Читать книгу Plötzlich auf Föhr - Rainer Ballnus - Страница 6

„Ich sag’s nicht noch mal!

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Das ist ein Überfall! Alle an die Wand! Das Geld hier hinein!“

Alle schauten wie erstarrt zur Tür. Dort stand ein Mann im dunkelblauen Rollkragenpullover, der bis über das Kinn hochgezogen war. Der Kopf steckte in einer Strumpfmaske; die Nase war platt gedrückt. Er trug Handschuhe und drohte mit einem Revolver. In der linken Hand hielt er eine Plastiktüte hoch und ging da­mit auf die Kassiererin zu.

Matthießen erkannte die Gefahr sofort. Elke Mommsen in ihrer Kassenbox schwankte. Sie war wachsbleich im Gesicht und drohte, ohnmächtig zu werden. Er musste also handeln. Vorher drückte er allerdings noch unbemerkt auf den Knopf für den ‘stillen’ Alarm.

Doch er kam zu spät. Der Räuber machte zwei weitere Schritte auf die Kassiererin zu und brüllte sie an:

„Hier in die Tüte, aber dalli und keine Tricks!“

Jetzt galt es, einen klaren Kopf zu behalten. Elke Mommsen bereitete ihm große Sorgen; sie konnte sich selbst, aber auch die anderen in höchste Gefahr bringen.

„Geben Sie her, ich mach' das!“, rief er mit fester Stimme und war mit ein paar Schritten bei der Kassenbox.

„Wieso, ist das Fräulein unpässlich? Na meinetwegen, aber schnell muss es gehen!“

Der Filialleiter fasste vorsichtig die Tüte. Er hatte es jetzt nicht be­sonders eilig, denn er wollte der Polizei einen Vorsprung verschaffen. Betont langsam schloss er die Tür zur Kassenbox auf und in diesem Augenblick sackte seine Kas­siererin langsam in sich zusammen, streifte mit dem Kinn die Kante des Tresens und drohte nach hinten zu fallen. Blitzschnell sprang er zu und konnte gerade noch verhindern, dass sie mit dem Hinterkopf auf den Fliesenboden schlug.

Sein nächster Blick galt dem Täter.

„Einen Augenblick bitte, ich möchte die Frau nur kurz auf den Sessel zie­hen“, bat er mit leiser Stimme. Doch der Räuber richtete seine Waffe gezielt auf den Filialleiter und brüllte:

„Fallen las­sen! Sofort fallen lassen! Das Geld hinein, sonst knallt's!“

Matthießen erkannte den bitteren Ernst, ließ Elke sanft auf den Fußboden zurückgleiten, nahm die Tüte und zog die Geldschublade auf.

Die Kunden waren seit Beginn des Über­falls wie angewurzelt auf ihren Plätzen stehen ge­blieben. Niemand wagte jetzt, sich zu rühren oder doch?

Der Landstreicher meinte, eine günstige Chance zur Flucht erkannt zu haben. Vorsichtig setzte er seinen linken Fuß nach hinten und zog den rechten langsam nach. Schritt für Schritt kam er der Eingangstür näher. Er jubilierte innerlich. Von den anderen hatte nur Karl Padow das Manöver mitbekommen und überlegte gerade, ob er es auch noch schaf­fen würde, da hörte er die Rentnerin Erna Jensen lospoltern:

„Sie sollten sich schämen! Gehen Sie lieber einer ehrlichen Arbeit nach, Sie - Sie Verbrecher!“

Padow, Hans, aber auch der Filialleiter er­starrten. Alle blickten gebannt auf den Räu­ber.

Doch der schnauzte den Banker nur an: „Machen Sie weiter, Mann!“

Dann drehte er sich halb zur Rentnerin um und erkannte dabei sofort die Absicht des Landstreichers.

„He, du Stinkbolzen, was soll das denn werden? Zurück, marsch, marsch!!“

Unmissverständlich zielte er mit der Pistole auf den Landstreicher und dieser schlich wieder zurück an seinen alten Platz. Erna Jensen warf er noch einen wütenden Blick zu und auch Padow schüttelte missbilligend den Kopf. ‚Stinkbolzen’ hatte dieser Mensch zu ihm gesagt. Der Landstreicher, der auf den Namen Hans hörte, kochte innerlich. Er hatte bisher noch keine Bank ausgeraubt, obwohl – so reizlos war die Sache eigentlich gar nicht. Nur hier auf Föhr, nein, das kam nun überhaupt nicht infrage. Schließlich hatten sein Kumpel Paul und er in der letzten Zeit hier eine feste Bleibe gefunden.

Am Stadtrand sollte die Straße verbreitert werden und Paul hat­te einen Bauwagen ausgemacht, der nicht ver­schlossen gewesen war. Seit drei Wochen konnten sie jetzt schon ihre müden Glieder nachts auf den Sitz­bänken in der warmen Bude ausstrecken. Und wie es aussah, würde es noch einige Zeit so weitergehen können.

Zu­mindest meinte das sein Partner und der musste es ei­gentlich wissen, denn er hatte ja schließ­lich im Straßenbau gear­beitet, bevor er arbeitslos wurde.

Gearbeitet! Wann habe ich denn das letzte Mal 'malocht', musste er innerlich grinsen. Das dürfte jetzt schon runde zwanzig Jahre her sein, dass ich zum letzten Mal einen Spaten in der Hand gehabt habe.

In einer Gärt­nerei war er als ungelernte Kraft beschäftigt gewe­sen. Wie ein Stück Dreck hatten sie ihn behan­delt. Selbst dem Hund seines Arbeitgebers war es bes­ser ergangen als ihm, denn der wurde schließlich hin und wieder gestreichelt - aber er?

Und die Bezah­lung! Ganze 450 Mark hatte er damals auf die Hand bekommen und das bei der Schufterei, manchmal bis zu zehn Stunden am Tag.

Nein – das hatte er nun wahrlich nicht nötig. Du steigst jetzt aus und lebst von der Fürsorge, die ist schließ­lich höher als dein jämmerlicher Lohn und dann wirst du erst einmal die Welt kennen lernen.

Bei dem letzten Gedanken ver­zog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. Die Welt kennen lernen! In zwanzig Jahren war er von Krempe bei Itzehoe über Kiel, Schleswig, Heide, Husum und jetzt schließlich auf der Insel Föhr gelandet.

Hier gefiel es ihm am besten - auch wenn es Win­ter war. Trotzdem war es nicht so kalt wie auf dem Festland und noch etwas kam hinzu: Die Leute waren richtig nett zu ihm.

„Hans, besorg' uns doch ein paar Bröt­chen und 'ne Buddel Bier. Ich hab' noch zwei Euro und fünfzig Cent in der rechten Ho­sentasche.“ Das hatte Paul ihm noch nachgerufen, als er heute Morgen den Bauwagen verließ. Ja, der gute Paul. Ihm war es auch nicht besser er­gangen. In Kiel hatte er ihn auf einer Parkbank ge­troffen. Dort hatte er ihm seine ganze Lebensgeschich­te anvertraut. Dem war inzwischen alles egal. Per­sönli­che Ziele hatte er überhaupt keine mehr. Die Hauptsache für seinen Partner war, dass er bei ihm war.

Er dagegen träumte immer noch vom gro­ßen Gewinn. Trotz der zwanzig Jahre des Her­umzigeunerns hoffte er, dass es ihm eines Tages noch einmal blendend ergehen würde - ohne zu arbei­ten, ver­steht sich. Er vertraute dabei ganz und gar auf sein Glück. Und so lei­stete er sich auch den einzigen Lu­xus, einmal in der Woche Lotto zu spielen.

Irgendwann musste es einfach klappen und dann, dann zeige ich es allen - ich der 'Große-Hans-im-Glück'.

„Ne, Paul, ich habe heute keine Lust und auch gar keine Zeit. Du weißt doch, es ist Freitag, da brauche ich meine Lottozah­len. Du solltest es auch einmal versuchen, an­statt dir den Wanst mit Brötchen vollzuschlagen. Mach's gut“, hatte er ihm kopfschüttelnd geantwortet.

„Du mit deinen albernen Zahlen. Wie viel Bier du dir dafür schon 'reinzie­hen' könn­test. Wir sehen uns sicherlich später an der Promenade, wenn du deine dämlichen Lottozah­len gefunden hast“, hatte Paul ihm spöttisch hinterher gerufen. Und obwohl die Situation mehr als ernst war, musste Hans jetzt schmunzeln. Ja, so war es wirk­lich. Je­den Freitag zog er morgens an den Strand und 'such­te' sich seine Lottozahlen. Entweder zählte er alle Schiffe auf dem Meer, die er auf den er­sten Blick ausmachen konnte, oder aber eine Hausnum­mer musste dafür herhalten. Manch­mal zählte er auch die Spa­ziergänger, die er zu Gesicht bekam. Und so war er auch heute Morgen losmarschiert.

„Du 'Klugscheißer', pass' mal auf. Heute lande ich bestimmt den Volltreffer!“, hatte er bereits im Gehen und mit drohendem Arm dem in der Bauwagentür stehenden Paul zugerufen und der hatte noch gekontert: „Pass' nur auf, dass dich heute nicht die ‚Bullen’ kassieren!“

Und nun? Nun war er zwar nicht von den Bullen geschnappt worden, dafür aber Zeuge eines Banküberfalls! So etwas hatte er noch nie erlebt! Unglaublich!

„Oh, das tut mir leid.“ Die Rentnerin holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Ihr war jetzt wohl selbst bewusst geworden, was sie angerich­tet hatte, denn sie hielt erschrocken die Hand vor den offenen Mund.

Der Räuber dreht sich gerade wieder zum Filialleiter um, da hörten sie es alle: das laute Martinshorn. Über die Gesichter der Kunden huschte Erleichterung, doch dem Filialleiter blieb fast das Herz stehen.

Auch der Gangster erkannte natürlich die für ihn brenzlige Situation sofort, langte mit der linken Hand durch die vordere Öffnung der gläsernen Kassenbox, bedrohte die Kunden mit der Waffe und schrie:

„Los! Her mit dem Geld!“

Matthießen zögerte für einige Sekunden, doch dann gab er nach.

Der Mann riss ihm die Tüte aus der Hand, dann raste er zur Tür und stieß sie auf.

Draußen quietschten Brem­sen.

Der Ganove stoppte abrupt, machte einen Schritt zurück in die Bank und schlug die Tür von innen zu. Der Filialleiter hatte für den kurzen Moment den Polizeibeam­ten Feller erkannt und verdrehte die Augen. Der Gangster brüllte:

„Wo ist der Schlüssel für die Tür? Los! Schließen Sie schnell ab!“

Und Matthießen hörte noch ein leises: „So ein gottverdammter Mist.“

Der Filialleiter hatte sich wieder einigerma­ßen im Griff und reagierte ruhig.

„Den hat die Kassiererin in der Ta­sche. Einen Augenblick, ich hole ihn sofort.“

„Los! Mann! Beeilen Sie sich!“

Für einen Augenblick stutzte Klaus Matthießen. Da schwang so etwas wie Angst mit in seiner Stimme. Doch egal, er musste jetzt gehorchen. Er warf noch einen Blick zu den Kunden. Die drei standen verschüchtert in der äußersten Ecke. Die beiden Männer stützten die Rentnerin, über deren Wangen ein paar Tränen liefen. Bei Elke Mommsen angelangt, bückte er sich und zog aus ihrer Rockta­sche den Schlüssel für die Eingangstür. Gerade wollte er wieder hochkommen, da bewegte sie sich. Sie riss ihre Augen weit auf und schrie hy­sterisch:

„Ist er weg?“

Matthießen bückte sich schnell, hielt den Zeigefinger vor sei­nen Mund und flüsterte ihr zu:

„Nein, er ist noch da, aber beruhigen Sie sich, es wird alles gut werden.“

„Was quatschen Sie denn da? Wo bleibt der Schlüssel?“

Die Stimme des Räubers überschlug sich.

Hoffentlich ging das gut, dachte er. Aber es ging nicht gut. Elke Mommsen sprang wie von der Tarantel gesto­chen auf, lief schreiend aus der Kassenbox, rannte auf den Räuber zu und warf sich vor ihm auf die Knie. Mit gefalteten Hän­den flehte sie:

„Bitte, bitte, lassen Sie mich raus! Lassen Sie mich raus!“

Dann sackte sie in sich zusammen und schluchzte laut.

Der Verbrecher drehte sich halb um. Er machte einen kurzen Schritt zurück. Matthießen erkannte seine Unschlüssigkeit.

„Schaffen Sie mir die Frau vom Hals!“

Der Chef der Bank war zwischenzeit­lich aus der Kassenbox herausgetreten. In seiner Hand hielt er den Schlüssel. Der Räuber nahm ihn an sich, ging rückwärts zur Tür, schloss blitzschnell ab und drehte sich sofort wieder um.

Matthießen hatte die Kassie­rerin unter beide Arme gefasst und wollte sie zurückziehen, doch sie schrie und zap­pelte.

„Ich will hier raus! Ich will hier raus!“

Von den Kunden hatte sich Karl Padow gelöst und war ein paar Schritte auf den Ganoven zugegangen.

„Darf ich der Frau helfen?“ fragte er mit belegter Stimme.

„Meinetwegen, aber stellen Sie sie ruhig, sonst passiert hier etwas!“

Er wirkte einen Deut verbindlicher.

Die beiden Männer trugen die Frau in das Büro des Lei­ters. Ihr lautes Schreien war zu einem lei­sen Gewimmer geworden.

Der Geiselgangster drehte sich zu den beiden anderen Kunden um und zeigte mit der Pistole auf Hans.

„He, Sie! Ziehen Sie die Gar­dinen zu, aber ein bisschen plötzlich!“

Der Landstreicher beeilte sich, dem nachzukommen. Immerhin hatte er ihn gesiezt und nicht als Stinkbolzen tituliert. Doch er schimpfte mit sich selbst. Wäre er doch bloß nicht auf die blödsinnige Idee gekommen, diesen Dollarschein hier einzutauschen. Er hätte doch wie immer freitags seine Lottozahlen, die er auch heute mit einem festen Ritual zusammengetragen hatte, zur Lotto-Annahmestelle bringen sollen. Das war ja auch seine Absicht gewesen, bis, ja bis er ein Stück Papier auf den nassen Fußgängerweg fallen sah. Völlig durchnässt hatte er hochgeschaut und einige Meter vor ihm einen Mann ge­hen sehen, der den Mantel hinten hochge­schlagen und offensichtlich eine Geld­börse in die Ge­säßtasche gesteckt hatte. Hans war aber nicht zu faul gewesen, sich nach dem Papierfetzen zu bücken, schließlich konnte man ja nie wissen. Sehr bald war ihm bewusst geworden, einen Geldschein in der Hand zu halten, zwar einen komischen, wie er meinte, aber dann war ihm klar, was er gefunden hatte, eine Zehn-Dollar-Note. Der Mann vor ihm war längst nicht mehr zu sehen. Gerade hatte er den Schein zusammengeknüllt und ihn wegwerfen wollen, da war ihm die glorreiche Idee gekommen, dass man ihn durchaus zu Geld machen konnte. Zwar hatte er überhaupt keine Ahnung, wie viel der Schein wert war, aber ein paar Euro würden schon dabei herausspringen. Und jetzt? Diese Idee war die blödsinnigste in seinem Leben gewesen und überhaupt nicht glorreich, wie er es sofort zu spüren bekam.

„Geht’s auch ein bisschen schneller?“, fauchte der Gangster ihm hinterher. Hans zog die letzte Gardine zu und wollte wieder auf seinen alten Platz zurückkehren.

„So und jetzt alle zurück in den Raum!“, schrie der Räuber weiter. Dabei zeigte er auf das Büro des Filiallei­ters.

„Das haben Sie da draußen den Bullen zu verdanken. Alle bleiben jetzt hier. Wol­len doch mal sehen, wer hier am längeren He­bel sitzt!“

Und zum Banker gewandt: „Schalten Sie sofort das Licht überall aus!“

Dem war es gerade gelungen, Elke ein wenig zu beruhigen. Sie lag jetzt still auf der Couch. Aber er hatte Angst um sie, wusste er doch zu genau, wie krank sie war. Vorsichtig ließ er ihren Kopf auf die Couchlehne zurück gleiten, kam aus der Hocke hoch, ging langsam die paar Schritte aus seinem Büro in den Bankraum und steuerte die Lichtschalterreihe rechts neben der Eingangstür an.

„Halt! Wohin, Mann?“ schnauzte ihn der Täter an.

Er stand mitten in der Bank.

„Die Schalter, sie sind neben der Tür“, erklärte Matthießen nüchtern.

Der Räuber blieb misstrauisch, nickte aber.

„So­fort wieder zurückkommen!“

Der Banker nickte. Für ihn war es gar keine Frage, hier zu bleiben. Er fühlte sich wie ein Kapitän auf einem Schiff. Nur als Letzter würde er von Bord gehen. Nach dem Ausschalten der Leuchten wurde es richtig 'schummrig' in der Bank. Er warf einen kur­zen Blick durch die nicht ganz verdeckte Fensterscheibe nach draußen und sah, wie Feller über Funk mit jemandem sprach und entdeckte auch einen zweiten Streifenwagen mit dem Polizeichef von Wyk. Diese Trottel, dachte er bei sich.

„Kommen Sie her, Mann!“ hörte er den Verbrecher hinter sich.

„Hier hinein!“

Er zeigte mit der Pistole in der Hand auf die Bürotür.

In diesem Moment kam die Rentnerin auf­geregt aus dem Raum herausgestürzt und flehte den Räuber an:

„Ich glaub', die Frau da drinnen stirbt, bitte, lassen Sie sie frei. Sie haben doch noch uns!“

Dabei schaute sie den Geiselgangster mit ihren faltenreichen Augen an. Sie hatte keine Angst mehr. Ihr Mann machte ihr zwar auch Sorgen, doch im Augenblick ging es ihr wirklich nur um die Kassiererin.

Ja, ihr Mann, was hatte sie sich vor diesem Morgen gefürchtet, nicht, weil ihr etwa in einer Vision dieser Überfall gezeigt worden war. Nein, ihre Aufgabe heute Morgen war eine andere. Sie hatte ihren Mann davon überzeugen müssen, dass er ihr mit einem neuen Kleidungsstück einen lang gehegten Wunsch erfüllen konnte. Und dabei war der Morgen gar nicht so günstig für sie gewesen. „Erna, kannst du mir noch ein wenig Kaf­fee nach­schenken?“, war der erste muffelnde Satz von Heinrich hinter seiner Zeitung gewesen. Und sie? Sie hatte auf der Zunge gehabt, dass er das doch selbst besorgen könne und dass sie schließlich nicht seine Dienerin sei, aber dann hatte sie sich noch rechtzeitig besonnen - und ihn bedient. Denn schließlich sollte er ja eine hübsche Stange Geld locker machen. Und so ein klein wenig hatte sie ein schlechtes Gewissen. 1500 Euro! Für eine Pelzmantel. Und Schuld hatte ihre Freundin, die vorgestern auf dem Festland gewe­sen war und nach ihrer Rückkehr begeistert von dem Kleidungsstück geschwärmt hatte, das man in Flensburg in der Holm­passage bewundern konnte. Ein Persianer, ganz solide, ohne viel Schnickschnack und ganz preiswert. Preiswert! Das war er nun wirklich nicht, jedenfalls nicht für sie als Rentnerehepaar. Deshalb war sie auch zögerlich, aber dann war die Verlockung, sich diesen Herzenswunsch zu erfüllen, doch zu groß gewesen. Aber die entscheidende Frage war gewesen, wie sie es ihrem Hein­rich beibringen sollte. Und dann war alles ganz einfach gewesen. Nach ihrem ersten stotternden und zaghaften Versuch, meinte er überfreundlich: „Aber natür­lich, Erna, wenn du meinst, dass du einen Pelzmantel haben musst, dann kaufen wir ihn dir eben.“ Alles hatte sie erwartet, nur das nicht. Was sie nicht gewusst hatte, war die Tatsache, dass er bei dem eindringlichen Überredungs­versuch der Freun­din beim Nachmittagskaffee un­frei­willig Zeuge geworden war. Durch die ange­lehnte Wohnzimmertür hatte er die heiße Debatte zwi­schen den beiden Frauen gehört und schon längst beschlossen, ihr dieses Geschenk zu machen. Und hinter der aufgeschlagenen Seite hatte sie auch nicht sein verschmitztes Lächeln gesehen. Sie jedenfalls hatte die Welt nicht mehr verstanden. Alle möglichen Einwände hatte sie erwar­tet, aber diese Antwort - nein, das be­griff sie ein­fach nicht – bis jetzt nicht. Doch sie war viel zu nervös gewesen, um der Sache auf den Grund zu gehen, wie es sonst ihre Art war. Heute hatte sie dranblei­ben müssen, denn schließlich brauchte sie ja Geld, viel Geld für ihre Verhältnisse. „Dann muss ich aber noch zur Bank, Heinrich. Wie viel soll ich denn abheben?“, hatte sie die Gunst der Stunde genutzt. „Aber Erna, das wirst du doch am besten wis­sen. Gib' nur Acht, dass du keinem Bankräuber in die Hände fällst!“, hatte er ihr lächelnd entgegnet und ihr dabei liebevoll über die Wange gestreichelt. Erna biss sich auf die Lippen, und Tränen traten in ihre Augen. Sie war davon überzeugt. Wenn ihr Heinrich auch nur im Ansatz so etwas geahnt hätte, dann wäre so ein Satz nie über seine Lippen gekommen.

„Hier kommt niemand her­aus!“ zischte der Verbrecher warnend. „Die Bullen sollen ihr wahres Wunder erleben!“

Mit dieser Drohung holte er die Rentnerin in die unbarmherzige Wirklichkeit zurück.

Für einen Moment hatte der Mann vor ihr kurz gestutzt und für ein paar Sekunden schien es, als würde er nachgeben, doch dann straffte sich sein Kör­per und er scheuchte alle ins Büro zurück. Er trat in die Türfüllung und lehnte sich gegen die Türzarge.

Plötzlich auf Föhr

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