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Zerfall der Familie

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Anfang 1837 trifft das Schicksal die Familie hart. Marja Dostojewskaja stirbt am 27. Februar an der Schwindsucht. Ihr Mann wird durch ihren Tod aus der Bahn geworfen. Er quittiert seinen Dienst als Arzt und beschließt fortan, als Gutsherr auf seinem Landbesitz zu leben. Seine despotischen Züge bekommen von nun an die Leibeigenen zu spüren. Zusehends verfällt er dem Alkohol.

Für Fjodor und seinen älteren Bruder hat die neue Situation zur Folge, dass sie das erträumte Universitätsstudium in Moskau aus ihren Plänen streichen müssen. Entgegen ihren literarischen Neigungen bestimmt der Vater die Sankt Petersburger Ingenieursakademie als geeignetsten Ausbildungshort für seine Söhne. Aufgrund ihrer schulischen Leistungen spekuliert er für sie dort auf einen Freiplatz, doch die Korruption bei der Vergabe der Stipendien macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Alexandra Kumanina, eine reich verheiratete Patentante, kommt fortan für Fjodors Schulgeld auf. Für das tägliche Leben hingegen fehlt es dem jungen Studenten in den kommenden Jahren oft am Nötigsten.

Schlimmer noch als das ungeliebte Fach ist der Umstand, dass nur Fjodor in Sankt Petersburg studieren kann, während es Michail nach Reval verschlägt. Fortan können die Brüder nur brieflich den Kontakt halten – und selbst das fällt schwer, denn zuweilen reicht das schmale Budget Fjodors nicht einmal für das Porto aus.

Den tagesfüllenden Pflichtenkatalog der Ingenieursakademie absolviert Fjodor Dostojewski zwar nicht begeistert, aber doch pflichtbewusst. Die Fertigkeiten für eine spätere Berufsausübung kann er sich durchaus aneignen. Die Briefe an seinen Bruder zeigen jedoch sein Leiden am streng reglementierten Alltag. In der Schule wird er zum Außenseiter. Er beklagt die Oberflächlichkeit seiner Kommilitonen und ihre einseitige Orientierung auf die nette einträgliche Stellung. Zugleich repräsentieren sie für ihn die Herzenshärte einer militärisch geprägten Gesellschaft: Alles, was gerecht, aber gedemütigt und verfolgt war, verachteten sie, schreibt er in seinen späteren Erinnerungen.

Fjodor beißt sich durch, und da sein Gerechtigkeitsempfinden hochgradig ausgebildet ist, setzt er sich bei mancher Gelegenheit für jüngere Schulkameraden ein, wenn sie als Neuankömmlinge von den Älteren gequält werden. Er ist ein nicht beliebter, aber immerhin geachteter Mitschüler. In seinen Briefen an den Vater, in denen er um Geld bittet, kommt die Sorge zum Ausdruck, nicht mit den anderen mithalten zu können, was Kleidung und Lebensstil betrifft. Dünnhäutig registriert er Demütigungen, die ihn selbst treffen, und reagiert zugleich mitfühlend, wenn ein anderer zum Opfer von Spottlust erkoren wird. Die selbst erfahrenen Situationen der Scham machen ihn hochgradig sensibel für die Rituale von Über- und Unterordnung, die die gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit durchdringen.

Der Vater kann, selbst wenn er wollte, nicht viel für die Söhne tun. Ihm haftet nunmehr der Ruf an, als typischer poméschtschick (Gutsbesitzer) das Leben eines Wüstlings, Trinkers und Tyrannen zu führen. Nach seinem jähen Tod im Juni 1839 heißt es, die eigenen Leibeigenen hätten ihn umgebracht. Dies wird bis heute so kolportiert. Allerdings attestiert die von zwei Ärzten unterschriebene Sterbeurkunde einen tödlichen Schlaganfall.

Dostojewski hat sich zu keiner Zeit viel über seinen Vater geäußert. Er mag wohl über sich selbst erschrocken gewesen sein, wie wenig Trauer er über den Verlust empfand. Dass ihn das Thema ambivalenter Vater-Sohn-Beziehungen bis ins Alter stark beschäftigt, zeigt unter anderem die problematische Vaterfigur in seinem letzten Roman „Die Brüder Karamasow“. Der Tiefenpsychologe Sigmund Freud versucht in einer Studie über Dostojewski dessen verborgene Gedanken an einen Vatermord nachzuweisen. Allerdings spricht Dostojewski in den überlieferten Briefen an den Bruder immer respektvoll über den Vater, und auch die Zeugnisse anderer Geschwister deuten darauf hin, dass Michail Andrejewitsch Dostojewski in vielen späteren Schriften über seinen berühmten Sohn wohl zu schlecht wegkommt.

Fjodor M. Dostojewski

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