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Die Männerversteherin

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I.

Die Autotür musste dafür büßen, dass Ilona genug vom ewigen Promi-Gefasele hatte. Sie knallte die Fahrertür ihres City-Flitzers mit zusammengekniffenen Lippen das zweite Mal ins Schloss, weil nach dem ersten Mal noch eine große Portion Unzufriedenheit übrig geblieben war.

Fast wäre noch der Saum ihres halblangen Rockes eingeklemmt worden. Sie strich ihn an Bauch und Hüfte glatt.

Vor einem Jahr war sie mit aller Entschlossenheit an der lukrativen Falle vorbeigesteuert, als eine der großen Kultzeitschriften für das Prominentenwesen sie als Chefreporterin engagieren wollte. Im Normalfall für eine Jungjournalistin wenige Jahre nach der Ausbildung unwiderstehlich.

Kollegen und Freunde waren fassungslos, als sie den Job umgehend ablehnte und sich dabei eine Begründung sparte.

Heute, in ihrem neuen Wirkungskreis, einer kleinen aber kritischen Zeitschrift, traf sie bei ihren Interviews fast täglich auf schillernde interessante Typen, die sie häufig mehrere Stunden befragte und daraus brillant formulierte Reportagen verfertigte.

Aber jetzt hatte Ilona der Horror der Yellow Press wieder eingeholt, auch wenn es sich nur um eine einzige Reportage handelte, die ihr Blatt von ihr verlangte.

‚Leben Schauspieler ihre Rollen?’ lautete die Leitfrage für ihre Arbeit und als Interviewpartner hatte ihr Chef den Schauspieler Julius Hertram ausgewählt, der in seinen letzten Filmen den Herzensbrecher gab. Er kreuzte dynamisch den Lebensweg aufstrebender Frauen, köderte sie mit dem Versprechen eines Lebens in Wohlstand und brachte sie dann zu Fall.

Julius Hertram spielte dort einen schlampigen aber wohlhabenden Mittvierziger, der seine Scheußlichkeiten eiskalt plante, zudem seine Opfer auch noch verhöhnte.

Nachdem sich Ilona ein wenig an ihrer Autotür abreagiert hatte, machte sie sich eilig auf den Weg.

„Bringen wir es hinter uns“, dachte sie bei sich, „frauenverschlingende Monster warten nicht gern.“ Für sie war das Interview insgeheim schon gelaufen.

„Also: Leben Schauspieler ihre Rollen?“

Jedenfalls dürfte es unmöglich sein, als Engel ein Monster darzustellen; das stand für sie fest.

II.

In der Gartenwirtschaft, wo sie mit ihrem Interviewpartner verabredet war, entdeckte sie unter den Sonnenschirmen niemanden, der dem Bild entsprach, das sie sich nach seinen Filmauftritten von Julius Hertram gemacht hatte.

Als sie das Areal zum zweiten Mal vergeblich durchstreifte, erhob sich etwas entfernt ein leger gekleideter Mann, etwas älter als sie, und gab ihr ein Zeichen.

„Na ja“, dachte sie, „der sieht im richtigen Leben ja viel jünger aus, zwar nicht gut aussehend aber interessant.“

Ilonas Erfahrungen mit allzu attraktiven Männern waren nicht die besten, mit deutlich älteren allerdings noch schlechter.

„Bei mir sind Sie richtig“, begrüßte er sie, „ich bin Julius Hertram.“

Nur widerstrebend gestand sie sich ein, dass sein Händedruck warm und einfühlsam war.

„Sie sind also das Monster aus ‚Gleiches mit Gleichem’?“

„Höchstpersönlich! Soll ich mal mein gemeinstes Gesicht machen?“

Darauf blinkte er ihr komplizenhaft mit geneigtem Kopf zu und wirkte dabei nicht im Geringsten gemein sondern unglaublich komisch.

Und im nächsten Augenblick, wieder völlig entspannt, machte er Ilona seine Rechnung auf.

„Was ich in diesem Film bin und verbreche ist zu 50% Maske plus Kostüm, zu den anderen 50 % ist es die Performance und zu 0% bin ich es selbst.“

Für einen Moment vergaß Ilona ihren Auftrag, denn sie spürte, dass er sich ihr gegenüber nicht verstellte. Er suchte nicht nach wohlformulierten und druckreifen Plattitüden, um diese irgendeiner Interviewerin in das Notebook zu diktieren. Alles, was er wollte, war, sich von dem Druck der klischeehaften Rolle zu befreien, sich einer Frau gegenüber unmissverständlich aber aufrichtig zu offenbaren.

Ilonas unterkühlte Selbstsicherheit begann zu flattern und die Alarmglocken klangen nur noch wie aus weiter Ferne.

„Pass auf, Ilona, das ist genau die Masche wie in seinen Filmen! Und wenn er in dir sein nächstes Opfer sucht?“

Sie riss sich zusammen.

„Aber es heißt doch, zu der wirklich brillanten Darstellung eines Schauspielers gehört, dass er die Rolle lebt.“

Obwohl sie sich selbst eine große Portion Misstrauen und Angriffsfreude schuldig war, erschreckte sie sogleich über ihre eigenen Worte und bereute sie sofort. Denn er zeigte sich sichtlich getroffen, zog sich augenblicklich und deutlich spürbar zurück.

„Wo haben Sie denn diesen Quatsch aufgeschnappt? Vielleicht gibt’s mal den einen oder anderen Kollegen, bei dem mir dieser Gedanke auch nicht fremd ist.

Für mich kann ich nur sagen: ich liebe die Frauen, aber ich benutze sie nicht.“

„Aber warum stellen Sie sich dann für die Rollen solcher Frauenvernichter zur Verfügung?“

„Nennen Sie es Karrieregeilheit oder Existenzangst. Sie haben mit Ihren Bedenken schon recht; diese Rollen waren zuletzt für mich unerträglich; ich bereue sie sehr. Auch wenn ich wenigstens inzwischen meine horrenden Schulden aus früheren Jahren dadurch abtragen konnte.“

Ilona hakte sofort erleichtert ein.

„Dann hätte Ihnen ja wohl auch das Geld zum Frauenködern gefehlt!“

Da erst merkte sie, dass sie die Rolle der alles verstehenden Anwältin bei ihm eingenommen hatte; die zweifelnde Journalistin war anscheinend irgendwann in den letzten Minuten in der Versenkung verschwunden.

„Hoffentlich hat er es nicht bemerkt!“ ging es ihr durch den Kopf.

„Langer Rede, kurzer Sinn“, schloss er ab, „unter das Ganze mache ich in zwei Monaten einen Schlussstrich und wechsele zum Theater, zur klassischen Bühne. Das tut einfach gut und ich kann dann zum Beispiel im echten Leben einfach mal eine aufregende Frau fragen: Haben Sie nach dem Interview Zeit für mich?“

Ilona blickte von ihrem Notebook auf, überlegte kurz und sah ihn erstaunt an.

„Ach“, warf sie ein, Sie haben heute noch ein weiteres Interview?“

Sie hatte den Sinn seines letzten Satzes nicht verstanden; vor allem hatte sie nicht verstanden, dass seine Frage ihr selbst galt.

Er klopfte auf ihr Notebook, zog ihre Hand von der Tastatur weg zu sich hin und wurde deutlicher.

„Wenn Ihr Notebook Pause macht, möchte ich Sie zu einem Besuch im Filmstudio einladen, am liebsten noch heute. Eine der letzten Chancen, mich als den Bösewicht der Frauenwelt zu erleben.“

Noch unentschlossen hielt sie sich mit der rechten Hand am Notebook fest, während er ihre andere Hand immer noch nicht losgelassen hatte.

„Ich glaube“, -sie kam aus dem Staunen über sich selbst nicht heraus-, „ich glaube, die Pause hat schon begonnen.“ Dann klappte sie das Notebook zu.

III.

Julius hatte dafür gesorgt, dass die Präzision ihrer Wahrnehmung heute schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Davon zeugte nicht nur, dass seine Einladung erst im zweiten Anlauf zu ihr durchgedrungen war.

Der gemeinsame Rückweg zu ihrem City-Flitzer wurde eine kleine Odyssee zwischen Suchspiel und Schnitzeljagd; Ilona hatte im Gewirr der Altstadtgassen die Orientierung verloren.

Julius aber nahm dies nicht zum Anlass, sich darüber lustig zu machen, sondern spendete ihr Trost mit seinen Worten und seinen Händen, bis sie überraschend über den gelben Flitzer stolperten.

Aber als sich beide in den Kleinwagen gezwängt hatten, machte sich der Wagenschlüssel selbstständig und verschwand im Pedalraum. Bevor sie Julius daran hindern konnte, hatte er sich über sie gebeugt und angelte mit einer Hand nach dem Schlüsselbund.

Jedoch sein erster Fund zwischen Gashebel und Bremse war ganz anderer Art.

Sie spürte seine Hand, die sich vom Knöchel her hinaufschob und unter ihrem Rock den Weg bis weit über das Knie fand, wo sie zum Halt kam. Sein Griff war sanft und besitzergreifend zugleich.

„Haben Sie gefunden, was Sie suchen?“ fragte sie lächelnd.

„Aber ja“, antwortete er, „Suchen ist eine meiner großen Leidenschaften. Es fällt mir häufig schwer, so ganz einfach damit aufzuhören.“

„Die Schlüssel!“ murmelte Ilona.

Er verstand dieses Signal; die Suche hatte ein Ende gefunden!

Auf dem Weg ins Studio versuchte Julius anscheinend, diese kleine Zurückweisung zu verarbeiten. Er hielt ihr einen Vortrag über den Kleinwagen als dem größten Feind der Erotik.

„Zu nichts taugt er, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau enger zu gestalten! Von Anfang bis Ende: es taucht ein Hindernis nach dem anderen auf!

Eine erste spontane Begegnung des Paares scheitert daran, dass Frauen sich in solchen Kisten nicht trauen Männer als Anhalter mitzunehmen.

Wenn man sich dann aber schon näher gekommen ist, möchte man keine Gelegenheit zum Knutschen auslassen.

In diesen Sardinenbüchsen aber verlässt einem dazu das Verlangen, wenn im entscheidenden Moment der Zärtlichkeit der Ellbogen mit dem Lenkrad kollidiert.

Über die ausbleibende Lust beim herbeigesehnten Schenkelverschränkungsspaß brauch ich ja wohl kaum viele Worte verlieren.“

IV.

Im Filmstudio schleuste er sie problemlos in seine Garderobe ein.

„Sie wollen’s doch so authentisch wie möglich?“ suchte er bei ihr die Absolution für diese Zumutung, die er ihr damit bot. Denn das Chaos, welches sie durchschritt und in dem sie auf einem blanken Hocker Platz nahm, hatte Charme, aber wohl nur für ihn. Es schien so, als gestalte er auf diese Weise eine ganz besondere Art von Ordnung, denn mit nur einem Griff fand er jeweils die Utensilien, welche er genau in diesem Augenblick brauchte.

Ilonas Faszination wuchs in dem Maße, wie seine unprätentiöse Art des Umgangs mit den Dingen für sie Gestalt annahm.

Sie dachte zurück an seinen witzigen Verriss der Kleinwagen-Erotik. Mittlerweile konnte sie nicht mehr glauben, dass er damit wirklich seine eigene Auffassung wiedergegeben hatte. Solch ein Auto ermöglichte nämlich in Wirklichkeit ein großes Maß an Intimität, war ein Ort der Nähe und der Vertrautheit.

Für sie beide wäre ihr Mini sicher das wunderbarste Liebesnest geworden, wenn sie ihn einfach aufgefordert hätte, den Weg seiner Hand ungehindert fortzusetzen und weit über ihr Knie hinaus sein zärtliches Spiel voranzutreiben.

Das Licht in der Garderobe war grell und lästig.

Julius hatte damit begonnen sich in den älteren Herrn zu verwandeln, der in seiner Rolle gnadenlos Schrecken bei Frauen verbreitete. Zuvor aber entledigte er sich seiner privaten Attribute, und ohne dass Ilona davon überrascht war, gehörte dazu auch seine gesamte private Kleidung.

Unbefangen wand er sich ihr zu und ebenso unbefangen betrachtete sie ihn, lächelnd und mit Wohlgefallen. Seine Schultern, seine mäßig behaarte Brust, schließlich seine Hüften mit seiner schwach pendelnden Rute im Zentrum.

Sie verzichtete darauf, ihm zu sagen, wie sehr er ihr gefiel. Denn sein Blick sagte mehr als deutlich, dass er dies ohnehin verstanden hatte.

Als auf dem Set die Kameras liefen, kauerte sich Ilona seitlich in eine Ecke und sah ihn kraftvoll agieren, unverkennbar das Ekel, nach dem sie bei ihrem Treffen im Gartenlokal Ausschau gehalten hatte.

Aber sein Spiel war heute doch ein wenig anders als in den Filmen, die sie von ihm kannte. Möglich, dass er die Chance nutzte, seinen Abschied von der alten Rolle in den Schlussszenen des Filmes zum Ausdruck zu bringen.

Julius Hertram spielte sich frei. Und Ilona freute sich auf den neuen Julius.

V.

Nun stand sie in seiner Wohnung und glaubte, sie hätten sich in der Tür geirrt. Das konnte nicht das Domizil des gefragten Filmschauspielers Julius Hertram sein. Ihre Bude während des Studiums war kaum kleiner als dieses Ein-Zimmer-Appartement mit einem großen Fenster.

Er deutete die Ratlosigkeit und die leichte Irritation in ihrem Blick richtig.

„Wer Schulden abtragen muss, kann sich keine Villa leisten; und wer Filmverträge schießen lässt, kann sich auch in Zukunft keinen Bungalow von 200 qm zulegen.“

Sie ließ die frugale Ausstattung der Kleinwohnung amüsiert auf sich wirken: ein Küchenblock, eine Dusche, ein Tisch, zwei schmale Schränke, ein Bett und ein Sessel.

„Gäste haben bei dir die große Auswahl, ob sie auf dem Boden, auf dem Sessel oder auf deinen Knien Platz nehmen wollen, oder?“

Ilona ließ das Bett links liegen und begutachtete den Sessel.

„Immerhin doch ein breit gefächertes und teilweise auch reizvolles Angebot!“ sagte er. „Und hast du dich schon entschieden?“

„Du hast vorhin behauptet, dass du die Frauen liebst, also überlässt du mir den Sessel!“

Doch er schlenderte an ihr vorbei und nahm vor ihren Augen in diesem Sessel Platz.

„Da ich als Schauspieler an Überheblichkeit und Größenwahn leide, kommen nur meine Knie als Liebesbeweis in Frage.“

Sie schaute sich im Zimmer um und tat so, als hätte sie das Bett erst jetzt völlig überraschend entdeckt.

„Bei deinem egoistischen Starrsinn zwingst du mich doch tatsächlich, die Notlösung zu wählen.“

Ilona entledigte sich der Schuhe, schlüpfte aus ihrer Jacke und streckte sich auf dem Bett aus.

„Jetzt gehst du aber doch ein wenig zu weit! Erst den gemütlichen Sitz auf meinen Knien verschmähen und dann mein einziges Bett besetzen! So gehst du mit meiner Gastfreundschaft um!“

Während er die letzten Worte sprach, hatte Julius den kurzen Weg zum Bett zurückgelegt und die andere Hälfte seiner Schlafstätte in Beschlag genommen.

„Sag mal, bist du der heilige Sankt Martin?“, fragte sie, während sie sich auf der Seite liegend an ihn lehnte.

„Weiß nicht“, sagte er nahe an ihrem Ohr, „und wenn doch: so nahe bei dir werde ich nicht lange keusch und heilig bleiben können.“

„Ich frag nur, weil Sankt Martin alles mit den Bedürftigen teilt, zum Beispiel Mäntel, Betten und so weiter.“

Ilona stemmte sich hoch, rutschte zu ihm hinüber und robbte an ihm empor, bis ihr Kopf unter seinem Kinn ruhte.

„Der hat schon Phantasie, dieser Sankt Martin“, flüsterte er, „aber mir fällt da auch einiges ein.“

Dabei griff er in das Fleisch ihres Rückens, presste dann ihre Schenkel an sich.

„Lass mich eine Weile so auf dir liegen, Julius!“ verlangte Ilona.

„Und alles, was deine Hände mit mir machen, ist wunderschön; ich halte sie nicht mehr auf.“

Da hatte Julius aber auch schon damit begonnen, den Bund ihres Slips über ihre Hüften hinabzuschieben. Ilona hob dafür ihr Becken an und sank dann zurück.

„Julius“, murmelte sie, „deine Hände sind ja kalt. Komm ins Warme?“

Der lange und der kurze Weg

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