Читать книгу Christian Ludwig Attersee - Rainer Metzger - Страница 9

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Musikzimmer. Fotografie von Kurt-Michael Westermann

Prachtstück des gesamten Hauses ist das Esszimmer, der ehemalige Salon: In Paris hat der Hausherr dafür eine Speisegarnitur namens „London“, hergestellt von der Wiener Möbelmanufaktur Portois und Fix in dessen großer Zeit um 1900 ausfindig gemacht, mit ausladendem Tisch, an dem leicht fünfzehn Personen Platz nehmen können, mit den entsprechenden Sesseln, mit zwei Vitrinen und einer Anrichte; Attersees 1997 fertiggestelltes Triptychon „Junges Blau“, „Naturbursch“ von 1982 und „Erstes Grün“ von 1991 setzen dieser Schwelgerei in Jugendstil zeitgenössische Akzente entgegen, und es gibt eine Jukebox in bester Fifties-Herrlichkeit, eines jener Ausstattungsstücke, die Attersees Existenz garnieren. Denn jede seiner Wohnungen und jedes seiner Ateliers ist mindestens mit folgenden Unabdingbarkeiten bestückt: mit einem Flügel, einem Großbildschirm samt Abspielgeräten für Video und DVD, einer Musicbox, die ihre besten Tage gesehen hat und meist außer Funktion ist, einem großen Kühlschrank mit entsprechenden Weinvorräten sowie einigen Kommoden und Wandschränken, die der Künstler selbst entworfen hat, erkennbar vor allem an den Griffen in Knopfform, weil nur so, wie er sagt, gewährleistet ist, dass sie auch praktikabel sind.


„Junges Blau“. 1997. Triptychon. Acryl und Lack auf grundierter Leinwand. 105 x 315 cm


„Naturbursch“. 1982. Acryl und Lack auf grundierter Leinwand. 105 x 105 cm


Esszimmer. Fotografie von Kurt-Michael Westermann


„Erstes Grün“. 1991. Acryl, Lack und Farbkreide auf grundierter Leinwand. 105 x 105 cm


Billardzimmer

Eine spezielle Trouvaille unter all den kleinen Sensationen der Villa ist der Billard-Salon im ersten Stock. Der Tisch, der die Mitte besetzt hält, ist wie fast immer bei Attersee ein Vintage-Stück, ein Original aus den amerikanischen fünfziger Jahren, hergestellt von Brunswick, dem ehrwürdigen Unternehmen, 1845 gegründet mit Firmensitz in Chicago. Auch die anderen Ausstattungsstücke des Billard-Salons können sich im Sinn authentischer Herkunft sehen lassen. Den Raum und seine Atmosphäre dominieren mehr als fünfzig afrikanische Standfiguren, allesamt von einem halben Meter Höhe bis zu Lebensgröße, meist weiblichen Geschlechts mit ausladenden Brüsten und überbordenden Unterleiben. Links und rechts an den Seitenwänden postiert, vor Bücherregalen, die es selbstverständlich auch noch gibt, blicken sie einen an und sehen einfach zu, als wären sie jene Schauplatzwächter, die vielfältig Attersees Bildwelten verkörpern und die Menschen verwundert und amüsiert beobachten bei ihren verqueren Verrichtungen. Unter den Plastiken gibt es einige Bangwa-Figuren aus der Gegend des heutigen Kamerun, die Attersee besonders liebt: ausdrucksstarke Gebilde, die eine Art Ponderation auszeichnet, die ausbrechen aus der Starre der Stelenhaftigkeit, die ihren Kopf leicht schräg halten und so etwas wie Kontaktaufnahme erlauben. Weitere solcher Figuren gibt es in Attersees Atelier, wo sie, abermals Schauplatzwächter, dem Künstler beim Malen über die Schulter blicken. Das Atelier hat er sich vor einigen Jahren geleistet, einen Zweckbau modernen Zuschnitts, loftartig mit großen Seitenfenstern und einem grasbewachsenen Flachdach für die Camouflage, dessen Untergeschoss von einer weiteren Besucherattraktion markiert wird, einem geräumigen Schwimmbad.


Schallplattenzimmer

Attersee ist ein manischer Sammler. Das Exquisite der Möbel und Ausstattungsstücke wird gekontert von der Exuberanz der Dinge, die es sonst noch gibt. Vis-à-vis des Eingangs öffnet sich die Tür in das Plattenzimmer, hier sind in raumhohen Vitrinen insgesamt 8.000 Schallplatten gelagert, Unterhaltungsmusik von Elvis und den Rock ’n’ Rollern, aber auch von Caterina Valente oder Udo Jürgens: Meine Lieblingsmusik im Unterhaltungsbereich ab Ende der 1950er Jahre ist bis heute Rhythm ’n’ Blues, Soul- und Jazzmusik, etwa Otis Redding, Ruth Brown, James Brown, Isaac Hayes und Charles Mingus. Die 12.000 Scheiben mit den klassischen Werken hat Attersee in Wien aufbewahrt. Schier jeder Raum ist von Regalen eingegrenzt, die die Bücher aufnehmen, von denen Woche für Woche durchschnittlich vierzig Bände angeschafft werden; viele von ihnen sind noch originalverpackt, doch ihr Besitzer versichert seriös, allein die Beschäftigung, sie zu erwerben, signalisiere ihm den Inhalt der Werke. Unterm Dach erwartet einen die nächste Kollektion: In Regalen und vor allem in Papiersäcken eines Wiener Filmladens auf dem Fußboden sind DVDs angehäuft, geschätzte 25.000 Titel, Filme und filmische Dokumente aus allen Sphären des Kinematografischen, die zum einen erworben wurden, weil Attersees Professur an der Wiener Universität für angewandte Kunst auch Trickfilm beinhaltete, und die zum anderen ein weiterer Beleg sind für die Lust an der Aneignung.


Blick ins Atelier am Semmering. Fotografie von Kurt-Michael Westermann


Atelierhaus am Semmering

Das Englische unterscheidet beim Sammeln zwei Begriffe: das „collecting“ und das „gathering“. Während jenes die räsonierend-detektivische Suche nach dem einen unbedingten Exponat, das fehlt, in den Mittelpunkt stellt, beinhaltet dieses eine Option auf Wahllosigkeit – oder zumindest auf eine Nonchalance, die davon ausgeht, dass unter dem vielen, das man erwirbt, schon das Richtige mit enthalten sein wird. Attersee ist in diesem Sinn ein Gatherer, einer, der hortet und rafft, und er gibt unumwunden zu, dass es die Erfahrung der Kargheit in seinen ersten Lebensjahren ist, die ihn hier motiviert. Nie wieder Mangel, das ist das Motto, und bis zur Verausgabung wird herbeigeschafft und herangeholt. Manche sagen, es sei krank, wie ich sammle. Das Gegenteil stimmt: Weil ich sammle, bin ich gesund. Und bei aller puren Überwältigung durch die Quantität dessen, was alles da ist, kann ihr Besitzer das Gesuchte mit geübtem Sensorium schnell aufspüren. Bücher, Schallplatten, CDs sind meine Verwandten.


Malend im Garten der Villa Alber. Sommer 1992. Fotografie von Kurt-Michael Westermann

Attersees Villa am Semmering ist ein Ensemble von berückender Stimmigkeit und Eleganz. Sie ist das perfekte Ambiente für jene Reportagen ad personam, die man ganz international Home-Story nennt, die aber besonders ein spezielles Faible der österreichischen Promi-Berichterstattung markieren. Attersee wird davon nicht gerade verschont, wie sollte er auch, ist er doch eine Figur, mit der sich Kapital machen lässt in der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Als im Spätsommer 1997 die „Seitenblicke“ ihr zehnjähriges Bestehen feierten, das Gesellschaftsmagazin des Staatssenders ORF, das der nationalen Prominenz auf die Lippen und in die Buffet-Teller schaut, wurde eine Liste derer publiziert, die am häufigsten zur telegenen Wortspende gebeten wurden. Die Liste führte der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk an, der langjährige Bundeskanzler Franz Vranitzky war Fünfter, doch nach Society-Afficionados wie Niki Lauda oder Theatermenschen wie Otto Schenk und Fritz Muliar war an 25. Stelle „Ch. L. Attersee“ gelistet. In einem Land, dessen Feuilletons sich neben dem Ressortleiter die längste Zeit einen zweiten Redakteur für alle Belange der Bühne geleistet hatten, während für Malerei und Bildhauerei meistens ein freier Mitarbeiter verantwortlich zeichnete, ist Attersees Präsenz im Massenmedium Fernsehen doch erstaunlich. Diese Präsenz kommt ihm als bildendem Künstler zu, und es macht sich bemerkbar, dass er der erste war, der in Österreich den Elfenbeinturm der Autonomie verlassen hat. Die „Seitenblicke“-Statistik berücksichtigt nur einige wenige Monate der Ära Rudolf Klingohr, der mit seiner Produktionsfirma „Interspot“ Ende 1996 für das Format verantwortlich wurde. Klingohr, von seinen Freunden „Purzl“ genannt, ist ein wichtiger Weggefährte Attersees. Man darf sagen, dass das Ranking seither einigermaßen stabil geblieben ist. Doch Klingohr war schon 1969 bei „Gruß Attersee“, dem ersten abendfüllenden Streifen, als Kameramann dabei, er hat diverse Sendungen mit und über Attersee betreut, Dokumentationen wie „Gemaltes Leben“ und Künstlerfilme wie „Attersee in Tennessee“. Die Grenzen jedenfalls zwischen Arbeit in der Hochkultur und Produktion für ein Millionenpublikum sind fließend. Eine solche Offenheit ist nicht weniger als die Grundlage künstlerischer Identität in der Gegenwart.


„Attersee in Tennessee". 1987. TV-Film nach einem Konzept von Attersee und Rudolf Klingohr. Attersee-Konzert auf einem River-Shuffle-Boat. Fotografie von Kurt-Michael Westermann


Attersee-Auftritt in Gabe’s Lounge, Nashvilles berühmtestem Live-Musik-Lokal. 1987. Fotografie von Kurt-Michael Westermann


Rudolf Klingohr, Eva Deissen, Reinald Nohal, Wolf Fuchs, Herbert Krill, Peter Seemann, Evelyn Oswald, Kurt-Michael Westermann, Attersee, Erwin Wagenhofer – das Filmteam. 1987. Fotografie von Kurt-Michael Westermann

Mit den konkreten Umständen bekannt zu machen, in denen jemand lebt, über dessen Leben zu erzählen sich lohnt, ist etwas anderes als die Verbreitung von Klatsch. Wolfgang Hildesheimer, der die vielleicht bedeutendste Lebensbeschreibung zu Mozart verfasst und wie kaum ein Zweiter nachgedacht hat über die Grenzen und die Chancen des Prinzips Biografie, bemerkt zu dieser Form von vitaler Nähe zur dargestellten Person, die er „Ausführlichkeit“ nennt: „Ich will ein Element beibringen, das ich in den meisten Biographien, und nicht nur in ihnen, (…) vermisse: die Beschreibung des Alltäglichen, des der großen Rede Unwürdigen oder des als bekannt Vorausgesetzten und zu seiner Zeit nicht Mitteilenswerten, dessen Wichtigkeit als Beitrag zum äußeren Bild des Geschichtlichen sich aber im Lauf von Dekaden, und erst recht von Jahrhunderten, steigert. Der Alltagsablauf als Handlung anhand konkreter Dinge: die Requisiten für Arbeitstage und Reisetage, (…) die Spiele der Mußestunden, die Speisen und Weine der Mahlzeiten, die Räumlichkeiten und Bequemlichkeiten, die Kommoditäten; die zahlreichen unerwähnten Figuren, die es den Erwähnten erst möglich machen, in ihrer Funktion als Hauptdarsteller, als Kommentatoren und Partner (…) aufzutreten“ (Hildesheimer 1984, 23f.).

Christian Ludwig Attersee

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