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Ich oder Selbst
Оглавление„Das Ego ist der Ich Gedanke. Das wahre„Ich“ das Selbst.“ (Ramana Maharshi)
Wie nehmen wir die Welt wahr? Mit unseren fünf Sinnen. Aber sehen wir die Wirklichkeit? Nein, denn unsere menschlichen Sinne sind relativ und beschränkt. Der Bereich elektromagnetischer Wellen, in denen ein Lebewesen Informationen mithilfe der Augen aufnehmen kann, wird als Sehbereich bezeichnet. Der Sehbereich des Menschen unterscheidet sich teilweise erheblich von dem verschiedener Tiere. Andere Lebewesen nehmen ein völlig anderes Spektrum wahr. Die eingeschränkte Funktion unserer Sinne zeigt sich auch bei Röntgen- oder Infrarotstrahlen, die außerhalb des menschlichen Sehspektrums liegen. Ähnliches gilt für das Hören und alle anderen Sinne. Das Hörfeld, ist jener Frequenzbereich von Schall, der vom menschlichen Gehör wahrgenommen werden kann. Tiefe Frequenzen unterhalb von 16 Hz werden als Infraschall bezeichnet und hohe Frequenzen über 21 kHz als Ultraschall. Während Infraschall teilweise über Körperschall als Vibration wahrgenommen werden kann, ist Ultraschall für den Menschen nicht wahrnehmbar. Viele Tiere können jedoch wesentlich höhere Frequenzen als der Mensch hören, z.B. Hunde und manche Fledermäuse sogar über 100 kHz. Zusammengefasst bedeutet das, dass uns unsere Sinne nicht mit dem in Berührung bringen was wir für die Welt halten, sondern nur mit einem kleinen Ausschnitt davon. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Sinnesempfindung ist nicht die genaue Reproduktion der Welt, sondern nur eine Abstraktion davon und somit eine Wahrnehmungsillusion.
Was ist unser Ich, oder besser das Ich? Das Ich erleben wir als das eigene Sein in den Ausdrucksformen von Denken, Fühlen und Handeln, als auch deren Urheber. Das Ich wird daher als Persönlichkeitsmittelpunkt empfunden, das die Struktur der Person maßgeblich bestimmt. In diesem Sinne wird es aufgefasst als real seiender Quell oder Wesenskern von Eigen- oder Selbstschöpfung. Das Ich-Erleben beinhaltet die Empfindung des Menschen als eigenständige Ganzheit, als Individualität zu existieren. Ich hier dort die anderen, ich und du getrennt. Aber ist es so, ist das Ich der Mittelpunkt? Die Materialisten sagen ja, einige Wissenschaftler und viele spirituell Erfahrene sagen nein. Warum ist die Beweisführung so schwierig und bis heute nicht gelungen? Die These des Materialismus ist, dass der Geist etwas Materielles sei. Eine solche Position hat das grundsätzliche Problem, dass der Geist Eigenschaften hat, die kein materieller Gegenstand besitzt. Viele mentale Zustände haben die Eigenschaft, in bestimmter Weise erlebt zu werden. Das Wesentliche des mentalen Zustandes Schmerz ist etwa ganz offensichtlich, dass es weh tut. Doch woher kommt dieses Erleben? Ein weiteres Phänomen ist die sog Intentionalität, diese bezeichnet die „Gerichtetheit“ der mentalen Zustände, das heißt, dass Gedanken richtig oder falsch sein können. Dies mag zunächst noch nicht rätselhaft erscheinen, doch wenn Gedanken auf Naturprozesse reduziert werden sollen, so entsteht ein Rätsel: Naturprozesse sind nicht richtig oder falsch – sie geschehen einfach. Der Naturwissenschaftler Erwin Schrödinger geht von einer Absolutheit des Geistes aus und umreißt das Problem wie folgt:
„Unmittelbare Erfahrungen, so verschieden und ungleichartig sie auch sein mögen, können sich logischerweise nicht widersprechen. Wir wollen daher versuchen, ob wir nicht aus den folgenden beiden Prämissen den richtigen, widerspruchsfreien Schluss ziehen können:1. Mein Körper funktioniert als reiner Mechanismus in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. 2. Doch weiß ich auf Grund meiner unmittelbaren Erfahrung, dass ich seine Bewegungen leite und deren Folgen voraussehe, die entscheidend und in höchstem Maße bedeutsam sein können; in diesem Falle übernehme ich die volle Verantwortung für sie. Die einzig mögliche Folgerung aus diesen zwei Tatsachen ist die folgende: Ich –ich im weitesten Sinne des Wortes, d.h. jedes bewusst denkende geistige Wesen, das sich als ‚Ich‘ bezeichnet oder empfunden hat– ist die Person, sofern es überhaupt eine gibt, welche die ‚Bewegung der Atome‘ in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen leitet.“
Für den Mystiker oder spirituell Erwachten kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die persönliche Erfahrung. Für ihn kann das Leib-Seele-Problem nur über einen alles durchdringenden GEIST, ein all durchdringendes BEWUSSTSEIN erklärt werden. Aber was macht das Ganze so schwer, warum können wir die wahre Bedeutung unseres Ichs oder Selbst nicht direkt erkennen? Eines der Gedankenbilder, das unmittelbar erscheint, ist der primäre oder „Ich“ Gedanke. Sofort identifizierst du dich mit dem Ich und deinen Gedanken. Wir geben uns als getrenntes Individuum Bedeutung. Ich bin ich, du bist du. Aus der Einheit entsteht Trennung in Subjekt und Objekt. Aus dem JETZT entstehen Geschichten, erwächst Vergangenheit und Zukunft. Erst wenn du erkennst, dass BEWUSSTSEIN die Quelle ist, wird dein Ich kleiner. Das Pseudo-Subjekt Ich wird wahrscheinlich weiterhin auftauchen, aber jetzt wird es durchschaut. Du erfährst ein tiefes Wissen, was deine wahre Natur ist. Wenn du erkennst, dass das Ich nur ein Gedanke ist, dann ist es nicht erforderlich, dass das Ich vollständig oder für immer verschwindet. Das EINE ist JETZT, ist IMMER, Gewahrsein und Inhalt. Gedanken, Gefühle, Blumen, Menschen, Vergangenheit und Zukunft kommen und gehen. Alles, was geschieht, ist nur eine Erscheinungsform dieser Wachheit; das gilt auch für Gedanken und für die Vorstellung eines Ichs.
Kinder in der frühen Entwicklungsphase können nicht zwischen Ich und Du, Subjekt und Objekt differenzieren. Auf dieser Stufe kann das Neugeborene ein „Ding“ von einem anderen unterscheiden und es erlebt die Umgebung nicht als etwas, was von ihm getrennt ist. Zitat Jesus: „Werdet wie Kinder!“. Je älter wir werden, desto stärker festigen und konditionieren wir unser ich, dieses gilt es zu überwinden. Andererseits erkennen Babys die Wahrnehmung anderer Menschen und können sie von ihrer eigenen unterscheiden. Bisher war man davon ausgegangen, dass das Gespür, die Gedanken anderer nachzuempfinden, erst ab dem Alter von drei oder vier Jahren beginnt, neueste Forschungen belegen, dass schon 7 Monat alte Babys dazu in der Lage sind. Die Fähigkeit, die Absichten oder das Wissen anderer Menschen einzuschätzen und von eigenen Annahmen zu unterscheiden, wird in der Wissenschaft „Theory of Mind“ genannt. Sie gilt als Grundlage für das Abschätzen von Handlungen anderer Menschen und für soziale Kompetenz.
Was macht das Ich noch aus? Das Gehirn bestimmt nicht nur unsere Wahrnehmung der äußeren Welt, sondern auch den Blick auf uns selbst. Alles, was wir erleben, wird durch neuronale Zustände unseres Gehirns repräsentiert. Also zu jeder Empfindung von der Welt, von uns selbst, unseren Gefühlen und Wahrnehmungen gibt es Muster von Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirn, die genau diesem jeweiligen Zustand entsprechen. Doch wer sind wir dann selbst? In unserer alltäglichen Erfahrung ist ein Gefühl von "Ich" fast immer anwesend. Dieses "Ich" ist permanent in Bewegung und scheint unsere Handlungen zu steuern. Doch noch lässt sich unser Selbstgefühl wissenschaftlich nicht erklären.
Selbst unseren Körper können wir nicht unmittelbar wahrnehmen. Vielmehr wird das Empfinden unserer körperlichen Identität in verschiedenen Arealen des Gehirns erzeugt. Ein berühmtes Beispiel für die fehlerhafte Repräsentation des Körpers sind die sogenannten Phantomschmerzen. Menschen, denen Gliedmaßen amputiert wurden, empfinden nicht selten Schmerzen in eben den Körperteilen, die sie gar nicht mehr haben. Für das Gefühl "mein Arm" oder "mein Bein" ist die tatsächliche Existenz des entsprechenden Körperteils offenbar gar nicht notwendig. Auch der umgekehrte Fall ist in der Neuromedizin bekannt: Patienten können das Empfinden haben bestimmte Körperteile seien nicht Teil ihrer selbst. Der eigene Arm oder das eigene Bein werden als störender Fremdkörper empfunden. Für unser Gefühl von Identität ist der Körper jedoch sehr wichtig: Doch neurologische Defekte wie die beschriebenen zeigen, wie wenig stabil selbst dieser scheinbar noch greifbare und klare Bezug von Körper und "Ich" ist. Denn theoretisch kann das Gehirn ein Körpergefühl auch ohne vorhandenen Körper erzeugen und umgekehrt auch Körperteile steuern und am Leben erhalten, ohne dass wir sie als Teil unseres Selbst wahrnehmen. Deine Träume zeigen, wie groß die schöpferischen Fähigkeiten des Gehirns sind, auch in Hinblick auf die Identität. In deinen Träumen kannst du dich als andere Personen erleben, als körperlos oder ausgestattet mit körperlichen Merkmalen, die gänzlich verschieden von den tatsächlichen sein können. Das Gefühl eines "Ich" kann das Gehirn solchen geträumten Figuren ohne weiteres überstülpen oder entziehen.
Inwieweit ist die Überzeugung für unserer Identität mit deinem Körper verbunden? Dein Körper ist das wichtigste und unmittelbarste Instrument deiner Handlungen. Doch selbst in dieser Funktion lässt sich das Verhältnis von Körper und "Ich" verschieben. Das zeigen etwa Untersuchungen bei Blinden, die gewohnheitsmäßig einen Blindenstock zur Orientierung verwenden: Nach einer gewissen Zeit wird der Stock häufig als eine Art Körperteil empfunden. Auch psychologisch lässt sich der Begriff des "Ich" nicht eindeutig klären. Einig sind sich die meisten Wissenschaftler, dass das "Ich" keine konstante Größe ist, sondern aus verschiedenen Faktoren besteht, die sich in ihrer Zusammensetzung und Gewichtung auch verändern und unterscheiden können. Eine allgemeine Definition des Begriffs aber gibt es nicht. Was erstaunlich scheint, wenn man bedenkt, wie präsent uns das Gefühl der eigenen Identität ist.
Ramana Maharshi: „Der Ich-Gedanke ist eine gewohnheitsmäßig affirmierte falsche Annahme, die selbst keinerlei Wirklichkeit besitzt. Er kann nur durch Identifizierung mit einem Objekt in Erscheinung treten. Wenn Gedanken auftauchen, hält sich der Ich-Gedanke für ihren Verursacher — „Ich denke“, „Ich fühle“, „Ich wünsche“, „Ich handle“ —, aber es gibt keinen separaten Ich-Gedanken, der unabhängig von dem Objekt existiert, mit dem er sich identifiziert. Er scheint nur deshalb als Wirklichkeit zu existieren, weil der Fluss ständiger Identifizierungen unaufhörlich anhält. Fast alle diese Identifizierungen können zurückgeführt werden auf die Annahme, dass das „Ich“ auf den Körper begrenzt ist. Diese „Ich bin der Körper-Vorstellung“ ist die Hauptursache aller daraus folgenden falschen Identifizierungen, und ihre Auflösung ist das wichtigste Ziel der Selbstergründung .Da der individuelle Ich-Gedanke ohne ein Objekt nicht existieren kann, muss die Aufmerksamkeit so intensiv auf das subjektive Empfinden von „Ich“ oder „Ich bin“ gerichtet werden, dass die Gedanken „Ich bin dies“ oder „Ich bin das“ gar nicht erst aufsteigen.“
Die meisten psychisch gesunden Menschen erleben das "Ich" als die Steuerzentrale der eigenen Person. Doch die Hirnforschung hat eine solche Institution in den Hirnarealen nicht ausmachen können und es gilt als höchstwahrscheinlich, dass es keinen fixen Ich-Punkt im Gehirn gibt. Das Ich-Bewusstsein entsteht vermutlich im Großhirn, aber als dynamischer Prozess und nicht in Form eines starren Musters. Untersuchungen in der Hirnforschung haben kein Indiz dafür gefunden, dass dieses "Ich" anderen Hirnfunktionen vorgeschaltet ist. Dein alltägliches Gefühl "Ich habe ein Gehirn, das ich benutze" kann durchaus in das Gegenteil umformuliert werden: Das Gehirn erzeugt ein "Ich", weil es eine bestimmte Funktion damit verknüpft. Manche Hirnforscher sind der Meinung, dass das Gehirn ein "Ich" entwickelt hat, weil sich dadurch die Überlebensfähigkeit des Menschen enorm verbessern konnte: Das "Ich" wird zu einer Unterfunktion eines höchst komplexen Systems, des Gehirns eben. Die Hirnforschung hat auch gezeigt, dass unser „Selbst“ nichts anderes ist als eine Ansammlung von Aufmerksamkeit. Wahrnehmungen werden zu einem in sich stimmigen System verschmolzen, das wir dann Wirklichkeit nennen. Daraus folgt allerdings, dass Wirklichkeit nichts anderes ist als Aufmerksamkeit. Nur das, was wir wahrnehmen, existiert für uns. Oder anders herum: Wir erschaffen mit unserer Wahrnehmung unsere eigene Welt. Das Gefühl des ‚Ich‘, einer Einheit und Kontinuität der Persönlichkeit, des Gefühls, dasselbe ‚Selbst‘ in Zeit, Ort und durch alle Bewusstseinsstufen hindurch zu sein, kann als etwas verstanden werden, das nicht der Persönlichkeit angeboren ist, sondern das sich im Laufe der Entwicklung aus unserer Erfahrung von Objekten und den Interaktionen mit ihnen herausbildet. Mit anderen Worten, das Selbst ist buchstäblich konstruiert aus unseren Erfahrungen mit der Welt der Objekte. Das zeigt sich dramatisch bei einer multiplen oder dissoziativen Identitätsstörung. Solche Menschen weisen zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten auf, die abwechselnd, aber nie gemeinsam sichtbar sind und getrennte Gedanken, Erinnerungen, Verhaltensweisen und Gefühle äußern. Der Wechsel von einer Person zur anderen wird nicht einmal wahrgenommen. Dieses ‚Selbst‘, das wir als unser ‚Ich‘ verstehen und das wir als so gegenwärtig und real empfinden, ist eigentlich ein verinnerlichtes Bild, ein Selbstkonstrukt. Da es zusätzlich immer auch unbewusste Bedürfnisse gibt, die uns beeinflussen ist es schwierig sich vollständig davon zu befreien. Das wohl bekannteste Beispiel sind die nach ihrem Entdecker benannten „Pawlowschen Hunde“, die nach einigen Wiederholungen Speichelfluss bei einem Glockenton zeigen, obwohl kein Futter gegeben wurde. Der vorher neutrale Reiz (=Glockenton) wird durch Assoziation zu einem bedingten Reiz, der alleine fast dieselbe Reaktion (=Speichelfluss) auslösen kann, wie der unbedingte Reiz (=Futter), mit dem er gekoppelt wurde. In vergleichbarer Weise legen wir uns Menschen sowohl unbewusst wie bewusst immer mehr auf ein uns eigens Lern- und Verhaltens – Repertoire fest, man spricht in diesem Zusammenhang auch von Konditionierung. In der ernüchternden Konsequenz heißt das jedoch: Ich bin, was ich denke. Ich bin der, dem ich meine Aufmerksamkeit schenke. Das gilt für das Gehirn, aber genauso für die körperliche Ebene, also für unser „Gesamtsystem.“ Das ist der Grund, warum in allen traditionellen und zeitgenössischen Meditationsschulen der Achtsamkeit eine so zentrale Bedeutung beigemessen wird. Hier kann man praktisch erfahren, dass das Ego ein verzerrender Mechanismus ist und die Wirklichkeit - die äußere wie auch die innere – BEWUSSTSEIN ist.
Nach Thomas Metzinger ist unser Gehirn ein großes Zusammenwirken von Nervenzellen, die das Erlebnis erzeugen, in einer Welt und in einer Zeit zu sein, sich als ein Selbst von der Welt abzugrenzen und sich als Fühlender, Denkender und Handelnder wahrzunehmen, d.h. als ein Ich. Das Gehirn wäre damit ein biologisch-physikalischer Computer, das Ich eine Illusion und Projektion davon. Nach seiner Vorstellung ist das bewusste Selbst nicht einfach da, es wird im Gehirn konstruiert. Nach diesem Modell lässt sich das Ich-Gefühl dadurch erklären, dass das Gehirn ein Modell des eigenen Organismus erzeugt. Nach seinem Modell lässt sich das Gehirn mit einem Flugsimulator vergleichen: „Genau wie ein Flugsimulator aktualisiert es fortlaufend ein inneres Modell der äußeren Wirklichkeit, indem es einen kontinuierlichen Strom von Input verwendet, der durch die Sinnesorgane geliefert wird, und vergangene Erfahrungen als Filter benutzt…dabei ist das Gehirn nicht der Pilot…der Pilot wird in eine virtuelle Welt hineingeboren, und zwar ohne jede Möglichkeit, diese Tatsache zu entdecken. Der Pilot ist das Ego. Der totale Flugsimulator erzeugt einen Ego-Tunnel, aus dem es für ihn aber kein Entrinnen gibt…das Ego ist ein besonderer Teil dieser virtuellen Realität. Indem es ein inneres Bild des Organismus als Ganzem erzeugt, erlaubt es dem Organismus sich seine eigene Hardware anzueignen…Bewusstsein gibt uns die Flexibilität, und globale Kontrolle gibt und das Ego.“
Deine Kontrolle durch das Ich bewirkt alles Leid, da das Ich nie zufrieden sein kann. Warum? Weil sich sein Selbstbild aus allen vergangenen Ereignissen zusammensetzt und so immer in irgendeinem Konflikt mit sich stehen muss. Anders ausgedrückt: Das endlose Denken über die Zukunft aus den Konditionierungen und Vorgaben der Vergangenheit heraus führen zu ständigen Unvereinbarkeiten, Problemen, Spannungen, Wünschen und Vergleichen.
Deine einzige Arbeit ist, die Identifikation mit dem Ego, das was du als Selbst kennst, loszulassen. Zu erkennen, dass sich alles selbst ereignet und nicht als Folge des Ichs. Übergib dich vollständig der Gnade Gottes. Wenn alles BEWUSSTSEIN ist, dann ist das Ich wie alle Gedanken, eine Illusion. Das Ich projiziert das Unwirkliche und verbirgt das Wirkliche. Die Wirklichkeit ist als ewiges Sein, all durchdringende BEWUSSTSEIN in uns. Deine Aufgabe besteht darin, die Göttlichkeit deiner Quelle - die SEELE oder das SELBST – zu realisieren. Die SEELE ist völlig frei von Wünschen, Wollen, Suchen, Dualitäten, das sie alles ist. ALLES was IST zu sein, bedeutet Friede. Anstelle von Leid, Angst und Kampf tritt göttliche Liebe und diese ist unendlich mitfühlend. Dein Leben ist ein immerwährendes JETZT.
Das es jenseits der Subjekt-Objekt-Beziehung das SELBST gibt, geht allein aus der Tatsache hervor, dass du ansonsten dein eigenes Vorhandensein nicht bezeugen könntest. Denn wie sollte sich der Betrachter (Ich) dann selbst wahrnehmen können? Man kann das SELBST auch als jene Qualität verstehen, die zu dualistischer Gewahrsamkeit wie nicht dualistischer Gewahrsamkeit imstande ist und sich als „anwesend“ erlebt bzw. von seiner Existenz weiß.
Ramana Maharshi: „Die Ursache des Leids entsteht durch die Wahrnehmung von Objekten. Wenn sie nicht da sind, gibt es auch keine damit verbundenen Gedanken, und Leid ist nicht möglich. Wie bringt man Objekte zum Verschwinden? Es kommt darauf an, sie als Projektionen des Geistes zu erkennen. Sie haben aus sich selbst heraus keine Substanz. Prüfen Sie diese Behauptung nach, und finden Sie selbst heraus, ob sie wahr ist. Das Ergebnis wird die Erkenntnis sein, dass die objektive Welt im subjektiven Bewusstsein entsteht. Das Selbst ist somit die einzige Wirklichkeit, die die Welt durchdringt und umschließt. Da es dort keine Dualität gibt, können auch keine Gedanken aufsteigen, um den Frieden zu stören. Das ist die Verwirklichung des Selbst. Das Selbst ist ewig, und somit auch seine Verwirklichung“
Welche Beobachtungen kannst du auf diesem Weg machen? Als erstes wirst du erkennen, dass sich alle von selbst ereignet und nicht weil es das Ich will oder du es denkst. In der Stille kannst du den Zwischenraum spüren, der vor dem Ich auftritt. Hier heraus entwickelt sich alles, zuerst das ICH BIN. Als neutraler Zeuge oder Beobachter wird deutlich, dass deine Gedanken nicht von deinem persönlichen Ich stammen. Du wirst bemerken, dass eher ein unpersönlicher Verursacher agiert. Diese Beobachtung kannst du auch auf dein Bewusstsein und deinen Körper ausdehnen. Am Ende stellst du vielleicht fest: „Ich“ bin nicht mein Ich, nicht mein Denken, nicht mein Körper.
Zunächst wirst du dich weiterhin mit beiden Sichtweisen auseinandersetzten. Das sind zum einen die dualistische Betrachtung der Welt mittels deiner Sinne und die Wahrnehmung als individuelles Ich. Zum anderen kannst du dein wahres Wesen in diesem Augenblick erfahren, in dem Zeit und Raum, Subjekt und Objekt sich im SELBST auflösen. Wach zu sein, in allem was du tust bedeutet „Erleuchtet“ zu sein.
Was passiert mit dem Ich wenn du dir deines Bewusstseins bewusst wirst? Das Ich wird sich nicht im Unendlichen auflösen, sondern wird sich in das differenzierte Ganze integrieren. Was heißt das? Du wirst erkennen und unterscheiden können, welche Lehren aus dem Ego herrühren und welche aus der SEELE. Denn die SEELE oder das SELBST ist deine Verbindung zum BEWUSSTSEIN. Anstelle des Egos wirkt jetzt die SEELE aus der göttlichen Quelle. Aus dem Ego gesteuerten Menschen, wird ein beseelter Mensch.
Viele fragen sich wo ist der Sitz der SEELE? In der Körpermitte, im Kopf? Es ist aber nicht so, dass die SEELE im Körper ist, sondern umgekehrt der Körper ist in der SEELE. Die SEELE ist die Verbindung zu GOTT und zu den Menschen. Sie ist das ganze Netz von Beziehungen, die das Umfeld des Individuums ausmacht.
Da es nur BEWUSSTSEIN gibt, kann es nie als Objekt in der Wahrnehmung auftauchen. Selbst die Erfahrung von Leere oder von Eins sein sind Beschreibungen bzw. Objekte innerhalb des BEWUSSTSEINS. Es ist das einzige Subjekt, es ist alles was ist.
Ken Wilber unterscheidet zwischen einem grobstofflichen Ego(kleines Selbst), der Seele( subtiles Selbst) und einem kausalen, formlosen, absoluten oder Atman SELBST.
Ken Wilber: „Nun kann vielleicht die Tatsache, dass Ich, Seele und SELBST gleichzeitig gegenwärtig sein können, zu einem besseren Verständnis des Begriffs der "Ichlosigkeit" verhelfen, der immer wieder für große Verwirrung sorgt. Ichlosigkeit bedeutet jedenfalls nicht das Fehlen eines funktionellen Selbst (das wäre ein Psychotiker, kein Weiser); es bedeutet vielmehr, dass man nicht mehr ausschließlich mit diesem Selbst identifiziert ist.“