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Händler, Söldner und Tyrannen

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Ich zog dahin in frischer Jugendkraft, durch fremde Meere

zu der kühnsten Tat, die noch geschehn, seit Menschen sind

und denken.

JASON IN GRILLPARZERS MEDEA, I, 429 – 431

Die Errichtung von Poleis an den Küsten des Mittelmeers hat den Überseehandel befruchtet wie nie zuvor: Einerseits erhöhten die wachsende Bevölkerung und die Bautätigkeit der Kolonien den Bedarf an Rohmaterialien, Metallen und Getreide sowie nach spezialisierten Handwerkern; andererseits boten die Kolonien ein Netzwerk sicherer Häfen und Märkte und exportierten selbst Rohstoffe des Umlandes ins Barbaricum oder in andere Hafenstädte des Mittelmeerraums.

Und schließlich gab es viele Poleis im griechischen Mutterland, die das Problem der Überbevölkerung nicht durch die Entsendung von Kolonisten zu lösen versuchten und somit in hohem Maße an der Einfuhr von Getreide interessiert waren.1 Es kam zu einer Vernetzung des Mittelmeerraums über die Seehandelswege aus dem ostmediterranen Raum in die Ägäis, von dort und dem Schwarzen Meer aus westlich über die Straße von Otranto nach Unteritalien oder Sizilien, dann durch die Straße von Messana nach Kampanien und Etrurien.

Die Träger des Überseehandels waren fast durchweg Adlige, denn nur sie verfügten über die notwendigen ,internationalen‘ Verbindungen und Gastfreundschaften sowie nautisches und geographisches Spezialwissen, und sie besaßen auch materielle Ressourcen, mit denen sie fremde Produkte eintauschen konnten. Wie einzelne Überseehändler und ihre Polis von dem Aufschwung des Handels profitierten, zeigt nichts besser als der Aufschwung der Inselpolis Aigina im Saronischen Golf. Das Land der Aigineten, so der Historiker Ephoros2, sei karg und triebe viele Existenzen in die Häfen und Handelsplätze der Ägäis und des Mittelmeerraums.

Ihre Exportprodukte bestanden aus Schmuckstücken, Parfum und Salben, typische Produkte des Fernhandels, die man Aigineia, „Dinge aus Aigina“, nannte. Zu deren Transport benutzte man große Krüge korinthischer, später Athener Provenienz als eine Art Container. Im Gegenzug dürften die Aigineten Getreide (aus Naukratis) eingekauft und an Zwischenhändler aus den Poleis der Peloponnes weiterverkauft haben.3

Die größten Gewinne versprach der Überseehandel mit dem Westen. Das berühmteste Beispiel ist der Adlige Sostratos, Herodot zufolge der reichste Mann seiner Zeit.4 Eine Weiheinschrift des späten 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. aus dem etrurischen Graviscae trägt wohl seinen Namen. Eine Serie von attischen Vasen der Jahre 535 – 505 v. Chr. mit den Buchstaben SO in aiginetischer Schrift fungierte wahrscheinlich als Container für Überseetransporte, die im Auftrag des Sostratos oder seines Sohnes nach Norditalien unternommen wurden. Darüber hinaus gibt es Vasen mit der Gravur SO in etrurischen Städten. Hier kaufte Sostratos Eisen und transportierte es Gewinn bringend in die Ägäis. Einige Schiffe dürften auch die spanischen Silberproduzenten aufgesucht haben. Über ein Jahrzehnt betrieb Sostratos so einen Handel von einem Ende des Mittelmeeres bis an das andere.5 Sostratos steht repräsentativ für eine Adelsschicht, die ihren Ruhm und ihr Selbstverständnis aus der Kunst der Seefahrt und der Größe ihrer Schiffe bezog.

Ungelöste Probleme in den Poleis

Die Vernetzung des Mittelmeerraums durch Handel und Kolonisation hatte aber nicht nur positive Effekte. Das Problem der Erbteilung blieb genauso virulent wie der Konkurrenzkampf um Macht und Einfluss. Die Chance, durch den Überseehandel in kurzer Zeit reich zu werden, hat die innenpolitischen Spannungen vielfach noch verstärkt, weil sie Aufsteigern die Chance bot, materiell mit den Adligen gleichzuziehen. Die Lyriker der Zeit warnen dementsprechend vor den ‚Neureichen‘, die mit ihrer Gewinnsucht alte aristokratische Ideale aushöhlen und den Frieden der Polis gefährden.6 Solon von Athen fasste die Situation folgendermaßen zusammen: „Denn die Schändlichen lockt die Gier nach großen Gewinnen (. . .), und die das Unrecht verführt, machen im Handel sich reich.“7

In den Gewinnchancen des Überseehandels lag eine große Gefährdung der Polis, weil die ‚Neureichen‘ Land aufkauften, die Vorrangstellung der Adligen gefährdeten und dadurch die Stabilität der Polisgesellschaft ins Wanken brachten. Vielfach kam es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit einschneidenden sozialen Folgen: „In Scharen verlassen die Verarmten das Land, ziehn in die Fremde hinaus.“8 Unter diesen Verarmten befanden sich nicht nur Kleinbauern, sondern auch Adlige, die zu spät auf die Bedrohung der ‚Neureichen‘ reagiert hatten. Umgekehrt gab es Männer aus der Hoplitenschicht, die sich dem Widerstand der Altadligen beugen mussten und in ihrer Polis keine Chance für ein Weiterkommen sahen.

Söldnerdienst und Piraterie als Alternative zur Kolonisation

Viele Kolonien mussten sich einheimischer Angriffe erwehren. Kämpfe um die besten Weideplätze oder um einträgliche Gold- und Silberminen waren allgegenwärtig. Aber auch das Verhältnis zwischen Kolonisten und Heimatpolis war gespannt. Es gab wohl nichts, was eine Polis mehr fürchtete, als die Rückkehr derjenigen, deren Auszug eine soziale und agrarische Krise entschärfen sollte; die unglücklichen Kolonisten aus Kyrene wurden beim Einlaufen in den heimatlichen Hafen sogar beschossen!9 Umgekehrt versuchten sich viele Kolonien einer allzu engen Kontrolle ihrer Mutterstadt zu entziehen. Diese Spannungen führten z. B. im Fall von Korinth und seinen Kolonien im Ionischen Meer zu militärischen Auseinandersetzungen. Oft herrschte auch zwischen mehreren Kolonien und Küstenpoleis Konkurrenz um den Zugriff auf fruchtbare Ebenen oder ein goldreiches Gebiet, wie zwischen den Pariern und den Einwohnern von Naxos, Andros und Chios.10 Im Fall von Kroton und Sybaris in Süditalien kam es zu einem regelrechten Krieg.

Diese Konflikte boten den verarmten Adligen ein ebenso attraktives Betätigungsfeld wie der Überseehandel oder die Kolonisation. Häufig war der Dienst als Söldner oder Pirat ein Ersatz für gescheiterte Kolonisationsunternehmungen. So verdingte sich der spartanische Prinz Dorieus nach einem misslungenen Kolonisationsversuch an der nordafrikanische Küste zunächst als Söldner der Stadt Kroton gegen Sybaris, dann ging er nach Sizilien und fand im Kampf gegen die Phöniker und die Einwohner von Segesta den Tod.11

Ein anderes Beispiel ist der Lyriker Archilochos (680 – 640 v. Chr.) von der Kykladeninsel Paros. Er war zu Beginn des 7. Jahrhunderts v. Chr. aufgrund herber Vermögensverluste gezwungen, mit einer Schar Gleichgesinnter nach neuen Gewinnmöglichkeiten Ausschau zu halten.12 Ihr Ziel war die von seinem Großvater (oder Vater) gegründete Kolonie Thasos gegenüber der thrakischen Küste. Die Thasier befanden sich in Kämpfen mit den Thrakern, daher kam ihnen ein Söldnerführer gerade recht. Archilochos sagt von sich: „Und Söldner nennt man mich, wie einen Karier.“13 Wir dürfen deshalb vermuten, dass er sich mit seiner Truppe zunächst als Söldner und Kaperer in den Dienst der Thasier stellte.14

Der Konflikt mit den Thrakern war jedoch nicht das einzige lukrative Beschäftigungsfeld. Schon die Phöniker sollen Thasos auf der Suche nach Gold angesteuert haben, und auch die griechischen Kolonisten wählten die Insel vor allem wegen ihrer Goldvorkommen. Während sich die erste Kolonistengeneration noch friedlich mit den einheimischen Thrakern arrangierte, wagten Archilochos und seine Kumpane den Übergang an die thrakische Küste, um an die Gold- und Silbererze des thrakischen Pangeiongebirges heranzukommen.15

Mit der Suche nach Gold verband sich die Hoffnung auf den Erwerb von Sklaven. Ein Freund des Archilochos – offenbar ein Pirat oder Sklavenhändler – kehrte mit seinem Schiff von einer Reise nach Gortyn zurück.16 Schon im 7. Jahrhundert v. Chr. arbeiteten thrakische Sklavinnen als Prostituierte im Hafen des ägyptischen Naukratis. Das für sie verwendete Wort ornai („Erkaufte“, „über das Meer Gebrachte“) geht auf Archilochos zurück. Die Thrakerinnen wurden von Piraten geraubt oder von einheimischen Fürsten an die thasischen Kolonisten verkauft.17 Thasos besaß einen Umschlaghafen (emporion) und dürfte – wie viele frühe emporia – zum Zweck des Sklavenerwerbs angelegt worden sein.18 Thasische Händler beschäftigten die Sklaven in den heimischen Schürfgruben oder verkauften sie weiter an Sklaveneinkäufer von den nahen Inseln Imbros und Lemnos; von hier aus gelangten sie nach Ägypten oder Kreta. Auch Archilochos und seine Männer dürften somit ihren Söldner- und Kaperdienst mit raids an die thrakische Küste zum Sklavenerwerb verbunden haben.19

Das Leben des Archilochos steht für viele andere, die an fremden Küsten ihr Glück suchten, und wir wüssten von ihnen mehr, wenn die Quellen ihre Abenteuer bewahrt hätten. Doch auch die spärlichen Hinweise zeigen: Die unstete Wanderung von Kolonie zu Kolonie, das Leben als Söldner, Kaperer, Händler oder Kolonistenführer und die zumindest zeitweilige Loslösung vom heimatlichen oikos, nicht das ruhige Leben in der Polis gehörten zum Alltag der Zeit. Fast in jeder Stadt tauchten Fremde auf, die von fernen Ufern kommend Waren, Künste und Dienste anboten.20 In Thasos – so Archilochos voller Selbstironie – versammelte sich der Abschaum ganz Griechenlands.21 Wie junge Adlige als Führer einer Kolonistenschar Aufstiegsmöglichkeiten suchten, so befehligten adlige Söldnerführer Hoplitentruppen von etwa der gleichen Größe, um in den Krisenregionen des Mittelmeerraums reich und mächtig zu werden. Die Verteilung von Beute und Sold entsprach den Gepflogenheiten der kolonisatorischen Landnahme: Gleiche Teile standen für diejenigen bereit, denen der Führer gleichen Verdienst am gemeinsamen Erfolg zuerkannte.22 Auch in Bezug auf die Größe handelte es sich um vergleichbare Phänomene: Meist waren es Gruppen von bis zu 100 jungen Männern, die bereits Erfahrung als Seehändler, Piraten oder Söldner gesammelt hatten.23

Der Aufstieg der Tyrannis in Korinth

Der Bedarf nach schlagkräftigen Söldnern entsprach der zeitweiligen Schwäche der Auftraggeber. Nicht selten nutzten deshalb angeworbene Söldnerführer die Chance, nach der Anstellung oder nach einem erfolgreichen Unternehmen die Befehlsgewalt einer Polis zu übernehmen und sich als Alleinherrscher zu etablieren. So soll z. B. Euryleon, einer der Überlebenden des unglücklichen Dorieus-Zuges, mit seiner Mannschaft die Einwohner von Selinunt von dem Tyrannen befreit und danach selbst versucht haben, sich zum Alleinherrscher aufzuschwingen.24 Tyrannen nannten die Griechen einen Mann, der ohne göttliche Legitimation und Beauftragung städtischer Institutionen die Macht an sich gerissen hatte. Meist konnte sich ein Tyrann dort etablieren, wo agrarische Nöte Unruhen und die Einführung der Hoplitenbewaffnung den Neid der kleineren Bauern auf die Altadligen geschürt hatten. Die ersten Tyrannen etablierten sich an der kleinasiatischen Küste; danach finden wir sie auch in den küstennahen Hafenstädten des griechischen Mutterlandes und in den Kolonien der Magna Graecia. Das bekannteste Beispiel ist das des Kypselos in Korinth.

Korinth verdankte seinen Wohlstand einer fruchtbaren Küstenebene, die Wein-, Oliven- und Getreideanbau erlaubte. Dichte Baumbestände auf den nahe liegenden Hügelketten sowie die günstige Lage auf der Landbrücke (Isthmos) zwischen der Peloponnes im Süden und Attika im Nordosten wiesen den Korinthern schon früh den Weg aufs Meer. Jedes Schiff, das Waren aus dem Westen nach Griechenland liefern wollte, musste den korinthischen Hafen Lechaion anlaufen und hohe Zoll- und Liegegebühren entrichten. Umgekehrt kamen ägäische Händler mit Zielen im Westen am korinthischen Osthafen Kenchreai kaum vorbei.

Regiert wurde die Polis von der adligen Familie der Bacchiaden. Sie besetzten die höchsten Ämter jeweils für ein Jahr und sicherten der wachsenden Bevölkerung durch Koloniegründungen zusätzliches Land. Sie dürften außerdem führend an den Handelsfahrten gen Westen beteiligt gewesen sein, wo die Silbervorkommen des heutigen Albanien sowie (weiter nördlich) der Zugang zu den nordeuropäischen Bernsteinrouten lockten. All dies – die günstige Lage, der aktive Handel mit den begehrten Rohstoffen des Westens und die erfolgreiche Kolonisation – führte seit dem späten 8. Jahrhundert v. Chr. zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und sicherte der Stadt den Ruf, zu den reichsten Poleis Griechenlands zu zählen.

Doch um 600 v. Chr. geriet die Autorität der Bacchiaden ins Wanken. Der Vergleich mit anderen Poleis sowie archäologische Indizien machen es wahrscheinlich, dass einige Großgrundbesitzer zur Erhöhung ihrer Absatzchancen den Getreideanbau auf die Anpflanzung von Ölbäumen umstellten. Die Getreideversorgung reichte deshalb schon bald nicht mehr für die gesamte Stadt aus, deren Bevölkerung am Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. rasch gewachsen war. Gleichzeitig geriet die einheimische Töpferindustrie durch athenische Konkurrenz unter Druck – ein ganzes Bündel von Problemen, denen sich die Bacchiaden nicht gewachsen zeigten.

Den Rest ihres Ansehens verloren sie, als sie eine herbe militärische Schlappe gegen ihre wichtigste Kolonie Kerkyra einstecken mussten und benachbarte Mächte wie Argos und Megara an Stärke gewannen. In dieser Situation engagierten die Bacchiaden einen Mann namens Kypselos mit seiner Söldnertruppe, die sich in früheren Kämpfen den Ruf militärischer Tüchtigkeit erworben hatte. Vielleicht war Kypselos aus seiner Heimat Korinth geflohen oder von den Bacchiaden vertrieben worden; vielleicht war er aber auch ein fremdstämmiger Kondottiere. In jedem Fall sollte er wohl die Position der Bacchiaden im Kampf gegen Kerkyra stärken. Kypselos erklomm den Posten des städtischen Feldherrn, nutzte den Prestigeverlust seiner Auftraggeber und schwang sich mithilfe seiner oder der städtischen Hoplitentruppe zum Alleinherrscher auf.25

Wirtschaftlicher Aufschwung

Sofort widmete sich der neue Herrscher den agrarischen Problemen: Die Kleinbauern erhielten Land aus dem Grundbesitz der vertriebenen Bacchiaden. Das Töpferviertel wurde modernisiert und die Keramikproduktion durch den Bau mehrerer Gebäude forciert. Parallel dazu verbesserte Kypselos die Anlegemöglichkeiten des Westhafens für Handelsschiffe. Die bedeutendste technische Leistung gelang jedoch seinem Sohn und Nachfolger Periander. Er gab den Anstoß zum Bau einer beinahe sieben Kilometer langen Überlandtrasse (diolkos) über die engste Stelle des Isthmos von Korinth (dem heutigen Kalamaki zur westlichen Kanalmündung). Auf dieser Schiffstrasse, deren Geleise noch heute im Fels zu erkennen sind, konnten Schiffe auf Tiefladern und von Seilwinden oder Ochsen gezogen von einem Meer zum anderen geschleppt oder die Waren der Schiffe zwischen den beiden Häfen Lechaion und Kenchreai transportiert werden.26 Dies ersparte den Überseehändlern die durch Stürme und Piraten gefährdete lange Fahrt um die Peloponnes.

Binnen kurzer Zeit besserte sich die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Stadt: Hohe Abgaben für die Benutzung des diolkos sicherten den Herrschern und der Polis regelmäßige Mehreinnahmen. Hinzu kamen die Gelder aus der Vermietung von Schiffen für diejenigen Händler, die lediglich ihre Waren über den diolkos zum Weitertransport in einen der beiden Häfen Korinths schaffen ließen.27 Der Bedarf an zusätzlichen Transportschiffen zog Handwerker und Schiffsbaumeister an und machte die Häfen Korinths nicht nur zu einem bedeutenden Handelsumschlagplatz, sondern auch zu einem Zentrum des Schiffsbaus.

Archäologische Zeugnisse belegen ferner in der Zeit der Tyrannis einen enormen Aufschwung des korinthischen Handels bis nach Etrurien und zur Rhonemündung im Westen und zu den Kykladen und wohl auch in den Schwarzmeerraum im Osten.28 Ein wichtiger Wegbereiter für diesen Aufschwung waren die außenpolitischen Kontakte Perianders: Ein Bündnis mit den Athenern diente dem Schutz des Handels im Saronischen Golf vor den Kaperern aus Aigina. Um die Getreidezufuhr zu sichern, knüpfte er freundschaftliche Beziehungen zu Psammetichos, dem Pharao von Ägypten, Thrasybulos, dem Tyrannen von Milet, sowie zu dem Lyderkönig Alyattes29 – sämtlich Mächte, die entweder (wie Ägypten) Getreide exportierten oder (wie Milet) über Mittelsmänner und Kolonien gute Verbindungen zu den wichtigen Getreideanbaugebieten des östlichen Mittelmeerraums besaßen.

Besonders im Westen unterstützten Kolonien die außenpolitischen Ambitionen. Kypselos oder seine Söhne gründeten Leukas, Anaktorion, Ambrakia, Apollonia und Epidamnos an der Ostküste Südillyriens. Sie boten den Händlern Zwischenstationen und Anlaufplätze, Leukas lag an der Überfahrt nach Italien. Das von Periander in der nördlichen Ägäis gegründete Potideia war Anlaufpunkt für den korinthischen Handel zum und aus dem Schwarzmeergebiet.30 Da die Söhne in den Kolonien eine ähnliche Stellung einnahmen wie ihr Vater in Korinth und selbst Potideia, die Ausnahme von dieser Regel, durch jährlich aus Korinth entsandte Beamte mit der Metropole verbunden war, entstand ein Netz von Kontrollposten und Anlaufstellen, das in Korinth sein Zentrum hatte.

Um die Verbindung zwischen den Kolonien zu wahren und vor Piraten zu schützen, bedurfte es einer schlagkräftigen Kriegsflotte. In der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. fügten Ingenieure in Sidon über die zweite Ruderreihe der Pentekontere noch eine dritte hinzu und entwickelten so den Dreiruderer (Triere). Außerdem verlängerten sie das Schiff um weitere vier bis fünf Meter, um das für die Stabilität notwendige Verhältnis zwischen den Außenbordwänden und dem Schiffsinnenraum zu wahren. Auf diese Weise wurde die Zahl der Ruderer auf bis zu 174 Männer gesteigert. Bereits um 700 v. Chr. soll es in Korinth erste Versuche gegeben haben, die neuen phönikischen Schiffe nachzubauen.31 Zunächst scheiterte man an dem Problem, die dritte Ruderreihe über der zweiten anzubringen, denn die Verlängerung des Schiffskörpers schuf für die leichteren griechischen Zweireiher erhebliche Stabilitätsprobleme. Darüber hinaus engte eine dritte Ruderreihe den Schiffsinnenraum so ein, dass die Ruderer in ihren Aktionen behindert wurden.

Nach Aussage der archäologischen Quellen war zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. die Lösung gefunden: Anstatt die dritte Ruderreihe direkt über der zweiten anzubringen, baute man ein nach außen ausladendes, mit Gerüsten versehenes Rudergehäuse, das sich wie ein Balkon mit einem Abstand von einem halben Meter um die Bordwände zog. Der zusätzliche Raum für die dritte Ruderreihe wurde dadurch nach außen verlegt. Außen- und Innenverstärkungen verliehen der Konstruktion Stabilität. Die Überlieferung schreibt diese Erfindung dem Baumeister Ameinokles aus Korinth zu, und Periander soll erste Trierenflotten auf Kiel gelegt haben.32

Trieren waren zwar in der offenen Seeschlacht den Fünfzigruderern überlegen, doch aufgrund ihrer Bauweise anfälliger und kostspieliger, ferner waren sie anders als der Fünfzigruderer angewiesen auf den ständigen Kontakt mit Versorgungs- und Landungsdepots an der Küste. Der effektive Einsatz einer Trierenflotte benötigte demnach ein Netz von Stützpunkten – diese boten die Kolonien – und gute Hafenanlagen. Deshalb ließ Periander in Lechaion eine der ersten künstlichen Hafenanlagen errichten und befahl den Bau von Hafenmolen nachweislich mindestens in einer der neuen Kolonien (Leukas). Die Polis wirkte an der Investition mit: Flotte und Hafen wurden zu einem Projekt aller Korinther – auch dies ein Phänomen, das auf die spätere Entwicklung in Athen verweist.

Der diolkos erlaubte eine schnelle Verlegung der Einheiten zwischen den Meeren am Isthmos; das nach der Machtübernahme Perianders gewonnene Epidauros diente als Stützpunkt am Saronischen Golf, Potideia sicherte den Zugriff auf das waldreiche Hinterland.

Die maritime Machtpolitik, der Kriegsschiffsbau, die Verbesserung der maritimen Infrastruktur und der Aufschwung des korinthischen Keramik- und Luxusartikelexportes verschafften der Stadt eine nie zuvor gekannte Blüte. Einnahmen aus den Transportgebühren des diolkos sowie Gewerbe- und Hafenzölle erbrachten derart große Einnahmen, dass der Tyrann auf eine Besteuerung der Mitbürger verzichten konnte. Brunnenhäuser zur Verbesserung der Wasserversorgung, monumentale Tempelbauten und der wirtschaftliche Aufschwung machten die Stadt zu einem bedeutenden Zentrum von Kunst und Kultur.

Die Peisistratiden in Athen

Rund 100 Kilometer westlich und 100 Jahre später vollzog sich in Athen eine vergleichbare Entwicklung. Wie Korinth so hatte auch Athen schon in der Archaik Schwierigkeiten, seine Bevölkerung allein mit den Erträgen Attikas zu versorgen.33 Verschärft wurde die Situation durch die Bestrebungen der Großgrundbesitzer, ihren Landbesitz auf Kosten der Kleinbauern auszuweiten, und durch ihren Unwillen, verarmten Bauern die Möglichkeit der Kolonisation zu bieten. Solon konnte den Ausbruch eines Bürgerkrieges verhindern, indem er den Kleinbauern Rechtssicherheit und Entschuldung versprach; das grundsätzliche Agrarproblem und die Versorgungskrise der Stadt blieben jedoch ungelöst. Viele Kleinbauern gerieten erneut in existenzielle Not, denn die Adligen sahen nach dem Weggang Solons keinen Grund, ihre Politik grundlegend zu ändern.

Ähnlich wie in Korinth machte sich ein einheimischer Adliger namens Peisistratos diese Situation zu Nutze und schwang sich nach einigen gescheiterten Versuchen zum Tyrann auf. Peisistratos war als städtischer Feldherr (polemarchos) zu Ansehen gekommen, als er für Athen den Hafen von Megara eroberte, und wie Kypselos führte er eine privat angeworbene Truppe fremder Söldner und Athener Bürger mit sich, denen er die Hoplitenrüstung verschafft hatte.34 Die Athener Kleinbauern erwiesen sich als loyale Anhänger, und Peisistratos machte sich daran, ihre Lage durch finanzielle Unterstützungen und die Bereitstellung von kostenlosem Saatgut zu verbessern.

Die mangelnde Getreideversorgung ließ sich jedoch nur durch regelmäßige Importe verbessern. Als Tauschobjekt bot sich attisches Öl an, dessen Export bereits Solon gezielt zu fördern gesucht hatte. Peisistratos griff diese Pläne auf und verfügte bald über einen Exportschlager, der im Getreide produzierenden Pontosgebiet reißenden Absatz fand.35 Gleichzeitig ließ er auf der Agora Gebäude errichten, die dem Handel und Handwerk bessere Rahmenbedingungen boten und förderte – wie Kypselos – die Keramikproduktion durch die Anlage von Brunnenhäusern und Wassergräben.36

Wie Periander versuchte auch Peisistratos durch Koloniegründungen Zugriff auf die großen Getreidehandelsrouten zu bekommen. Zunächst eroberte er Sigeion an der Ostküste der Hellesponteinfahrt und übergab es seinem Sohn zur Herrschaft. Außerdem schickte er den jungen Adligen Miltiades mit einer Expeditionstruppe zur thrakischen Chersonnes.37 In Sigeion wartete man auf günstige Wetterbedingungen für die Durchfahrt in den Pontos; die thrakische Chersonnes bildete eine erste Zwischenstation auf der Rückfahrt in die Ägäis. Ferner pflegte Peisistratos gute Kontakte nach Makedonien und Thrakien, die beide bekannt waren für ihren Gold- und Holzreichtum, und setzte einen befreundeten Tyrannen auf der Kykladeninsel Naxos ein.38 Mit der Eroberung der Insel Salamis vor den Toren Athens gewann er einen wichtigen Stützpunkt im Kampf gegen die aiginetischen Kaperer. Hierzu passt die Notiz des Polyain, wonach Hippias, der Sohn des Peisistratos, „die Seeräuberei auf dem Meer beseitigt“ habe.39

Der Kampf gegen die Seeräuber und die Anlage und Sicherung der Kolonien und Getreidehandelsrouten aus dem Pontosgebiet erforderten genauso wie die Expansionspolitik der korinthischen Tyrannen eine Kriegsflotte. Wir sind gewohnt, diese erst mit dem Wirken des Themistokles zu verbinden, doch wir werden später sehen (siehe Seite 86 f.), dass dieser keine vollkommen neue Flotte schuf, sondern vorhandene Bestände ergänzte und staatlich neu strukturierte.40 Tatsächlich konnten die Athener bereits vor der Zeit des Themistokles immerhin 50 Trieren gegen Aigina mobilisieren und durch 20 korinthische Dreiruderer ergänzen. Diese waren aber durchweg im Besitz der Adligen und wurden von ihnen in Form der Naukrarien verwaltet und dem Staat im Bedarfsfalle zur Verfügung gestellt.41 Hippias, der nach Polyain gegen die Piraten kämpfte, begann den Bau einer Festung über dem späteren Kriegshafen Munichia, von der er die Bucht überblicken konnte.42 Vergleicht man diese Fakten mit den maritimen Aktivitäten der anderen archaischen Tyrannen, so spricht vieles dafür, dass die Peisistratiden – vermutlich mit Unterstützung der Korinther – den Anstoß zum Bau der ersten Trierenflotte gaben.43 Nimmt man die überseeischen Aktivitäten des Peisistratos und sein auffälliges Engagement für die Insel Delos hinzu, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass die Tyrannen Athen zu einer achtungsgebietenden Seemacht entwickelten und damit dem attischen Seereich des 5. Jahrhunderts v. Chr. entscheidend den Weg wiesen.44

Polykrates von Samos

Eine andere Tyrannis, die ihre Macht dem Aufbau einer Kriegsflotte und der Kontrolle von Seehandelswegen verdankte, etablierte sich Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. auf der Insel Samos vor der kleinasiatischen Küste. Wie in Korinth und Attika bot das samische Land zwar keine günstigen Bedingungen für den Getreideanbau, als Exportartikel waren dagegen Wein und Oliven begehrt. Wie Korinth und Athen lag Samos an einer viel befahrenen Seehandelsroute, nämlich der von Ägypten in die Ägäis und den Hellespont. Ferner verfügte die Stadt an der Ostseite über windgeschützte Buchten mit guten Schiffsanlegeplätzen.

Im 7. Jahrhundert v. Chr. regierte die Adelssippe der Geomoren die Stadt und dürfte mit den gleichen Krisenphänomenen – Bodenknappheit und Überbevölkerung – konfrontiert gewesen sein, die auch andere archaische Poleis kannten. Um 600 v. Chr. gründeten deshalb die Samier drei Kolonien an der Propontis vermutlich auch mit dem Ziel, näher an die Getreideanbaugebiete des Schwarzen Meeres heranzukommen und samischen Händlern den Getreideeinkauf zu erleichtern.45 Die wenig früher gegründeten Kolonien Nagidos und Kelendris an der kilikischen Küste lagen an der Seehandelsroute aus dem Getreide exportierenden Ägypten. Im ägyptischen Naukratis unterhielten die Samier einen Tempel, und die Überlieferung weiß von samischen Händlern in Ägypten.46

Unzweifelhaft erkannten also die Geomoren die Chancen, die sich aus einem engeren Kontakt zu den Getreideexporteuren der Zeit ergaben, doch fehlten ihnen noch die Mittel, sie für ihre Stadt zu nutzen. Um 600 v. Chr. sahen sie sich mit Umsturzversuchen konkurrierender Adliger konfrontiert. Der Grund für den Macht- und Ansehensverlust des alten Regiments ist nicht bekannt. Möglicherweise reichten ihre Bemühungen um die Verbesserung der Getreide- und Agrarversorgung nicht aus, vielleicht waren aber auch militärische Niederlagen ausschlaggebend. In jedem Fall gingen auch diesmal die Unruhen von Adligen in hohen Kommandopositionen aus. 538 v. Chr. gelang es schließlich Polykrates mit seinen hetairoi und einer Söldnertruppe, die Akropolis zu besetzen und die Stadt dauerhaft in seine Gewalt zu bringen. Ähnlich wie in Korinth mussten die bis dahin führenden Adelssippen und ihre Anhänger das Land verlassen oder hohe Abgaben zahlen.47

Bald nach der Machtübernahme blühte die städtische Wirtschaft auf. Polykrates soll Hunde, Ziegen, Schafe und Schweine aus ganz Griechenland importiert haben, vermutlich um dem heimischen Gewerbe neue Betätigungsfelder zu eröffnen und der Stadt ein größeres Angebot an Exportartikeln zu verschaffen. Ferner zog Polykrates mit lukrativen Angeboten zahlreiche fremde Handwerker und Künstler an seinen Hof. Wie Periander und Peisistratos verbesserte er die Bedingungen der heimischen Handwerkerschaft, indem er eine mehr als einen Kilometer lange Wasserleitung durch einen Berg (Eupalinus) trieb, eine Leistung nur vergleichbar dem korinthischen diolkos.48

Eine der wichtigsten Aufgaben blieb jedoch auch in Samos die Sicherung des Getreideimports. Polykrates konnte hierbei an die alten Kontakte der samischen Adligen und die Tradition samischer Piraterie anknüpfen. Außerdem war Samos seit alters wegen seines Baumreichtums ein Zentrum des ägäischen Schiffsbaus; der Korinther Ameinokles soll in Samos bereits vor der Machtergreifung des Polykrates vier moderne Kriegsschiffe konstruiert haben.49 Es wundert also nicht, dass Polykrates über eine vorzügliche Flotte von 100 Fünfzigruderern disponieren konnte, die er durch mindestens 40 Trieren ergänzte.50

Darüber hinaus konstruierten seine Ingenieure einen neuen Schiffstyp, die Samaina.51 Über ihre Funktion ist viel gerätselt worden. Vielleicht sollte das Schiff Söldner nach Ägypten transportieren und im Gegenzug Getreide nach Samos schaffen.52 Dies würde zu den engen Kontakten passen, die Polykrates mit dem ägyptischen König unterhielt, und entspräche den politischen Bedürfnissen beider Seiten. Möglicherweise benutzte er es aber auch zum Kaperkrieg: Die Samaina verfügte wahrscheinlich über einen unterhalb des Wasserspiegels liegenden und für den Feind nur in kürzester Entfernung sichtbaren Rammsporn. Ähnlich wie die verdeckten Kaperfahrer des 18. und 19. Jahrhunderts näherte sich die Samaina ihren Opfern und verwandelte sich urplötzlich aus einem harmlosen Handelsschiff in einen gefährlichen Angreifer, der sein Objekt mit dem Rammsporn zu durchbohren drohte.53

Diese Erklärung passt gut zu den Hinweisen der Quellen, wonach Polykrates seine Schiffe zur groß angelegten Kaperei vor der kleinasiatischen Westküste einsetzte: Herodot berichtet, wie die Flotten der Samier Handelsschiffe auf See aufbrachten oder zwangen, den Hafen von Samos anzulaufen, wo sie hohe Zoll- und Liegegebühren zu zahlen hatten. Selbst die Küstenbewohner konnten sich nur durch Tribute eine Atempause verschaffen.

Die Einnahmen aus den Tributen und dem Seeraub investierte Polykrates in die Entlohnung der Ruderer und Söldner und in den Ausbau des Hafens und der maritimen Infrastruktur. Bereits vor seiner Machtübernahme hatten die Samier wie die Korinther eine große Mole errichtet. Polykrates ließ an beiden Seiten der verkleinerten Einfahrt zwei Wehrtürme bauen. Vermutlich konnte die Einfahrt durch Ketten versperrt werden. Gleichzeitig verband er den Hafen durch Wehrmauern mit der Stadt, sodass Samos als erste Polis über einen künstlich integrierten Kriegshafen verfügte – das Vorbild für das berühmte Festungsdreieck, das später Athen mit dem Piräus verband!54

Wiederum zeigt sich: Nicht die Athener, sondern die Tyrannen waren die Wegbereiter bedeutender technischer Innovationen, weil sie über die entsprechenden Ressourcen verfügten und ein existenzielles Interesse an dem Schutz ihrer Kriegsflotte hatten. Dies gilt auch für die Anlagen innerhalb des Hafens selbst: An den Kais entstanden moderne Schiffshäuser, deren Rampe direkt in das Wasser des Hafenbeckens ragte – die ersten und einzigen der archaischen Zeit!55 Die teuren Trieren konnten so nach jedem Einsatz aufs Trockene gezogen und vor dem Einfluss des Seewassers geschützt werden.

Auch Samos profitierte von dem Verkauf der Kaperbeute und den Getreideimporten. Polykrates wurde zu einem der begehrtesten Bündnispartner der ostmediterranen Landmächte. Und wie Periander in Korinth gelang es ihm, maritime Herrschaft (Thalassokratie) über einen beträchtlichen Teil der Ägäis zu errichten. Schon die Zeitgenossen haben diesen Erfolg bewundert und in der Geschichte vom Ring des Polykrates bewahrt, der eine Parabel vom unerhörten Glück eines Einzelnen darstellt.

Die maritime Bedeutung der Tyrannis

Der Aufstieg des Polykrates bestätigt das Bild, das uns die Analyse der Entwicklung in Korinth und Athen geliefert hat: Die Herrschaftsform der Tyrannis war offenbar eine unabdingbare Voraussetzung für den Versuch, Trierenflotten auf Kiel zu legen. Einerseits bestand in denjenigen Poleis, in denen die Tyrannen an die Macht kamen, ein existenzielles Interesses, Seehandelswege für den Getreideimport und zur Unterstützung der heimischen Händler zu schützen bzw. der Stadt neue Einnahmequellen zu erschließen, weil die heimische Agrarwirtschaft zur Versorgung der Bevölkerung nicht ausreichte. Die günstige Lage von Korinth, Samos, Sikyon oder Athen an viel befahrenen Seehandelsrouten begünstigte den Entschluss, die Außenpolitik auf eine Sicherung und Intensivierung des Getreidehandels zu konzentrieren. In Sizilien war es die Bedrohung durch die Karthager und in Süditalien durch die etruskischen Kaperer, die die Tyrannen von Gela und Syrakus und wohl auch von Kyme zum Bau von Trierenflotten bewogen.56

Andererseits waren die Tyrannen die Einzigen, die für die kostspielige und technisch anspruchsvolle Entwicklung einer modernen Kriegsflotte nötigen materiellen und menschlichen Ressourcen bündeln konnten. Wiederum darf man hierbei das aristokratische Element der Tyrannis nicht außer Acht lassen. Archaische Herrschaft beruhte in einer so stark von agonalen Elementen geprägten Gesellschaft auch auf Prestige und Ansehen. Eine große Kriegsflotte war – wie in der Neuzeit – jenseits militärischer und außenpolitischer Erwägungen immer auch ein Prestigeobjekt. Der Tyrann demonstrierte mit seiner Fähigkeit, teure Flotten auf Kiel zu legen, nicht nur seine Überlegenheit gegenüber heimischen Konkurrenten – die sich allenfalls zwei oder drei Trieren leisten konnten –, sondern auch gegenüber auswärtigen Mächten. Nach Diodor soll der syrakusanische Tyrann Dionysios sich auch deshalb zum Bau einer großen Kriegsflotte entschlossen haben, weil er hiermit seine Heimatstadt Korinth übertrumpfen wollte.57

Mit der Kriegsflotte, ihren Stützpunkten und außenpolitischen Verbindungen gelang es Männern wie Periander, Peisistratos und Polykrates eine begrenzte Kontrolle über maritime Räume und Handelsrouten, nach antiker Auffassung eine Thalassokratie, zu errichten. Natürlich war diese lückenhaft und instabil, doch ohne die Erfahrungen der Tyrannen bei dem Versuch, maritime Herrschaft auszuüben, ist der später so gerühmte Aufstieg der Athener Seemacht gar nicht denkbar. Zwischen den Tyrannen herrschte zudem ein reger ,Technologietransfer‘, der durch die enge Vernetzung des Meeres und die traditionellen überregionalen Freundschaften erleichtert wurde: So soll der Korinther Ameinokles auch den Samiern vier Kriegsschiffe (offensichtlich Trieren) gebaut haben58, und ebenso lassen sich die in Samos und Korinth fast gleichzeitig einsetzenden Modernisierungsmaßnahmen der Hafenanlagen kaum anders als durch den Austausch von Wissen und Experten erklären. Das maritime Engagement der Tyrannen war ein Katalysator technischer und organisatorischer Innovationen, die nicht unwesentlich zum Abwehrerfolg gegen die Perser zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. beitragen sollten.

Die Antike und das Meer

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