Читать книгу Plötzlich auf Föhr - Rainer Ballnus - Страница 4
Sie wollte wissen, wie spät es ist…
Оглавление…Laut aufstöhnend drehte die kranke Frau im Bett mühsam ihren Kopf in Richtung Radiowecker. Jede Bewegung, jede Drehung bereitete ihr starke Schmerzen.
Acht Uhr in der Frühe. Was mag den Jungen so früh aus der Wohnung getrieben haben? Das war doch sonst nicht seine Art, er, der immer gern lange schlief und der ein ganzes Semester an der Uni hatte wiederholen müssen, weil er einige Vorlesungen regelrecht verschlafen und am Ende seine „Scheine“, wie er die Zertifikate in einer bestimmten Disziplin immer nannte, nicht bekommen hatte. Auf ihren gut gemeinten Rat, doch ein wenig zielstrebiger zu arbeiten, hatte ihr Sohn immer nur lächelnd genickt und Besserung gelobt. Aber es wurde nicht besser. Im Gegenteil, wenn sie ihn recht verstanden hatte, drohte er sogar, durch das Examen zu fallen.
Was sie am meisten beunruhigte, war, dass er offensichtlich sehr darauf bedacht gewesen war, seine Mutter heute Morgen nicht zu wecken. Sie konnte nicht sagen, dass ihr Sohn sonst rücksichtslos war, aber er ließ schon mal gern die Türen laut ins Schloss fallen oder verursachte mit seinen Holzsandalen klappernde Geräusche, die sie bei jedem Tritt zusammenzucken ließen.
Seufzend nahm sie ihren Kopf wieder zurück, versuchte, sich im Bett ein wenig aufzurichten, drehte den Körper ganz langsam zur anderen Seite und griff ebenso bedächtig nach dem gefüllten Wasserglas. Es war ihr nicht entgangen, dass ihr Sohn Wasser nachgefüllt hatte, bevor er die Wohnung verließ. Und das war eben die andere Seite von ihm. Er kümmerte sich rührend um seine schwer erkrankte Mutter, forschte im Internet nach immer neuen Möglichkeiten, um diese schlimmen chronischen Schmerzen wenigstens eindämmen zu können. Natürlich hatte er auch an der Uni, an der er Medizin studierte, alle möglichen Kontakte genutzt, um geeignete Therapien herauszufinden. Allerdings bisher nicht mit durchschlagendem Erfolg.
Junge, nimm es nicht so schwer, hatte sie ihm stets tröstend geantwortet, wenn die eine oder andere empfohlene Tablette oder die Tropfen oder andere therapeutische Schritte nicht entscheidende Besserung, Linderung brachten.
Mit zittriger Hand ergriff sie das Wasserglas und führte es unter Schmerzen zum Mund. Schluckweise nahm sie das Wasser zu sich, leerte es auf diese Weise und lehnte sich erschöpft zurück. In diesem Moment hörte sie das Herumdrehen des Schlüssels in der Wohnungstür.
„Weißt du Klaus, am meisten freue ich mich auf die vielen Langläufe, die wir gemeinsam unternehmen werden.“
Irene schmierte ihrem Mann wie üblich zwei Butterschnitten.
„Die Hauptsache für mich ist, dass wir zwei wieder einmal ohne Pflichten so richtig ausspannen und abends ausgehen können“, gab er zurück und blickte sie gutgelaunt an.
„Verdient hast du es allemal“, fügte er noch hinzu und zwinkerte mit den Augen.
„Na, du ja erst recht!“, meinte sie und strich ihm zärtlich über sein schon leicht ergrautes Haar.
Seit zwölf Jahren war er jetzt Filialleiter in der Inselbank. Sie schaute ein ganz klein wenig stolz auf ihren Mann.
Vor dreißig Jahren hatte sie mit ihren Eltern zum ersten Mal Urlaub auf dieser Insel gemacht. Sie war ganz begeistert gewesen von dieser Familienidylle mit dem herrlichen Strand. Alles war so beschaulich gewesen und mit der Hektik in Kiel gar nicht zu vergleichen. Dort hatten sie mitten in der City in einer Zweieinhalbzimmer-Wohnung beengt leben müssen.
Sie konnte sich noch heute ganz genau an ihre erste Begegnung erinnern: Nach einer Woche Urlaub war ihr damals das Taschengeld ausgegangen und sie hatte von ihrem Sparkonto noch einen kleinen ‚Nachschlag’ abheben wollen. Da waren sie sich zum ersten Male in der Inselbank am Schalter für Spareinlagen begegnet, er schüchtern und mit Brille.
Irgendwie hatte es gleich bei beiden gefunkt. Denn noch am selben Abend waren sie verabredet gewesen und schon ein Jahr später verheiratet.
Viele Kinder hatten sie sich gewünscht. Irene seufzte tief, denn daraus war leider nichts geworden. Aber auf die Insel war sie mit ihm gezogen und sie waren glücklich.
Längst waren ihrem Mann von der Zentrale Angebote unterbreitet worden, andere größere Filialen auf dem Festland zu übernehmen. Aber beide waren so verbunden mit diesem Stückchen Erde, dass er jedes Mal abgelehnt hatte. Sie hatten ein gutes Auskommen und viele Freunde, auf die sie sich wirklich verlassen konnten.
Auch bei diesem Urlaub, den sie jetzt in den Bergen planten, war es eine Selbstverständlichkeit, dass ihre Nachbarn die beiden Katzen versorgten und auch sonst nach dem Rechten sehen würden.
Ja, sie konnten sich schon glücklich schätzen und morgen sollte es in aller Frühe losgehen. Wenn alles gut ging und der Autoverkehr ihnen keinen Strich durch die Rechnung machte, dann könnten sie in der Nähe von Seefeld in Österreich ihr Appartement beziehen und sich genüsslich ihrem Punsch widmen.
„Denk' bitte daran, dass wir diesmal meine neuen Bergstiefel mitnehmen“, unterbrach Klaus Matthießen ihre Gedanken.
„Und du vergiss nicht, heute pünktlich nach Hause zu kommen. Du weißt ja, wir müssen früh schlafen gehen“, mahnte Irene ganz bewusst. Sie kannte ihn nur zu genau. Da kamen dann kurz vor 16.00 Uhr noch altbekannte Kunden und schon wurde ein kleiner Plausch gehalten, der nicht selten in der gemütlichen Gaststätte genau gegenüber der Bank fortgesetzt wurde.
Kundenbetreuung nannte ihr Mann das, wenn er gelegentlich leicht angeheitert nach der Tagesschau ziemlich kleinlaut bei ihr um Verzeihung bat.
„Na klar, Liebes! Das verspreche ich dir. Heute komme ich superpünktlich“, sprach's, nahm seinen Hut und Mantel, gab seiner Frau einen Kuss und machte sich auf den zehnminütigen Fußweg zu seiner geliebten Bank.
Dabei hatte er ein fröhliches Lied auf den Lippen. Er sah wirklich keinen Grund, warum er ausgerechnet heute sein Versprechen nicht einhalten sollte, wo es doch in den wohlverdienten Urlaub ging. Und doch sollte es anders kommen, ganz anders.
Gähnend reckte sich Karl in dem bequemen Bett. Mit der rechten Hand tastete er nach der Uhr auf dem Nachttisch. Ach du liebe Zeit, schon halb elf, stellte er erschrocken fest.
Wirklich höchste Eisenbahn, wenn du es noch schaffen willst, am Vormittag zur Bank zu gehen.
Das Geld rann einem auch nur so durch die Finger; und dazu noch das neue Kleid für Madam.
Ohne die Augenlider zu bewegen, fuhr er mit der linken Hand auf dem Bettlaken entlang, bis er den Oberschenkel seiner Frau spürte. Er war erst versucht, ihn zu streicheln. Doch irgendetwas hielt ihn heute davon ab. Der gestrige Abend kam ihm in Erinnerung. Er hatte wirklich sehr nett angefangen und seine Frau war besonders bemüht gewesen, ihm zu gefallen.
Das konnte er ja wohl auch erwarten, bei dem Preis für den „Fummel“, grinste er vor sich hin.
Doch dann kam an dem Abend die große Wende.
Eine Frau, ach was Frau, ein rassiges Weib war schuld daran. Sie hatte mit einem männlichen Begleiter am Nebentisch Platz genommen. Zufällig war ihr Stuhl so günstig gestellt gewesen, dass sich ihre Blicke gleich darauf getroffen hatten - und hängen geblieben waren.
Das war ein Gefühl gewesen, durchzog es ihn auch heute Morgen noch.
Zuerst zögerlich, dann immer dreister werdend hatte er den Augenkontakt gesucht und Gefallen an diesem Spielchen gefunden, so dass sich seine Frau darüber beschwerte, sie nicht gebührend beachtet zu haben.
„Sind Sie noch länger hier?“, hatte die attraktive Blonde ihn bei einer flüchtigen Begegnung an der Bar gefragt und dabei durchblicken lassen, dass sie sich den ganzen Winter auf dieser herrlichen Nordseeinsel erholen würde.
Er hätte beinahe die beiden Mixgetränke für seine Frau und sich fallen gelassen, so erschrocken war er über ihren 'Vorstoß' gewesen.
„Wie man's nimmt, eine Woche“, hatte er stotternd geantwortet und dann war auch schon seine Frau bei ihm gewesen, um ihm die Gläser aus der Hand zu nehmen und ihn zum nächsten Tanz zu bitten. Damenwahl hatte es geheißen.
Ob sie etwas gemerkt hatte? Ich glaube nicht, beruhigte er sich, sie war wie immer gewesen. Ja, wie immer, das war es doch, was ihm nicht mehr gefiel. Alles war Gewohnheit geworden - auch das Liebesleben.
Sicher, er konnte sich nicht beschweren, sie war immer für ihn da, aber irgendwie war es immer das Gleiche.
Gedanklich hatte er schon einige Male mit dem Reiz einer neuen Begegnung gespielt, aber eben nur gedanklich. Und nun tat sich zum ersten Mal eine reale Chance auf. War es wirklich eine solche oder war es vielleicht nur eine so dahin geworfene Bemerkung? Aber nein, diese glutvollen Blicke waren doch so einladend, so viel versprechend gewesen.
„Karl! Bist Du wach?“
Seine Frau war es, die ihn so abrupt aus seinen schwelgenden Gedanken riss.
Diese Stimme - so schrill! Sie ging ihm im Augenblick so richtig auf die Nerven und sofort war er wieder bei der Schönen mit ihrem so melodischen und sanften Gesäusel.
„Karl! So antworte doch! Ich weiß doch, dass du wach bist! Koch' bitte den Kaffee, aber nicht so stark, wenn ich bitten darf!“
„Schrei' doch nicht so!“, gab er unwirsch zurück und schlug die Bettdecke zurück. Er hatte ohnehin keine Lust mehr, neben ihr im Bett zu liegen.
Sie treibt mich ja regelrecht in die Arme der Blonden, dachte er, schlüpfte in seine Pantoffeln und war gerade auf dem Weg ins Bad, als Herta ihm hinterher keifte:
„Ich schrei' ja gar nicht! Du brüllst doch!“
Das hörst du dir nicht mehr länger an, grollte er innerlich und knallte die Badezimmertür hinter sich recht unsanft ins Schloss.
Dabei hatte der Urlaub so gut angefangen. Er war Beamter und hatte es nicht verhindern können, vor vier Wochen befördert worden zu sein. Weißt du was, hatte er seiner Frau vorgeschlagen, wir fahren nach Wyk auf Föhr und machen mal ganz allein zwei Wochen Urlaub. Wir sollten einmal so richtig ausspannen. Die Kinder sind ja schließlich schon groß und können sich von den Omas verwöhnen lassen.
Begeistert hatte sie zugestimmt. Sie liebte diese Insel besonders. Zum einen bekam ihr das Klima recht gut und zum anderen hatte sie immerhin in jungen Jahren zwei Jahre als Erzieherin auf diesem Fleckchen Erde gearbeitet. So war es ihr nicht schwer gefallen, die Bedenken wegen der zurückbleibenden Kinder zu zerstreuen und diese Reise mit ihrem Mann festzumachen - eine Reise, an die beide noch lange denken sollten.
Eine halbe Stunde später beim Frühstück.
„Was hast du heute vor, Herta?“, erkundigte sich Karl scheinheilig und kaute dabei genüsslich sein Brötchen.
„Warum fragst du?“, gab Herta leicht gereizt zurück. Sie mochte diese Art Fragen nicht. Sie fühlte sich dabei immer so ausgehorcht.
„Du kannst auch nur mit Gegenfragen antworten!“, schoss er zurück.
Wie er das hasste und sofort waren seine Gedanken wieder bei der Blonden. Plötzlich stand sein Entschluss fest: Du wirst dich mit ihr treffen, gleich heute nach deinem Bankbesuch. Er musste sie nur ausfindig machen, aber das dürfte jetzt im Winter wohl kein Problem bedeuten.
„Darf man wissen, was du heute zu tun gedenkst?“, unterbrach seine Frau ihn in seinen Plänen.
„Ich - ich wollte eigentlich zur Bank und dann hatte ich die Absicht, mich - äh - ein wenig am Hafen herumzutreiben“, log er frech.
„Zum Mittagessen habe ich gar keine Meinung heute. Kommst du mit?“, meinte er noch beiläufig und lauerte auf ihre Antwort.
„Du mit deinem Hafen, bei dem Regen, nein danke. Ich werde wohl in meinem Buch weiterschmökern.“
Erleichtert lehnte er sich zurück. Der erste Schritt wäre also getan.
„Gut, mein Liebling! Mach’ es dir bequem, hörst du“, heuchelte er liebevoll, sprang von seinem Sitz hoch und rückte ihren Stuhl nach hinten, als sie aufstand.
„Übernimm dich nur nicht. Irgendwie bist du ja plötzlich so höflich. Stimmt irgendetwas nicht mit dir?“, meinte sie ironisch, aber überhaupt nicht misstrauisch. Karl lächelte fast ein wenig verlegen. Er war aber zufrieden mit diesem Dialog, holte sich aus dem Appartement Mantel und Schirm und trat auf die regennasse Straße. Auch er konnte nicht ahnen, was in den nächsten Stunden plötzlich über dieser ruhigen und beschaulichen Insel Föhr hereinbrach.
„Elke, du musst aufstehen! Du weißt, Herr Matthießen sieht es nicht gern, wenn du zu spät kommst.“
Mit einem leicht ärgerlichen Tonfall ermahnte Peter seine junge Frau.
Sie lag da im Bett auf dem Rücken und starrte gegen die Decke. Eigentlich kann sie einem leidtun, dachte er. Wahrscheinlich hatte sie wieder ihre depressive Phase. Er meinte das nicht abfällig, sondern eher etwas mitleidig. Er konnte ihr so wenig helfen.
Angefangen hatte es vor drei Jahren. Zuerst war ihr immer übel geworden, einfach nur so, ohne ersichtlichen Grund. Die Ärzte hatten sie auf den Kopf gestellt, aber keinen organischen Befund erheben können.
Wahrscheinlich eine vegetative Dystonie, lautete die lapidare Diagnose. Sie sollte es einmal mit dem Autogenen Training versuchen, hieß der ärztliche Ratschlag. Damit kam sie nun gar nicht zurecht. Im Gegenteil, zu der Übelkeit kamen noch Lustlosigkeit und so eine Art Lebensverdruss hinzu.
Es gab Tage, da war sie einfach nicht aus dem Bett zu bringen. Völlig apathisch lag sie da und tat einfach nichts. Zunächst war ihr Peter mit viel Liebe entgegengekommen. Aber das hatte sie auch nicht haben wollen und so kam es, dass er hin und wieder auch ein wenig unwirsch wurde und ihr gelegentlich vorhielt, sich nicht immer so anzustellen und dass sie sich gefälligst zusammenreißen sollte. Sie war daraufhin in Weinkrämpfe verfallen und hatte sich noch mehr zurückgezogen.
Schließlich waren sie bei einem Psychiater gelandet. Der hatte viel Geduld mit Elke. Mit Gesprächstherapie und medikamentöser Unterstützung war es ihm gelungen, ihr wieder ein bisschen Lebensmut einzuflößen. Aber ab und zu gab es eben einen solchen 'Einbruch' wie heute Morgen.
„Elke, hörst du nicht, es wird höchste Zeit!“, wiederholte Peter seine Mahnung, diesmal etwas schärfer.
In der Bank, in der sie als Kassiererin arbeitete, war man ihr sehr rücksichtsvoll begegnet. Immer, wenn es sie sehr schwer erwischt hatte, war der Filialleiter zur Stelle gewesen und hatte sich sehr einsichtig gezeigt. Manchmal hatte er sie auch nach Hause bringen lassen. Aber irgendwo gab es natürlich auch Grenzen. So hatte er ihr vor einiger Zeit doch geraten, eine längere Spezialkur anzutreten, um ihre völlige Arbeitskraft wiederzuerlangen. Daraufhin hatte sie drei Tage überhaupt nicht gearbeitet. So sehr war ihr diese Empfehlung ‚unter die Haut’ gegangen. Erst nach einer Entschuldigung des Chefs und dem zarten Hinweis, dass er es ja nur gut gemeint hätte, war sie wieder zur Arbeit zu bewegen gewesen.
„Ich glaube, ich lasse mich krankschreiben; ich schaff' es sowieso nicht ohne ihn“, klagte Elke, ohne Anstalten zu machen, das Bett zu verlassen. „Er fährt einfach in den Urlaub und lässt mich mit dem ganzen Kram alleine“, fuhr sie kraftlos fort.
Ach daher weht der Wind, verstand Peter. Dabei war doch alles abgesprochen. Schon seit Wochen hatte Elke von nichts anderem berichtet, dass der Chef jede Kleinigkeit mit ihr besprochen und auch dafür gesorgt hätte, dass von der Zentrale jemand zwei- oder dreimal in der Woche zur Unterstützung kommen sollte.
Immer und immer wieder hatte Klaus Matthießen nachgefragt, ob sie mit allem einverstanden sei und ob sie es auch schaffen werde. Und Elke war recht zuversichtlich; sie war sogar ein wenig stolz, dass der Chef ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte und nun heute Morgen dieser Rückfall.
Peter verspürte Ärger in sich aufkommen. Du musst dich jetzt zusammennehmen, gab er sich selbst den Rat, sonst ist alles vorbei und Elke müsste dann doch zukünftig mit einer anderen Tätigkeit auf dem Festland rechnen.
Klaus Matthießen hatte ihm gegenüber schon einmal so eine Andeutung gemacht. Das wäre wiederum nicht auszudenken, mit der Fahrerei und mit dem, was sonst noch daran hing.
Also, was tun, fragte er sich. Die größte Aussicht auf Erfolg sah er darin, in ihr die Verantwortung noch einmal groß zu machen, die der Chef ihr übertragen hatte.
„Du wirst die tragende Kraft in den nächsten vierzehn Tagen sein und das wird dir Auftrieb geben“, versuchte er es. Elke hob den Kopf.
„Meinst du wirklich?“
Mein Gott, es schien zu klappen, frohlockte Peter. Er biss sich auf die Lippen und suchte nach einer passenden Antwort.
„Du hast viel geleistet in eurer Bank.“
„Du hast recht Peter, Herr Matthießen soll sich freuen, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt.“
Was dann kam, fühlte sich für Peter fast wie ein Wunder an, denn solch eine Reaktion hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Beinahe schwungvoll kam seine Frau aus den Federn und ging ins Bad.
Er atmete erleichtert aus. Wer weiß, wie lange das anhält, kamen ihm jedoch gleich wieder Zweifel. Hoffentlich verlief der letzte Tag heute mit dem Chef harmonisch. Es durfte nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommen, gingen seine Gedanken weiter. Er konnte nicht wissen, dass er mit seiner gut gemeinten Hilfestellung, seine Frau zur Arbeit zu bewegen, eine neue Schicksalsrunde für sie beide eingeläutet hatte.
So ein Schmuddelwetter, schüttelte sich Karl Padow und hielt den Schirm krampfhaft gegen die Regenböen. Noch eine Querstraße, dann hast du es geschafft, machte er sich Mut. Den Blick auf das nasse Pflaster gerichtet, um so die Pfützen zu umgehen, bahnte er sich seinen Weg durch die schmale Gasse.
Wie viel Geld kann ich eigentlich abheben, ohne dass Herta darüber stolpert, rechnete er durch und war mit seinen Gedanken bei der Blonden.
Rums - der Schirm krachte gegen einen Laternenpfahl und Padow wäre beinahe ins Stolpern geraten, wenn ihm nicht ein entgegenkommender Herr rechtzeitig unter die Arme gegriffen und so vor einem Sturz bewahrt hätte.
Dankbar drehte er sich um und blieb ruckartig stehen. Das war doch die männliche Begleitung seines Schwarms. Blitzschnell drehte er sich nach allen Seiten um, konnte sie aber nirgendwo entdecken.
Seine Gedanken überschlugen sich. Er schaute auf die Uhr: Zwanzig vor zwölf. Er wusste, dass die Bank in zwanzig Minuten schließen würde. So hatte er noch ein paar Minuten Zeit, dem Mann zu folgen. Er würde ihn sicherlich zum Hotel seiner Neuentdeckung führen, so meinte er.
Padow wechselte die Straßenseite, um nicht gleich aufzufallen.
Der andere schien eine feste Adresse im Auge zu haben, denn er ging schnurstracks auf das Hotel 'Meeresrauschen' zu.
Sollte ich so ein Glück haben, frohlockte Padow und richtig, sein Helfer ging auf die andere Straßenseite, nahm die Eingangsstufen zum Hotel fast im Laufschritt und schon war er durch die offene Tür seinen Blicken entschwunden.
Karl wollte gerade nachsetzen, doch ein nochmaliger Blick auf seine Uhr hielt ihn zurück. Es war jetzt elf Uhr und fünfzig. Sei vernünftig, ermahnte er sich selbst. Du weißt jetzt, wo sie vermutlich gastiert und du brauchst unbedingt noch Geld.
Während der letzten Gedanken hatte er sich schon umgedreht und in einem leichten Dauerlauf den Rückzug angetreten. Mein Gott, schnaufte er nach einigen Metern, du bist auch nicht mehr der Jüngste. Ich glaube, du müsstest ein wenig mehr Sport treiben. Seine linke Seite fing an zu stechen, so dass er immer langsamer wurde und schließlich nur noch im Schritttempo vorankam.
Nach der letzten Biegung sah er in der Verlängerung der Promenadenallee die Inselbank. Zehn Meter vor dem Eingang schloss er den Schirm und schaute nochmals auf die Uhr. Es war genau fünf vor zwölf.
Geschafft, dachte er erleichtert. Fast gleichzeitig wollte offenbar ein Landstreicher die Bank betreten. Karl Padow machte ihm freiwillig Platz, weil dieser einen unangenehmen Geruch verbreitete. Durch seinen plötzlichen Halt wäre ihm beinahe eine alte Dame in die Hacken getreten. Er drehte sich zu ihr um, bat um Entschuldigung, zeigte auf den Penner und hielt sich die Nase zu. Die Frau verstand lächelnd und dann waren alle drei in der Bank verschwunden.
Eines hatte Padow nicht gesehen. Ein jüngerer Mann mit einem hoch geschlossenen Rollkragenpullover lief nervös vor der Bank auf und ab.
Matthießen verabschiedete einen sehr schwierigen Kunden, atmete einmal tief durch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute kurz zu Elke Mommsen hinüber.
War das heute ein verflixter Vormittag gewesen. Die Kunden hatten sich die Klinke in die Hand gegeben. Solch ein Andrang war nicht zu erwarten gewesen und das ausgerechnet heute. Nicht einmal die Zeit, mit seiner Kassiererin das Wichtigste zu besprechen, hatte er gefunden. Er dachte an sein Versprechen, zuckte mit den Schultern und seufzte.
„Na, Frau Mommsen, das war ja wie verhext heute. Zu dumm, wir werden wohl doch noch Überstunden einlegen müssen. Ich werde schon mal meine Frau anrufen, dass sie sich seelisch darauf vorbereitet, was meinen Sie?“
„Aber Chef, Sie wollen doch in den Urlaub.“
Die Kassiererin wollte unbedingt ihr Zuspätkommen wieder gutmachen.
Er blieb zwar skeptisch, telefonierte aber nicht, sondern bat sie, Kaffee aufzusetzen. Behutsam fasste er an ihre Schulter.
„Sie werden es schon schaffen.“
„Möchten Sie mehr als zwei Tassen?“ drehte sich Elke Mommsen zu ihm um und ging dabei nicht auf ihn ein. Der Banker wollte gerade antworten, da ging die Tür auf und nacheinander betraten drei Kunden die Filiale, vorneweg ein Mann, zerlumpt und völlig durchnässt, gefolgt von einem Herrn, der gerade seinen Hut zog und die Regentropfen abschlug. Als letztes erkannte er Erna Jensen, eine langjährige Kundin, die ihren Schirm in den Ständer steckte.
Auch das noch, würgte er seinen Ärger hinunter.
Missgelaunt ging sein Blick zur Uhr. Es war genau fünf vor zwölf.