Читать книгу Plötzlich auf Föhr - Rainer Ballnus - Страница 4

Sie wollte wissen, wie spät es ist…

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…Laut aufstöhnend drehte die kranke Frau im Bett mühsam ihren Kopf in Richtung Radiowecker. Jede Bewegung, jede Drehung bereitete ihr starke Schmerzen.

Acht Uhr in der Frühe. Was mag den Jungen so früh aus der Wohnung getrieben haben? Das war doch sonst nicht seine Art, er, der immer gern lange schlief und der ein ganzes Semester an der Uni hatte wiederholen müssen, weil er einige Vorlesungen regelrecht verschlafen und am Ende seine „Scheine“, wie er die Zertifikate in einer bestimmten Disziplin immer nannte, nicht bekommen hatte. Auf ihren gut gemeinten Rat, doch ein wenig zielstrebiger zu arbeiten, hatte ihr Sohn immer nur lächelnd genickt und Besserung gelobt. Aber es wurde nicht besser. Im Gegenteil, wenn sie ihn recht verstanden hatte, drohte er sogar, durch das Examen zu fallen.

Was sie am meisten beunruhigte, war, dass er offensichtlich sehr darauf bedacht gewesen war, seine Mutter heute Morgen nicht zu wecken. Sie konnte nicht sagen, dass ihr Sohn sonst rücksichtslos war, aber er ließ schon mal gern die Türen laut ins Schloss fallen oder verursachte mit seinen Holzsandalen klappernde Geräusche, die sie bei jedem Tritt zusammenzucken ließen.

Seufzend nahm sie ihren Kopf wieder zurück, versuchte, sich im Bett ein wenig aufzurichten, drehte den Körper ganz langsam zur anderen Seite und griff ebenso bedächtig nach dem gefüllten Wasserglas. Es war ihr nicht entgangen, dass ihr Sohn Wasser nachgefüllt hatte, bevor er die Wohnung verließ. Und das war eben die andere Seite von ihm. Er kümmerte sich rührend um seine schwer erkrankte Mutter, forschte im Internet nach immer neuen Möglichkeiten, um diese schlimmen chronischen Schmerzen wenigstens eindämmen zu können. Natürlich hatte er auch an der Uni, an der er Medizin studierte, alle möglichen Kontakte genutzt, um geeignete Therapien herauszufinden. Allerdings bisher nicht mit durchschlagendem Erfolg.

Junge, nimm es nicht so schwer, hatte sie ihm stets tröstend geantwortet, wenn die eine oder andere empfohlene Tablette oder die Tropfen oder andere therapeutische Schritte nicht entscheidende Besserung, Linderung brachten.

Mit zittriger Hand ergriff sie das Wasserglas und führte es unter Schmerzen zum Mund. Schluckweise nahm sie das Wasser zu sich, leerte es auf diese Weise und lehnte sich erschöpft zurück. In diesem Moment hörte sie das Herumdrehen des Schlüssels in der Wohnungstür.

„Weißt du Klaus, am meisten freue ich mich auf die vielen Langläufe, die wir ge­meinsam unternehmen werden.“

Irene schmierte ihrem Mann wie üblich zwei Butterschnitten.

„Die Hauptsache für mich ist, dass wir zwei wie­der einmal ohne Pflichten so richtig ausspannen und abends ausgehen können“, gab er zurück und blickte sie gutgelaunt an.

„Verdient hast du es al­lemal“, füg­te er noch hinzu und zwinker­te mit den Augen.

„Na, du ja erst recht!“, meinte sie und strich ihm zärt­lich über sein schon leicht ergrautes Haar.

Seit zwölf Jahren war er jetzt Fi­lial­leiter in der Inselbank. Sie schau­te ein ganz klein wenig stolz auf ihren Mann.

Vor dreißig Jahren hatte sie mit ih­ren Eltern zum ersten Mal Urlaub auf dieser In­sel gemacht. Sie war ganz be­geistert gewesen von dieser Familienidylle mit dem herrlichen Strand. Alles war so beschaulich gewesen und mit der Hek­tik in Kiel gar nicht zu ver­gleichen. Dort hatten sie mitten in der City in ei­ner Zweieinhalbzimmer-Wohnung beengt le­ben müssen.

Sie konnte sich noch heute ganz genau an ihre erste Begegnung erinnern: Nach einer Woche Urlaub war ihr damals das Ta­schengeld ausgegangen und sie hatte von ihrem Sparkon­to noch einen kleinen ‚Nach­schlag’ abheben wollen. Da waren sie sich zum er­sten Male in der Inselbank am Schalter für Spareinla­gen begegnet, er schüchtern und mit Brille.

Irgendwie hatte es gleich bei beiden ge­funkt. Denn noch am selben Abend waren sie verabre­det gewesen und schon ein Jahr später ver­hei­ratet.

Viele Kinder hatten sie sich ge­wünscht. Irene seufzte tief, denn daraus war leider nichts ge­worden. Aber auf die Insel war sie mit ihm gezogen und sie waren glücklich.

Längst wa­ren ihrem Mann von der Zentrale Angebote un­terbreitet worden, andere größere Filialen auf dem Festland zu übernehmen. Aber beide waren so verbunden mit diesem Stückchen Er­de, dass er jedes Mal abgelehnt hatte. Sie hatten ein gutes Auskommen und viele Freun­de, auf die sie sich wirk­lich ver­lassen konnten.

Auch bei diesem Urlaub, den sie jetzt in den Bergen planten, war es eine Selbstver­ständlichkeit, dass ihre Nach­barn die beiden Katzen versorgten und auch sonst nach dem Rechten sehen würden.

Ja, sie konnten sich schon glücklich schätzen und morgen sollte es in aller Frühe losgehen. Wenn al­les gut ging und der Autoverkehr ih­nen keinen Strich durch die Rechnung machte, dann könnten sie in der Nähe von Seefeld in Österreich ihr Appartement beziehen und sich genüsslich ih­rem Punsch widmen.

„Denk' bitte daran, dass wir diesmal mei­ne neuen Bergstiefel mitnehmen“, un­terbrach Klaus Matthießen ihre Gedanken.

„Und du ver­giss nicht, heute pünktlich nach Hause zu kommen. Du weißt ja, wir müssen früh schla­fen gehen“, mahnte Irene ganz bewusst. Sie kannte ihn nur zu genau. Da kamen dann kurz vor 16.00 Uhr noch altbekannte Kunden und schon wurde ein kleiner Plausch gehal­ten, der nicht selten in der gemütli­chen Gast­stätte genau gegenüber der Bank fort­gesetzt wurde.

Kundenbetreuung nannte ihr Mann das, wenn er gelegentlich leicht ange­heitert nach der Tages­schau ziemlich klein­laut bei ihr um Verzeihung bat.

„Na klar, Liebes! Das verspreche ich dir. Heute komme ich superpünktlich“, sprach's, nahm seinen Hut und Mantel, gab seiner Frau einen Kuss und machte sich auf den zehnminütigen Fußweg zu seiner geliebten Bank.

Dabei hatte er ein fröhliches Lied auf den Lip­pen. Er sah wirklich keinen Grund, warum er ausgerech­net heute sein Versprechen nicht einhalten sollte, wo es doch in den wohlverdienten Urlaub ging. Und doch sollte es anders kommen, ganz anders.

Gähnend reckte sich Karl in dem be­quemen Bett. Mit der rechten Hand taste­te er nach der Uhr auf dem Nachttisch. Ach du lie­be Zeit, schon halb elf, stellte er er­schrocken fest.

Wirklich höchste Eisenbahn, wenn du es noch schaffen willst, am Vormittag zur Bank zu gehen.

Das Geld rann einem auch nur so durch die Finger; und da­zu noch das neue Kleid für Madam.

Ohne die Augenlider zu bewegen, fuhr er mit der linken Hand auf dem Bettlaken ent­lang, bis er den Oberschenkel seiner Frau spürte. Er war erst ver­sucht, ihn zu strei­cheln. Doch irgendetwas hielt ihn heute davon ab. Der gestrige Abend kam ihm in Erinnerung. Er hatte wirklich sehr nett angefangen und seine Frau war besonders bemüht gewesen, ihm zu ge­fallen.

Das konnte er ja wohl auch er­warten, bei dem Preis für den „Fummel“, grinste er vor sich hin.

Doch dann kam an dem Abend die große Wende.

Eine Frau, ach was Frau, ein ras­siges Weib war schuld dar­an. Sie hatte mit einem männlichen Begleiter am Ne­ben­tisch Platz ge­nommen. Zufällig war ihr Stuhl so günstig gestellt gewesen, dass sich ihre Blicke gleich darauf getroffen hatten - und hängen geblieben waren.

Das war ein Gefühl gewesen, durchzog es ihn auch heute Morgen noch.

Zuerst zögerlich, dann immer drei­ster werdend hatte er den Augenkontakt gesucht und Gefallen an diesem Spiel­chen gefunden, so dass sich seine Frau darüber beschwerte, sie nicht gebührend beachtet zu haben.

„Sind Sie noch länger hier?“, hatte die attrakti­ve Blonde ihn bei einer flüchtigen Begegnung an der Bar gefragt und dabei durch­blicken lassen, dass sie sich den ganzen Win­ter auf dieser herr­lichen Nordsee­insel erholen würde.

Er hätte beinahe die beiden Mixge­tränke für seine Frau und sich fal­len gelassen, so erschroc­ken war er über ihren 'Vorstoß' gewesen.

„Wie man's nimmt, eine Woche“, hatte er stot­ternd geantwortet und dann war auch schon seine Frau bei ihm gewesen, um ihm die Gläser aus der Hand zu­ neh­men und ihn zum näch­sten Tanz zu bitten. Da­menwahl hatte es ge­heißen.

Ob sie etwas gemerkt hatte? Ich glaube nicht, beruhigte er sich, sie war wie immer gewesen. Ja, wie immer, das war es doch, was ihm nicht mehr gefiel. Alles war Gewohnheit ge­worden - auch das Liebesle­ben.

Sicher, er konnte sich nicht be­schweren, sie war immer für ihn da, aber irgendwie war es immer das Gleiche.

Gedanklich hatte er schon einige Ma­le mit dem Reiz einer neuen Begegnung gespielt, aber eben nur gedanklich. Und nun tat sich zum ersten Mal eine rea­le Chance auf. War es wirklich eine solche oder war es vielleicht nur eine so da­hin geworfene Bemerkung? Aber nein, diese glutvollen Blicke waren doch so einla­dend, so viel versprechend gewesen.

„Karl! Bist Du wach?“

Seine Frau war es, die ihn so abrupt aus seinen schwel­genden Gedanken riss.

Diese Stimme - so schrill! Sie ging ihm im Au­genblick so richtig auf die Nerven und sofort war er wieder bei der Schönen mit ih­rem so melodischen und sanften Gesäusel.

„Karl! So antworte doch! Ich weiß doch, dass du wach bist! Koch' bitte den Kaffee, aber nicht so stark, wenn ich bitten darf!“

„Schrei' doch nicht so!“, gab er unwirsch zu­rück und schlug die Bettdecke zurück. Er hatte ohnehin keine Lust mehr, neben ihr im Bett zu liegen.

Sie treibt mich ja regelrecht in die Arme der Blonden, dachte er, schlüpf­te in seine Pan­toffeln und war gerade auf dem Weg ins Bad, als Herta ihm hinterher keifte:

„Ich schrei' ja gar nicht! Du brüllst doch!“

Das hörst du dir nicht mehr länger an, grollte er innerlich und knallte die Badezimmer­tür hinter sich recht unsanft ins Schloss.

Dabei hatte der Urlaub so gut ange­fan­gen. Er war Beamter und hatte es nicht ver­hindern können, vor vier Wochen befördert worden zu sein. Weißt du was, hatte er sei­ner Frau vorgeschlagen, wir fahren nach Wyk auf Föhr und machen mal ganz allein zwei Wo­chen Urlaub. Wir sollten einmal so richtig ausspannen. Die Kinder sind ja schließlich schon groß und können sich von den Omas ver­wöhnen lassen.

Begeistert hatte sie zugestimmt. Sie liebte die­se Insel besonders. Zum einen be­k­am ihr das Klima recht gut und zum anderen hatte sie immerhin in jun­gen Jahren zwei Jahre als Erzieherin auf diesem Fleck­chen Erde gearbeitet. So war es ihr nicht schwer gefallen, die Bedenken wegen der zu­rückbleibenden Kin­der zu zerstreuen und die­se Reise mit ihrem Mann festzumachen - eine Reise, an die beide noch lange denken soll­ten.

Eine halbe Stunde später beim Frühstück.

„Was hast du heute vor, Herta?“, er­kundig­te sich Karl scheinheilig und kau­te dabei genüsslich sein Brötchen.

„Warum fragst du?“, gab Herta leicht ge­reizt zurück. Sie mochte diese Art Fragen nicht. Sie fühlte sich dabei immer so ausgehorcht.

„Du kannst auch nur mit Gegenfragen antworten!“, schoss er zurück.

Wie er das hasste und so­fort waren seine Gedan­ken wieder bei der Blonden. Plötzlich stand sein Entschluss fest: Du wirst dich mit ihr treffen, gleich heute nach deinem Bankbesuch. Er musste sie nur ausfin­dig machen, aber das dürf­te jetzt im Winter wohl kein Problem be­deuten.

„Darf man wissen, was du heute zu tun gedenkst?“, unterbrach sei­ne Frau ihn in seinen Plänen.

„Ich - ich wollte eigentlich zur Bank und dann hatte ich die Absicht, mich - äh - ein wenig am Hafen herumzu­treiben“, log er frech.

„Zum Mittagessen habe ich gar keine Mei­nung heu­te. Kommst du mit?“, meinte er noch beiläufig und lauerte auf ihre Antwort.

„Du mit deinem Hafen, bei dem Regen, nein danke. Ich werde wohl in meinem Buch weiterschmökern.“

Erleichtert lehnte er sich zu­rück. Der erste Schritt wäre also getan.

„Gut, mein Liebling! Mach’ es dir bequem, hörst du“, heuchelte er liebevoll, sprang von seinem Sitz hoch und rückte ihren Stuhl nach hinten, als sie aufstand.

„Übernimm dich nur nicht. Irgend­wie bist du ja plötzlich so höflich. Stimmt irgendetwas nicht mit dir?“, meinte sie ironisch, aber überhaupt nicht misstrauisch. Karl lächelte fast ein wenig verlegen. Er war aber zufrieden mit diesem Dialog, holte sich aus dem Appartement Mantel und Schirm und trat auf die regennasse Straße. Auch er konnte nicht ahnen, was in den nächsten Stunden plötzlich über dieser ruhigen und beschaulichen Insel Föhr hereinbrach.

„Elke, du musst aufstehen! Du weißt, Herr Matthießen sieht es nicht gern, wenn du zu spät kommst.“

Mit einem leicht ärger­lichen Ton­fall ermahnte Peter seine junge Frau.

Sie lag da im Bett auf dem Rücken und starrte gegen die Decke. Eigentlich kann sie einem leidtun, dach­te er. Wahrscheinlich hatte sie wie­der ihre depressive Phase. Er meinte das nicht abfäl­lig, sondern eher etwas mit­leidig. Er konnte ihr so wenig helfen.

Angefangen hatte es vor drei Jahren. Zu­erst war ihr immer übel geworden, einfach nur so, ohne ersichtli­chen Grund. Die Ärzte hatten sie auf den Kopf ge­stellt, aber keinen orga­nischen Befund erheben können.

Wahrschein­lich eine vegetative Dystonie, lautete die lapidare Diagnose. Sie sollte es einmal mit dem Auto­genen Training versuchen, hieß der ärztliche Rat­schlag. Damit kam sie nun gar nicht zurecht. Im Ge­genteil, zu der Übelkeit kamen noch Lustlosigkeit und so eine Art Lebensverdruss hinzu.

Es gab Tage, da war sie einfach nicht aus dem Bett zu bringen. Völ­lig apathisch lag sie da und tat einfach nichts. Zunächst war ihr Pe­ter mit viel Lie­be entgegengekommen. Aber das hatte sie auch nicht haben wol­len und so kam es, dass er hin und wie­der auch ein wenig unwirsch wurde und ihr gelegentlich vorhielt, sich nicht im­mer so anzustellen und dass sie sich gefälligst zusam­menreißen sollte. Sie war daraufhin in Weinkrämpfe verfal­len und hatte sich noch mehr zurückgezo­gen.

Schließlich waren sie bei einem Psychia­ter ge­landet. Der hatte viel Ge­duld mit El­ke. Mit Ge­sprächstherapie und medikamentöser Unterstützung war es ihm gelungen, ihr wie­der ein bisschen Lebens­mut einzuflößen. Aber ab und zu gab es eben einen solchen 'Ein­bruch' wie heute Morgen.

„Elke, hörst du nicht, es wird höch­ste Zeit!“, wiederholte Peter seine Mah­nung, diesmal etwas schär­fer.

In der Bank, in der sie als Kassie­rerin arbeite­te, war man ihr sehr rück­sichtsvoll begegnet. Immer, wenn es sie sehr schwer er­wischt hatte, war der Fi­lialleiter zur Stelle gewesen und hatte sich sehr einsich­tig gezeigt. Manchmal hatte er sie auch nach Hause bringen lassen. Aber irgendwo gab es natürlich auch Grenzen. So hatte er ihr vor eini­ger Zeit doch geraten, eine längere Spezialkur anzutreten, um ihre völlige Arbeits­kraft wiederzuerlangen. Daraufhin hat­te sie drei Tage überhaupt nicht ge­arbeitet. So sehr war ihr diese Emp­fehlung ‚unter die Haut’ gegangen. Erst nach ei­ner Entschuldigung des Chefs und dem zarten Hinweis, dass er es ja nur gut ge­meint hätte, war sie wieder zur Arbeit zu be­wegen gewesen.

„Ich glaube, ich lasse mich krank­schrei­ben; ich schaff' es sowieso nicht ohne ihn“, klagte Elke, ohne Anstalten zu machen, das Bett zu verlassen. „Er fährt einfach in den Urlaub und lässt mich mit dem ganzen Kram al­leine“, fuhr sie kraftlos fort.

Ach daher weht der Wind, verstand Peter. Dabei war doch alles abgespro­chen. Schon seit Wochen hatte Elke von nichts anderem berichtet, dass der Chef jede Kleinigkeit mit ihr besprochen und auch dafür gesorgt hätte, dass von der Zentrale jemand zwei- oder drei­mal in der Woche zur Unterstützung kommen soll­te.

Immer und immer wieder hatte Klaus Matthießen nachgefragt, ob sie mit allem einverstanden sei und ob sie es auch schaf­fen werde. Und Elke war recht zuver­sichtlich; sie war sogar ein wenig stolz, dass der Chef ihr so viel Vertrau­en entgegenbrachte und nun heute Morgen dieser Rückfall.

Peter ver­spürte Ärger in sich aufkommen. Du musst dich jetzt zusammennehmen, gab er sich selbst den Rat, sonst ist alles vorbei und Elke müsste dann doch zukünftig mit einer an­deren Tätigkeit auf dem Festland rech­nen.

Klaus Matthießen hatte ihm gegen­über schon einmal so eine Andeutung ge­macht. Das wäre wiederum nicht auszuden­ken, mit der Fahrerei und mit dem, was sonst noch daran hing.

Also, was tun, fragte er sich. Die größte Aussicht auf Erfolg sah er darin, in ihr die Verant­wortung noch einmal groß zu ma­chen, die der Chef ihr übertragen hatte.

„Du wirst die tragende Kraft in den näch­sten vierzehn Tagen sein und das wird dir Auftrieb geben“, versuchte er es. Elke hob den Kopf.

„Meinst du wirk­lich?“

Mein Gott, es schien zu klappen, frohlock­te Pe­ter. Er biss sich auf die Lippen und suchte nach einer passenden Antwort.

„Du hast viel geleistet in eu­rer Bank.“

„Du hast recht Pe­ter, Herr Matthießen soll sich freuen, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt.“

Was dann kam, fühlte sich für Peter fast wie ein Wunder an, denn solch eine Reaktion hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Beinahe schwungvoll kam seine Frau aus den Fe­dern und ging ins Bad.

Er at­mete erleichtert aus. Wer weiß, wie lan­ge das anhält, kamen ihm jedoch gleich wie­der Zwei­fel. Hoffent­lich verlief der letzte Tag heute mit dem Chef harmonisch. Es durf­te nichts Unvorhergesehenes dazwischenkom­men, gingen seine Gedanken weiter. Er konnte nicht wissen, dass er mit seiner gut ge­mein­ten Hilfestellung, seine Frau zur Arbeit zu bewegen, eine neue Schicksalsrunde für sie beide eingeläutet hatte.

So ein Schmuddelwetter, schüttelte sich Karl Padow und hielt den Schirm krampfhaft gegen die Regenböen. Noch ei­ne Querstraße, dann hast du es ge­schafft, machte er sich Mut. Den Blick auf das nasse Pflaster ge­rich­tet, um so die Pfützen zu umgehen, bahn­te er sich seinen Weg durch die schmale Gas­se.

Wie viel Geld kann ich eigentlich abhe­ben, ohne dass Herta darüber stolpert, rech­ne­te er durch und war mit seinen Gedanken bei der Blonden.

Rums - der Schirm krach­te gegen ei­nen Laternenpfahl und Padow wäre beinahe ins Stolpern geraten, wenn ihm nicht ein entge­genkommender Herr rechtzeitig unter die Arme gegriffen und so vor einem Sturz be­wahrt hätte.

Dankbar drehte er sich um und blieb ruckartig stehen. Das war doch die männli­che Begleitung seines Schwarms. Blitz­schnell drehte er sich nach allen Seiten um, konnte sie aber nirgendwo entdecken.

Seine Gedanken überschlugen sich. Er schaute auf die Uhr: Zwanzig vor zwölf. Er wusste, dass die Bank in zwanzig Minuten schlie­ßen würde. So hatte er noch ein paar Mi­nuten Zeit, dem Mann zu folgen. Er würde ihn sicherlich zum Hotel seiner Neuentdeckung führen, so meinte er.

Padow wechselte die Stra­ßenseite, um nicht gleich aufzufallen.

Der andere schien eine feste Adresse im Auge zu ha­ben, denn er ging schnurstracks auf das Ho­tel 'Meeresrauschen' zu.

Sollte ich so ein Glück haben, frohlockte Padow und richtig, sein Helfer ging auf die andere Straßen­sei­te, nahm die Eingangsstufen zum Hotel fast im Laufschritt und schon war er durch die offene Tür sei­nen Blicken ent­schwunden.

Karl wollte gerade nachsetzen, doch ein nochmaliger Blick auf seine Uhr hielt ihn zurück. Es war jetzt elf Uhr und fünfzig. Sei vernünftig, ermahnte er sich selbst. Du weißt jetzt, wo sie ver­mutlich gastiert und du brauchst unbe­dingt noch Geld.

Während der letzten Gedanken hatte er sich schon umge­dreht und in einem leichten Dauerlauf den Rückzug an­getreten. Mein Gott, schnaufte er nach eini­gen Metern, du bist auch nicht mehr der Jüngste. Ich glaube, du müsstest ein we­nig mehr Sport treiben. Seine linke Seite fing an zu stechen, so dass er immer langsa­mer wurde und schließlich nur noch im Schritttempo vor­ankam.

Nach der letzten Bie­gung sah er in der Verlängerung der Promenadenallee die Inselbank. Zehn Meter vor dem Ein­gang schloss er den Schirm und schaute nochmals auf die Uhr. Es war genau fünf vor zwölf.

Geschafft, dachte er erleich­tert. Fast gleichzeitig wollte offenbar ein Landstreicher die Bank betreten. Karl Padow machte ihm freiwillig Platz, weil dieser einen unange­nehmen Geruch ver­breite­te. Durch seinen plötzlichen Halt wäre ihm beinahe eine alte Dame in die Hacken getre­ten. Er drehte sich zu ihr um, bat um Ent­schuldigung, zeigte auf den Penner und hielt sich die Nase zu. Die Frau verstand lächelnd und dann waren alle drei in der Bank ver­schwunden.

Eines hatte Padow nicht gesehen. Ein jüngerer Mann mit einem hoch geschlossenen Rollkragenpull­over lief nervös vor der Bank auf und ab.

Matthießen verabschiedete einen sehr schwierigen Kunden, atmete einmal tief durch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute kurz zu Elke Mommsen hinüber.

War das heute ein ver­flixter Vormittag gewesen. Die Kunden hatten sich die Klinke in die Hand gege­ben. Solch ein An­drang war nicht zu erwarten gewesen und das ausgerechnet heute. Nicht einmal die Zeit, mit seiner Kassiererin das Wichtigste zu bespre­chen, hatte er gefunden. Er dachte an sein Versprechen, zuckte mit den Schultern und seufzte.

„Na, Frau Mommsen, das war ja wie ver­hext heute. Zu dumm, wir werden wohl doch noch Überstunden einlegen müssen. Ich werde schon mal meine Frau anrufen, dass sie sich seelisch darauf vorbereitet, was meinen Sie?“

„Aber Chef, Sie wollen doch in den Urlaub.“

Die Kas­siererin wollte unbedingt ihr Zuspätkommen wieder gutmachen.

Er blieb zwar skep­tisch, telefonierte aber nicht, sondern bat sie, Kaffee aufzusetzen. Behutsam fasste er an ihre Schulter.

„Sie werden es schon schaffen.“

„Möchten Sie mehr als zwei Tassen?“ drehte sich Elke Mommsen zu ihm um und ging dabei nicht auf ihn ein. Der Banker wollte gerade antworten, da ging die Tür auf und nacheinander betraten drei Kunden die Filiale, vorneweg ein Mann, zerlumpt und völlig durchnässt, ge­folgt von einem Herrn, der gerade seinen Hut zog und die Regentropfen abschlug. Als letztes erkannte er Erna Jensen, eine langjährige Kundin, die ih­ren Schirm in den Ständer steckte.

Auch das noch, würgte er seinen Ärger hinunter.

Missgelaunt ging sein Blick zur Uhr. Es war genau fünf vor zwölf.

Plötzlich auf Föhr

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