Читать книгу Der lange und der kurze Weg - Rainer Zak - Страница 5

Spagat

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I.

In dem Appartementhaus am Gansforth gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Selten verging ein Monat, ohne dass nicht wenigstens an ein oder zwei Tagen der Aufzug des 10stöckigen Gebäudes für einige Zeit blockiert war. Umzugkartons und Kleinmöbel sammelten sich im Flur des Erdgeschosses und verschwanden dann nach und nach; ein Klingelschild wurde ausgewechselt.

Gestern hatte Ute sich auf diese Weise in der dritten Etage niedergelassen und anschließend unternehmungslustig eine Erkundung in alle Nischen und Ecken des Gebäudes gestartet. Die Architektur ihrer Etage sah der darüber und der darunter zum Verwechseln ähnlich und nirgendwo zeigten sich nennenswerte Spuren von Leben. Im Keller gelang es ihr schließlich, erste Anzeichen menschlicher Zivilisation aufzuspüren; im Waschmaschinenraum gurgelten zwei Geräte vor sich her und in der Ecke hockten zwei kaugummikauende Barbiepuppen und tratschten. Ute sah ihre kommunikative Ader von zähen Ablagerungen der Einsamkeit bedroht.

II.

Als Ute nach einer Woche den Zeitpunkt gekommen sah, selbst im Kellerverließ eine erste Ladung schmutziger Wäsche einer Waschtrommel anzuvertrauen, stieß sie dort auf den ersten männlichen Mitbewohner.

Das Haus der 60 Einzelzellen war seit zwei Jahren Helges Stützpunkt für sein improvisiertes Leben. Seine langjährigen Erfahrungen als Einsiedlerkrebs schlossen immer noch nicht die Bewältigung aller alltäglichen Routineübungen ein. Zum Beispiel Wäsche waschen nach den Regeln der Schadensbegrenzung.

Der mürrische Typ, der mit einem Brummen auf Utes heitere Begrüßung geantwortet hatte, machte sich unverzüglich und hemmungslos ans Verfüllen der nächsten Maschine. Seine sowohl einzigartige als auch eigenartige Methode bestand darin, seine Kleidungsstücke wahllos und ungeordnet nach Materialien und Farben zusammenzustopfen.

„Machen Sie das immer so?“ fragte Ute voller Verblüffung, weil sie ihren Augen nicht traute. Und als er sich schweigend abwandte, versuchte sie es mit einem freundlichen Rat.

„Sie werden sehen, dass die weiße Wäsche länger weiß bleibt, wenn sie das Farbige separat waschen!“

An seinem darauf folgenden Blick erkannte sie schon, was er von ihrer Empfehlung hielt; aber er verzichtete dennoch nicht darauf, ihr seine Meinung um die Ohren zu hauen.

„Ihre klugen Sprüche können Sie ruhig für sich behalten. Darauf kann ich gern verzichten!“

III.

Nach dieser Begegnung legte sie verständlicherweise keinen Wert darauf, ihn so bald wiederzusehen. Am nächsten Tag jedoch hatte sie keine Chance, ihm aus dem Weg zu gehen. An einer scharfen Kurve hinter der Fleischtheke kam es nach einem Beinahe-Zusammenstoß zum Showdown. Die Gänge beim größten Discounter des Viertels waren nun einmal sehr eng geschnitten, und so kam es zur gegenseitigen Blockierung ihrer Einkaufswagen. Helge erstarrte, Ute zuckte die Schultern.

Auch beim anschließenden Rangieren ähnelten ihre Entwirrungsversuche eher dem Duell zweier Auto-Scooter-Piloten.

Nebenbei bemühte sich Ute, ihr Befremden über das Chaos in seinem Einkaufswagen, über die Menge der Fertig- und Tiefkühlprodukte zu verbergen.

Er hatte jedoch ihren missbilligenden Seitenblick aufgefangen und trat ihr ergrimmt entgegen.

„Wahrscheinlich wissen Sie auch hier alles besser! Sie kennen nicht nur die Rezepte für die perfekten Waschmethoden, sondern werden mir wohl gleich einen Vortrag über die richtige Ernährung halten. Alles in allem wären sie sicher die perfekte Frau für jemanden wie mich! Was gäbe es denn sonst noch, das sie zu meiner Vervollkommnung beitragen könnten?“

„Der Typ ist ja völlig verkarstet!“ dachte Ute. Sie schwankte kurz zwischen Mitleid und Empörung; dann aber lief das Fass bei ihr über.

Sie konnte auch anders und zeigte dies mit einem Steilangriff unter die Gürtellinie, um diesem Gorilla seine Unverschämtheiten heimzuzahlen.

„Wenn Sie nicht so ein Brechmittel wären, gäbe ich Ihnen ein paar gute Tipps, wie sie es einer Frau fantastisch besorgen könnten. Ich wette, dass es da bei Ihnen auch nicht zum Besten steht.“

Drei Kundinnen an der Fleischtheke hatten diese saftige Tirade Wort für Wort mitbekommen und prusteten gleich darauf begeistert los.

Helge aber fand eine Lücke neben dem Tresen und machte sich wagenklappernd aus dem Staub.

Früher hatte sich Helge noch nie so aufmerksam und vorsichtig zwischen seiner Wohnungstür und dem Parkplatz vor dem Haus bewegt wie in den Tagen danach. Dieser Megäre wollte er unter gar keinen Umständen zufällig über den Weg laufen.

Einmal bewältigte er sogar die 124 Stufen zu seinem Appartement zu Fuß, da Ute zur gleichen Zeit mit dem Fahrstuhl einige Regalbretter und Polsterteile nach oben beförderte.

IV.

Es gab eine Zeit, wo solch eine Treppenbesteigung für ihn eher eine Auflockerungsübung war. Da war er in den Kampfstätten der Leichtathleten in ganz Europa zu Hause und zählte meist zu den Favoriten. Dann passierte in Barcelona die katastrophale, völlig verdrehte Landung in der Sprunggrube. Nach Krankenhaus und Reha brach die Zeit an, wo mehr als fünf Stufen für ihn nicht ohne Schmerzen zu bewältigen waren.

Mittlerweile konnte er den Weg hinauf zu seinem Appartement wieder problemlos bewältigen. Aber er wollte mehr!

Noch hegte Helge die Hoffnung, der Muskel wäre später einmal wieder voll belastbar und seine Weitsprungleistungen könnten wieder das europäische Niveau erreichen. Er wehrte sich noch beständig gegen den Gedanken, die schwere Muskelverletzung am Oberschenkel vor zwei Jahren wäre möglicherweise das Ende seiner sportlichen Karriere.

„Wir brauchen dich hier im Verein!“ versicherte ihm Matthias, der führende Konditionstrainer im größten Sportverein vor Ort, unter dessen Leitung Helge die Betreuung des Gymnastik-Trainings in die Hand genommen hatte.

Als Helge am Mittwochabend die Sporthalle betrat, erfuhr er als Erstes, dass die Frauengymnastik-Gruppe Zuwachs bekommen hatte.

Er traute seinen Augen nicht! Alle Bemühungen waren vergeblich gewesen.

Sie stand mitten in der Gruppe und schaute ihm ganz unbefangen entgegen. Und als er sich zur Kiste mit den Sprungseilen hinunterbeugen wollte, tat sie schnell ein paar Schritte auf ihn zu und stand vor ihm.

„Hallo“, sagte sie, „ab heute mache ich hier mit.“

Es blieb ihm gerade die Zeit einmal durchzuatmen.

„Ich heiße Ute; die anderen haben mir schon gesagt, dass du Helge heißt!“

Helge war zwar verunsichert, überspielte die Situation jedoch geschickt und mit charmanter Grimmigkeit.

„Willkommen bei uns, Ute!“ sagte er routiniert. Und dann sehr viel leiser: „Du hast mir hier noch gefehlt!“

In sein ein wenig starres Lächeln hinein flüsterte Ute zu seiner größten Verblüffung: „Frieden?“

V.

Helge tat es manchmal gut, wenn hin und wieder eine der Frauen in seiner Gymnastikgruppe ein vorsichtiges Interesse für ihn signalisierte, -für ihn als Mann. Den unauffälligen Blicken und Berührungen begegnete er einfühlsam mit Gesten, die weder als Ermunterung noch als Zurückweisung verstanden werden konnten. Seine Hilfestellung bei der Einübung neuer Bewegungsfolgen war sparsam bemessen und gleichmäßig auf alle Frauen verteilt.

Bei der Einweisung einer neuen Teilnehmerin sah dies aber völlig anders aus.

Und wenn dieses neue Mitglied der Gruppe erst kürzlich ihn als Mann in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht hatte, stünde ihm wohl eine Zerreißprobe bevor. Dem sah Helge mit banger Erwartung entgegen.

Ute betrachtete Helge aber inzwischen in einem neuen Licht. Sie hatte von dem schweren Schlag erfahren, von der immer noch offenen Wunde seiner Enttäuschung.

Und mit jeder Trainingsstunde erfreute sie sich mehr daran, wie wunderbar er sich mit all den Frauen verstand, die seinen Fähigkeiten und Erfahrungen vertrauten.

„Ich bitte dich, meine Entschuldigung anzunehmen. Ich war beim Discounter sehr hässlich zu dir!“ murmelte sie nach dem Training beim Verlassen der Halle.

Helge wusste noch nicht, ob er nur einfach zufrieden damit oder sogar begeistert davon war, wie sie die Heilung ihrer gegenseitigen Verletzungen ohne zu zögern in Angriff nahm.

„Gut“, sagte er, „Hauptsache du machst nicht dauernd Verbesserungsvorschläge für meinen Trainingsstil!“

„Das lässt sich machen“, erwiderte Ute, „solange du mir keine Vorschriften machst, wie ich Hörgeräte einstelle!“

„An Intelligenz scheint es ihm ja nicht zu fehlen“, dachte sie, als sie an seinem sparsam hochgezogenen Mundwinkel erkannte, dass er sofort verstanden hatte und ihn der Vergleich amüsierte.

Utes Mutter hatte sie lange Zeit als den größten Dickkopf aller Zeiten bezeichnet. Wenn dies stimmen sollte, bekam Ute wohl soeben harte Konkurrenz.

Aber dann war alles doch viel einfacher. Seine Arbeit als Trainer war hervorragend und sie sagte es ihm. Das Training bei ihm tat ihr, ihrem Körper und ihrer Seele gut.

Und als sie ihm auch dieses sagte, geriet er einen Moment lang in Versuchung, ihr zu gestehen, dass er sich schon lange jedes Mal auf die Trainingsstunde mit ihr freute.

Ute sah ihm nach, dass er es nicht wagte, dies auszusprechen. Denn sie wusste längst, vielleicht schon länger als er selbst, dass die übrigen Frauen im Gymnastikkreis nur den Rahmen für ihr Zusammensein abgaben.

VI.

Ute hatte bei einem Gespräch gelauscht, als Helge sich über das Weihnachtsfest lustig machte und seine Absicht verkündete, dieses Jahr wieder komplett zuzumachen: kein Baum, kein Geschenke-Rummel und Medien-Verweigerung.

Das war der Tag, als sie sich für Helge ein alternatives Weihnachtsprogramm ausdachte; und dies hieß ‚Ute’.

Helge beendete die letzte Trainingsstunde vor Weihnachten; die Halle leerte sich und er angelte nach dem Schlüssel für das Portal. In diesem Moment hielt ihn ein Ruf aus dem Hintergrund zurück.

Im Laufschritt eilte Ute quer durch die Halle auf ihn zu. Ihre wippenden Brüste hatten schon seit Längerem bei den Laufübungen seine Konzentration sehr beeinträchtigt.

„Helge“, rief sie im Ansturm von Weitem und landete fast in seinen Armen, „geh noch nicht; bleib doch eine Weile und hilf mir noch mal bei diesem vertrackten Überroller.“

Sie hielt sich an seinem Arm fest, stemmte sich dagegen, dass er die Halle verließ, und sah ihn mit bittenden Augen an.

„Sag bloß, ich muss jetzt noch Überstunden machen?“ tat er mürrisch, legte aber den Arm versöhnlich um ihre Taille, sodass ihre Brust und ihre Hüfte ihn streiften.

Sie strich kurz mit einer Hand über seine Brust und lächelte ihn an.

Er zögerte bei dem Gedanken, dass nur eine kleine Körperdrehung gereicht hätte, sie ganz in seine Arme zu schließen.

„Mit mir kann man’s ja machen“, brummte er dann doch nur und nahm sie bei der Hand.

„Komm schon, Ute!“

Sie packte sich selbst eine der Matten, platzierte sie am Hallenrand und streckte sich flach auf dem Rücken vor ihm aus. Das dünne Turntrikot umschloss sie wie eine zweite Haut; die Formen ihres Körpers zeichneten sich im Detail ab.

Er kniete über ihr und hatte ihre Brüste dicht vor sich. Er merkte sofort, wie seine Konzentration sich verflüchtigte.

Seitlich in Höhe ihrer Taille brachte Helge seine Knie in Position, legte eine Hand auf die Kuppe ihrer Schulter und die andere unter die Kniekehle.

Als er so den Oberschenkel zu ihrem Körper führte, rutschte seine Hand weg und glitt in ihren Schritt. Ute ließ einen schwachen Laut hören.

„Schlimm?“ fragte er nur.

„Nein“, kam es von ihr leise, „schön!“

Statt seine Hand zurückzuziehen, ließ Helge sie dort ruhen und Ute legte ihre eigene Hand mit leichtem Druck auf seine.

In diesem Moment war ein Rütteln an der Hallentür zu hören. Am anderen Ende der Halle erblickte Helge die Silhouette des Hausmeisters, der bei einem letzten Rundgang entdeckt hatte, dass die Halle nicht verschlossen war.

„Wir werden gerade mit dem Aufräumen fertig“, rief ihm Helge zu.

Ute tat geschäftig, indem sie heftig an der Turnmatte zerrte.

Der Hausmeister entfernte sich mit einem unverständlichen Gemurmel.

„Komm“, sagte Helge, „die wollen uns hier nicht mehr haben.“

Und fünf Minuten später schloss er die Halle von außen zu.

Als Ute vor dem Umkleideraum für Frauen stehen blieb, hielt sie sich an seinem Arm fest.

„Helge, ich gehe duschen. Wie ist es mit dir?“

„Kann schon sein, dass ich mich auch noch ein wenig begießen lasse!“

„Bei den Frauen ist außer mir niemand mehr. Und ich dusche nicht gern allein!“

Ute war noch einen Schritt näher an ihn herangerückt und schenkte ihm einen klaren und tiefen Blick, der ihn sofort erregte.

„Komm“, sagte sie nur, „bleib bei mir!“

Sie nahm ihn einfach bei der Hand, zog ihn in den Umkleideraum und durch die angrenzende Tür in den kleineren Duschraum.

Sie wandte ihm den Rücken zu, der im schwachen Licht der einzigen Wandleuchte lag, und wartete ab, ob er sich ihr näherte.

Mit zwei schnellen Bewegungen schob sie die beiden Träger ihres Trikots von den Schultern und zog das Trikot hinunter bis zur Taille.

„Hilfst du mir, Helge?“ fragte sie ihn mit einem einladenden Blick über die Schulter.

Er trat hinter sie, führte seine Fingerspitzen langsam über ihre Schultern den Rücken hinunter, bis seine Hände auf ihren Hüften ruhten.

Geschmeidig lehnte sich Ute zurück und griff nach hinten, bis ihre Handflächen seine Oberschenkel berührten.

Helges schob seine Hände von oben in ihr Trikot und zog dies hinunter, bis Ute hinaussteigen konnte.

Langsam drehte sie sich zu ihm um und gab den Blick auf ihren fraulichen Körper frei.

Aus der Hocke emporsteigend, tastete Helge sich an ihr empor. Er spreizte die Finger auf ihrem Rücken und griff zu.

Lachend entzog sich ihm Ute und stand kurz darauf unter der rauschenden Dusche. Im Nu war ihr Körper von Wasserfontänen und herabperlenden Rinnsalen umhüllt. Sie griff mit einer Hand nach ihren Brüsten und streckte die andere nach ihm aus.

Mit einer kurzen Körperdrehung schlüpfte er aus seinem Sporthemd und entledigte sich seiner Sporthose. Jetzt streckte Ute ihm voll Ungeduld auch den anderen Arm entgegen und umrahmte so ihre wasserumspülten Brüste, die sich aus dem Strom der perlenden Kaskaden hervorhoben.

Helge ergriff ihre Hände und zog sie unter der Dusche hervor, bis sein Blick ihren Körper von den Fußspitzen bis zum triefenden Haarschopf erfassen konnte. Zum Schein schlüpfte er zurück in seine Rolle als Trainer.

„Welche Turnübung wolltest du noch mit mir unter der Dusche trainieren?“

Er ließ ihre Hände los und strich fest über ihre Hüften. Seinem Druck gab sie bereitwillig nach und ihre Körper berührten sich fast.

„Kann man auch Massage trainieren? Wassermassage?“

Dabei umschlossen ihre Finger seine Schultern und deuteten ein sanftes Kneten an, während sich die letzte kleine Lücke zwischen ihren Körpern schloss.

Gleichzeitig streiften ihre Brustwarzen elektrisierend über seine Haut und sie drückte fordernd ihren Bauch gegen seine aufgerichtete Rute.

Leicht schwankend gerieten beide in den Wasserstrahl der Dusche und gaben zugleich einen Laut des Erschreckens von sich.

Helge war plötzlich von einer unbändigen Neugier erfasst, wie sich ein leidenschaftlicher Kuss unter dem Schwall einer Dusche anfühlte.

Nach kurzer Zeit blieb beiden fast die Luft weg; weder Ute noch Helge wussten, ob es an dem rauschenden Wasserfall ringsum oder an der gegenseitigen Lust aufeinander lag.

Inzwischen machte er sich daran, Utes Wunsch nach einem Massagetraining zu erfüllen. Außer Atem stellte er die Dusche kurzerhand ab.

„Dachtest du beim Massagetraining nur an die Hände oder sind auch Lippen und Zunge erlaubt?“

„Natürlich ist alles erlaubt.“

Er fühlte, wie ihre Hand seine Rute umschloss und einen sanften Druck ausübte.

Sie lachte ihn an.

„Der ist auch erlaubt!“

Der lange und der kurze Weg

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