Читать книгу Das Geheimnis von Valmy - Raimund Lauber - Страница 8
5. Kapitel Wie Wendelin davon träumte
ein Held zu werden.
ОглавлениеAnfang April kam Poggibonsi zurück. Endlich! Patocki muss ihm meine neue Adresse gegeben haben, denn als ich von einem einsamen Spaziergang hinaus zur Favorite nach Hause kam, saß er mit Hut und Mantel in meinem Zimmer und sah mir missmutig entgegen. „Da bist du ja endlich!“, schimpfte er. Ich war viel zu erleichtert, ihn wiederzusehen, als dass ich mich an seiner Unhöflichkeit gestört hätte. Im Gegenteil, ich hätte ihn gerne zur Begrüßung umarmt, da er aber keine Anstalten machte sich zu erheben, musste ich mich mit seinem matten Händedruck begnügen. „Ich komme geradewegs von der Favorite“, beeilte ich mich dienstfertig seine Frage zu beantworten. An diese Anspielung auf sein Rätselspiel um das Lustschloss hatte ich die Hoffnung auf ein paar anerkennende Worte geknüpft. „Das hat keine Eile“, winkte er müde ab, ließ sich aber immerhin zu einer Begründung herbei. „Wenn kein Wunder geschieht, müssen wir unsere Hoffnungen auf die Revolution vorläufig begraben.“ Ich sah mich um die Aussicht geprellt, an etwas wirklich Großem mitzuwirken, an etwas, das meinem Leben einen tieferen Sinn geben würde, auf das ich stolz sein könnte und meine Familie mit mir. Ich weigerte mich zu akzeptieren, dass sich meine Träume einfach in Luft auflösen sollten. Am liebsten hätte ich nach Kinderart Poggibonsi aufgefordert, sofort seine vernichtende Botschaft zurückzunehmen, als wäre damit das Unglaubliche wieder aus der Welt geschafft. „Aber warum denn?“, fragte ich bestürzt. „Weil in unserer aufgeklärten Epoche keine Wunder geschehen, werden wir in Kürze Krieg haben und was das für die Revolution bedeutet, muss ich dir ja wohl nicht ausdeutschen. Das Schlimmste daran ist, dass, soweit ich das sehen kann, unsere Möglichkeiten ihn zu verhindern, erschöpft sind“, beantwortete er voller Bitterkeit meine Frage. Trotz des hysterischen Kriegsgeschreis in der französischen Presse, die man, wenn man interessiert war, auch in Mainz zu lesen bekam, ging ich wie selbstverständlich davon aus, dass die Kriegsgefahr von Österreich, vielleicht auch von Preußen ausging und nicht von dem völlig zerrütteten Frankreich, zudem ich über Robespierre11 gelesen hatte, dass er den Krieg ablehne, solange nicht die Revolutionsfeinde im Inneren ausgemerzt seien. „Dann haben also Eure hochgelobten Beziehungen zum Hof in Wien versagt und den Krieg nicht verhindern können?“ hielt ich ihm erbost entgegen. „Ganz und gar nicht. Ich komme geradewegs da her. Österreich wird sich nicht durch die französischen Aufgeregtheiten zu einem Krieg provozieren lassen, das weiß ich von ‚Caesar‘, und das ist so zuverlässig, als habe es mir Reichskanzler Fürst Kaunitz selbst anvertraut.“ Es funkelte merkwürdig in seinen Augen als er das sagte. Ich achtete nicht darauf und fragte entsetzt, „wollt Ihr damit sagen, dass Frankreich den Krieg will? Das ist doch der helle Wahnsinn!“ „Das ist hier die Frage. Ist es auch Wahnsinn, so hat er doch Methode“, shakespearte mein Meister schamlos. „Einen Krieg zu beginnen ist eine altbewährte Methode einen gefährdeten Staat zu stabilisieren. Alle Missstände, auch der grassierende Hunger, treten zurück, wenn es um die Heimat, das Volk, das Vaterland und die nationale Ehre geht und die Opposition schweigt.“ Mit dieser, mir in höchstem Maße zynisch erscheinenden Erklärung, gab ich mich nicht zufrieden. Ich wollte genau wissen, was mich um den Einzug in den Olymp bringen würde und fragte, immer noch in der Hoffnung, das Blatt doch noch wenden zu können, nach dem Funken, der die Kriegsentschlossenheit Frankreichs ausgelöst hatte. „Wenn ich die letzte Entwicklung mit einem Namen verbinden soll, dann lautet er Dumouriez, General und neuer französischer Minister für auswärtige Angelegenheiten“, begann Poggibonsi seine Analyse. „Er will den Krieg. In ihm sieht er die einzige Möglichkeit, in Frankreich die Ordnung wieder herzustellen, letztendlich mit dem Ziel, Frankreich wieder zur führenden Nation Europas zu machen. In den Umtrieben der Emigranten gegen die Revolution, sieht er eine große Gefahr für die Verwirklichung seines ehrgeizigen Vorhabens und bezeichnet folgerichtig die Unterstützung der Emigranten durch Österreich als feindseligen Akt gegen Frankreich. Im März stellte Dumouriez erneut das Ultimatum, dass Österreich sein widernatürliches Bündnis mit Preußen lösen und die Zurüstungen in den österreichischen Niederlanden einstellen solle, holte sich aber bei Reichskanzler Fürst Kaunitz auf der ganzen Linie eine harsche Abfuhr. Die Folgen sind absehbar“, endete Poggibonsi sichtlich besorgt. Mir aber war, so merkwürdig das auch klingen mag, fast heiter zumute. Ich glaubte in dem, was ich von ihm aus Wien erfahren hatte, eine Möglichkeit entdeckt zu haben, den Krieg zu verhindern. Von allen Anschuldigungen, die Dumouriez gegen Österreich vorbrachte, schien mir die Gefährdung Frankreichs durch die Emigranten die einzige zu sein, deren Beseitigung innerhalb unserer Reichweite lag. Meine bürgerlichen Hemmungen waren verflogen, als hätte es sie nie gegeben. Mein Gott, wie naiv ich doch war! Mein Meister muss wohl ähnliches gedacht haben, als ich ihm voll Begeisterung meine Vorstellungen zur Rettung der Revolution entwickelte. Nicht dass er es mir das geradewegs ins Gesicht gesagt hätte, das verbot ihm seine Erziehung, aber ich sah das mitleidige Staunen in seinem Gesicht. „Du kannst Dumouriez nicht dazu bewegen seine Kriegspläne aufzugeben, auch nicht indem du ihm die Köpfe der führenden Emigranten zu Füßen legst. In der jetzigen Lage würde er deren Tod erfreut zur Kenntnis nehmen, mehr aber nicht“, versuchte er mich zurechtzurücken. „Aber warum denn, die Emigranten sind doch ein wesentlicher Streitpunkt mit Wien und sie ihrer Führung zu berauben, hieße immerhin einen der Kriegsgründe beseitigen“, hielt ich ihm trotzig entgegen. „Aber das gewünschte Ergebnis des Krieges, nämlich Ordnung ins Chaos zu bringen, das Volk zusammen zu schweißen und Frankreich zu alter Größe zu führen, wäre dadurch nicht erreicht. Dumouriez braucht seinen Krieg. Du kannst ihn nicht verhindern.“ Wir verstummten und jeder hing seinen Gedanken nach. Poggibonsi brach als erster das Schweigen. Als hätte er in meinen Gedanken gelesen mahnte er, „lass‘ die Finger von dieser Schnapsidee.“
In dieser Nacht träumte ich, den Heldentod erlitten zu haben. Wie es dazu kam, fehlte in meinem Traum, aber umso deutlicher sah ich mein Begräbnis. Am Rande eines bewaldeten Hügels mit Blick über das freie Land, für das ich mein junges Leben gegeben hatte, lag ich auf frischem Eichenlaub gebettet und ein Lorbeerkranz schmückte meine bleiche Stirn. Wie es sich gehört, waren Freunde und Verwandte gekommen, um mir die letzte Ehre zu geben, aber auch Leute, denen ich noch nie begegnet war. Unter den Trauernden fiel mir eine gerade dem Mädchenalter entwachsene Frau auf, die nicht wie die übrigen Anwesenden dunkel gewandet war, sondern ein weißes, bodenlanges Kleid mit blauer Schärpe trug. Sie trat an meinen Leichnam und legte einen Strauß wilder roter Rosen auf meine erkaltete Brust. Dann beugte sie sich zu mir herab und küsste mir die toten Lippen, während ihre Tränen mein Antlitz benetzten. Das tat mir unendlich gut, aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Das grämte mich derart, dass ich erwachte.
Ich sah die Revolution in äußerster Gefahr und wie es nicht selten bei jungen Menschen zu finden ist, empfand ich das starke Bedürfnis für ein erhabenes Ziel einzutreten, wenn es sein musste, auch mit dem Leben. Der verführerische Traum nistete in meiner Seele und machte mir große Lust auf mein Begräbnis.
Was die Praxis eines Attentats anbetraf, hatte ich ähnlich profunde Kenntnisse wie in Liebesdingen, nämlich keine. Selbst als ich mir ernsthaft darüber Gedanken machte, wie ich es am klügsten anstellen könnte, die bourbonischen Prinzen12 dem Frieden zu opfern, wurde mir meine Ahnungslosigkeit nicht bewusst.
Als Termin boten sich die Feierlichkeiten anlässlich der Krönung König Franz I. von Österreich zum Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation an. Dem Habsburger hatte es gefallen, den Termin ausgerechnet auf den 14. Juli, dem 3. Jahrestag des Sturmes auf die Bastille zu legen. Ich ging davon aus, dass neben den vollzählig erscheinenden Größen des Reiches auch die bourbonischen Prinzen dem frischgebackenen Kaiser die Ehre ihrer Anwesenheit geben würden. Das wäre eine einmalige Gelegenheit, die Prinzen zu ihren Ahnen zu gesellen. Ihr Tod am Tag des Sturmes auf die Bastille wäre ein Fanal, von dem ich träumte, dass es bis in den hintersten Winkel der Erde gehört würde. Ärgerlicherweise musste ich aber, bevor mir der Ruhmeskranz geflochten würde, noch hinabsteigen zu lästigen, aber unumgänglichen Banalitäten, wie einen Plan zu entwerfen, der einige Aussicht auf Erfolg haben könnte. Am eindrucksvollsten wäre es, dachte ich, die Tat kühn in aller Öffentlichkeit vor einer möglichst großen Menschenmenge zu zelebrieren. Dem müsste die Tötungsart, durch welche die drei Prinzen aus der besten aller Welten entlassen würden, angepasst sein. Und schnell müsste alles über die Bühne gehen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte verhaftet zu werden, noch bevor das Werk vollendet ist. Damit schieden langwierige Methoden wie erwürgen, vergiften, ersäufen, köpfen oder das Genick brechen von vorneherein aus. Meine Opfer von einer Bombe zerreißen zu lassen, erschien mir zu unpersönlich und feige, weil es den Ruch hatte, der Täter wolle sich aus seiner Verantwortung stehlen. Blieben also Dolch und Pistole. Soweit die Theorie. Die praktische Ausführung folgt aber ihren eigenen Regeln. Um zwei oder drei Männer nacheinander vor Publikum mit Dolch und Pistole zu töten ist einige Übung von Nöten. Ich hatte das Waffenhandwerk aber nie erlernt. Die Lösung dieses Problems sah ich in doppelläufigen Pistolen, die ich trotz ihrer Unförmigkeit unter dem Mantel verborgen tragen wollte. Dass ich solche Waffen weder besaß noch handhaben konnte, schob ich mit der Unbekümmertheit meiner Jugend beiseite. Schließlich musste ich nur den Zeigefinger krumm machen, wenn ich die Pistolen aus nächster Nähe abfeuerte, wie ich es vor hatte. Über den Ablauf der Krönungsfeierlichkeiten würde die Presse zwar lange vorher bis ins kleinste Detail berichten, aber im Grunde genommen hatte ich bereits befunden, dass der feierliche Einzug der Würdenträger in den Kaiserdom meinen Vorstellungen für die Inszenierung meines Attentats am nächsten kam. Ich würde mich mit meinem Sonntagsrock bekleiden und auch sonst große Sorgfalt auf ein gepflegtes Äußeres verwenden. Keinesfalls wollte ich auf ein Paar Handschuhe für festliche Anlässe verzichten. Mein nächster Schritt auf dem Weg unsterblich zu werden, wäre eine Reise nach Frankfurt gewesen, um mich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen. Dazu kam es aber nicht. Die Spannungen zwischen Österreich und Frankreich verschärften sich rasant. Anfang April hatte Noailles, der französische Botschafter in Wien, seine Regierung um Rückruf nach Paris gebeten, da er keinen Sinn mehr in seiner Anwesenheit in Wien sah. Das roch nach alsbaldigem Krieg. Es verbot sich daher von selbst, mit dem Attentat bis zum 14. Juli zu warten. Ade, mein schöner Plan! Ich hatte ihn lieb gewonnen und ihm den Abschied zu geben schmerzte. Mein Vorhaben ganz aufzugeben, daran dachte ich aber nicht. Ich musste nur sehr viel schneller handeln, noch bevor Dumouriez’s Entscheidung zum Krieg unumkehrbar wurde.
Graf Artois und der Graf der Provence hielten in Koblenz Hof, Conde´ residierte in Worms. Dort wollte ich ihnen meine Aufwartung machen. Die Waffenfrage war also aktuell. Mit meinem Meister durfte ich in dieser Sache nicht rechnen, aber bei Patocki, dem Jakobiner, einen Versuch zu machen, erschien mir erfolgversprechend. Ich war sogar bereit, ihm den Rest von Poggibonsis großzügiger Zuwendung als Entschädigung anzubieten. Der Kaufmann hörte mich an, aber noch während ich sprach, spürte ich seine mühsam unterdrückte Gereiztheit. Als ich geendet hatte fragte er, „was sagt denn mein Freund Poggibonsi zu dieser Narretei?“ „Er weiß nichts davon“, gestand ich. „So ist das also“, quittierte er mein Geständnis mit Genugtuung und kanzelte mich dann ab wie einen Schulbuben. Unausgegoren sei mein Vorhaben, überstürzt und auch überheblich. Man müsse schon sehr jung sein, um ihn allen Ernstes um Unterstützung für einen derartigen Blödsinn zu ersuchen, schlug er mir, immer lauter werdend, um die Ohren. Schließlich sei General Dumouriez ein gerissener Taktiker, der genau wisse was er tue und er werde den Teufel tun und einer naseweisen Rotznase gestatten, sich in dessen Pläne einzumischen. Dass Patocki mich nicht sonderlich schätzte, hatte ich vermutet, aber einen Ausbruch, wie er ihn mir jetzt lieferte, hätte ich dem schlanken, blassen Mann doch nicht zugetraut. Entschlossen trat er zur Türe und ich rechnete schon damit hinausgeworfen zu werden, als er sich, die Hand schon an der Klinke, anders besann und in plötzlicher Mäßigung sagte, „vielleicht ist die Sache doch einer Überlegung wert.“ Dann erst hielt er mir die Türe auf. „Komme in einer Woche wieder vorbei, dann werde ich mich entschieden haben“, verabschiedete er mich. Meinen verzweifelten Einwand, die Zeit dränge, ließ er nicht gelten und selbst meine flehentlichen Bitten sich zu beeilen, halfen nichts. Da ich niemanden anderen hatte, dem ich mich in dieser heiklen Angelegenheit anvertrauen konnte, fügte ich mich notgedrungen.