieses Intermezzo hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir es ab jetzt jeden Tag wiederholen. Niemand weiß zwar, wo wir sind, es scheint aber auch keinen der Festangestellten wirklich zu interessieren. Gut so. So bleiben wir schön unter uns und können jeden Tag unsere nackten Körper ungehemmt von den Sonnenstrahlen streicheln lassen. Am Stausee darf man es nämlich nicht, an diesem verbotenen Ort aber schon. Nassgespritzt legen wir uns auf die diesmal trockenen Klamotten und genießen die Abgeschiedenheit in ihrer puren Form. Paradies nennen wir es und freuen uns jeden Tag erneut darauf. Nur der Adam fehl, Eva hätten wir, sogar in sechsfacher Ausführung, schon zur Verfügung.

Es soll aber nicht für immer so bleiben. Heute passiert es. Wir dösen in der Sonne vor uns hin und schlafen sogar ein. Die Sonne brennt nicht so extrem, ab und zu kommt ein Wölkchen über den Himmel gezogen und schafft vorübergehend ein wenig Schatten. So angenehm, dass wir völlig über der Pausenzeit liegen. Keine von uns bemerkt, dass wir mit unserer Nacktheit nicht mehr allein sind. Leise, wie eine Katze kommt der Zootechniker angeschlichen, nach uns suchend und erleichtert, dass er fündig geworden ist. Mit so einem Bild hat er natürlich nicht gerechnet. Sechs nackte Grazien liegen vor ihm und rühren sich kaum. Er unterbricht aber trotzdem diesen göttlichen Moment und formuliert leise seine Aufforderung, uns anzuziehen und zurück zu der Arbeitshalle zu kehren. Wir schrecken auf, die Anzahl unsere Hände reicht gar nicht aus, um alle Körperbereiche, die nicht gesehen werden sollen, zu bedecken. Für solche Situationen bräuchte man definitiv mehr als zwei. Wir überlegen nun voller Scham, wie lange er dort vielleicht schon gestanden haben mag und uns beobachtet hat. Oh, wie peinlich für uns, aber sicherlich doppelte Freude für ihn. Seine Suchaktion hat sich definitiv gelohnt, so ein Anblick hat er sicherlich nicht alle Tage. Ein wahrer Gentleman, er dreht sich um und unterrichtet uns ganz sachlich, dass er schon mal heruntergeht und unten an der Treppe auf uns wartet, damit wir uns in aller Ruhe anziehen können. Jetzt aber schnell, Klamotten an und ihm hinterher. Wir sind ziemlich aufgeregt, nicht nur, weil er uns in unserer „Vollkommenheit“ gesehen hat, sondern auch, weil wir nicht wissen, ob wir eine Strafe für diesen Regelverstoß und das Überziehen der Pause erteilt bekommen.

Unten angekommen, steht er wartend da. Sein Gesichtsausdruck ist friedlich und freundlich, er ist so hübsch. Wir lieben ihn doch alle, hoffentlich ist er gnädig mit uns. Wir setzen unsere unschuldigsten Mienen auf und warten leise, was von ihm kommt. Sachlich und bestimmt weist er uns darauf hin, dass wir dort oben nichts verloren haben. Wenn wir aber auch weiterhin nur in der Sonne liegen bleiben und nicht ins Wasser gehen, dürfen wir, von ihm aus gerne, unsere Pause dort verbringen. Er behält es für sich und wir sollen es auch nirgends erzählen. Ein Schatz eben, jetzt lieben wir ihn noch mehr. Jede von uns will ihn haben. Ab da hängen wir an seinen Fersen, ebenso wie er an uns. Endlich ist der Funken auch auf ihn übergesprungen. Das Problem ist nur, wir sind sechs, er allein. Eine Alternative wäre zum Islam zu konvertieren, da hätten wir uns die Augen nicht gegenseitig auskratzen müssen. Aber wer will bei der Hitze auch noch mit einem Kopftuch herumlaufen? Schwere Lage für beide Seiten. Immerhin haben wir aber seit unserer Nacktbegegnung wesentliche Erleichterung der Arbeitsaufgaben erfahren. Die morgendliche Fütterung machen wir weiterhin, dann aber, wenn er mit seinem Zootechniker-Gang fertig ist und zu seiner Büroarbeit übergeht, holt er abwechselnd eine oder auch mehrere von uns zu sich, damit wir ihm im Büro helfen. Haben wir es uns nicht schon von Anfang an so gewünscht? Es funktioniert also doch mit der Wunscherfüllung, man muss nur fest daran glauben und die Ergebnisse lassen nicht lange auf sich warten.

Wir verbringen täglich etliche Stunden mit ihm zusammen und die Idee mit der Wette, welche von uns es schafft, sein Herz zu erobern, entfacht aufs Neue. Vier geben sofort auf, nachdem wir in Erfahrung gebracht haben, dass er verheiratet ist. Ganz frisch sogar. Gerade an dem Wochenende vor unserem Beginn hier hat er „ja“ gesagt. Und das schon zum zweiten Mal mit seinen gerade mal 35 Jahren. Sie finden es unpassend und dazu fast hoffnungslos, sich um ihn zu bemühen. Aber ich und Jana sehen darin gerade eine besondere Herausforderung mit erschwerten Startbedingungen. Die Schuljungs und Bekanntschaften aus der Disco laufen uns scharrenweise hinterher und keine von uns beiden will sie haben. Aber so ein reifer Mann und noch dazu mit Hindernissen, das gilt schon als hohe Kunst der Diplomatie ihn zu beeindrucken, gar zu verführen. Erfahrungen haben wir darin zwar keine, aber wahnsinnige Lust, es zu versuchen. Was soll schließlich passieren? Mehr, als dass es nicht funktioniert, geht ja nicht. Und wenn es doch funktionieren sollte, ist er ja verheiratet, daher keine feste Beziehung möglich. Dazu haben wir, in unserem genialen Alter, nämlich überhaupt keine Lust. Nur die Freiheit zählt, flirten, spaßhaben, bloß keinen Beziehungsstress.

Also, die Wette gilt und wir legen los. Trägerlose Shirts, die uns ständig so tief rutschen, dass wir eigentlich gar keine anhaben müssten, Hosenbeine an den Jeansshorts so kurz abgeschnitten, dass nur noch das Nötigste bedeckt ist, die Farbe des Lippenstiftes schön knallig, als eine Art von Aufforderung: Diese Lippen wollen geküsst werden. Wir kaufen uns sogar, obwohl wir keine tragen, BHs mit Spitze, die wir nach dem Umziehen, aus „Versehen“ natürlich, über seinem Bürostuhl hängen lassen. Wir legen uns mächtig ins Zeug, er scheint aber gänzlich unbeeindruckt. Eine Art von Sympathie ist schon da, er erlaubt uns alles, ist sehr entgegenkommend und aufmerksam, mehr aber auch nicht. Wir lassen abends immer unsere Bemühungen Revue passieren und überlegen, wo wir noch ansetzen könnten. Da aber kaum etwas wirklich fruchtet, geben wir uns, zwar ungern, aber doch langsam geschlagen. Keine hat gewonnen, aber auch keine verloren, was wiederum ein entspanntes Klassenklima bedeutet. Alles hat immer auch eine positive Seite, so ist es nicht. Und so beenden wir nach vier, viel zu schnell vergangenen Wochen unseren Ferienjob, packen die Taschen, jetzt endlich voll mit Geld, und verabschieden uns, fast mit Tränen in den Augen, von unserer Sommerliebe in Zootechniker-Form. So ist das Leben eben, man begegnet sich, manchmal nur kurz, fühlt sich wohl zusammen, um sich schmerzerfüllt wieder trennen zu müssen.

Ein Plus an diesem Ende gibt es aber für uns trotzdem. Jetzt geht es nämlich erst richtig los mit den wahren Ferien. Kein frühes Aufstehen, kein Arbeiten, nur noch Spaß und Ausschlafen. So wie wir es lieben. Und so ist im Rhythmus des Disco-Pops unsere Sommerliebe schnell vergessen.

Die Schule fängt wieder an, bloß nicht! Es liegen schon wieder zehn lange Monate an Hausaufgaben, stressigen Lehrern und ewigem Büffeln für diverse Arbeiten vor uns. Die Ferien sind immer so schnell vorbei. Ich bin dafür, dass man die Ferienzeit gegen die Schulzeit tauscht. Das wäre die optimalste und glücklichste Lösung für die meisten von uns.

Ich habe mich gerade erst lustlos nach Hause geschleppt, Kopf voller Aufgaben, die noch heute erledigt werden müssen, um morgen die Herren Lehrer alle befriedigen zu können und keinen Eintrag wegen mangelnder Schuldisziplin in mein Mitteilungsheft zu bekommen. Ich packe meine Hefte aus der Tasche, setze mich an den Schreibtisch und falle fast vom Stuhl. Dort liegt ein Brief, adressiert auf meinen Namen. Ein Brief? Für mich? Schickt jetzt der Schuldirektor die Abmahnungen und Schulverweise nicht mehr an die Eltern, sondern direkt an die Schüler? Vielleicht weil wir schon älter 16 Jahre und strafmündig sind? Durch den Kopf geht mir einiges und ich traue mich kaum, ihn zu öffnen. Die letzte Abmahnung wegen Westpropaganda, die wir am Ende des letzten Schuljahres erteilt bekommen haben, hängt mir heute noch nach. So ein Unrecht, was uns getroffen hat, nur weil wir gemacht haben, was uns gesagt wurde. Dabei haben wir nur endlich modern sein wollen, und da es kaum Markenklamotten in den Geschäften des sozialistischen Staates zu kaufen gibt, haben wir, kreativ, wie wir sind, selbst Hand angelegt. Auf unsere langweiligen weißen Sport T-Shirts haben wir mit dem Permanentmarker das Nike Zeichen aufgemalt. So einfach nachzuahmen und so wirkungsvoll. Damit haben unsere T-Shirts eine Wertsteigerung um 300 Prozent erfahren und wir, als die Coolen, haben uns von den Langweilern abgesondert, die eben in monotonem Weiß zum Sportunterricht erscheinen. Deswegen nennen wir uns ab jetzt die Nike Clique.

Perfekt ausgestattet für die Sportstunde haben wir aber unsere textilen Kunststücke schon gleich morgens angezogen. Es wäre ja sehr schade, solche „Marken-Oberteile“ nur in dieser einen Stunde am Tag zu tragen. Das muss gesehen und bewundert werden. Und zwar von der ganzen Schule. Eine absolute Fehlentscheidung, wie sich gleich in der zweiten Schulstunde herausgestellt hat. Unsere Russisch-Lehrerin ist ziemlich weit entfernt von Bewunderung gewesen und hat unsere Mühen eher als eine Art von Provokation gewertet. Ein Aufstand gegen den Sozialismus und Verherrlichung der verdorbenen kapitalistischen Welt, die uns, dem Ostblock, nichts Gutes will. Wir sollen diese Nike Shirts sofort ausziehen. Das haben wir auch getan, genau wie sie uns befohlen hat. Leider haben wir sie damit nicht zufriedenstellen können. Wir Mädels haben nämlich nach dieser Aktion nur in den BHs hinter den Schulbänken gesessen und die Jungs gar mit ganz nackten Oberkörpern. Zu viel an Frechheit, wie sie gemeint hat, sie würde sich so etwas nicht gefallen lassen, und völlig außer Atem vor Wut und Aufregung ist sie den Schuldirektor holen gegangen, um ihm live demonstrieren zu können, mit welcher Bande unerzogener Schüler sie sich herumärgern müsse. Nach seinem Erscheinen entfachte in der Klasse heftigste Diskussion. Wir haben versucht, ihm zu erklären, dass wir genau ihren Anweisungen gefolgt sind, leider hat der Direktor die ganze Sache genauso gesehen wie die besagte Lehrerin. Er hat unser Verhalten als maßlos gewertet und hat uns, alle „Ausgezogenen“, mit einer weiteren Abmahnung bestraft. In meinem Fall nicht der ersten und sicherlich auch nicht der letzten. Ich bin nämlich eine Weltmeisterin im Erhalten von Abmahnungen. Da ich bereits kurz vor dem Schulverweis stehe, ist mir dieser Brief auf meinem Schreibtisch mehr als suspekt und ein ziemlicher Dorn im Auge. Aber nur wer mutig ist, fliegt vor der Schule, denke ich mir und reiße den Briefumschlag mit ziemlicher Wut auf. Als ein Zeichen der Nicht-Akzeptanz dieses Schulsystems, in dem man für jedes Missverständnis übertrieben streng bestraft wird.

Ich muss nach Luft schnappen, so sehr überrascht mich der Inhalt des Umschlags. Nein. Keine weitere Abmahnung, wie ich erwartet habe. Die hätte mir auch nicht mehr den Atem verschlagen können. Abmahnungen sind mittlerweile eine Art von Familientradition bei uns zuhause geworden, über die sich niemand mehr wundert, gar aufregt. Selbst die strenggläubige Oma hat schon aufgegeben, für meine Besserung zu beten. Ich bin einfach für alle ein hoffnungsloser Fall. Auch mein Vater hat aufgegeben und sich bei seiner letzten Vorladung ganz höflich vom Schuldirektor mit den Worten verabschiedet: „Wir sehen uns heute zum letzten Mal, jeder weitere Besuch wäre sinnlos und eine reine Zeitverschwendung. Meine Tochter ist einfach erziehungsresistent. Ich habe bereits alles versucht, leider ohne jeglichen Erfolg.“ Und somit hat er mich meinem selbstgewählten Schicksal überlassen. Schließlich bin ich mit meinen 17 Jahren alt genug, um beurteilen zu können, wie es mit mir weitergeht. Wenn ich mir das Leben verkomplizieren will, soll ich es tun, es ist einzig und allein meine Entscheidung, er wünscht mir viel Spaß dabei. Ab jetzt aber trage ich für mich allein die Verantwortung, wie er mir ruhig und sachlich nach dem letzten Schulbesuch erklärt hat. Ich bin fassungslos gewesen. Er hat mich einfach aufgegeben! Mein ewig mit mir streitender und diskutierender Vater interessiert sich auf einmal nicht mehr für den Unfug, den ich so gerne anstelle. Unerhört! Ich habe meinen bedeutendsten Gegner verloren und damit auch die Lust, herumzuspinnen und mich querzustellen. Wenn man nämlich keine Zuschauer mehr hat, macht auch das Herumalbern keinen Spaß mehr. Da kann ich genauso brav sein wie alle anderen. Aber wie langweilig! Wie demotivierend!

Ich halte immer noch den an mich adressierten Brief in der Hand, dessen Inhalt nach viel mehr als Langeweile klingt. Man könnte sagen, er kommt wie gerufen. Spannung der besonderen Art steht ins Haus.

Eine Liebeserklärung, wiedermal. Aber diesmal eine ganz andere als die sonst üblichen, an denen es mir nie gemangelt hat. Ich lese völlig aufgebracht die Zeilen. Zum dritten Mal in Folge und kann nicht genug davon bekommen. Die Formulierung und die Wortwahl sind so traumhaft romantisch, nicht wie die meiner Schulkameraden, wenn sie sich mit ihrer Zuneigung meiner Person gegenüber endlich outen. Nein. Ganz anders. Diese Zeilen kann man regelrecht fühlen. Ich spüre beinahe die darin geschilderten Berührungen meiner Haut. Es fühlt sich alles so intensiv an, besser als im Traum. Ich zwicke mich in die Wange, ob ich nicht doch vielleicht schlafe und alles hier nur meiner kreativen Fantasie zu verdanken ist. Aber keineswegs. Ich bin wach, sogar so wach und dazu so aufgeregt, dass ein EKG-Gerät beim Versuch meine Herzfrequenz aufzuzeichnen, explodiert wäre. Ich bin im achten Himmel. Der siebte Himmel reicht für diese Gefühle nicht aus. Es wäre zu wenig, schon der malerischen und sehr ordentlichen Schrift wegen, die dieses Hochgefühl herüberbringt. Einfach ein Kunstwerk an Liebeserklärung. Perfekt bis ins letzte Detail. Nicht nur, dass einer in mich unsterblich verliebt ist, nein, ich habe auch noch gewonnen. Die Wette vom Sommer. Ja, er ist es. Petr. Sofort ist das Bild von unserem Zootechniker, den ich bereits in der letzten Gehirnwindung abgelegt habe, wieder da. In voller Pracht. Sein nettes Lächeln, seine überaus freundliche Art, sein heißer Körper. Die Hitze des Sommers, die wir nackt auf der Wiese liegend gespürt haben, mit der Erinnerung, wie er uns damals gefunden hat, alles ist zurück. Mit einem Wimpernschlag habe ich mich in diesen Moment zurückkatapultiert. Und es fühlt sich so gut an. Nicht mehr beschämend, nein, liebend und aufregend. Jetzt weiß ich, ich habe es geschafft. Er hat mich schon damals sehr anziehend gefunden und will mich jetzt unbedingt wiedersehen. Ich gehe ihm nicht mehr aus dem Kopf, wie er schreibt. Er probiert alles, um mich aus seinen Gedanken herauszubekommen. Ohne Erfolg. Ich bin allgegenwärtig. Permanent präsent. Er braucht nicht mehr die Augen zu schließen, er sieht mich einfach überall. In jeder Situation, die er durchlebt, wie banal sie auch sein mag, sieht er mich an seiner Seite. Ich habe ihn regelrecht verhext. Er schläft kaum, Essen schmeckt fade, alle Menschen kommen ihm uninteressant bis langweilig vor. Nur die Gedanken und Vorstellungen, in denen ich vorkomme, sind ihm angenehm und motivieren ihn zum Weiteratmen. Ich bin sein Ein und Alles. Ohne mich macht sein Leben keinen Sinn mehr. Warum haben wir erst nach seiner Hochzeit mit dem Sommerjob begonnen, er hätte alles abgesagt, wenn wir nur eine Woche früher angefangen hätten. Ein paar Tage früher und es hätte alles anders laufen können. Schicksal wohl.

Ich bin beeindruckt. Dass ich eine solche Wirkung auf einen Mann ausüben kann, ist mir bislang auch nicht bewusst gewesen. Aber man lernt ja immer dazu. Schade nur, wirklich sehr schade, dass ich damit nicht herumprahlen kann. Gerade in unserer Schule nicht. Ich kann noch nicht mal Jana, meine Wetten-Rivalin, darüber informieren, dass ich es, im Gegensatz zu ihr, geschafft habe. Mein Sieg steht unter der Geheimstufe rot, hoch zwei sogar. Deswegen hat er noch zu den Ferienjob-Zeiten keinerlei Andeutungen gemacht. Er ist nämlich mit der Tochter einer unserer Lehrer verheiratet. Und wenn sein Schwiegervater, mein Lehrer, Wind von der Sympathie bekäme, sähe es für mich schlecht aus. Nicht nur von der Benotung her, er könnte dafür sorgen, dass ich von der Schule verwiesen werde (Wie richtig er mit seiner Vermutung liegt, der süße Zootechniker, und dabei kennt er noch nicht mal meine abmahnungsreiche Geschichte). Ein intelligenter Mann eben, mit Weitsicht. Er wird mir immer sympathischer. Wie er um die Ecke denkt, um jegliche Art von Stress und Problemen von mir fernzuhalten. Einfach herrlich. Aber trotzdem stört es mich, dass ich von meinem Sieg absolut niemandem erzählen kann. Noch nicht mal eine klitzekleine Andeutung. Nein. Es geht einfach nicht. In diesem Fall gibt es keine doppelte, weil mitgeteilte Freude. Eher ein Spiel mit dem Feuer. Wenn jemand von diesem Brief oder unserem Treffen erfährt und es in der Schule zum Besten gibt, bin ich verloren. Dagegen sind meine Komasaufen-Aktionen, Unterrichtschwänzen und Vortäuschen von hohem Fieber beim Schularzt nur Kinderkram. Aber lustig ist der Auftritt damals beim Arzt auf jeden Fall gewesen. Ich muss heute noch darüber schmunzeln, wie erfindungsreich wir immer wieder gewesen sind. Heiße Kofola (die tschechische Version von Coca-Cola) zu trinken, bringt nämlich den Kreislauf richtig in Schwung, die Wangen und Ohren glühen, ein paar Schluck vom puren Essig ätzt die Stimmbänder an, damit man richtig krank, nach entzündetem Hals, klingt. Das allein hätte schon vollkommen für eine Krankmeldung gereicht. Aber wir haben auf Nummer sicher gehen wollen und haben das, uns zum Fiber Messen überreichte Thermometer auch noch auf die Heizung gelegt. Das hätten wir lieber lassen sollen. Das Fieber von 41,2 °C, was das alte mit Quecksilber betriebene Gerät angezeigt und sich nicht schnellgenug herunterschütteln lassen hat, hat uns etwas Ärger beschert. Die Ärztin hat sofort den Rettungswagen gerufen und wir haben nur schwer erklären können, dass es uns eigentlich gar nicht so arg schlecht geht, dass es nur dem Anschein nach so aussieht. Sie hat uns leider nicht geglaubt und hat logischerweise unseren Tod nicht riskieren wollen, dem wir, laut der Thermometeranzeige, in der Tat sehr nah gestanden haben. Angekommen im Krankenhaus sind die Symptome rasch abgeklungen, die Wirkung von unseren heißen Tricks ist nämlich nur vorübergehend und kurzfristig gewesen. Und so sind wir wieder entlassen worden, ohne Krankmeldung natürlich, haben in die Schule gehen müssen und unsere Eltern haben den unnötigen Rettungswageneinsatz auch noch bezahlen dürfen. Ein Satz heiße Ohren hat es dann zuhause auch noch gegeben, diesmal aber ohne aufgewärmte Kofola.

Es wird auch in diesem Liebes-Fall heiß, das spüre ich jetzt schon, in jeder von meinen über 70 Billionen Körperzellen. So ab und zu passe ich im Biologie-Unterricht auf und diese Zahl hat mich wirklich beeindruckt. Hut ab vor meinem Körper, dass er bei der Menge an Einzelteilen noch den Überblick behält, wo ich schon bei zehn Schulbüchern die Orientierung verliere und keines mehr finde.

Ich liege wach im Bett. Es ist mittlerweile 3 Uhr morgens und vom Schlaf keine Spur. Die Gedanken sind bei ihm, meinem Sieger-Preis, der geheim bleiben muss. Ich plane ganz präzise, wie wir uns ohne Risiko verständigen werden. Wo und wann wir uns treffen könnten, was ich anziehe und überhaupt alles, was man planen muss, wenn man mit dem Schwiegersohn eines Lehrers ein Techtelmechtel anfangen will. Wie im Po-Wi-Unterricht, schießt mir durch den müden Kopf. Da haben wir doch auch das Thema Planen und Planwirtschaft durchgenommen. Aber um was genau es dabei ging, weiß ich nicht mehr. Das ist wohl wieder eine der Schulstunden gewesen, in denen ich offensichtlich anderweitig beschäftigt gewesen bin. Kann ja vorkommen, bei mir sogar häufiger. Entspannt wiegen mich die Planwirtschaftsgedanken doch langsam in den Schlaf, wie in der Schule eben. In manchen Fächern ist das Schlafen doch die bessere Alternative.

Alles ist geregelt. Die Aufregung steigt ins Unermessliche. Das erste Treffen findet heute statt. Nach der Schule holt er mich in der Nähe des Bahnhofs ab und wir fahren ein paar Kilometer in die nächste Stadt, wo man weder mich noch ihn kennt. Sicher ist sicher. Sehen, aber nicht gesehen werden, ist das Prinzip solcher Begegnungen. Zwar noch ungewohnt, sehr prickelnd aber. Der Touch des Verbotenen, des Geheimen ist gerade das, was die ganze Sache so spannend macht.

Ich gehe nach der Schule wie üblich zum Busbahnhof. Ich bin nämlich eine der wenigen, die nicht mit dem Zug kommt, obwohl es preiswerter wäre. Da aber in meiner Heimatstadt der Bahnhof zu weit vom Wohnhaus entfernt liegt, die Busse aber in nur fünf Minuten Fußweg erreichbar sind, fahre ich die 21 Kilometer eben zum höheren Tarif. Und das erweist sich jetzt als Vorteil. Wir verabschieden uns an der Haltestelle, der Rest der Clique läuft weiter zum Bahnhof und damit bekommt keiner mit, dass ich nicht einsteige, sondern hinter den parkenden Bussen in die Nebenstraße abbiege, um zum abgemachten Treffpunkt zu kommen. Er steht schon da, mit seinem alten Wagen, den neuen fährt nämlich seine Frau, da von ihrem Vater mitfinanziert. Das hat er uns schon im Hochsommer während des Ferienjobs erzählt. Ich denke schnell nach, was ich noch alles über ihn weiß. Meine Gedanken sind aber genauso zerstreut, wie die Knie weich sind. Ich steige ein und mehr als ein Hallo geht nicht über meine Lippen. Die Stimme versagt. Ich fühle mich so unsicher wie noch nie. Selbst in der Schule beim Abfragen, obwohl völlig unvorbereitet, passiert mir so etwas nicht. Ein Ausnahmezustand. Definitiv. Mein Körper macht völlig schlapp vor Aufregung. Er schaut mich an, als käme ich vom Mars, und mehr als ein Hallo bekommt er auch nicht aus sich heraus. Ich versuche meine letzten Kräfte zu mobilisieren, um nicht auszusehen, als müsste er mich gleich mit einem akuten Herzanfall im Krankenhaus abliefern. Der Puls ist an meinen Halsschlagadern sicherlich sichtbar, so heftig, wie der sich anfühlt. Was für eine Situation. So kenne ich mich gar nicht. Sonst so taff und strotzend vor Selbstbewusstsein, zerfließe ich jetzt wie die Butter in der Sonne. Wie ausgewechselt. Ich entdecke mich neu. Unsicher, nervös und sprachlos. Endlich fällt mir etwas vollkommen Neutrales ein, fern jeglicher Emotionen, was die Anspannung etwas lockern könnte. „Wartest du schon lange?“, frage ich und meine Stimme ist wieder da, etwas zittrig zwar, klingt aber nicht so, obwohl ich immer noch innerlich am Beben bin. „Nein“, antwortet er „ich bin vielleicht vor zehn Minuten angekommen. Absichtlich etwas früher, damit du sofort einsteigen kannst. Im Auto sitzend falle ich weniger auf als du, allein auf der Straße stehend.“ Wo er recht hat, hat er recht, denke ich mir und seine durchdachte Art begeistert mich erneut. Ein Mann mit Köpfchen eben. Meinem ausgeprägten Sinn für Perfektion sehr sympathisch. „Magst du etwas essen?“, fragt er auch schon ein wenig lockerer. „Oder lieber nur ein Eis oder Kuchen in einem schönen Café?“ Wenn er nur wüsste, wie aufgeregt ich immer noch bin und dass ich wahrscheinlich die nächsten zwei Tage lang keinen Bissen herunterbekomme. „Nur ein Eis, am liebsten Schokoeis. Das ist eine sehr gute Idee“, antworte ich, ohne lange nachzudenken. Meine Verlegenheit legt sich auch langsam und ich hoffe, dass er meine anfängliche Verklemmtheit nicht bemerkt hat. „Gut, dann fahren wir los, ich kenne eine ganz süße Eisdiele in der Nähe. Sehr gemütlich. Ich denke, das wird dir auch gut gefallen. Ist wirklich zum Wohlfühlen.“ Wohlfühlen? Er betont es auch noch. Das heißt, er hat es doch bemerkt, dass ich mich bis jetzt nicht so arg wohlgefühlt habe. Oh man! Ach egal. Immer dieses ewige Grübeln, ob man den besten Eindruck hinterlassen hat. Wozu das Ganze? Erzählen kann er sein Erlebnis von heute Nachmittag sowieso niemandem, weil wir eigentlich gar nicht zusammen sind. Ganz gespannt warte ich auf die weitere Unterhaltung. Es kommt aber nichts, weder von mir noch von ihm. Mir kommt alles so verklemmt und steif vor. Ich glaube, ich hätte doch lieber heimfahren sollen. Aber abgemacht ist abgemacht, ich hätte ihn doch nicht warten lassen können und einfach nicht kommen. Wenn man schon A sagt, muss man auch B sagen. Aber jetzt bräuchten wir auch noch schnell ein C, damit unsere schwache Konversation etwas in Fahrt kommt. Frage etwas Banales, befehle ich mir. Das einzige, was mir aber einfällt, ist Wetter. Was für ein Quatsch, er wohnt doch nur 25 Kilometer von hier entfernt. Dort wird es wohl weder Erdbeben noch ein Hurrikan gegeben haben, was man vielleicht zum Thema machen könnte. Mein Kopf ist regelrecht blockiert, ideenlos. Ein katastrophaler Zustand, finde ich. Meine Gehirn-Synapsen sind außer Gefecht gesetzt. Und seine wahrscheinlich ebenso. Die einzige Frage, die ich mir stelle: Gibt es eigentlich einen Ratgeber fürs Fremdgehen? Den brauche ich dringend. Ich bin völlig unvorbereitet in diese Situation reingekommen und dachte naiv, so etwas schaffe ich locker. Wie immer alles. Was soll schon dabei sein, sich mit einem verheirateten Typen zu treffen? Aber dieser Herausforderung bin ich tatsächlich nicht gewachsen.

Wir sind endlich da. Er zieht den Schlüssel ab, steigt hektisch aus dem Wagen, und bevor ich mich abgeschnallt habe, steht er schon an der Beifahrertür und macht sie für mich auf. Ich bin etwas verdutzt, bin mir nicht sicher, ob sie vielleicht nur klemmt, oder ob er wirklich so ein Gentleman ist, dass er mir die Tür öffnet. Ich bedanke mich flüchtig und erinnere mich sofort an die Kostümfilme, wo die Edelmänner den Damen immer aus der Kutsche helfen und die Ritter sogar die Prinzessinnen zum Schloss tragen, damit sie sich die Brokatschuhe nicht verschmutzen. Meine romantische Minute geht aber schnell zu Ende und der logische Verstand meldet sich wieder zu Wort. Selbst wenn viel Schlamm ums Auto wäre, würde er, als Zootechniker, eher ein paar Gummistiefel aus dem Kofferraum holen, anstatt sich mit mir einen abzuschleppen. Apropos Schleppe. Hatten ja Prinzessinnen auch! Und schon wieder stellt mein Gehirn auf Romantik um. Was ist nur um Himmelswillen mit mir los? Könnten sich meine Gedanken wieder normalisieren? Sind es die Hormone, die alles in mir durcheinanderbringen? Ich laufe ihm einfach hinterher und überhöre seine Frage, wo wir uns hinsetzen möchten. Erst bei seinem zweiten Versuch, mir eine Antwort zu entlocken, bemerke ich, dass er etwas gefragt hat. Mehr als nur ein knappes „egal“ fällt mir nicht ein. Und so nehmen wir den ersten freien Tisch, der sich auf unserem Weg durch die Eisdiele befindet.

Mit dem ersten Schluck von der eiskalten Limonade, die er bestellt hat, löst sich endlich mein narkoseähnlicher Zustand der seltsamen Sinnestrübung. Mein Verstand ist wieder da und ganz klar. Ich höre ihm zu, ohne ständig in irgendwelche sonderbaren Gedanken zu verfallen, und fange an, normal zu kommunizieren. Wir reden über alles und die ganze Welt, über meine Pläne nach dem Abi, seine erste Ehe und die beiden Kinder, die er alle zwei Wochen am Wochenende bei sich hat, womit klar ist, dass wir uns immer nur unter der Woche sehen können. Finde ich sowieso besser, so fällt es weniger auf. Wie bei mir, so auch bei ihm. Der Eisbecher ist leer und auch das Eis zwischen uns endlich gebrochen. Wir fahren in heiterer Stimmung zurück und fühlen uns auf einmal ganz vertraut miteinander. Er nimmt mich an der Hand und beichtet mir, dass es für ihn heute das Schönste ist, endlich meine Haut spüren zu dürfen. Er hatte so oft Lust darauf, mich wenigstens kurz anzufassen, im Sommer, als wir bei ihm im Betrieb gewesen sind. Und jetzt hat er den Beweis, dass sich meine immer noch leicht gebräunte Haut samtig weich anfühlt. Wie er es die ganze Zeit vermutet hatte. Genauso wie in seinen Träumen. Seine Worte und sein Händedruck lassen in mir eine Hitzewelle emporsteigen. Und als er mich nach dem Aussteigen auch noch fragt, ob er mir einen Abschiedskuss auf die Wange geben dürfte, bin ich wieder der Ohnmacht sehr nahe. Einen? Hunderte!, würde ich ihm am liebsten antworten, aber heute leider nicht mehr. Es wird langsam dunkel und der Bus wartet nicht. Wir verabschieden uns irgendwie glücklich und traurig zugleich.

Der Bus schaukelt leicht hin und her, wie meine Gedanken auch. Was erkläre ich den Eltern, wo ich so lange gewesen bin? Wann sehen wir uns wieder? Wo soll das Ganze hinführen? Aber nichts davon hat die Wucht des Wohlgefühls, das der heutige Nachmittag hinterlassen hat. Der Mann hat es in sich, der hat mir nicht nur den Kopf verdreht. Er ist wie eine Droge für mich. Ich weiß nur eins, ich will mehr.

Die Schule macht auf einmal wieder Spaß. Besser gesagt, die Aktivitäten nach der Schule, da es aber doch alles mehr oder minder zusammenhängt, fühlt sich der Schultag einfach sehr gut an.

Wir treffen uns fast jede Woche und langsam kennen wir alle Cafés und Gaststätten in der Gegend. Wir bräuchten etwas Abwechslung und vor allem mehr Privatsphäre. Aber wo? Es ist nicht einfach, ich nehme aber an, für diesen Mann wird wohl auch das kein unlösbares Problem bleiben.

Das Wochenendhaus seines Schwiegervaters lautet die Lösung. Doch so einfach! Aber aus meiner Sicht auch ziemlich riskant. Obwohl, das steigert ziemlich die Spannung. Es steht nicht weit von der Stadt entfernt, wo ich zu Schule gehe und natürlich auch mein Lehrer wohnt. Schön am Waldrand gelegen, nicht weit von einem kleinen See, und da wir Winter haben, wäre es für die ganze Lehrer-Familie mehr als uninteressant, dort hinzufahren. So lauten seine Erklärungen, die mich beruhigen sollen. Naja, grenzwertig. Ich ziehe es auch weiterhin vor, meinem Lehrer in der Schule zu begegnen als in seinem Wochenendhaus. Man wird sehen, ob alles gut geht, denke ich mir still und leise. Er bemerkt meine immer noch andauernden Zweifel gar nicht und holt weiter aus: Wie schön dort die Natur sei und die Ruhe, wir könnten auch gemütlich um den See spazieren gehen… Wunderbar, denke ich mir. Wenn er jetzt auch noch das Fischen erwähnt, bleibe ich doch lieber bei den Besuchen in den Cafés und Restaurants. Da ist es zwar nicht so ruhig, ganz abgesehen von der Bewegung an der frischen Luft, die mir nach den langen Sitzstunden in der Schule tatsächlich guttun würde. Aber dafür schön warm. Und das hat bei mir im Winter oberste Priorität. Seit dem letzten Praktikum nämlich, mitten im eiskalten Februar, bei dem der Arbeitsbeginn um 6 Uhr morgens gewesen ist und es keine Busverbindung so früh am Morgen gegeben hat, habe ich eine leichte bis mittelschwere Abneigung gegen Winter, Frost und Frieren. Um 3:30 Uhr morgens habe ich mich aus meinem warmen Bett bequemen müssen, um kurz nach 4 bei minus 30 Grad eine Dreiviertelstunde zu Fuß durch die zugeschneiten, noch nicht geräumten Wege zum Bahnhof zu stiefeln, um den ersten Zug zu bekommen. Warum man in einer Waffenfabrik so früh anfangen muss, habe ich zwar nicht ganz verstanden, eins habe ich aber schon damals gewusst: Ich bin definitiv eher der Karibik-Typ. Und seit dieser Zeit bekomme ich Gänsehaut, allein schon, wenn nur ein einziges Wort oder ein Gedanke in Richtung Winter oder Kälte geht.

Wir wagen es. Zum ersten Mal, nur wir Zwei für uns ganz allein. Ohne Publikum, ohne Zuschauer. Es fühlt sich doch ein wenig an wie damals, beim allerersten Treffen. Die Aufregung ist wieder da, alles ist irgendwie anders und etwas befremdlich. Mir schießen Bilder aus den Krimis durch den Kopf, wo man in flagranti erwischt, knallhart erschossen wird. Ich versuche mir zwar einzureden, dass wir nicht im heißblütigen Italien leben, aber immerhin gibt es ja die besagte Waffenfabrik in der Stadt. Und wer weiß, über welche Art von Waffen mein Lehrer, sein Schwiegervater, verfügt. Mein Vater hat direkt neben der Eingangstür eine riesige Axt stehen. Für alle Fälle, wie er sagt. Auch nicht gerade angenehm, damit erschlagen zu werden, da erscheint mir ein schneller Schuss schon etwas angenehmer. Aber vielleicht ist mein Lehrer ein Pazifist und mir passiert nicht mehr, als dass ich doch ohne Abi frühzeitig die Schule verlassen muss. Sonst eigentlich eine ziemlich unangenehme Vorstellung, aber bei diesem Gedankenspiel dann auf einmal doch die angenehmste Variante. Wie ein neuer Blickwinkel doch alles relativieren kann.

Wir sind endlich da. Er hat den ganzen Feld- und Waldweg offensichtlich ebenso den eigenen Gedanken gewidmet wie ich, ist nämlich ganz ruhig und leise gewesen. Wer weiß, was für ein Krimi sich wohl bei ihm abgespielt hat? Oder vielleicht etwas ganz anderes? Ich glaube eher an die zweite Variante. Männer leben ihr Leben nämlich leichter und einfacher als Frauen, sie zermartern sich nicht andauernd den Kopf mit irgendwelchen Nichtigkeiten.

Es ist vollbracht. Die Tür ist auf, das Wochenendhaus gehört jetzt uns. Aber erstmal schnell auch noch alle Fenster aufmachen, die Luft hier ist zum Schneiden dick. Seit Wochen war wohl keiner hier, der nur ein einziges Sauerstoffmolekül reingelassen hätte. Ich denke beim Lüften wieder an das mollig warme Caféhaus von letzter Woche, wo ich bei dem Gedanken, endlich seine wohlgeformten Lippen zu küssen, richtig ins Schwitzen gekommen bin. Aber das wird mir hier, bei diesen frostigen Temperaturen, sicher nicht passieren.

Wir nutzen die Zeit und suchen in den Küchenschränken nach Tassen, damit wir den mitgebrachten heißen Tee etwas eleganter trinken können als nur aus dem Plastikschraubdeckel der Thermoskanne. Er denkt wirklich an absolut alles. Das Wochenendhaus ist nämlich winterfest gemacht und damit natürlich das fließende Wasser abgestellt. Wir sind fündig geworden, holen uns die zwei schönsten Tassen aus dem Schrank, pusten den Staub und die Spinnenreste weg, schließen die Fenster und setzen uns zum Teetrinken auf das Sofa im kleinen, aber schnuckelig eingerichteten Wohnzimmer des eiskalten Wochenendhauses. Ich wärme mir die Hände an meiner Tasse und in Gedanken bin ich bei Amundsen und seiner Südpolexpedition und überlege, ob er eigentlich überlebt hat. „Alles in Ordnung?“, fragt Petr mich besorgt. „Ja, klar“, schießt nur so aus mir heraus, denke aber immer noch nach, was wir über das Ableben von Amundsen gelernt haben. Wohl wieder nicht aufgepasst! Egal, Hauptsache, wir überleben hier heute, zwar weit weg vom Südpol, aber die gefühlten Temperaturen dürften wohl ziemlich die gleichen sein.

Er setzt sich unaufgefordert näher an mich heran und meint, der Tee allein wird mich wohl nicht genug wärmen, dem Anschein nach. „Habe ich etwa schon blaue Lippen?“, frage ich verwundert. „Nein, das nicht, aber du zitterst leicht“, antwortet er und steht auf. „Ich schaue mal nach einer Decke, es ist hier wirklich ziemlich kalt.“ Ach was, denke ich mir, hat er es auch schon gemerkt? Zurück mit einer kuschelig aussehenden Decke unter dem Arm, setzt er sich neben mich und wickelt uns in den modrigriechenden Stoff ein. Wenigstens kratzt das Ding nicht, denke ich mir und bin meilenweit jeglicher Romantik. Wortlos umarmt er mich und drückt mich ganz fest an sich. Wenn es jetzt knackt, habe ich in meinem, mittlerweile zum Eisklotz mutierten Körper einen Sprung. Wie die Eiswürfel in der warmen Limo. Es passiert aber nichts, ich halte doch mehr aus, als ich dachte. Und so lege ich meinen Kopf an seine Schulter und fange langsam an, in seiner Umarmung aufzutauen und mich sogar wohlzufühlen. Er küsst mich auf die Haare und flüstert mir leise ins Ohr, dass er sich schon so lange darauf gefreut habe, mich endlich im Arm halten zu können. Ich sage nichts, still genieße ich diesen wunderschönen Moment und als eine Art Antwort drehe ich mein Gesicht mehr in Richtung seiner Lippen und küsse sie zart. Eine Hitzewelle rollt durch meinen Körper und ich gebe mich ihr ergeben hin. Decke? Bei Verliebten? Was für ein Unsinn. Die Berührungen müssen nur die richtigen Stellen erreichen und die Körpertemperatur steigt rasend schnell an. Er erwidert meine zarten Küsschen, die unsere Körper in ein absolutes Wohlgefühl versetzen. Unsere Hände suchen ebenso aneinander, gefühlsvoll streicheln sie nach und nach die eine oder andere Körperstelle. Die Zeit scheint stehenzubleiben, es gibt nichts außer uns und diesem Moment der innigen Verbindung. Ich knöpfe langsam sein Hemd auf, will mehr von seiner Haut spüren. Sein Herz schlägt ganz schnell, ich lasse meine Hand an seinem Brustkorb liegen und spüre seinen schnellen Puls, der in meine Adern überzugehen scheint. Unsere innere Beschleunigung multipliziert sich ums Hundertfache, in Windeseile entledige ich mich meines Oberteiles, um seinen Lippen mehr Raum zum Küssen gewähren zu können. Die Decke rutscht vom Sofa und wir mit. Liegend auf dem Boden, vertieft in diesen Augenblick, schmiegen sich unsere Körper ganz heiß aneinander, der Kälte des Raumes trotzend. Meine harten Brustwarzen tauen dank seiner heißen Lippen auf und leiten Impulse an die immer noch von Kleidung bedeckten tiefergelegenen Körperregionen weiter. Es bedarf keiner Worte, wir ziehen uns, uns gegenseitig helfend, aus und liegen völlig nackt nebeneinander. Streicheln und Küssen jeden Zentimeter unserer vor Erregung glühenden Haut und ich erinnere mich sofort wieder an den letzten Sommer und die Sehnsucht, mit ihm im Gras am Rand des Wasserreservoirs liegen zu wollen. Endlich ist der ersehnte Moment gekommen, Monate später geht mein Traum, obwohl in leicht abgewandelter Form, in Erfüllung. Und sicherlich auch seiner. Wir haben es schon damals beide gewollt.

Meine Sommergedanken werden unterbrochen. Unsere Lippen trennen sich und er flüstert leise, mir tief in die Augen schauend, dass er es nicht mehr lange aushalten kann. Ich küsse ihn einfach weiter und spüre bald, wie sich die flüssige Hitze über meine bebende Bauchdecke ergießt. Unser Sommertraum ist wahr geworden. Mitten im Winter. Liebe kennt eben keine Jahreszeiten.

Wir kosten die eiskalte Jahreszeit maximal aus und treffen uns so oft es nur irgendwie möglich ist. Die frostig-heißen Stunden machen den Winter machtlos und lassen uns, nicht nur in Gedanken, der kalten Dunkelheit entfliehen und von Mal zu Mal dem Paradies immer näher kommen.

Der beginnende Frühling ist jedoch sehr liebesfeindlich. Für uns zumindest. Das Wochenendhaus ist als Treffpunkt nicht mehr sicher, da jetzt auch Petrs Schwiegereltern wieder des Öfteren hinfahren. Alles eben zu richtigen Zeit. Und die unsere ist wohl langsam vorbei. Meine Abiturprüfungen rücken immer näher und ich muss Prioritäten setzen, ohne es wirklich zu wollen. Lernen ist eben angesagt und so sehen wir uns immer seltener und begnügen uns mehr und mehr mit der literarischen Form der Zuneigung und der romantischen Gedanken. Unsere Briefliebe dauert zwar noch einige Monate an, wandelt sich aber zunehmend zur herzlichen Freundschaft. Und selbst diese versiegt zum Schluss ganz. Wahrscheinlich ist es die beste Lösung für alle, denn auch die letzte verbleibende Glut könnte bei günstigem Wind wieder zum vernichtenden Strohfeuer werden. Nur das, was ganz erloschen ist, richtet keinen Schaden mehr an.

Ensō

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