Читать книгу Eringus, der Drache vom Kinzigtal - Rainer Seuring - Страница 6

Bei den Halblingen in Lindenbach

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„Das nenn ich mal eine göttliche Fügung.“ Der Empfänger dieses Gedankens empfindet ihn als zart und leise.

“Du weißt, dass ich nicht an Götter glaube.“ Diese Antwort müsste man in Tönen eher als brummigen und besonders tiefen Bass einstufen. Doch sie ist nicht hörbar. „Götter sind für die Schwachen, die einen Schuldigen für ihr Unglück suchen. Ich habe noch nie einen Gott gesehen.“

„Götter sind aber auch für Kraft und Trost da. Und natürlich kann man keinen Gott sehen. Das sind übergeordnete Wesen, die man nur spüren kann.“ Der zarte Gedanke hat etwas Trotziges; aber auch Beharrliches.

„Ich habe auch noch nie einen Gott gespürt.“ Kommt es ebenso trotzig brummig zurück. „Alles nur Hirngespinste. Ich kannte schon viele, die an irgendeinen Gott glaubten. Doch im entscheidenden Moment waren sie allein. Nimm doch zum Beispiel …“

„Ich weiß, wie alt du bist und wen du schon alles kennen gelernt hast, wie du es nennst.“, fällt die zarte Stimme ins Wort. „Du hast die Menschen doch bisher nur beobachtet und ihre Gedanken gelesen. Jetzt versuchst du erneut Kontakt aufnehmen, um den Halben zu helfen. Außerdem haben wir diese Diskussion schon unzählige Male geführt. Du hast deinen Standpunkt und ich meinen. Schluss damit. Wenden wir uns lieber wieder dem Menschenkind an deiner Seite zu. Ich sage es anders: Das ist doch ein wunderbares Zusammentreffen der Ereignisse; oder?“ Man merkte, dass die zarten Gedanken bemüht waren, nun keinerlei Ansatz für weitere Diskussionen zu geben.

„Ja, doch, es kommt mir sehr gelegen. Ich hoffe sehr, dieses Mal eine geistig stärkere Ausgabe eines Menschen erwischt zu haben. Auch wenn das Gedankenmuster bis vor ihrem Einschlafen doch eher äußerst schwach wirkte.“

„Du hast die falschen Muster wahrgenommen. Diese Menschenfrau trägt eine Frucht im Leib und du hast das Muster des Ungeborenen erfasst. Doch auch darin finde ich schon erstaunliche Kraft. Aber auch die Mutter hat eine besondere Ausstrahlung. Ich denke, diesmal wird es gelingen, wenn du nicht gleich wieder so ungehalten und stürmisch auf das einfache Menschlein zu gehst. Das sind empfindliche Geister, die mit viel Fingerspitzengefühl vorbereitet und behandelt werden müssen. Wenn du los schreist, können Menschen das nicht aufnehmen und die empfindlichen Gehirne gehen kaputt. Der arme Mann vom letzten Mal ist heute noch in einem Zustand, den die Menschen wahnsinnig nennen.“ Empörung und Belehrung trugen diese Gedanken in sich mit.

„Das kannst du mir nicht anlasten. Der hat schon das Schreien und irre Lachen angefangen, als ich ihn nur mit dem linken Auge angesehen habe. Dass ich brüllte war nur der Versuch, zu retten was zu retten wäre. Nicht meine Schuld.“ Ein klein wenig beleidigt sein schwang in dem Gedanken. Doch die folgenden Gedanken waren spürbar schalkhaft: „Sie trägt eine Frucht in sich, sagst du. Hat sie einen Apfel gegessen?“

Die Schwingungen der darauf ausbleibenden Antwort waren nicht zu beschreiben. Eine Mischung aus Erstaunen, Empörung, Verletzung und vielem mehr.

„Entschuldigung, sollte ein Scherz sein.“

„Diesmal hast du mit dem Gottesglauben angefangen.“

„Ich habe mich ja entschuldigt.“ Die Entschuldigung bleibt oberflächlich. „Wie wollen wir jetzt weiter vorgehen. Ich will unbedingt, dass es diesmal gelingt.“ Der brummige Gedanke war sehr entschlossen.

„Ich denke, wir sollten diesmal alle möglichen Register ziehen. Ich werde die friedlichsten und beruhigendsten Traumflüsterungen versuchen und sie auf dein Bild vorbereiten. Du solltest jetzt, da sie so nahe ist, versuchen, deine freundlichsten Schwingungen zu senden, damit der Schrecken, der bei deinem Anblick aufkommt, so gering wie möglich bleibt. Nur wenige Recken trauten sich je an dich heran. Und nicht einer hat es je überlebt. Hier soll es anders sein.“

„Recken, noch so ein Menschenwort.“ Kommt die verächtliche Erwiderung. „Ich denke, das sollen wohl Helden sein. Richtig? So heldenhaft waren die aber nicht.“

„Man muss die Heldenhaftigkeit an dem Vermögen messen.“

„Dann waren die aber arm, du Klugscheißer.“ Man mag sich nun ein sehr breites grinsendes Gesicht vorstellen. „Gut, so soll es geschehen.“ Folgt nun einlenkend. „Du kannst mit dem Flüstern beginnen. Ich beginne zu schwingen.“

Nichts davon hat die Ruhe des Waldes gestört. Alles waren nur Gedanken. Das Bächlein, das nahe sein ewiges Lied plätschert, ist das Einzige, das wirklich zu hören ist. Stille herrscht für geraume Zeit.

„Ich habe mir sagen lassen, die Pflanzen seien die Einzigen, die je einen Gott gesehen hätten. Und um nichts verraten zu können, wäre ihnen die Sprache genommen worden.“ Ketzerisch kam der feine Gedanke herüber.

„Ruhe!“, war die brummige Antwort, „Ich schwinge!“

* * * * *

Als Magda langsam erwacht, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Sie fühlt sich wunderbar; so wohl wie noch nie. Das war ein tiefer und erholsamer Schlaf gewesen. All die Verzweiflung und Ängste der letzten Zeit sind nun unbeschreiblich weit weg. Sie fühlt ein dunkles beruhigendes Brummen tief in sich.

Hattest du nicht einen Traum?

Ja, dieser Traum … Nanu! War das ihr Gedanke? Fängt der Wahnsinn schon wieder an? Egal, die Schwingungen in ihr sorgen für Beruhigung. Ja, dieser Traum. Was war das doch gleich? So langsam kommt die Erinnerung zurück. Sie hat zuerst von Angst geträumt. Kein Wunder nach den Geschehnissen der letzten Tage. Doch sie muss ja gar keine Angst haben. Nicht vor den Menschen oder den Tieren des Waldes. Gleichwohl nicht vor großen Tieren. Es gibt keine fürchterlichen Tiere, weder groß noch klein. Außerdem: Welche großen Tiere kannte Sie schon? Den Hirsch! Ihr war, als sei das tiefe beruhigende Brummen in ihr ins Stolpern geraten.

Größer und gefährlicher!

Redet da einer mit ihr? Es ist niemand zu sehen, trotzdem hätte Magda schwören können, dass das nicht ihr Gedanke ist. Aber nein, sie bildet sich nur ein, etwas gehört zu haben. Wohl doch noch eine Nachwirkung der letzten Zeit. Tja, größer und gefährlicher – den Wolf oder den Bär!? Wieder ein spürbarer Hüpfer des beruhigenden Brummens in ihr.

Noch größer und noch gefährlicher! Denk an das Bild.

„Redet da jemand mit mir? Ist da wer?“, ruft Magda. Nein, es ist wirklich niemand zu sehen. Das Bild – was war das für ein Bild? Das Brummen in ihr wurde tiefer und beruhigender. Langsam kam ihr das Bild des Traumes wieder in das Gedächtnis. Ein riesiges Tier, viele Male größer als sie selbst. Ganz hell gefärbt, stark, stolz, schön anzusehen, mit langem mächtigem Schwanz. Mit jeder guten Eigenschaft, die Magda einfiel, wurde das Brummen in ihr intensiver. Wie hieß das Tier im Traum? Es wollte nicht einfallen. Es war ein …, ein …

Drache!!

Ja, ein Drache, denkt Magda auf den fremden geflüsterten Gedanken. „Hey, jetzt reicht es aber. Ich weiß nicht, wer Ihr seid, doch ich höre euch ganz deutlich. Ihr denkt wohl, Ihr könnt euren Spaß mit mir treiben. Zeigt euch, gefälligst.“, ruft Magda in den Wald. Bestimmt und ihres Standes völlig ungehörig fordert Magda den Unbekannten. Nichts geschieht. Entschlossen steht Magda auf. Das einlullende Brummen lässt stark nach. „Wo seid Ihr?“

„Ich bin hier, gleich neben dir auf deiner Schulter.“ Die Stimme ist sehr fein und zart und scheint mehr in ihrem Kopf zu sprechen, als denn mit den Ohren hörbar zu sein. Sie dreht den Kopf nach rechts und nach links, findet aber niemanden.

„Was soll das, auf meiner Schulter? Ich sehe dich nicht. Wie klein bist du denn überhaupt, dass du auf meiner Schulter zu sitzen kommst?“ Magda spricht nun schon ohne jeglichen Respekt, wie mit Ihresgleichen.

„Streck deine Hand aus!“ bittet die Stimme.

Magda tut, wie ihr geheißen und streckt die rechte Hand vor sich aus. Ihr scheint, als sei ein Lichtreflex zu ihrer kleinen, schwieligen Hand gehuscht. Automatisch, um besser zu sehen, hebt sie die Hand vor die Augen. Den Blick auf das bisschen Licht fixiert. Langsam erkennt Sie ….

„Wer oder was bist du? Mir scheint, du seiest eine Libelle. Doch viel viel kleiner und leuchtender.“

„Ich nenne mich Jade und ich bin eine Traumfee. Ich habe dir die Träume in der Nacht gegeben. Weil es wichtig ist, dass du weißt, was du sehen wirst und damit du keine Angst hast.“

„Was ich sehen werde? Ich sehe eine winzig kleine Gestalt, vor der ich wahrlich niemals Angst haben werde. Mir wird zwar nie ein Mensch glauben, was ich sehe, doch Angst machst du mir nicht. Ich kenne keine Angst seit dieser Nacht. Kein Wolf oder Bär kann mich schrecken. Nicht mal ein ….“ Das letzte Wort, das sie sagen will, bleibt dann doch im Halse stecken. Nur langsam kann Magda fortfahren „ … Drache?!?

„Na endlich! Jetzt ist es raus. Sie hat es gesagt. Ja, einen Drachen wirst du sehen.“ Der kräftige Bass des Drachen lässt Magda trotz aller Beruhigungsmaßnamen erschrocken herumfahren. Wieder schaut sie sich um und kann, außer dem hellen Felsen, erneut nichts sehen.

Hätte Jade tatsächlich auf der Hand gesessen, wäre sie unweigerlich abgestürzt. So aber schwebt sie immer noch nahe bei Magda. „Sei nicht so ungeduldig. Du machst doch alles wieder kaputt.“, schimpft sie. Und zu Magda gewandt: „Sieh mich an, …. Äh, wie heißt du eigentlich?“ Diese Frage ist genauso unnötig, wie die Antwort, denn Jade kennt den Namen schon längst. Sie und Eringus sind des Gedankenlesens mächtig und während der Träume hatte Magda selbst den Namen preis gegeben. Aber zur Ablenkung war die Frage genau das Richtige. Magda versucht zunächst erst wieder Jade zu finden, die sie eben ansprach. „Wie kann so ein kleines Wesen, das man kaum sieht, so laut reden?“

„Ich rede nicht wirklich. Du kannst aber meine Gedanken verstehen und ich deine. Würde ich meine Stimme, die ich tatsächlich habe, als solche verwenden, könnte ich damit nicht mal eine Fliege aufscheuchen. Dein Kopf glaubt nur, mich zu hören.“, lautet Jades Antwort. Inzwischen hat Eringus wieder mit dem Brummen begonnen und Magda wird auch wieder deutlich ruhiger. „So, Magda, versuchen wir es jetzt noch einmal und mit Ruhe und ungestört.“ Der letzte Teil bezieht sich auf Eringus, der dieses Mal auf eine Antwort verzichtet. „Denk an den Traum.“, fährt Jade fort. „Du musst wirklich keine Angst haben. Dir wird nichts geschehen. Du wirst gebraucht.“

Wäre Magda nicht so aufgeregt gewesen, hätte sie sich bestimmt gefreut. Ihr wurde schon lange nicht mehr gesagt, dass sie gebraucht wird. Zuletzt hat die verstorbene Mutter dies gesagt. So blieb die Bemerkung ungeachtet.

„Wir werden den Bock am Besten von hinten aufzäumen.“, beginnt Jade.

„Bock!?!“, protestiert Eringus.

„Sei doch ruhig“, weißt ihn Jade an. Als sie dann die fragenden Augen Magdas sieht: „Ach so, das kannst du noch nicht verstehen.“

„Wir fangen mit dem an, das dir sicher am wenigsten Angst machen wird.“, beginnt Jade noch einmal. „Dreh dich ein wenig nach rechts herum. – Ja, so ist es gut. Jetzt schau gerade aus. Siehst du etwas Helles vor dir?“

„Ja, dort neben der großen Weide.“, antwortet Magda.

„Sehr gut, Magda. Das ist das Schwanzende. Nun dreh dich nach links, bis du nichts Helles mehr siehst.“

„Da neben dem morschen Baum ist das Letzte, was ich sehe.“ Inzwischen hat sich Magda halb um die eigene Achse gedreht.

„Richtig. Das ist die Nase des Drachen. So lang ist er. Darf er dich jetzt auch einmal ansehen?“, bittet Jade.

Magda atmete ganz tief durch und antwortete stoßartig: „Ja.“

Langsam öffnet Eringus sein linkes Auge und blickt durch die Blätter eines kleinen Bäumchens. Magdas Augen wollen anscheinend die gleiche Größe wie das Drachenauge erreichen. Als Sie nun immer noch nicht zu schreien anfängt, dreht Eringus ein wenig seinen Kopf und blickt auch mit dem zweiten Auge zu Magda. Stocksteif steht sie da. Unfähig, sich zu rühren.

„Es scheint zu klappen, Jade.“ brummte Eringus und erhebt sich zu voller Größe. In gleicher Geschwindigkeit hebt sich auch Magdas Blick und Kopf, bis dieser im Nacken liegt. Dann kippt sie mit einem Seufzer rücklings um.

„Oder auch nicht!“ piepst Jade. „Solltest du nicht warten? Hatten wir nicht ausgemacht, dass ich dich langsam vorstelle? Du Trampel!“, schimpft Jade und schwebt herab auf Magdas Brust. „Du hast Glück, ihr Herz schlägt noch. Zumindest das hat keinen Schaden genommen. Ich hoffe für dich, dass auch ihr Verstand heil geblieben ist.“

Langsam kommt Eringus zwischen den Bäumen hervor. Dabei bewegt er sich so bedacht, dass auch nicht ein Blatt vom Baum fällt. Er weiß, wie sehr seine kleinen Freunde alle Pflanzen lieben. Gerade als er den halben Schritt näher kommt, öffnet Magda wieder die Augen. Ihr Blick, noch leicht verschwommen, trifft auf Eringus, welcher nun versucht, eine menschliche Reaktion nachzuahmen; er grinst.

Natürlich sieht das bei einem Drachen absolut nicht freundlich aus. Im Gegenteil: Wer die Reihen gewaltiger Drachenzähne in diesem riesigen Maul erblickt, denkt mit Sicherheit nicht an ein freundliches Lächeln. Magda, die ihren Kopf leicht hebt, um nach der Ohnmacht besser sehen zu können, stöhnt nur tief und sinkt wieder in die schützende geistige Umnachtung zurück.

„Ich glaub´s doch nicht. Jetzt reißt du auch noch dein Maul auf. Das kann doch nie was werden.“ Jade ist sehr ungehalten und dreht Eringus empört den Rücken zu. Um das zu sehen, müsste man allerdings den scharfen Blick eines Drachen haben. Zu Magda gewandt flötet Jade: „Magda, wach auf. Es ist alles gut. Er macht dir doch nichts. Magda!“

„Jetzt reg dich nicht so auf. Ich kriege das schon hin.“, brummt Eringus zurück. Er senkt seinen Kopf ganz dicht zu Magda hinab. In seinem zartesten Brummen flüstert er: „Magda. Ich fresse dich nicht. Du kannst die Augen aufmachen.“ Dabei öffnet er ganz leicht sein Maul und kitzelt mit den Spitzen seiner gespaltenen Zunge ganz sanft Magdas Gesicht.

Ist es nun das Kitzeln mit der Zunge oder die damit verbundene Feuchte im Gesicht, gleichwohl schlägt Magda die Augen wieder auf. Mühsam richtet sie sich auf und sitzt benommen auf dem moosigen Waldboden. In gleichem Abstand schwebt immer noch Eringus´ Maul vor ihr. Nahezu in einer Bewegung hebt Magda zuerst den Blick, dann den Kopf und dann ihre kleine Faust. Sie holt aus und schlägt mit aller Kraft ihres kleinen Körpers mit flacher Hand Eringus auf die Nase. So, als wolle sie jemandem eine Ohrfeige verpassen. Erschreckt von ihrer eigenen Reaktion wirft sich Magda auf den Bauch. „Verzeiht mir großer Wodanaz.“

Danach herrscht Stille. Man meint, der Wald und all seine Bewohner, der Wind, die Sonne, der Bach, alles hielte den Atem an. Eringus hebt schnell seinen Kopf und blickt mit staunenden Augen auf Magda herab. Dann gluckst es in ihm. Und es gluckst immer doller, bis es schließlich aus ihm heraus bricht. Eringus lacht. Er lacht so schallend, dass die Bäume sich schütteln und ein einsamer Wanderer in der Ferne erstaunt in den blauen Himmel blickt und sich wunderte, wo da wohl ein Gewitter versteckt sei. „Du hast recht, Jade, sie ist ein Recke.“

* * * * *

Es hat zwar noch einige Zeit gedauert, doch ganz langsam hat sich Magda daran gewöhnt, diesen Koloss neben sich als verständiges und, für sie, ungefährliches Wesen zu sehen. Nachdem sich Eringus von seinem Lachanfall erholt hat, macht er aber sofort eines klar: „Ich bin kein Tier!“ Seine weitschweifigen Ausführungen und Abgrenzungen zu Tieren bezüglich Instinkt, Verstand, Intelligenz, Sprache und so weiter hat Magda mit unverständigem Blick über sich ergehen lassen. Mit dem Resümee: Drachen sind keine Tiere kann sie etwas anfangen. Eringus, der sich dabei so richtig in Fahrt geredet hat, merkt erst am Ende, dass seine Feststellungen und Darlegungen bei Magda völlig ins Leere gehen. Sie kann ihn nicht verstehen.

„Du bist wirklich nicht Wodanaz, unser großer Kriegsgott?“ Magda ist anfangs der festen Meinung, Eringus sei die Fleisch gewordene Erscheinung des nordischen Gottes.

„Nein, bin ich nicht. Es gibt keine Götter.“

„Das glaub ich dir nicht. Meine Großmutter hat es von ihrer Großmutter und die von; ach keine Ahnung. Sie hat mich gelehrt, welcher Gott wofür gut ist. Es gibt dich und Punraz und Teiwaz und Frijo und Fullo, die hat mich bedacht, obwohl ich noch gar nicht um ein Kind gebeten habe, und …“

Hier unterbricht sie Eringus mit dem gelangweilten Einwand: „Nochmal: Ich bin kein Gott und es gibt überhaupt keine Götter.“

„Einen Gott muss es aber geben. Davon hat der Mönch, mit dem ich gekommen bin, gesprochen. Der hat auch einen und er hat sehr überzeugt gewirkt.“, beharrt Magda.

„Glaub, was du willst.“, erwiderte Eringus missmutig und übersieht Jades Grinsen. „Die Diskussion will ich hier und jetzt nicht weiter führen.“

„Kannst du mir dann nochmal erklären, wofür du mich brauchst, Eringus?“ Auch das hat er Magda schon erklärt. Doch die einfache junge Frau ohne jegliche Bildung als die, die ihre ebenso unwissende Großmutter ihr geben konnte, ist nicht in der Lage, seinen umfänglichen Erklärungen zu folgen.

„Muss ich ja wohl, sonst kannst du mir nicht helfen, wenn du nicht verstehst, worum es geht. Also: Ich habe kleine Freunde, die Halben, die sind sehr um die Pflanzen und Bäume bedacht. Ja? Und die leiden immer, wenn die Menschen für Ihre Felder die Wälder und Wiesen niederbrennen. Ja? Und wenn die Menschen dann weiter ziehen, bleiben die Äcker ungeschützt durch Bäume liegen und verwüsten. Das sieht hässlich aus und sie sind dann traurig und haben viel Arbeit, denn sie müssen dann dafür sorgen, dass dort wieder Bäume und Sträucher und Gräser wachsen. Du verstehst; Ja?“ So einfach wie möglich versuchte Eringus das Problem der Halblinge klar zu machen. Sicher wäre es aber besser gewesen, nach jedem Ja nicht einfach zügig weiter zu reden, sondern erst einmal zu prüfen, dass das Gesagte angekommen ist.

Also kommen jetzt von Magda weitere Nachfragen. „Die Halben sind die kleinen Menschen, die ich im Wald als kleine Teufel angesehen habe und vor denen ich fortgelaufen bin. Richtig?“, fragte Magda nach.

„Ja.“ Eringus hat seine Mühe, geduldig zu bleiben.

„Aha! Und warum machen die das?“

„Was?“

„Ja, Bäume und Sträucher pflanzen, und so!“

„Würden Sie das nicht machen, bräuchte die Natur viele Jahre, bis da wieder etwas wachsen würde. In der Zwischenzeit hätten Wind und Regen die gute Erde weggewaschen und –geweht. Dann wäre da nur noch Felsen, auf dem nichts mehr wachsen kann.“

„Aha! Und die lieben die Pflanzen, sagst du.“

„Ja, sehr. Und das ist gut so.“

„Warum?“

„Die Pflanzen sind die wehrlosesten Geschöpfe der Erde. Jedes bewegliche Lebewesen kann ihnen Leid zufügen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Das bisschen Dornen der Rosen oder das Gift der Maiglöckchen ist kein Schutz vor zertrampeln. Bei Hochwasser können die Blumen nicht flüchten. Jämmerlich vergehen sie, ohne je geblüht zu haben. Feuer kann keine Pflanze entgehen, oder hast du schon mal einen Busch gesehen, der vor dem Feuer weg hüpft? Zwar können die Halben nicht alle Schäden verhindern, aber sie sind äußerst fleißig dabei, diese zu beheben. Zum Wohle auch der Menschen. Und außerdem: Ohne Pflanzen wäre es auf der Erde nicht so schön.“

„Aha.“ Schweigen.

Irgendwie geht es in dem Gespräch nicht weiter. Das merkt Eringus ganz deutlich. Hilfesuchend blickt er zu Jade, die mit immer breiterem Grinsen zu hörte. Jetzt zuckt sie nur mit den Schultern. Sie könnte vielleicht helfen, wenn Magda schliefe. Als Traumfee kann sie dann die meiste Macht ausüben.

„Komm mal mit, Magda. Ich will dir etwas zeigen. Vielleicht hilft das.“ Eringus führt Magda auf eine Lichtung am Hang. Unter dem leicht wolkigen blauen Himmel bildet ein ganzes Heer von Bäumen einen dichten geschlossenen Wald. Nur an den Lücken zwischen den Baumwipfeln ist der Verlauf der Chynzych zu erkennen. Sonst sieht man nur einen fast lückenlosen Urwald, in dem ein Eichhörnchen vom Meer, weit im Westen, bis zu den entferntesten Bergen im Osten hüpfen könnte, ohne je einen kleinen Fuß auf den Boden setzen zu müssen. Auf dem gegenüber liegenden Hang leuchtet im Licht der Sonne eine Lichtung mit satter grüner Weide. Eringus weißt mit einer Kopfbewegung zu seiner Linken. „Was siehst du da?“

„Ich sehe ganz viel Wald und es scheint ein Bach dazwischen zu fließen.“

„Richtig erkannt.“, lobt Eringus. „Findest du das schön?“

„Ja, natürlich!“ Magda erinnert sich an die Stille im Wald, ohne das Gezeter von Tante und Onkel und das Geplärre der kleinen Kinder. Dort hat sie sich immer am Wohlsten gefühlt. Das Zwitschern der Vögel in den Ästen und …

Eringus unterbricht ihren Gedankengang, den er ja lesen kann. „Nun sieh mal dort hin.“ Eringus schaut auf die rechte Seite und Magda folgt seinem Blick. Das hässliche Bild einer Wüstung zerreißt den lieblichen Anblick. Mühsam erkämpft sich die Natur das Land zurück, um die Narbe zu schließen.

„Dort haben einmal Menschen gelebt und ihren Acker bestellt. Aber jetzt gibt die Erde kaum noch Frucht. Sie ist ausgelaugt und die Bauern sind weiter gezogen.“ Magda sieht, was für sie normal ist. Einige Bäume zeigen immer noch Wunden der Brandrodung. Der ausgebeutete Boden trägt nur noch Disteln und Brennnesseln und Brombeerbüsche ragen darüber hinaus.

„Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du das schön findest?“ Eringus will ihr irgendwie klar machen, worauf er hinaus will.

„Nein, schön ist das nicht. Aber wir Menschen müssen doch auch irgendwie leben. Im Wald kann man keine Felder anlegen. Und wenn dann nichts mehr wächst, müssen wir uns woanders einen neuen Platz suchen. Dort bauen wir wieder unsere Hütten und machen neue Felder.“

Jetzt hat Eringus Magda an einem Punkt, wo er wieder versuchen kann, ihr verständlich zu machen, worum es ihm geht. „Das ist aber nicht nötig, Magda. Ich kann den Menschen zeigen, wie sie nicht mehr weiter ziehen müssen. Wenn man es richtig macht, dann kann man an einem Ort bleiben und trotzdem gute Ernten haben. Mir ist das ja gleich, wie ihr lebt und wenn mir was nicht passt, habe ich die Menschen noch immer fort gekriegt. Das mach ich nur für die Halben. Die schaffen es schon gar nicht mehr, eure Schäden und Wüstungen wieder heil zu machen.“

„Aber das machen wir doch jetzt schon.“, protestiert Magda. „Meine Familie ist schon seit vielen Jahren am gleichen Ort, bestimmt schon vier Jahre oder so. Wie die anderen Bauern in unserem Dorf auch. Gibt ein Feld nicht mehr genug Ernte, machen wir nebenan ein neues Feld. Irgendwann probieren wir dann wieder das alte Feld oder machen noch ein drittes Feld. Wir wandern nicht mehr so oft. Das hat uns der Herr so aufgetragen, hat mein Onkel mal gesagt.“

„Das ist doch auch schon mal ein Anfang und das ist gut. Ihr könnt aber auch gleich mit drei Feldern auf einmal anfangen. Ein Feld für die Sommerpflanzung, eines für die Winterpflanzung und eines liegt brach. Und das immer wieder wechseln.“

Magda sah Eringus ungläubig an. „Das schafft kein Mensch. Drei Hufe auf einmal bearbeiten geht nicht. Ein Huf sind 30 Morgen, also was ein Bauer halt an dreißig Morgen bearbeiten kann und jeder Morgen ist so groß, dass ich bestimmt hundert mal hundert mal hundert Schritte machen muss, um drum herum zu laufen. Das ist viel.“ Stolz verkündet Magda ihr Wissen, das sie von der Großmutter gelernt hatte, auch wenn sie nur bis hundert zählen kann, wenn man Geduld hat. Hundert ist viel, das weiß sie.

Tief atmete Eringus durch. Dann beginnt sein Kampf, Magda das zu erklären, was man heutzutage eine Drei-Felder-Wirtschaft nennt. Nach langer Zeit hat sie es zumindest zur Hälfte verstanden.

„Und was hat das mit den Halben zu tun? Machen die das auch schon so?“

„Ja, die machen das auch schon so. Und weil es ihnen weh tut, wie die Menschen den Wald kaputt machen und sie den Wald noch mehr lieben als du, machen sie sich die Mühe und versuchen, auf solchen Wüstungen wieder einen schönen Wald anzupflanzen. Doch das ist viel Arbeit, die nicht nötig wäre.“ Man merkt Eringus an, dass seine Geduld so langsam erschöpft ist, ob der vielen warum und wieso und noch mal bitte, mit denen Magda seine Erklärungen durchlöchert.

„Aha!“ In Magdas Kopf beginnt es langsam zu arbeiten. Sie macht ein verbissenes Gesicht vor Anstrengung, das sich dann erhellt, als ihr ein Einfall kam. „Das ist prima. Ich geh sofort zu unserem Herren und erklär ihm das und dann wird er sich freuen und mich loben und ich darf wieder in unserem Dorf leben und kann dort bei meiner Großmutter mein Kind bekommen und …“. Magda stockt und ihr eben noch fröhlich strahlender Blick trübt sich zur Traurigkeit. „Nein, ich kann nicht!“

Eringus, der sich mit Magda über ihre Erleuchtung freute, blickt verdutzt. „Wie? Was? Wieso kannst du nicht?“ Genau das soll Magda für ihn tun. Den Menschen sagen, wie es besser geht und richtig ist.

„Wer bin ich denn, dass ich vor den Herren trete und ihn belehren will? Die unwichtigste seiner Mägde, eine, die seinem Sohn ein Kind anhängen will, wie er sagt. Voll Schande vom Hof vertrieben. Dumm! Ich kann das nicht. Er wird mich auslachen, prügeln lassen. Ich darf nie mehr nach Hause kommen. Mein Dorf wird mich fort jagen. Mit Steinen und Ästen nach mir werfen. Nein, das geht nicht.“ Kraftlos und zutiefst traurig hängen Kopf und Schultern.

„Oh! Daran hab ich auch nicht gedacht. Ihr Menschen habt ja eine Ordnung, in der nur die hohen Herren das Sagen haben. Und Frauen gelten nichts.“ Eringus Plan hat eine Lücke, die er so schnell nicht schließen kann. „Darüber muss ich nachdenken. Das krieg ich schon hin.“

Langsam versinkt inzwischen die Sonne am Horizont.

„Für heute werden wir noch mal im Wald schlafen. Morgen gehen wir dann zu den Halben und sehen, ob du dort für die nächste Zeit ein Heim finden kannst.“

Eringus lässt sich einfach dort, wo er steht nieder und rollt sich ein wenig ein.

„Komm her und leg dich mir zur Seite. Ich werde dich warm halten. Eine Nacht im Wald kann noch recht kühl sein.“

Magda kuschelt sich an sein rechtes Vorderbein und bettet ihren Kopf, halb sitzend, irgendwo an seine Seite. Vorsichtig breitet Eringus seinen Flügel als Decke über ihr aus und legt seinen Kopf auf die Vorderfüße. Jade saß auf einem Baum, von wo aus sie die ganze Zeit zugehört hatte. Nun fliegt sie auf Eringus Haupt und findet dort ein sicheres Plätzchen. An etwas zu Essen für Magda hat noch keiner gedacht.

* * * * *

Am Morgen erwacht Magda mit einem mächtigen Knurren im Bauch. Zuerst hat sie gedacht, es sei Eringus bis sie merkt, dass ihr Magen dringend Beschäftigung brauchte. Sie kriecht unter dem Flügel hervor. Im Schlaf ist sie ganz darunter gerutscht. Nun steht sie auf und sieht sich um, ob etwas Essbares zu finden sei. Leider wieder nichts. Voll Sorge denkt sie an das Kind in ihrem Bauch.

Jade ist gerade mit ihrer Morgenwäsche beschäftigt. In einem Blütenkelch badet sie und singt ein kleines Lied, das aber leider keiner hören kann. Ihre Stimme ist halt zu schwach. „Guten Morgen, Magda!“, denkt sie und das kann man verstehen. „Was suchst du?“

„Ich habe seit Tagen nichts mehr zu essen gehabt. Kannst du mir sagen, wo ich etwas finde?“

„Leider nein. Von Blütennektar wirst du wahrscheinlich nicht satt werden.“ Dann erhellt sich ihr Gesicht. „Mir fällt ein, dass ich im Flug da hinten einem Bienenschwarm ausgewichen bin.“ Ihre Armbewegung ist für Magda leider nicht erkennbar. Und selbst wenn sie es hätte sehen können, hätte es ihr nichts genutzt, denn die Wegweisung war mehr als ungenau. „Magst du Honig?“

„Sehr gerne.“, lautet Magdas verständliche Antwort. „Wo war das?“

„Komm ich zeige es dir.“ Dabei fliegt Jade auf Magdas Ohr. „Ich glaube, du musst hier rechts gehen.“

Gemeinsam versuchen sie nun, den Bienenstock zu finden. Leider ohne Erfolg. Magda ist traurig. Leckerer Honig, das wäre es jetzt gewesen. Doch nun steht sie im Wald, hungrig wie zuvor. „Lass uns zu Eringus zurück gehen. Vielleicht kann er mir helfen.“

„Es tut mir leid, Magda. Wirklich. Aber fliegen bringt eine andere Sicht als gehen. Vielleicht hätte ich fliegen sollen. Dann hätte ich es bestimmt wieder gefunden, vielleicht.“

„Sei es, wie es ist. Wo geht es zu Eringus?“

„Oh!“ Auch Jade hat den Weg verloren. „Ich hab nicht aufgepasst. Das ist mir ja noch nie passiert. Einen Moment, bitte.“ Sie konzentriert sich auf den immer noch schlafenden Drachen. „Er schnarcht sogar im Traum. Das ist leicht. Jetzt erst einmal wieder zurück. Umdrehen und los.“

Magda kämpft sich ihren Weg durch den Wald, denn Jades Gedankenorientierung kennt nur den geraden Weg und nimmt keine Rücksicht auf umgestürzte Bäume und Unterholz. Ab und zu flüchtet ein Eichhörnchen von ihnen aufgeschreckt. Ein Eichelhäher schimpft über die Ruhestörung. Eine Amsel schilt mit ihnen aus Angst, ihrer Brut könne etwas geschehen.

„Bleib mal stehen.“, sagt Jade. „Ich höre etwas.“

Augenblicklich steht Magda still und rührt sich nicht. Sie lauscht in den Wald. Da ist nichts Besonderes zu hören.

„Die Bienen. Dort!“ Jades feines Gehör hat die kleinen Brummer wahrgenommen, obwohl Magda nicht gerade wenig Lärm bei ihrem Marsch durch den Wald gemacht hat. Sie hat jetzt auch gelernt, Magda gegenüber mit ihren Anweisungen genauer zu sein. „Rechts oben, in der Buche. Der zweite Ast von unten auf der linken Seite. Da ist der Stock. Kannst du ihn sehen?“

Angestrengt versucht Magda den richtigen Baum zu finden. „Eine Buche. Aha!“

Jade beginnt zu steuern. „Dreh dich ein wenig nach rechts, reicht, gerade aus, etwa dreißig Schritte.“

Hier muss man nun zugeben, dass wahrscheinlich kaum ein Mensch dies hätte finden können. Es handelte sich um eine ganze Buchengruppe und der gesuchte Baum war mitten drin. Der fragliche Ast wurde zudem noch von davor stehenden Bäumen stark verdeckt. Vom Bienenstock war kaum ein Zipfel richtig zu erkennen. Magda stolpert in die angegebene Richtung, bis sie auch die Bienen sehen und hören kann. Jetzt kann sie ohne weitere Anweisung ihrem Frühstück näher kommen. Doch schon zeigt sich das nächste Problem. Wie kommt man an den Honig? Der Stock hängt hoch über ihr. Suchend blickt Magda sich um, ob sich nicht ein abgebrochener Ast fände. Aber genau hier lag nichts und auf der angrenzenden Wiese gleich gar nichts, was man hätte benutzen können. Immer so! Wenn man was braucht, ist es nicht da.

„Was treibt ihr denn dort drüben?“ Eringus ist inzwischen erwacht und hat die zwei am Rand der Lichtung erblickt.

„Magda hat Hunger.“, lautet Jades Antwort. „Irgendwas muss das Kind doch auch essen. Sie ist kein Drache und das Ungeborene in ihrem Bauch auch nicht. Hier drüben ist ein Bienenstock. Sie möchte gerne Honig.“

„Au ja, bitte. Hilfst du mir?“ ruft Magda.

„Wer etwas essen will, sollte dafür auch arbeiten. Ist das nicht eine Regel, bei euch Menschen?“, fragt Eringus zurück. „Wie, denkst du, kommst du jetzt an den Honig?“

„Lass mich überlegen. Wenn ich einen langen Ast finde, kann ich ihn herunter schlagen.“

„Gut, dann ist er unten. Und dann?“

„Oh, ich vergas, dann sind die Bienen ja ganz aufgeregt und fliegen ganz wild. Vielleicht werde ich gestochen. Das ist nicht angenehm. Mh. Wenn ich es fertig bringe, kann ich ein Feuer unter dem Bienenstock machen und die Bienen …“

„Schon gut, ich helfe dir.“ Die Vorstellung, dass schon wieder Feuer in seinem Wald gelegt wird, gefällt Eringus natürlich nicht. „Zu deinem Glück ist es nur ein kleiner Bienenstock. Ich richte also keinen allzu großen Schaden an. Warte.“ Er blickt starr auf den Stock und Magda glaubt, ein feines Singen zu vernehmen. So ein feiner Ton von solch einem mächtigen Wesen? Unglaublich. Noch unglaublicher ist der Erfolg. Alle Bienen fliegen aus dem Nest und sammeln sich zwei Äste weiter darüber. Nun öffnet Eringus ganz vorsichtig mit einer seiner Krallen den Stock und entnimmt ein Stück daraus. Das reicht er Magda. „Hier, das muss reichen. Die kleinen Bienen werden genug Arbeit haben, den Schaden wieder zu richten.“

Gierig macht sich Magda über die Waben her. Ihre Finger sind schnell ganz klebrig und auch ihr Mund bekommt eine interessante Färbung rund herum.

„Jetzt aber los.“, mahnt Eringus. „Die Bienen werden nicht mehr lange warten und dann wird dein kleines Schleckermäulchen sicher ein beliebtes Angriffsziel für die Stacheln werden.“ Er wendet sich um und geht los und weil Magda immer noch stehen bleibt, ruft er: „Achtung, die Bienen kommen!“

Jetzt beginnt Magda zu rennen. Sie bleibt erst stehen, als sie neben Eringus steht. Sie blickt sich um und sieht, dass die Bienen immer noch über ihrem Nest fliegen und keine Anstalten machen, die Räuber zu verfolgen.

„Das war gemein.“ Sie leckt sich die Finger und schmatzt. „Ich komm ja schon mit.“

Auch Jade war eben erst einmal aus dem vermeintlichen Angriffsweg der Bienen geflogen. Sie traut keinem Stachelträger oder wer auch immer pieksen kann. Jetzt aber grinst sie schon wieder. Sie kennt Eringus Scherze.

„Los jetzt,“, bestimmt der Drache, „wir haben noch ein Stück Weg vor uns. Unterwegs solltest du aber ein Bad nehmen, Magda.“

„Baden? Warum? Ich hab nur die Kleider, die ich am Leib trage. Soll ich nass oder nackt weiter laufen?“

„Ich fürchte, das muss wohl so sein. Du bist mit Honig verschmiert. Gesicht, Hände und Gewand, einfach alles an dir ist voll davon. Sind es keine Bienen, so ziehst du andere Tiere an, die Gefallen an Süßem finden. Da hast die Wahl, entweder nass und unbehelligt oder umschwirrt von Stechfliegen und anderen Plagegeistern der feuchten Gebiete. Ich denke, du wirst dich richtig entscheiden.“ Bei diesen Worten hat Eringus keinen Schritt langsamer gemacht. Er ist schon bemüht, so zu gehen, dass Magda ihm folgen kann, doch jetzt muss die kleine Frau sich sputen, hinterher zu kommen.

Als sie endlich wieder ziemlich dicht an Eringus heran ist, ruft sie: „Du bist zu schnell, Eringus. Ich komme ja kaum mit. Haben wir es so eilig?“

„Nicht wirklich eilig, auch wenn wir Zeit brauchen werden, bis du ins Wasser kommst. Doch ich bin mir sicher, du wirst mich bald überholen.“ Eringus lächelt schelmisch, sagt aber nicht, wo es hinein gehen wird. Sehr zügig für Magdas kurze Beine nimmt er seinen Weg. Zielstrebig geht er voraus und Magda folgt. Zumindest wählt er den Pfad so, dass sie sich nicht über Hindernisse kämpfen muss. Zunehmend aber bekommt sie Begleitung von Schnaken und Libellen und anderem fliegenden Volk. Angelockt vom süßen Honig und dem Duft, den sie verströmt, wird der Schwarm um Magda immer größer. Im gleichen Maße beginnt Magda, sich der gierigen Flieger zu erwehren. Alle wollen von dem Honig, den Magda mit sich herum trägt.

Als auch noch Bienen oder Wespen sich dazu gesellen, wird es Magda zu viel. „Ist es noch weit, bis zum nächsten Bach?“

„Nur noch wenige Schritte. Da vorne …“, kann Eringus noch beginnen. Dann ist Magda auch schon an ihm vorbei und springt in das kleine Wasser, das kaum ihre Hüften erreicht, als sie drin sitzt. Wie wild wäscht sie sich das Gesicht, vornehmlich den Mund, und Hände. In ihrer Not versucht sie, unter zu tauchen, was ihr aber nur mäßig gelingt. Heftig rubbelt sie jeden Fleck aus ihrer Tunika, gleich ob Honig oder sonstigen Ursprungs. Letztendlich haben ihre Bemühungen Erfolg; die Plagegeister verschwinden. Triefend nass, aber zufrieden, strahlt sie Eringus aus dem Bach an. „Punraz sei Dank. Jetzt ist mir wohler.“

Amüsiert sieht Eringus sie an. „Ach, dafür hast du einen Gott gebraucht? Hat er dich gewaschen oder warst du es selbst?“ Eringus macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen den Götterglauben. „Ich sah keinen anderen außer dir hier.“

Fragend blickt Magda ihn an, bis sie begreift, worauf er sich bezieht. „Du weißt schon, wie ich das meine. Das sagt man doch so.“

„Ja ja, einfach so, ohne zu überlegen. Egal. Komm jetzt wieder raus und zieh deine Kleidung aus.“

„Das gehört sich aber nicht.“, protestiert Magda. “Guck weg“

„Werde jetzt nicht albern. Mir ist ein nackter Mensch gleich wie ein angezogener. Du wärest nicht die Erste und wirst auch nicht die Letzte sein. Komm raus und sammle Holz. Ich werde ein Feuer entzünden, damit du dich und deine Kleidung trocknen kannst. Derweil werde ich dir erklären, was nun auf dich zu kommt.“

Was Magda nicht wissen kann: Sie sind wieder vor der Hecke, vor der sie zuletzt wegen der schlimmen Stimmen und Erscheinungen von Tante und Onkel und allen geflohen war. Allerdings ist die Entfernung noch ausreichend groß, sodass der Abwehrzauber noch nicht wirkt „Wo willst du mich jetzt schon wieder hinführen?“, beschwert sich Magda.

„Schweig und tu, was man dir sagt.“ So langsam versteht Eringus, mit Magda um zu gehen. Sie beginnt brav, in den nassen Sachen Holz zu sammeln. Als sie versucht, einen kleinen Ast abzubrechen, bekommt sie die angemessene Rüge: „Du sollst sammeln und nicht die Bäume verletzen. Nur Holz, das auf dem Boden liegt.“ Natürlich ist nicht nur trockenes Holz in dem Haufen, den Magda zusammen trägt, trotzdem brennt der kleine Stapel sofort, als Eringus mit kurzem Hauch das Holz entzündet. Und es qualmt seltsamer Weise nicht. Ein wenig zitternd und nackt sitzt sie davor und trocknet ihre Kleidung, die sie an einem langen Ast über dem Feuer schwenkt.

„In wenigen Schritten werden wir das Dorf der Halben erreichen. Doch sie wissen sich zu schützen. Sieh dich doch einmal um. Kennst du die Gegend?“ Aus Magdas Träumen wussten Eringus und Jade um die Visionen, die die junge Frau beim ersten Mal hier hatte.

„Der Bach kann jeder Bach sein, aber ich glaube die Hecke da vorne, die habe ich schon einmal gesehen.“ Dann kommt auch Magda wieder die Erinnerung. „Oh nein, da geh ich nicht rein.“ Die Angst vor dem Grafen und all denen, die sie gesehen hatte, kommt wieder hoch.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Keine der Personen, die du glaubtest zu sehen, ist wirklich dort. Das war die Wirkung des Schutzzaubers, der jedes Dorf der kleinen Leute umgibt. Er soll Fremde, die nicht willkommen sind, vom Dorf vertreiben und ihnen die Lust nehmen, dort noch einmal hin zu gehen.“

„Das kann der Zauber aber gut. Ich will da nicht hin!“

„Bleib nur ruhig und hör mir zu. Wenn du den Zauber wieder spürst und die Stimmen oder Bilder wieder kommen, musst du nur denken: Freund des Waldes. Ganz fest musst du das denken. Dann wird der Zauber aufhören. Danach will dich die Hecke noch abwehren. Sie ist undurchdringlich und wehrhaft, denn auch sie ist magisch verstärkt. Manche der Äste tragen Dornen und die Büsche sind durchaus in der Lage, nach dir zu schlagen, kommst du in ihre Reichweite. Vorsicht, denn einige haben sehr lange Äste. Wenn wir dann also vor der Hecke stehen, musst du denken: Willkommen bei den Halblingen. Dann wird sich die Hecke für dich öffnen und du kannst in das Dorf.“ Eringus Tonfall ist eindringlich und mahnend. „Das musst du lernen und dir gut merken. Ich werde nicht immer bei dir sein, wenn du das Dorf verlässt und wieder hinein willst. Wiederhole bitte.“

„Freund des Waldes denken, wenn der Zauber anfängt und Willkommen bei den Halblingen, wenn ich vor der Hecke stehe. Richtig?“, wiederholt Magda brav.

„Gut so. Stell es dir aber nicht so leicht vor. Gerade der Zauber wird deine ganze Geisteskraft in Anspruch nehmen, bis du es richtig gelernt hast. Wenn du trocken und wieder angekleidet bist, setzen wir unseren Weg fort.“

Es dauert noch ein wenig, bis Magda ihre Kleider wieder anziehen kann. Eringus tritt das Feuer aus und geht voran. Sie folgt ihm, aber die Aufregung steigt. Obwohl der Drache sie vorbereitet hat, wird Magda zunehmend nervöser. Und dann spürt sie es. Langsam und leise klettern die Stimmen wieder in ihren Kopf. Diesmal hört sie zuerst Hermann, den Sohn. „Na, du Schlange, versuchst du es noch einmal? Ja, komm doch. Komm nur her. Wir warten schon auf dich.“ Wieder spürt Magda diese beklemmende Angst und den dringenden Wunsch, umzukehren. Nur schwer gelingt es ihr, an die Anweisungen von Eringus zu denken. Wie war das? Freund der Halben? Nein! Wald der Freunde? Auch nicht. „Du zögerst?“ Das war der Graf. Magda ist stehen geblieben, weil sie krampfhaft versucht, sich an Eringus Worte zu erinnern. „Lass mich in Ruhe!“, antwortet sie der Stimme in ihrem Kopf trotzig. Verdammt, das muss ihr doch wieder einfallen. Aber jetzt: „Freund des Waldes!“. Sie ruft es lauthals in Richtung Hecke. Augenblicklich sind die Stimmen des Grafen und seines Sohnes verstummt. Unendliche Erleichterung. Magda atmet sichtlich auf. Das war geschafft.

Gespannt hat Eringus die Szene beobachtet und in Magdas Gedanken mit gelesen. Er wollte ihr nicht helfen, auch wenn er es gekonnt hätte. Sie sollte es lernen, also hat er abgewartet. Jetzt, da sie wieder weiter geht, wendet auch er sich um und geht die letzten hundert Menschenschritte zur Hecke. „Sieht das nicht schön aus, Magda? Das ist Lindenbach.“

Magda gibt ihm keine Antwort, denn sie sieht nichts. Das Gestrüpp vor ihr ist unüberwindlich hoch und so dicht, als würden die Zweige der Büsche ineinander greifen, um keinen auch nur einen Fuß weit hinein zu lassen. Jetzt ist es also Zeit für das zweite Losungswort. Wie lautete das jetzt noch mal? Sie kratzt sich am Kopf. Das ist schwer. Doch, ja, es heißt Willkommen bei den Halblingen. Nun hat Magda nicht gerufen, sondern nur gedacht. Die Büsche lösen ihre verschlungenen Zweige und geben den Weg frei für sie. Eringus hingegen braucht das nicht. Er steigt einfach über die Hecke hinweg. Vor Magda liegt eine große Lichtung und mitten drin das Dorf der Halblinge.

Was Magda erst später erkennen wird, sei hier vorweg genommen. Die ganze Lichtung ist etwa einen Morgen groß. Das Dorf Lindenbach selbst besteht aus 28 kleinen Hütten, die so angeordnet und mit kleinen Zäunen eingefasst sind, dass von oben gesehen das Bild eines vierblättrigen Kleeblattes entsteht. In den kleinen Gärtchen um die Häuschen werden viele zierliche Blümchen gepflegt. Manche Halblinge nutzen dies auch gerne als Hinweis, wer hier zu Hause ist. Hier wohnt Familie Krokus, dort lebt Familie Veilchen. Grenzwertig ist die Blumenpflege bei Familie Distel. Da wachsen die Blüten auch schon mal über den Kopf der kleinen Menschen. Kürzlich hat Herr Sonnenblum es sehr übertrieben. Man stelle sich vor: Neben dem Haus, das bis unters Dach höchstens drei und einen halben Fuß hoch ist, wollte er tatsächlich drei Sonnenblumen groß ziehen. Da hat ihm Linda Malve aber etwas erzählt. Ganz entrüstet hat die Frau des Dorfmeisters darauf bestanden, dass die Blumen gefällt würden. Beim nächsten Sturm wären die inzwischen schon beachtlich hohen Sonnenblumen sicherlich umgefallen und hätten Schaden im Dorf angerichtet. Traurig hat Herr Sonnenblum dann geholfen, seine Prachtstücke nieder zu machen. Jetzt versucht er, kleinere Ausführungen zu züchten. Bislang aber leider nur mit wenig Erfolg.

In der Mitte des Dorfes stehen die Bänke. Hier trifft sich das kleine Volk zu gemeinsamen Mahlzeiten und bespricht, wer wann welche Arbeiten übernimmt. Küchen gibt es nicht in den Häusern, nur Schlafkammern für die Eltern und die Kinder. Alles wird zusammen auf diesem Versammlungsplatz zubereitet und verzehrt. Natürlich gibt es auch die notwendigen Tische, doch diese noch in den Namen als Versammlungstische und Versammlungsbänke aufzunehmen, ist entschieden zu lang und umständlich. Man sprach allenthalben nur von den Bänken. Hinter dem Sitzplatz des Dorfmeisters und dessen Frau steht der einzige Baum innerhalb des Dorfes. Ein großer und uralter Baum, dessen weitläufiges Geäst Schatten über alle Bänke werfen kann. Sollte das Wetter es nicht erlauben draußen zu sitzen, haben die Halben gegenüber den Bänken, also auf der anderen Seite des Baumes, ihr großes halbrundes Versammlungshaus errichtet. Damit ist der gesamte Innenraum in der Mitte der Häuschen gänzlich aufgeteilt. Rund um das Dorf haben die Halblinge einen Graben ausgehoben und den Bach eingeleitet. Es gibt genau vier Brücken aus dem Dorf heraus zu den Feldern, Scheunen und Ställen. Streng dem Bild des Kleeblattes entsprechend. Neben den Ställen, in denen die Tiere wirklich nur sehr selten sind, grasen die Ziegen und Schafe auf weitläufigen Wiesen. Es sind ausgesprochen kleine Tierrassen und trotzdem sind die Halblinge kaum sehr viel größer, als ihre Tiere. Zwischen den Weiden befinden sich die Gemüsefelder und hinter den Wiesen und Gemüseflächen liegen die Getreidefelder, die sich fast bis an die große Hecke ausdehnen. Dadurch ist entlang der Hecke rund um die Siedlung ein breiter Weg, den auch Eringus nutzen kann. Alles ist auf wohl gepflegten Wegen, gesäumt von Bäumen, zu erreichen. Gerne werden auch flache Hecken als Grenzen zwischen den Feldern und Ställen gepflanzt. Alles macht einen sauberen und mit Liebe gehegten Eindruck.

Eringus geht nicht weiter. Er hat zwar ein hervorragendes Gefühl für sanfte und schadlose Bewegung im Wald, doch diese Puppenstube ist nichts für ihn. Ein Tritt seiner Füße und mindestens ein Haus wäre dem Erdboden gleich. Deswegen bleibt er geduldig stehen, wohlwissend, dass ihn die Halblinge schon längst bemerkt haben. Er ist, als Freund der Halben, immer gerne gesehen. Aber er wird nicht besonders begrüßt. Ein freundliches „Hallo“ ist völlig ausreichend, wenn man sich sonst nichts zu sagen hat. Die Attraktion des Tages ist zweifelsohne Magda, was sich auch sogleich zeigt.

„Eine Große! Eri hat endlich eine Große für uns gebracht!“ Dieser Ruf hallt quer durch das Dorf. Jeder, der ihn hört, lässt augenblicklich die Arbeit ruhen und jegliches Werkzeug aus den Händen fallen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht. Jeder, der sie aufnimmt, gibt sie augenblicklich an die Umstehenden weiter. Im Nu bildet sich an der Brücke, die Magda am nächsten ist, ein Knäuel von kleinen Leibern, weil alle die Vordersten sein wollen, die sich die Große ansehen. Und kaum, dass Magda es kapiert, ist sie auch schon umringt von einer Schar von bunt gekleideten kleinen Menschen. Selbst von den entferntesten Feldern kommen sie in windeseile angerannt und in kürzester Zeit ist das ganze Dorf rund um Magda versammelt. Ganz besondere Drängler haben sich unter Eringus Bauch hindurch nach vorne geschafft. Keiner der Halben erreicht eine Größe von drei Fuß. Alle tragen sie ein weites Hemd ohne Ärmel, das in die Hose gestopft ist. Diese ist auch weit geschnitten und bis unter die Knie lang. Mit einer dicken Schnur wird die Hose über den Hüften gehalten. Schuhe tragen sie keine, denn ihre Füße sind etwas ganz besonderes. Übergroß sind die Füße der kleinen Menschen und mit einer harten lederartigen Sohle geschützt. Wenn bei einem normal großen Menschen etwa ein sechstel seiner Körpergröße der Fußgröße entspricht, so ist es bei diesen Kleinen hier in der Regel ein Fünftel. Oder anders ausgedrückt: Damit sie zu ihren Füßen passen, müssen sie noch ganz schön wachsen. Auf dem Kopf tragen die Männer eine Mütze mit langem Zipfel, die Frauen bunte Kopftücher; manch kleiner Mensch trägt aber auch einen breitkrempigen Strohhut, als Schutz vor der Sonne. Sowieso ist das ganze Bild bunt. Die Kleidung ist mit Farben gewirkt, die Magda nur von Blumen her kennt. Auffällig ist auch, dass ausnahmslos alle an der Hüftschnur eine weitere Schnur angebunden haben, an der ein starker Haken aus Metall hängt.

„Macht doch mal Platz, Leute. Lasst mich doch mal durch.“ Dorfmeister Eichenlaub versucht, nach vorne durch zu kommen. Und als er damit keinen Erfolg hat, schreit er: „Macht Platz für meine Frau!“ Das hilft, denn der Chef im Dorf ist nicht er, sondern Linda Malve, sein an vermähltes Weib. Die ist aber keineswegs bei ihm, sondern schon längst direkt vor Magda.

„Was redest du da wieder für einen Blödsinn, du alter Torfkopp.“, ruft sie zu ihm. „Ich bin doch schon da. Nur du trödelst mal wieder.“ Nun dreht sie sich wieder um und blickt mit ihren fast schwarzen Augen zu Magda hoch. „Und du bist also der große Mensch, der uns helfen soll?“ Die Frage klang mehr nach einer Feststellung. „Du bist doch nur eine Frau und dazu auch noch jung und offensichtlich guter Hoffnung.“ Die Schwangerschaft ist der mehrfachen Mutter natürlich nicht entgangen. Das hängt aber vielleicht auch mit dem Blickwinkel zusammen. „Eringus, was hast du dir dabei gedacht? Ich hatte eigentlich einen gestandenen Mann erwartet, bei dem man schon vom ansehen her Respekt bekommt. Das junge Ding hat doch überhaupt nichts zu melden, bei den Großen.“ Linda hat einen recht herrischen Ton am etwas stärker gebauten Leib, auf dessen Hüften sie nun energisch ihre Hände stemmt. Sie trägt, im Gegensatz zu den anderen, einen dunkelblauen Wickelrock statt einer weiten Hose und ein dunkelrotes Hemd. Ihr blondes Haar hat sie mit einem Band zu einem dicken Pferdeschwanz gebändigt.

In diesem Moment zupft einer der Kleinen vor Magda an ihrem Rock. Ganz dicht steht er vor ihr und schaut nach oben. „Hallo, Große! Weißt du, ob der Regen im Regenbogen gebogen regnet?“

„Nicht jetzt, Ob!“, ruft nahezu das ganze Dorf. Mit vorgeschobener Unterlippe schmollend senkt der Halbe seinen Kopf, wendet ihn dann aber sofort wieder Linda zu, die umgehend erneut das Wort ergreift.

„Wie soll das Kind uns bei den Großen helfen? Na, was hast du dir so vorgestellt, wo du doch so schlau bist?“, ruft sie zu Eringus.

Der kann sich diesen Tonfall nicht gefallen lassen. Übertrieben freundlich erwidert Eringus: „Meine liebe Linda. Ich gehöre nicht zu diesem eurem Völkchen und ich würde es sehr begrüßen, würdest du dich mir gegenüber eines etwas freundlicheren Tones befleißigen.“ Die Freundlichkeit in seiner Sprache macht mehr und mehr seiner Verärgerung Platz. Was bildet sich dieses Weib eigentlich ein? Grimmig blickt er Linda an und diese blickt zunächst ebenso grimmig zurück.

Schließlich mildert sich ihr Blick und sie spricht: „Ich entschuldige mich, Eringus. Doch versteh meine Enttäuschung. Wir kommen mit der Arbeit nicht nach und brauchen doch dringend jemanden, dessen Wort bei den Großen von Gewicht ist. Aber sie“, sie blickt kurz zu Magda, „entschuldige, Kindchen!“, „kann das niemals leisten.“, nun wieder Eringus zugewandt.

„Im Grunde scheinst du recht zu haben.“ Auch der Drache spricht nun wieder freundlicher. „Doch ich setze darauf, dass sie eine Frau ist.“ Frau hat er überdeutlich betont. „Auch bei den Großen ist es nicht selten, dass nur dem Anschein nach die Männer das sagen haben, tatsächlich aber im Hintergrund die Frauen regieren. Zunächst einmal ist zu nehmen, was gekommen ist. Sie ist immerhin die Erste, die das Zusammentreffen mit mir geistig überlebt hat; dank Jades Hilfe. Das ist doch wohl ein klares Argument für sie. Man muss schließlich auch mit den kleinen Geschenken des Lebens zufrieden sein. Außerdem ist sie jung, wie du selbst festgestellt hast. Also wohl auch noch lernfähig und wenn sie erst einmal genau weiß, wo das Problem liegt (was sie bis jetzt immer noch nicht tut, denkt er sich) wird sie sicher mit Feuereifer euch zur Seite stehen. Und letztlich ist sie bald Mutter. Du selbst kennst die Wirkung von Muttergefühlen am Besten. Frauen im Allgemeinen und Mütter im Besonderen haben eine ganz nachdrückliche Art, sich durchzusetzen und Ziele zu erreichen. Vielleicht lässt sich aus all dem doch was machen. Wie siehst du das jetzt?“ Eringus hat seine Mühe, eine plausible Erklärung für Linda zu finden, hat er doch selbst größte Zweifel. Andererseits ist er über seine gelungene spontane Argumentation selbst recht überrascht.

Linda betrachtet sich Magda von oben bis unten und wieder zurück. Diese Kopfbewegung deutet der Drache sofort als zustimmendes Nicken, wohl wissend, dass das so nicht gemeint war. „Ich wusste, dass du mir Recht gibst. Lass erst mal das Kind auf der Welt sein. Bis dahin finde ich schon einen Weg.“

Die Frau des Dorfmeisters fühlt, dass sie soeben überrumpelt wurde, doch da sie nichts konkretes vorbringen kann, belässt sie es bei einem skeptischen Blick zu Eringus und der Bemerkung: „Dann lassen wir die Dinge mal kommen.“ Sie wendet sich zu ihrem Völkchen. „Auf Leute, genug Maulaffenfeil gehalten. An die Arbeit. Es gibt viel zu tun oder will einer behaupten, er sei schon fertig? Ich hab da noch das eine oder andere!“

Fast genau so schnell, wie sich die Halben versammelten, streben sie jetzt wieder ihren Tätigkeiten zu und Eringus steht mit Magda wieder alleine da, mit einer Ausnahme. Erneut zupft es von unten an Magdas Rock. „Ob …“

„Jetzt nicht, Ob.“ Bevor mehr als dieses Wort über die Lippen kommt, blockiert Eringus jede weitere Rede.

„Schade. Wirklich sehr schade!“ Damit wendet sich Ob ebenfalls um, und schlendert gedankenverloren über die Brücke zurück ins Dorf, wo er sich auf die Bänke setzt und den Vögeln im Baum über ihm zu sieht.

Nun wirklich allein erklärt Eringus: „Das ist jetzt für die nächste Zeit dein Zuhause, Magda. Leider gibt es für dich hier kein Haus, in das du hinein passt. Also wirst du vorerst bei mir schlafen, bis mir auch dafür eine Lösung eingefallen ist. Komm, ich zeig dir den Weg.“

Magda ist anzusehen, dass das Geschehene eben nicht leicht einzuordnen ist. Während sie hinter dem Drachen hergeht, versucht sie zu verstehen, wer was hier von ihr will. Sie soll eine Aufgabe bekommen. Mh. Irgendwas soll sie wohl bei jemandem erklären für die Halben. Mh. Dass das Leben so schwer sein kann, wenn man nicht mehr im eigenen Dorf ist, hätte sie sich niemals vorstellen können.

Das Gelände hat sich nach Süden hin etwas angehoben und die Hecke umschließt so auch den Eingang zu einer Höhle, der so groß ist, dass auch Eringus hindurch passt. Dahinter vergrößert sich der Raum deutlich. Viel ist darin nicht zu sehen. Es ist das Heim des Drachen und was braucht er mehr, als einfach nur eine Höhle. Hier wird nicht gekocht, nicht gearbeitet und auch nicht gelebt. Nur ab und zu, wenn er Lust dazu hat, legt er sich hier nieder, um zu schlafen. Wer jetzt glaubt, einen wahnsinnig großen Schatz zu finden, wird sehr enttäuscht sein. Gold und Edelstein gehören nicht zu Eringus bevorzugten Dingen. Also kurz gesagt: Die Höhle ist leer.

„Such dir ein Eckchen, wo du schlafen möchtest. Eventuell werde ich heute vor der Höhle ruhen, mal sehen. Ich habe viel nachzudenken.“

Magda sieht sich um. „Hier wohnst du?“

„Ja, wenn ich im Dorf bin, dann schon.“

„Hier stinkt es ja gar nicht.“

Überrascht fährt Eringus Kopf herum. Er ist erschüttert über diese Einfalt. „Magda,“, beginnt er gezwungen geduldig, „ich bin kein Tier und das hier ist kein Saustall.“ Er wendet sich ab und geht vor die Höhle. Irgendwo im Hintergrund hört man Jades Kichern.

Eringus, der Drache vom Kinzigtal

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