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Männer und Frauen in einer kleinen Stadt

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Ich bin nur ein Zugezogener. Einer der Sorte allerdings, die sich bemüht, ein wirklicher, ein tatsächlicher, ein echter zu werden, ein Pegauer Bürger nämlich. Was zugegebenermaßen nicht so einfach ist wie es klingt. Weiß doch inzwischen ein jeder Bewohner ländlicherer Gefilde, dass ein Städter, der aufs Land zieht, zu einer echten Landplage werden kann und von den Ureinwohnern auch so behandelt wird.


Ü 50

Wir sind aus dem Norden, von Pegau aus betrachtet. Sozusagen Fiscköppe; Fischköppe vom Pleißestrand. Halbmenschen aus faschingsarmer Gegend, die ohne es zu wissen, in die heimliche Hauptstadt des Mitteldeutschen Faschingsgeschehens geraten sind. Fasching seit 1964 in ununterbrochener Reihenfolge! Jedes Jahr zwei Programme, ein Umzug, ein neues Prinzenpaar, -zig abgeschnittene Krawatten und ein ganz besonderes Lebensgefühl. Das äußert sich mitunter in Bemerkungen amtierender Vereins-Würdenträger: „Wir sind hier die Meinungsmacher!“ Glauben Sie mir, das kann auch harte Drohung sein.

Ich trug bei meiner Geburt wirklich nicht, wie bei Pegauer Säuglingen üblich, eine Pappnase, und wenn ich aus meinem Kinderwagen schaute, so hatte ich zumeist eine neckische Bommelmütze auf dem Kopf und keine Narrenkappe. Außerdem war das erste Wort, das ich sprechen konnte, „Mama“ und nicht „Helau“. Dennoch war ich in meiner frühen Jugend durchaus ein Freund karnevalistischen Übermuts. Bis mir durch ein einschneidendes, alles veränderndes und hochdramatisches Ereignis an einem bis dato fröhlichen Faschingsabend das weitere Vergnügen an solcherart jugendlich froher Dollerei in lustigen Verkleidungen ein für alle Mal verleidet ward. Es war nämlich wirklich bei buntem Fastnachtstreiben vor nunmehr dreiundvierzig Jahren, da packte mich ein Weib beim Schopfe und ließ mich seither nicht mehr los. Und ich war so pappnasenmäßig in Stimmung und Frohsinn gehüllt, dass ich mich ohne jede Spur von vernünftigerweise instinktiv geleisteter Gegenwehr meinem damit besiegelten Schicksal ergab.

Der Fasching war für lange Zeit erledigt. Manche Männer zerhacken die Bank im Park, auf der sie ihre spätere Gemahlin kennengelernt haben. Ich ging nicht mehr zum Karneval.

Und ich musste auch keine Bank zerhacken, das übernahm für mich der Vorgängerbetrieb der MIBRAG, der baggerte gleich den ganzen Ort, das Dorf Cröbern mitsamt der Gastwirtschaft und dem Saal, in dem gemeinhin dort das Karnevalsvergnügen stattfand, weg.

Bis wir an einem kalten Novemberabend vor einigen Jahren mit „Pegau, Helau!“ und dem Versprechen auf ein gutes Tröpfchen von Freunden ins Volkshaus gelockt wurden. Es war mal wieder Faschingszeit, die Tänzer und die Tänzerinnen waren, wie immer, Weltklasse, die Getränke kamen nicht ganz so flott, das Essen war untere Kreisklasse, alles in Allem unterhielten wir uns dennoch köstlich.

Doch bereits im zweiten Jahr unseres neu geborenen Karnevalsinteresses bemerkte ich, dass fast alle Pegauerinnen von großer Unzufriedenheit mit ihren ehlichen Gemahlen besessen sind und dies auch noch lautstark auf offener Bühne unter dem Vorwand, es sei ja nun die was-weiß-ich-wievielte Jahreszeit und da könne und müsse man über seinen Gatten auch mal lachen dürfen, kund taten. Da ist so ein Spruch: „Mein Mann ist wie eine Zwiebel, ich schäle ihn und der Rest ist bloß noch zum Heulen!“ noch das Harmloseste, was Frauen lauthals ausrufen. Und zwar auf offener Bühne! Und jeder Zweite im Saal kennt den armen Mann persönlich. Ich würde es, ehrlich gesprochen, nicht unbedingt begrüßen, wenn meine Frau allen Mitbürgern verkünden würde, eine Frau ohne Mann sei wie ein Fisch ohne Fahrrad. Ich würde mich doch auch nicht so weit vergessen, dass ich mich vor ein größeres Auditorium zu dem Spruch hinreißen ließe, dass ein Mann mit 20 alle Frauen liebt, mit 30 liebt er nur noch die eine und mit 40 wieder alle, außer der Einen. Würde ich nicht sagen, obwohl, gut gesagt ist es schon. Oder? Da fehlt eigentlich nur noch der Spruch: Frauen sind alle Engel. Wenn ihnen die Flügel vom vielen Herumflattern wehtun, setzen sie sich einfach auf ihren Besen und fliegen nach Hause.

Und immer, wenn wieder eine von diesen so sehr rundlichen Frauen auf der Bühne, und sei es auch nur zur Faschingszeit, ausruft: „Vor 20 Jahren hatte ich meinen Mann zum Fressen gern, heute wünschte ich, ich hätte es getan!“ und der ganze Saal tobt vor Freude, alle Augen gerichtet auf diesen armen Mann, fühle ich mich versucht, aufzuspringen und zu rufen: „Und mit Sicherheit würde Ihr Mann seine bessere Hälfte liebend gern gegen zwei jüngere Viertel eintauschen.“

Den Pegauer Damen voller Übermut, und das bezieht sich bereits schon auf die nachfolgende Generation, die Jungmädchen, (wer mag heute schon wissen, ob man eine 14jährige Tochter mit dem Begriff „Jungfrau“ nicht tödlich beleidigt?), die ihrer Mutter folgend zur Zeit sich noch damit begnügen, über ihre Väter herzuziehen und dabei den Männern im allgemeinen gegenüber einen Ton anschlagen, als seien sie bereits zum dritten Mal geschieden, müsste man mit Professor Hilferdinger aus meinem nächsten Buch endlich einmal klar machen:

„… Wir haben da in letzter Zeit auch erstaunliche Forschungsergebnisse veröffentlicht. Zum Beispiel, dass alle Menschen ein Gehirn haben.

Alle Menschen!

Auch Frauen!

Und das, also das Frauenhirn, gleicht sogar dem des Mannes. Es gibt rein äußerlich keinen Unterschied zwischen dem Gehirn eines Mannes und dem einer Frau.

Nur, dass das einer Frau anders funktioniert!“

Darüber gibt es auch bereits ein Standardwerk, dessen Titel lautet: „Warum Frauen nicht wollen und Männer nicht können“, oder so ähnlich. Habe mir leider den Titel nicht genau gemerkt. Das Buch über stammesgeschichtlich durch Aufgabenteilung in Familie und Gesellschaft bedingte Entwicklungsstände und Zusammenhänge, das Zusammenleben, das Sich-Verstehen (Männer und Frauen passen nicht zusammen, bzw. nur stellenweise) und warum der kleine Unterschied so groß ist. Und darin wird der Frau attestiert, dass sie mehrere Dinge gleichzeitig tun kann. Der Mann aber kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren (Die dicken Pegauerinnen aus der Bütt würden hinzufügen: „Sich selbst“), sonst bringt er überhaupt nichts zustande. Steht da geschrieben, in dem Buch. Und alle Frauen dieser Welt trampeln seitdem darauf ‘rum, dass sie ja Multitasking sind und Männer nur einfach gestrickt und deshalb ein bisschen blöd. Was ja durch das Buch bewiesen wäre und nun: Frauen an die Macht und sperrt die Männer in ihre Hobbykeller oder in den Schweinestall.

Dabei ist das völliger Blödsinn. Ich kann auch mehrere Dinge gleichzeitig. Zum Beispiel: Fußball gucken, essen und meiner Frau mit vollem Mund zärtlich zubrüllen, dass sie doch endlich mal BITTE den Mund halten soll. Hab ich kein Problem damit und klappt alles hervorragend, ohne dass eine der drei gleichzeitig ausgeführten Tätigkeiten nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit gelänge.

Und jetzt betrachten wir uns mal das Beispiel Frau:

Eine Frau kann zum Beispiel gleichzeitig sich darüber ärgern, dass ihre neuesten Schuhe doch nicht so ganz zu der Farbe der soeben neu erstandenen Handtasche passen, mit ihrer Freundin telefonisch die neuesten Dummheiten des jeweils eigenen Mannes diskutieren und, sagen wir mal, einparken.

Sicher kann eine Frau das alles gleichzeitig. Aber selbst, oder eben auch in einem weiblichen Gehirn setzen die Denkstrukturen Prioritäten. Während ein männlich strukturiertes Hirn das Einparken an erste Stelle auszuführender Tätigkeiten setzen würde, würde ein Mann also ins Handy rufen: „Warte mal kurz!“, würde dann das Auto abstellen und danach seinem Kumpel in aller Ruhe erklären können, warum er heute nicht in die Kneipe kommen kann. Weil nämlich seine Frau das letzte Geld für so ein Paar bescheuerte neue Schuhe rausgeschmissen hat (das mit der neuen Handtasche weiß er noch gar nicht).

Bei einer Frau läuft das natürlich ganz anders ab:

Während sie konzentriert und ein wenig ärgerlich auf ihre neuen Schuhe starrt, die das Gaspedal getreten halten, und ihrer Freundin erklärt, dass ihr Mann, dieser penetrante Ignorant, nun endgültig jeden Realitätssinn verloren haben müsse „weißt du, was der für ein Theater gemacht hat wegen der Schuhe, dabei musste ich die nehmen, ging gar nicht anders, war das letzte Paar und anderthalb Prozent preisgesenkt“, kracht und klirrt es hinten.

Der Wagen ist eingeparkt.

Parken nach Gehör.

Sicher, die Frau hat alles gleichzeitig gemacht. Aber mit welchem Ergebnis!

Und sich dann abends im Negligee auf die Ottomane brezeln und zwitschern: „Ach, Liebling, schau doch lieber mich an als das blöde Auto!“

Und dann annehmen, damit wäre alles wieder in Ordnung.

Fehlt bloß noch, dass sie sagt, was sie denkt: „Die Farbe von der alten Karre hätte sowieso nicht zu meinen neuen Schuhen gepasst.“

Da hat sie vorsichtshalber den Kauf der Handtasche von heute Vormittag noch gar nicht erwähnt!

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