Читать книгу Passion Laufen - Rafael Fuchsgruber - Страница 19
IL CAMPIONE: MARCO OLMO
ОглавлениеEndlich geht es los. Meine Bahnstation unten im Tal morgens um 5.30 Uhr. Der Bahnsteig, von dem aus ich fast alle meine weiten Reisen gestartet habe. Vertraute Wege am ICE und anschließend am Flughafen. Latente Aufregung, wie beim Start zu einem großen Rennen irgendwo in der Welt. Ich habe eine Verabredung mit Marco Olmo in Mailand.
Marco ist mein persönlicher Hero. Ich habe es gar nicht so mit Vorbildern, hatte aber immer einen Riesenrespekt vor Lebensleistungen. Während meiner Zivildienstzeit habe ich viele alte Menschen kennengelernt. Einige habe ich über den mobilen sozialen Hilfsdienst zuhause unterstützt, andere wiederum im Heim intensiv gepflegt. Es geht hier nicht um die Umstände, in denen sie lebten, aber ihre Geschichten haben mich sehr interessiert. Bestürzend, berührend, erschreckend, aber oftmals erzählten die Geschichten der Menschen auch von der Kraft und Energie, mit der die Menschen gelebt haben. Manchmal war aber auch gar nichts da außer Geringschätzung über das eigene Leben – und Resignation. Es hat mich anfangs sehr verwirrt. Bald habe ich aber gemerkt, dass ich mich über jede steinalte Oma freute, die noch mit dem Bus in die Stadt fuhr, um ihre Besorgungen zu machen. Dieser Respekt begleitet mich schon ein Leben lang. Es geht nicht um Medaillen und Rekorde, sondern um den Wunsch, aus seinem Leben etwas zu machen.
Ich treffe Marco Omo das erste Mal beim Marathon des Sables (MdS) 2007. Es ist mein erstes großes Wüstenrennen. Am Ende des Rennens gibt es auf der Terrasse einer großen Hotelanlage in Zagora die gemeinsame Siegerehrung. Lahcen Ahansal gewinnt, sein Bruder Mohamad Ahansal belegt Platz zwei. Kurz darauf kommt es zur Siegerehrung der Altersklassen. Volker Voss, der bei den deutschen Teilnehmern so etwas was wie ein Urgestein des MdS ist, macht mich schon vor der Ehrung auf Marco Olmo aufmerksam. Ein großer, hagerer Läufer, er steht zurückhaltend, fast ein wenig schüchtern, zwischen den hunderten von Läufern aus aller Welt. Als er aufgerufen wird als Gewinner der Altersklasse 50–60 gibt es den größten Applaus des Tages. Viele Läufer erheben sich von den Stühlen. »Bravo! Marco, Bravo!«, hört man sie von allen Seiten rufen. Er hat mit 59 Jahren Platz 9 in der Gesamtwertung beim MdS belegt und die AK gewonnen. Sein Ansehen innerhalb der Szene begründet sich natürlich in seiner Leistung, aber andere haben auch große Rennen gewonnen. Seine Zurückhaltung, sein freundliches Auftreten, das wirkt fast scheu, aber genau diese Haltung macht ihn vielen Menschen sympathisch. Wenn es dir gelingt, einen seiner »Augenblicke« einzufangen, dann ist dieser glasklar, ganz fest und direkt aus seinen sehr blauen Augen. Stolz und Bescheidenheit – zwei Eigenschaften, die nicht immer und von allen als Talent gesehen werden. Zwei Eigenschaften, die sich aber noch seltener in einem Menschen einfinden, um sich zu einer besonderen Charaktereigenschaft zu entwickeln. Es ist ganz schwer zu erklären, was Marcos Faszination ausmacht. Tatsache ist, dass die Läufer keine Erklärungen benötigen, um zu erkennen, dass hier ein ganz Besonderer vor ihnen steht. Ich würde gern mit ihm reden an diesem Nachmittag in Zagora. Ich bin fasziniert und neugierig, aber schüchtern genug, um diesen zurückhaltenden Mann nicht zu stören. Ich beobachte ihn seit dieser Zeit. Ich lese über ihn und von ihm. Im Jahr 2010 kommt eine DVD heraus mit dem Titel Il Corridore. Das gleichnamige Buch erscheint 2012. Da ich zu dieser Zeit nur zehn Worte Italienisch kann, denke ich viele Jahre der Film heißt Der Korridor. Im Sinne von »Weg«, »Flur«, »Tunnel« – hat man ja schon mal als Läufer. Gefühlt bin ich jedenfalls der erste in Deutschland, der den Film Der Läufer sieht. Bis heute mein Lieblingswerk über das Laufen. Vollkommen unspektakulär im Gegensatz zu heutigen High-End-Produktionen.