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Kapitel 4

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Waynes Rücken war gewölbt, Hände und Füße mit Ledermanschetten an die Beine des Bocks gefesselt. Sein überstreckter Hals spannte sich unter seinen Schluckbemühungen, seine Lippen waren dunkelrot und so eng um den Schwanz des Doms geschlossen, als wollten sie ihn nie wieder loslassen. Sein eigenes Glied ragte kerzengerade in die Höhe und wippte jedes Mal, wenn ihn der Flogger auf das nackte Dreieck seines Bauchs traf.

Jordan stützte den Ellbogen auf die Lehne des Stuhls und das Kinn auf die Hand, um sich nicht zwischen die Beine zu greifen. Er war neidisch. Dabei hatte er die Session selbst organisiert. Er war es gewesen, der die ersten Fragen des maskierten Doms beantwortet und später seine Unsicherheiten ausgemerzt hatte. Er hatte ihm beigebracht, worauf er zu achten hatte und wie man zwischen Lustschmerz und bedenklichen Qualen unterschied. Wie man einen Sub selbst dann richtig las, wenn man ihn nicht gut kannte.

Und nun erntete Wayne die Früchte seiner Bemühungen, wand sich mit flatternden Lidern auf dem Bock und stieß jedes Mal ein ersticktes Nein aus, wenn der Dom ihn fragte, ob er endlich genug hatte. Jordan gönnte ihm den Spaß und hätte ihm trotzdem am liebsten den dicksten Dildo im Club ungeschmiert in den Arsch gerammt – wofür Wayne sich allenfalls bedankt hätte.

Der Dom suchte Blickkontakt zu Jordan. Für einen Moment erschien ein Riss in der herrischen Fassade und um den freiliegenden Mund und die Augen zeichnete sich Unsicherheit ab.

Jordan nickte kaum merklich. Er war heute Waynes Rettungsweste und Anthonys Rückendeckung. Sie brauchten ihn nicht, davon war er überzeugt. Aber dadurch, dass er da war, dass es ein drittes Paar Augen gab, die die Situation beobachteten, fühlten sich beide sicherer. Es war nicht unbedingt eine übliche Vorgehensweise, aber eine, mit der Jordan schon öfter gearbeitet hatte.

Für andere. Natürlich.

Er tippte sich mit den Fingerspitzen gegen die Lippen. Er war bissiger, als er leiden konnte. Der Zusammenstoß mit Henry saß ihm immer noch in den Knochen. Wenn er seinen Verstand sprechen ließ, wusste er, dass Henrys Vorwürfe unbegründet waren. Er hielt sich nicht für besser als andere. Und er wartete auch nicht auf den perfekten Mann und damit auf jemanden, der ihm ebenbürtig war oder wie man es nennen wollte. Aber empfindlichere Bestandteile seines Wesens haderten mit sich.

War er zu wählerisch? Erwartete er zu viel? Hatte er eine unsichtbare Messlatte aufgehängt, unter der etwaige Interessenten allenfalls hindurchlaufen konnten? War es falsch, auf jemanden zu hoffen, der ihn ergänzte? Oder war das Problem vielmehr, dass er in mancher Hinsicht nicht dem Klischee entsprach? Woher stammten solche Rollenbilder eigentlich? Der fähige Sugardaddy, der sich einen niedlichen kleinen Sub zulegte, den er umsorgen konnte und musste, weil das arme Huschhusch ohne seinen Dom kaum in der Lage war, sich selbst die Schuhe zuzubinden.

Es gab diese Fälle und Jordan rümpfte auch weiß Gott nicht die Nase über diese Verbindungen. Aber seiner Erfahrung nach waren sie in der Minderheit. Und trotzdem… und trotzdem…

»Aah, verdammt!«

Jordan schrak zusammen und hob die Füße vom Stuhl. Er verfluchte sich, dass er seine Gedanken hatte schweifen lassen, entspannte sich aber rasch wieder. Anthony hatte den Kopf zurückgeworfen und wand sich in einem offenbar intensiven Orgasmus, dessen Ergebnis von Wayne mit offenem Mund entgegengenommen wurde. Keiner von beiden sah aus, als wäre er in Nöten oder mit der derzeitigen Situation unzufrieden. Eher, als hätten sie gerade erst angefangen und könnten es nicht erwarten, stundenlang weiterzumachen.

Und da war er wieder, der Neid, der sich durch Jordans Eingeweide fraß. Er sah zu, wie Anthony sich vor Lust schüttelte und anschließend neben dem Bock in die Knie ging. Sah, wie er Waynes Harnisch zurechtrückte und ihm mit dem Daumen über die Lippen strich. Hörte ihn leise Worte murmeln, aus denen Jordan unter anderem Belohnung, gut gemacht und so ein braver Junge heraushörte.

Schließlich streifte er die Ledermaske ab und offenbarte sein jungenhaftes Gesicht. Lächelnd trat er zwischen Waynes Beine und gab ihm mit festem Griff und groben Handschuhen die versprochene Belohnung. Als Wayne stumm und mit weit aufgerissenem Mund kam, ballte Jordan eine Hand zur Faust.

Er wartete ab, bis Anthony sich an den Ledermanschetten zu schaffen machte, dann stand er auf und ging leise zur Tür. Er wollte nicht auch noch zusehen, wie Anthony Wayne umsorgte und mit Lob und Anerkennung überschüttete. Jordans letzte Session war zu lange her und er wollte sich nicht zum Narren machen, indem er seine Gier verriet.

Draußen im Schankraum war es nicht sonderlich voll. Oft konnten sie sich selbst nicht erklären, warum die Gäste an manchen Abenden zahlreicher erschienen, während sie sie an anderen im Regen stehen ließen. Es war nie leer, aber der Statistiker in Jordan haderte mit diesem Rätsel, das sich auch nach Abgleich mit anderen BDSM-Clubs und Schwulenbars nicht hatte entschlüsseln lassen.

Katy stand an ihrem gewohnten Platz hinter dem Tresen, den Oberkörper in ein so enges Lederkorsett eingeschnürt, dass Jordan sich fragte, wie sie atmete. Er hatte ihr vor dem Öffnen der Türen geholfen, es ein letztes Mal nachzuziehen, und sich innerlich gewunden, als Katy ihm wiederholt ein Fester! zugezischt hatte.

Er war nicht blind. Er verstand die reizvolle Weiblichkeit einer Sanduhrfigur und damit auch Katys Wunsch, sich entsprechend zu zeigen. Aber er hatte wirklich keine Lust, seine Freundin eines Tages vom Fußboden kratzen zu müssen, weil sie sich auf der Jagd nach einer Wespentaille ein paar innere Organe abgeschnürt hatte.

»Na, wie ist es gelaufen?«, begrüßte sie ihn, als er sich zu ihr gesellte. Ihr Blick glitt mit einem verschmitzten Lächeln an seinem Körper herab und blieb vielsagend zwischen seinen Beinen kleben. »Keine besonderen Vorkommnisse, schätze ich?«

Ihr Tonfall war etwas zu beschwingt, etwas zu leutselig. Jordan kniff ein Auge zu und musterte sie scharf aus dem anderen. »Nein, alles bestens gelaufen. Und was ist in der Zwischenzeit hier vorgefallen?«

Katy verzog ihre dunkelrot nachgezogenen Lippen zu einem Schmollmund. »Ich hasse dich und deinen sechsten Sinn. Jedes Mal verdirbst du mir die Überraschung.« Sie wurden von einem Kunden unterbrochen, der zwei Cocktails bestellte, und als Katy ihn bedient hatte, glitt sie mit einem Hüftschwung dicht neben Jordan. Ihr rauchiges Parfüm stieg ihm in die Nase, als sie flüsterte: »Könnte sein, dass dir ein Fisch an Land gesprungen ist.«

»Ich wusste gar nicht, dass ich geangelt habe…«

»Hast du ja auch nicht. Deshalb sagte ich ja, dass er dir vor die Füße gesprungen ist. Ganz freiwillig.« Sie neigte den Kopf und als Jordan ihrer Blickrichtung folgte, sah er an einem der vorderen Tische einen Gast sitzen. Selbst, wenn Jordan nicht die meisten ihrer Gäste gekannt hätte, hätte er gewusst, dass es sich um einen neuen handelte. Die Stammbelegschaft verirrte sich nie so weit nach vorn; teils wegen des Luftzugs, teils, weil man es von dort aus nicht sah, wenn jemand aus einem der Flure kam. Und viele ihrer Gäste warteten nun einmal auf die Möglichkeit, spontan in einem der Privaträume zu verschwinden.

Der Fremde fiel in mehr als einer Hinsicht auf, aber zuerst durch seine Kleidung. Es trugen längst nicht alle Besucher Lack und Leder, schon gar keine Harnische oder Ledermützen. Aber es gab doch einen gewissen unausgesprochenen Dresscode dunklerer Ausrichtung, den die wenigsten brachen. Nachtblaue Hemden waren genauso verbreitet wie T-Shirts mit schwarzen Netzeinsätzen, Jeans genauso willkommen wie bei jedem Schritt knatschende Gummihosen. Und natürlich gab es immer ein paar Jungs, deren Vorliebe für Sneakers etwas weiter ging, als bei den meisten Menschen üblich war, und die sie daher zu jedem Outfit trugen – und später auszogen.

Der Neue hatte ein schlichtes rotes Sweatshirt an, das ihm so locker um den Oberkörper schlackerte, dass man unmöglich sagen konnte, ob sich darunter ein Sixpack oder ein Bierbauch verbarg. Dasselbe galt für die Jeans, die ihm im Schritt weit genug saß, um entweder eine gewaltige Erektion oder eine Brotbüchse zu verbergen.

Ansonsten sah er ganz gut aus, schätzte Jordan. Ein bisschen rau um die Ecken, ein bisschen müde, etwas zu blass. Und irgendwie nicht wie jemand, der sich darauf freute, einen neuen Club kennenzulernen. Eher wie jemand, der sich verlaufen hatte. Aber dafür wirkte er nicht überrascht oder auch angewidert genug.

Nein, er hatte gewusst, welche Art Laden er betrat. Vielleicht war er mit einem Freund verabredet.

»Mal ehrlich: Wirke ich so verzweifelt, dass du mir jetzt schon den erstbesten Typen anpreist, der zur Tür reinkommt?«, fragte Jordan mit einem deutlichen Beiklang von Frustration. »Wie zum Teufel kommst du darauf, dass ich Interesse an ihm haben könnte?«

Katys Kopf ruckte herum. Ihr Mund öffnete sich und machte Jordan klar, wie ungehalten er sich angehört hatte. Und wie hochmütig. »Oder er an mir«, steuerte er hastig nach. Es klang dennoch nicht richtig.

Katy runzelte die Stirn. Dann neigte sie sich zu Jordans Ohr hinab. »Weil ich mich schon mit ihm unterhalten habe, natürlich. Und weil er ganz offensichtlich ein Frischling ist, der jemanden zum Reden brauchen könnte. Jemanden, der ihm die Spielregeln erklärt. Und zeigt.« Sie zögerte. »Ich dachte irgendwie, er würde dir gefallen…«

Jordan verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Neuen ein zweites Mal. Katy lag nicht vollkommen daneben. Unabhängig davon, dass man unter der weiten Kleidung nicht viel über seinen Körper sagen konnte, hatte ihr Frischling ein offenes, fast herzförmiges Gesicht mit tief liegenden, hellen Augen unter dunklen Brauen. Seine Nase war gerade, der Mund ziemlich klein, aber er wirkte geschmeidig und glatt – Jordan küsste ungern raue Lippen – und das kurze braune Haar war stufig geschnitten und etwas zerwühlt, sodass es etwas Jugendliches ausstrahlte. Dabei war der Mann, der nachdenklich an seinem Glas Wein nippte, alles andere als jung. Sicher auch kein Tattergreis, aber durchaus jemand, den Jordan normalerweise in Erwägung gezogen hätte. Jordan schätzte ihn auf um die vierzig, plus/minus zwei, drei Jahre. Und er war hier. Zweifelsohne hatte Katy ihm längst seine Präferenzen aus der Nase gezogen, sonst hätte sie Jordan gar nicht erst auf ihn aufmerksam gemacht.

Er könnte tatsächlich ein guter Fang sein.

Oder?

»Nein«, entfuhr es Jordan mit zu viel Luft und zu wenig Stimme. Und erst recht ohne Ahnung, warum er sich so entschlossen wehrte. »Nein, der ist nichts für mich.«

Wieder klappte Katys Mund auf. Auf einen ihrer Schneidezähne hatte sich eine Spur Lippenstift verirrt. »Aber…«, begann sie mit sichtlicher Verwunderung.

Sie musste die Frage nicht beenden. »Ich weiß es nicht«, antwortete Jordan sowohl ihr als auch sich selbst. »Ich kann es nicht sagen, aber er hat etwas an sich, das… Einfach Nein.«

Manchmal hatte er solche Eingebungen. Er war kein Fan von Mystizismus und gerade spirituell genug, um die Vorstellung einer höheren Macht nicht von vornherein abzustreiten. Aber er war das, was man einen Menschenkenner nannte. Im Grunde bedeutete das nur, dass er in der Lage war, über Gesagtes hinwegzuhören und stattdessen die Körpersprache zu lesen, die mehr verriet als das gesprochene Wort. Er war immer wieder überrascht, wie leicht sich seine Mitmenschen von Blendern einwickeln ließen oder Unsicherheiten mit Arroganz verwechselten. Für ihn waren die meisten Leute ein offenes Buch, auch wenn er nicht immer wusste, in welcher Sprache es verfasst worden war. Das brachte ihm dann Erfahrungen wie die mit Henry ein.

Und irgendetwas an diesem Mann störte Jordan, eine zugrunde liegende Anspannung, eine Art… Fäulnis, mit der er nichts zu schaffen haben wollte. Es ging nicht um Gewalttätigkeit. Der Fremde wirkte auch nicht wie einer von denen, die das Prinzip BDSM so grundlegend missverstanden hatten, dass sie zur Gefahr für andere wurden. Und trotzdem: Etwas an ihm war falsch. Basta.

»Jordan?«

»Hm?«

»Ich fürchte…« Katy wand sich an seiner Seite und schaffte es auf einmal, kleiner als er zu wirken, obwohl sie ihn in ihren hohen Stiefeln fast um einen Kopf überragte. »Na ja, es könnte sein, dass ich ihm gesagt habe, ich würde euch einander vorstellen.« Hastig fuhr sie fort: »Natürlich habe ich ihm nichts versprochen. Nur gesagt, dass du jemand bist, der Leute in die Szene einführt – auch Doms, die noch keine Erfahrung haben. Oder nur schlechte.«

Jordans Laune – ohnehin schon etwas angeknackst – rauschte ins Bodenlose. »Nee, versprochen hast du ihm nichts. Aber Erwartungen geweckt. Mensch, Katy! Musste das echt sein? Jetzt muss ich mich zumindest mal eine Viertelstunde mit ihm unterhalten. Sonst steht morgen eine miese Bewertung im Web und dazu was von hochnäsigen Clubbesitzern.«

Er hatte sich erneut im Ton vergriffen und dieses Mal ging Katy nicht darüber hinweg. Sie griff nach seinem Oberarm. »Mein Gott, was ist denn heute mit dir los? Schön und gut, vielleicht hätte ich erst mit dir reden sollen, aber ich habe dir schon ein Dutzend Mal Männer vorgestellt. Und du hast nie so ein Theater veranstaltet. Nicht einmal bei Jamie, der nun wirklich kein einfacher Kandidat war.«

»Jamie hatte einen Blindflug hinter sich. Nichts, was bei ihm schiefgegangen ist, hatte etwas mit Desinteresse oder bösem Willen zu tun«, begehrte Jordan auf. Sein tasmanischer Ex-Lehrling war ihm als Freund lieb und teuer geworden. Er hatte in letzter Zeit wieder vermehrt Kontakt zu ihm, nicht zuletzt, da Jamie ihn mit seinem Lebensgefährten Vince schon zweimal im Club besucht hatte.

»Ach, und du willst behaupten, dass es bei dem Neuen anders ist? Ohne je mit ihm gesprochen zu haben? Dass du jetzt auch noch Gedanken lesen kannst, ist mir neu.«

Jordan setzte zu einer pampigen Antwort an, unterbrach sich jedoch, als er von der reichlich überraschten Stimme seines Gewissens eingeholt wurde. »Nein, natürlich nicht«, entgegnete er langsam. »Ich will überhaupt nichts behaupten. Nur, dass…« Ja, was? Falsche Signale, falsche Absichten. Falsche Motivation. Nichts, was sich in Worte fassen ließ. »Ich glaube nicht, dass er gut bei mir aufgehoben wäre«, erklärte er schließlich lahm.

Katy schwieg eine Weile. Schließlich rückte sie die Lederbänder an ihren Unterarmen zurecht. »Okay. Das ist ein Argument. Und wir kennen uns zu lange, als dass ich noch an deinen komischen Eingebungen zweifeln würde. Aber tu mir den Gefallen und meditier demnächst mal eine Runde.«

»Meditieren?«, wiederholte Jordan verblüfft.

»Tu, was immer nötig ist, um wieder in die Spur zu kommen. Ich sag's dir echt ungern, aber du bist heute Abend ziemlich biestig – so kenne ich dich gar nicht.«

Sie hatte recht. Das bewies allein die Tatsache, dass Jordan ihr am liebsten den Absatz unter dem Stiefel weggetreten hätte. Man konnte ihm normalerweise durchaus einen Spiegel vorhalten, ohne dass er ausflippte. Aber vielleicht hatte er sich in letzter Zeit ein wenig zu oft seiner Reflektion gegenübergesehen. Wenigstens konnte er mit Fug und Recht behaupten, dass meistens er derjenige gewesen war, der nach dem Spiegel gegriffen hatte.

»Ich mich auch nicht«, gestand er zähneknirschend. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Vielleicht ist das mit dem Meditieren gar keine so schlechte Idee.«

Katy drückte ihm den lippenstiftklebrigen Mund gegen die Wange. »Oh, tröste dich. Meine bedingungslose Liebe bleibt dir erhalten, Herzchen.« Manchmal übertrieb sie es schamlos. »Weißt du was? Geh nach Hause. Zieh dir einen alten Schmachtfetzen rein…«

»Pft!«

»Okay, dann einen Thriller. Aber leg mal die Beine hoch. Vielleicht arbeitest du doch ein bisschen zu viel.«

Jordan winkte ab. »Im Club zu sein, ist keine Arbeit für mich. Das weißt du doch.«

»Von mir aus können wir uns darauf einigen, dass Francis und sein neuester Katastrophenalarm schuld sind. Worum ging es noch? Veganes Müsli? Jedenfalls…« Sie lächelte. »Ich komme zurecht. Sunny ist hinten und räumt das Lager auf. Und er wollte sowieso bis Feierabend bleiben. Er wird mir helfen, wenn ich ihn brauche.«

Jordan sträubte sich, aber schließlich ging er. Zum einen, weil er ahnte, dass Katy ihn wegen seiner schlechten Laune aus dem Laden haben wollte. Außerdem konnte sie dann leichter erklären, warum er sich nicht mit dem neuen Gast unterhalten hatte. Zum anderen war der Umstand, dass er über einen faulen Abend auf der Couch auch nur nachdachte, ein Hinweis, dass Katy richtiglag. Er war müde, abgespannt und nicht mit sich im Reinen. So wollte er sich nicht präsentieren; weder einem Dom noch seinen Gästen.

***

Phoenix hatte noch nicht entschieden, ob er den Club mochte. Sicher, das Ambiente war ansprechend und kitzelte seine Sinne. Dass die spärliche Kundschaft fast ausschließlich aus Männern bestand, die offen zeigten, wer sie waren, war ein weiterer Pluspunkt. Er war nicht der Typ, der nur in Szenebars rumhing – das fühlte sich immer nach Einschränkung an –, doch von Zeit zu Zeit war es schön, unter seinesgleichen zu sein.

Aber er musste zugeben, dass er sich ein wenig verloren vorkam. Das hatte sich auch nicht geändert, nachdem sich die Thekenkraft eine Weile mit ihm unterhalten und ihn herzlich willkommen geheißen hatte. Unter ihrem dunklen Blick hatte er sich ausgezogen, wenn nicht sogar seziert gefühlt. Ihr spielerisches Lächeln hatte ihm verraten, dass sie schon Hunderte wie ihn gesehen hatte. Männer, die von vagen Vorstellungen, Wünschen und Sehnsüchten in ihren Club gespült worden waren und nach Übertreten der Schwelle gemerkt hatten, dass sie keine Ahnung hatten, wie es weiterging.

Und irgendwie hatte sie es geschafft, dass Phoenix ihr das eine oder andere über sich preisgegeben hatte. Nicht seinen Namen oder woher er kam, aber dass er eine gewisse Neugier mit sich herumtrug, dass es Dinge gab, die er in seinem bisherigen Liebesleben nur gestreift, aber nie richtig ausgelebt hatte.

Nun, da er wieder allein war, konnte er sich nicht mehr erklären, wie ihr das gelungen war. Wie konnte man vor einer Fremden etwas aussprechen, das man selbst noch nicht zu Ende gedacht hatte?

Nicht richtig jedenfalls. Doch er hatte die entsprechenden Suchbegriffe in sein Handy eingegeben. Er hatte nicht nach einer Location für Schwule gesucht, sondern gezielt nach einem Club, in dem BDSM-Praktiken ausgelebt wurden oder sich wenigstens deren Liebhaber trafen.

Er wusste, warum er hier war. Und sollte es doch nicht sein.

Auf einmal tauchte ein dunkler Flaschenhals vor ihm auf, so unerwartet, dass er sich mit Stuhl nach hinten schob, und roter Wein plätscherte in sein Glas.

»Bisschen schreckhaft, hm?« Die Barfrau – wie hatte sie sich vorgestellt? Katy? – schmunzelte, während sie lässig die Flasche drehte, um die letzten Tropfen abperlen zu lassen. »Ich bin's nur. Und ich bin harmlos.«

Das bezweifelte Phoenix sehr. Alles an ihr sprach von Kraft, Kontrolle und davon, dass man in Schwierigkeiten geriet, wenn man sich mit ihr anlegte. »Ich wollte es eigentlich bei einem Glas belassen…«

»Geht aufs Haus«, erklärte Katy, bevor sie sich nach einem kurzen Blick zum Tresen rittlings auf den Stuhl Phoenix gegenüber setzte. »Kleine Entschädigung, weil aus der Bekanntschaft mit Jordan heute Abend leider nichts mehr wird. Er war nicht ganz fit, als er aus der Session kam. Ich habe ihn nach Hause geschickt, damit er sich ausruht.«

Phoenix nickte langsam; nicht sicher, ob er enttäuscht oder erleichtert war. Sie hatte bereits zuvor über besagten Jordan gesprochen, vielleicht sogar ein bisschen von ihm geschwärmt und Phoenix eindringlich ans Herz gelegt, sich mit ihm zu unterhalten. Er hätte schon vielen Gästen den Einstieg in ihre Welt erleichtert und wäre ein guter Ansprechpartner für Fragen aller Art und auch für Sorgen und Bedenken, mit denen man sich herumschlug.

»Oh, dann gute Besserung, unbekannterweise«, erwiderte Phoenix. Dann fiel ihm der schmale Mann mit dem sonnengebleichten Haar ein, der noch vor wenigen Minuten mit Katy hinter dem Tresen gestanden hatte. »War er das vorhin? Hinter der Bar?«

Katy nickte. »Genau. Tut mir ehrlich leid, dass ich zu viel versprochen habe.«

Ihr Bedauern wirkte aufrichtig; sei es, weil ihr die Gelegenheit entschlüpft war, einen neuen Gast zu binden, oder weil es ihr Ernst war. Phoenix sollte beides recht sein. Er würde es keiner Geschäftsfrau übel nehmen, am Erfolg ihres Ladens zu arbeiten.

»Ist schon gut. Krank ist krank.« Höflichkeit und grobe Konversationsregeln ließen ihn sprechen. Gedanklich war er woanders.

Ja, der Mann hinter dem Tresen war ihm aufgefallen. Das war nicht weiter verwunderlich, da sich nur eine Handvoll Gäste im Club befand und dadurch niemand mit dem Hintergrund verschmolz. Was ihn hingegen sehr wohl überraschte, war, dass dieser Jordan der Sub sein sollte, von dem Katy ihm erzählt hatte. Phoenix hatte nicht ansatzweise genug von ihm gesehen, um sein Gesicht einem Phantomzeichner zu beschreiben. Aber er war mit solchem Selbstbewusstsein, solcher Zielsicherheit und Energie durch den Raum gegangen, dass Phoenix ihn instinktiv als Dom einsortiert hatte.

Anscheinend hatte er tatsächlich nicht viel Ahnung.

»Freut mich, dass du das so siehst. Und sonst so? Du kommst nicht aus Melbourne, stimmt's?«

Phoenix zwang sich, sich auf Katy zu konzentrieren. Das war er ihr nach dem ausgegebenen Wein schuldig, selbst wenn er ein Trostpflaster war. »Nein, aus Sydney. Bin vor Kurzem hergezogen.«

»Ah, Arbeit?«

Er nickte und weil er nicht unhöflich sein wollte, fügte er hinzu: »Bin in meinen alten Beruf zurückgekehrt und ein Bekannter konnte mir hier vor Ort eine Stelle verschaffen. Also habe ich Sydney den Rücken gekehrt.« Nicht freiwillig.

»Ich mag Sydney, aber als waschechte Melbournerin muss ich natürlich behaupten, dass es nirgendwo schöner ist als bei uns.« Katy lachte leise. »Herzlich willkommen also. In unserer schönen Stadt und im Red Vinyl erst recht. Hast du dich schon ein bisschen in Melbourne umgeschaut? Oder warst du früher schon mal hier und kennst dich aus? Weißt du, wenn du möchtest, könnte…«

Sie stellte Fragen, gab Tipps und gut gemeinte Ratschläge und plauderte so entschlossen mit ihm, als wollte sie den Ausfall ihres angekündigten Ratgebers wettmachen. Je länger sie redete, desto überzeugter war Phoenix, dass er nicht böse über diese Wendung war.

Nicht, weil er an seinem Interesse an der Szene zweifelte, sondern weil ihn mit jeder verstreichenden Minute sein Gewissen einholte. Es war, als wäre es ihm von Randys Werkstatt aus nachgelaufen und hätte ihn endlich aufgespürt.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Katy ihn an Sydney erinnert, an das ehemalige Schlafzimmer seiner Eltern, das inzwischen mit einem Pflegebett und allerlei unappetitlichen Gerätschaften ausgestattet war. An die Hülle auf dem Bett, deren Anblick Phoenix wiederholt bewiesen hatte, dass er ein Feigling war. Ein Schlappschwanz. Und das war nichts gegen die leeren Blicke seiner Mutter.

Er schämte sich so sehr, dass der Wein auf seiner Zunge zu Essig wurde.

Take me down under: Melbourne im Blut

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