Читать книгу Zenjanisches Feuer - Raik Thorstad - Страница 5
Prolog
ОглавлениеEs gab an diesem Ort weder Ratten noch Vögel, selbst Spinnen hielten sich fern. Die Wurzeln der nahestehenden Bäume strebten ahnungsvoll in eine andere Richtung. Kein Mensch setzte den Fuß über die einstige Schwelle, selbst die nimmermüden Schatzsucher zweifelhafter Gesinnung blieben aus. Das Leben war verschwunden.
Nur tief im Geröll besserer Tage regte sich etwas.
»Es ist Zeit anzunehmen, was geschehen ist, Liebste. Du darfst nicht länger in die Ferne schweifen.« Sorge ließ die ferne Stimme barsch klingen. Schmerz lag darin – und Angst vor einem Verlust, der nicht verwunden werden konnte.
Die Antwort war wie das Rascheln eines fallenden Blattes. »Vertrau mir. Uns hat sich ein Weg eröffnet. Nach all der Zeit steht das Tor einen Spaltbreit offen. Ich kann die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne…«
»Du hast getan, was du konntest. Aber jetzt musst du zurückkehren«, unterbrach er sie drängend. »Er unterwirft sich dir nicht.«
Ein Knarren hallte durch die finsteren Gänge. Kaum mehr als ein Echo, aber es hatte genug Kraft, um Staubkaskaden von Türstürzen und zerborstenen Säulen rieseln zu lassen. Asche legte sich auf verkohlte Holzreste, die aus dem Felsen ragten wie schwarzes Gebein.
»Ich will nicht seine Unterwerfung«, erwiderte sie sanftmütig. Mit jedem Wort wurde die Anstrengung in ihrem Singsang offensichtlicher. »Er soll nicht vor mir knien. Ein gebrochener Ast hält das Gewicht der Äpfel nicht, das gelingt nur einem gesunden Trieb. Und er braucht mich.«
Für einen Herzschlag breitete sich verwundertes Schweigen zwischen den Welten aus. Dann gellte ein Fluch durch den Stein. »Der lange Schlaf muss deinen Geist verwirrt haben. Du schenkst ihm deine Kraft? Einer Hoffnung wegen, die längst verweht ist? Dazu hast du kein Recht!«
»Ich habe jedes Recht!«, antwortete die weibliche Stimme. »Es ist meine Kraft, die ihn nährt, nicht deine. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit dürfen wir hoffen. Und ich gebe ihn nicht auf. Ich habe ihn gerettet, als er im Sterben lag. Ich habe ihn getröstet, als er geschrien hat. Und ich werde an ihn glauben, bis er mich eines Besseren belehrt.«
Ein Grollen im Untergrund zeugte von den heißen Quellen, die unter dem Geröll brodelten, und spiegelte die Empfindungen des Unsichtbaren wider. Ihm war nach Toben und Schreien zumute. Was, wenn er sie verlor? Was, wenn sie nach all den Jahrhunderten mühsamsten Darbens auseinandergerissen wurden? Was, wenn er allein zurückblieb?
Er zwang sich zur Ruhe. »Was immer du ihm gibst, er wird es nicht schaffen. Sein Leib ist zerbrechlich, seine Seele beschädigt. Er ist ein allzu kleines Gefäß und wird zerbersten wie ein überbeanspruchter Krug. Ich dachte, dir liegt an ihm.«
Ihr Lachen klang wie Silber. Dafür hatte er sie stets geliebt. Für ihr Gelächter – und für ihre Bereitschaft zu schonen, wo andere rücksichtslos nahmen. Aber mit der Zeit waren sie alle hart geworden. Manchmal glaubte er, dass sie nichts anderes verdient hatten.
»Mir liegt an ihm. Dessen kannst du dir sicher sein«, erklärte sie. »Aber ich bin von seiner Stärke überzeugt. Ich glaube an ihn, wie die Frau mit der gebrochenen Stimme an den Tierkrieger geglaubt hat. Er hat Schaden genommen, aber er weiß seinen Weg zu gehen.« Sie verstummte, bevor sie stimmlos hinzufügte: »Die Zeit nagt an uns. Zu viele von uns erwachen nicht mehr, wenn sich die Mondgöttin am Himmel zeigt. Bald wird niemand mehr da sein, von dem der Bann genommen werden kann.«
Zum ersten Mal erlaubte sie ihm, in ihre Seele einzutauchen und ihre Ängste zu sehen.
Sie spürte die Zeit, die sich wie ein gieriges Nagetier zum Baum der Ewigkeit fraß. Mochten ihre Körper auch unzerstörbar sein, ihr Geist war es nicht. Wahn und Schwermut waren ihre ärgsten Feinde.
Sein Seufzen war ein Luftwirbel in einem leeren Raum. Schweren Herzens berührte er sie mit seiner Macht. Er erschrak, als er merkte, wie schwach sie geworden war.
Behutsam schob er Bilder vergangener Zeiten in ihr Bewusstsein. Die Talsenke von F'Bal im Frühjahr, erleuchtet von schwärmenden Glühwürmchen, die über dem Sumpfwasser tanzten. Erdige, betörende Gerüche, die zum Verweilen einluden. Das Rascheln und Singen ungezählter Kreaturen, die die umliegenden Wälder belebten. Über ihnen die Mondgöttin mit ihrem Kind.
Das innere Beben seiner Gefährtin ließ ihn wissen, dass er sie zu lang allein gelassen hatte. Sie flehte ihn um Hilfe an. Wäre er in der Lage gewesen, sich zu bewegen, hätte er den Kopf geschüttelt. So aber schwieg er und ließ ihr seine Kraft zukommen, damit sie sich erholen und fortsetzen konnte, was sie begonnen hatte.