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Kapitel 5

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Eine noble Karosse wartete genau vor ihrem Hauseingang. Der Große steuerte die Limousine, der Kleine saß auf der Rückbank neben Tatjana und gab nur Belangloses von sich. Nach 20 Minuten Fahrtzeit waren sie in einem Vorort Moskaus angekommen und parkten vor einem noblen Restaurant. Man hielt ihr Wagentür und Eingangstür auf und führte sie zu einem Tisch in einem kleinen Nebenraum, an dem ein äußerst gepflegter älterer Herr wartete.

„Sie sind noch schöner als ich Sie mir vorgestellt habe, Frau Dr. Smirnow. Mein Name ist Putkin. Bitte setzen Sie sich.“ Erst als sie Platz genommen hatte setzte auch er sich. Tatjana hatte sich mehr auf eine Art Unterweltboss eingestellt und war deshalb von der höflichen Erscheinung ihres Gegenübers angenehm überrascht. Er trug einen edlen Anzug aus feinem Zwirn und einen weißen Seidenschal darüber. Sein Benehmen war tadellos und zuvorkommend. „Was darf ich Ihnen bestellen? Ich habe als Vorspeise Krabben, gefüllte Avocados und zur Hauptspeise ein Filet Mignon gewählt. Als Dessert kann ich Ihnen die Birne Helene empfehlen. Übrigens, man genießt hier auch exzellenten französischen Wein. Aber ich möchte Sie bei Ihrer Auswahl natürlich nicht beeinflussen. Würden Sie mit mir als Aperitif trotzdem ein Glas Champagner einnehmen?“

Tatjana bejahte, da sie sich zu wenig auskannte und in solch edlen Restaurants nie zuvor gespeist hatte. Deshalb wählte sie auch für sich das gleiche Menü wie Herr Putkin.

„Der Schmuck steht Ihnen ausgezeichnet. Er macht Sie noch schöner, - oder sagen wir lieber, erst an Ihnen kommen die Steine richtig zur Geltung.“

„Wofür ist der Schmuck“, fragte sie ziemlich verschüchtert. Putkin lachte. „Um ihn zu tragen! - Sehen Sie Frau Dr. Smirnow, meine beiden Angestellten haben Ihnen kürzlich gesagt, eine Zusammenarbeit mit uns wird sich auch für Sie auszahlen. Da Sie sich nun für eine Partnerschaft mit uns entschieden haben, empfand ich es als angebracht eine so wunderbare Frau, wie Sie es sind, mit einer kleinen Aufmerksamkeit zu bedenken. Nehmen Sie es als Einstandsgeschenk.“

Tatjana traute sich nicht zu widersprechen. „Worin besteht unsere Partnerschaft?“ fragte sie erneut sehr kleinlaut. „Um Profit zu erzielen. Schauen Sie, wir sind Geschäftspartner geworden, um voneinander zu profitieren. Auch Sie werden zukünftig Nutznießer sein. Denken Sie an Ihren Schmuck. Wie lange glauben Sie, wird ein Durchschnittsverdiener in unserem Land dafür arbeiten müssen? Ich sage es Ihnen, trotz der in Moskau doppelt so hohen Löhne wie im Rest des Landes, wird er es sich nie leisten können. Die Leute hier leben alle um ausgebeutet zu werden. Nur ein kleiner Teil hat die Ärmel hochgekrempelt, um nach oben zu kommen. Das sind Menschen wie Sie, die nach Höherem streben. Deshalb mein väterlicher Rat an Sie, arbeiten Sie weiterhin gut mit uns zusammen, dann werden Sie sich sehr wohl bei uns fühlen.“

„Was soll ich tun“, wollte Tatjana wissen. „Sie haben diese Woche bewiesen, wie sehr man sich auf Sie verlassen kann. Sie haben die Sache in Ihrer Firma schnell und zuverlässig erledigt. Ich darf Sie jetzt um eine weitere Kleinigkeit bitten. Wie Sie wissen, ist Ihre Firma in vier Geschäftsbereiche untergliedert. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der von Herrn Igor Panev geleiteten Abteilung. Wir beide wissen, dieser Bereich wird äußerst sensibel behandelt. Zudem sind Herrn Panevs abstrakte Wesenszüge und Charaktereigenschaften als durchaus schwierig einzuordnen. Für Menschen mit Ihrem Geschick und Einfühlungsvermögen dürfte es aber kein Problem darstellen sich zu seiner Abteilung Zugang zu verschaffen.“

Tatjana reagierte sichtbar verunsichert. „Selbst wenn es mir gelingt würde, was ich nicht glaube, denn dieser Bereich ist nach außen vollständig abgeschottet, wüsste ich nicht, wie ich Ihnen darin von Nutzen sein könnte.“ Putkin kam endlich zur Sache. „Frau Dr. Smirnow, Sie enttäuschen mich. Sie wissen sehr genau, woran ich interessiert bin und Sie werden es mir besorgen! Sie sind zeitlich keinerlei Druck ausgesetzt. Meine Leute werden das Material erst nächste Woche bei Ihnen abholen. Das ist eine Menge Zeit, Sie sollten sich also nicht verrückt machen lassen. Genießen Sie lieber den schönen Abend. Darf ich Ihnen noch etwas Wein nachschenken?“

Tatjana nickte verlegen. „Ja bitte, ich trinke gerne mit Ihnen, aber ich kann Ihnen, was auch immer es sein mag, aus dieser Abteilung nichts besorgen. Es würde mir nicht einmal gelingen, mich in diesen Bereich einzuschmuggeln, geschweige denn etwas zu entwenden. Bitte lassen Sie mich in Ruhe Herr Putkin, ich kann das wirklich nicht.“

Seine Gesichtszüge verfinsterten sich. „Tatjana, Sie sind gerade im Begriff meine Freundschaft überzustrapazieren. Tun Sie das lieber nicht! Sie haben mitbekommen, wie sehr ich mich für Ihre bisherigen Bemühungen erkenntlich gezeigt habe. Sie werden auch für diese Sache fürstlich entlohnt werden. Setzen Sie nichts aufs Spiel. Ich muss Sie doch nicht daran erinnern, dass Sie bereits eine Diebin sind. Stellen Sie sich vor, Ihre Vorgesetzten würden Wind von der Sache bekommen. Sie wären noch am selben Tag ohne Job und würden auch in keinem anderen Unternehmen mehr unterkommen. Deshalb empfehle ich Ihnen dringend, bleiben Sie unter meiner Obhut. Glauben Sie mir, ich meine es nur gut mit Ihnen und ihrem Bruder.“

Tatjana schaute wie versteinert auf. „Was hat mein Bruder damit zu tun?“

„Erschrecken Sie nicht, es geht ihm gut. Wir haben ihn aus dem Schullandheim abgeholt. Er ist jetzt in einem meiner Häuser untergebracht. Glauben Sir mir, es fehlt ihm an nichts. Er weiß, wie freundschaftlich Sie und ich miteinander verbunden sind. Wir haben ihm gesagt, Sie seien auf einer kurzen Geschäftsreise. Sobald Sie wieder zu Hause sind, würden Sie ihn abholen. Lassen Sie ihn nicht zu lange warten!“ Tatjana verstand sofort, wie diese Worte zu verstehen waren. Sie willigte ein und sicherte zu, ihr Bestes zu tun.

Obwohl ihr aufgrund der schlechten Nachricht übel geworden war, brachte sie den Abend ohne weitere Zwischenfälle und Differenzen mit Putkin hinter sich. Die Beiden, die sie abgeholt hatten, brachten sie auch wieder zurück. Zu Hause angekommen brach sie erschöpft zusammen. Seit Tagen hatte sie nicht mehr richtig schlafen können und jetzt diese Sache. Aber auch in dieser Nacht konnte sie kaum ein Auge zutun. Die Sorge um ihren Bruder Nikolai raubte ihr die Nachtruhe. Obwohl sie für seine Entführung absolut nichts konnte, plagte sie ein schlechtes Gewissen. Wie würde es ihm wohl gehen, war er gesund? Würden ihm die Entführer wirklich nichts tun? Was konnte sie selbst tun, um ihn frei zu bekommen? Die Gedanken wurden zu Feinden.

Am nächsten Morgen erschien sie trotz Übelkeit und Angstzuständen in ihrem Büro. Schon an diesem Tag musste sie erkennen, dass ein Zutritt zur Abteilung von Panev völlig unmöglich war. Den Trakt erreichte man nur durch eine Stahltür, die von zwei Uniformierten kontrolliert wurde. Tatjana stellte sich dem Sympathischeren der beiden als stellvertretende Abteilungsleiterin des Kosmetikbereichs vor und bat um Durchlass. Sie wolle einer Kollegin eine firmeninterne Nachricht überbringen, gab sie als Grund an. Man erklärte ihr, sie müsste sich in eine Liste eintragen und den Namen der zu besuchenden Person angeben. Nach Überprüfung durch deren Vorgesetzten, würde sie dann von diesem durch den Sicherheitsbereich geführt.

Da sie in diesem Bereich aber keinen Namen kannte und schon gar nicht von einem Vorgesetzten abgeholt werden mochte, konnte sie sich nur noch durch eine Notlüge aus dieser Situation retten. Es ginge um ein persönliches Geschenk für eben genau diesen Vorgesetzten, welches sie mit der Kollegin besprechen wollte. Um aber die Überraschung bei der Abholung durch den Vorgesetzten nicht zu verraten, wolle sie lieber auf den Besuch verzichten und sich mit der Betroffenen nach Dienstschluss privat austauschen. Sie bat die Sicherheitskraft ihre Unwissenheit zu entschuldigen und machte sich wieder auf den Weg in ihr Büro. Sie schloss die Tür hinter sich, ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen und brach in Tränen aus. Sie musste sich eingestehen, dass es für sie keine Möglichkeit gab, in die Abteilung von Panev zu gelangen. Sie musste warten bis die beiden Helfer von Putkin wieder bei ihr auftauchten, um ihnen die Aussichtslosigkeit zu erklären.

Schon nach dem ersten Arbeitstag der neuen Woche waren die Beiden wieder bei ihr. Sie berichtete von ihrem gescheiterten Versuch und bat um Einsehen, die Sache abbrechen zu dürfen. Der Kleine führte daraufhin ein kurzes Telefonat mit Putkin, worauf man sie unmissverständlich zum sofortigen Mitkommen aufforderte.

Ungefähr eine halbe Stunde waren sie mit der Limousine unterwegs, ehe sie in eine schmale Sackgasse abbogen, die auf ein alleinstehendes älteres Haus zu führte. Schon beim Aussteigen wurde sie von zwei aggressiven Hunden angekläfft, die aber von ihren beiden Begleitern abgedrängt wurden. Eine Haushälterin öffnete die Tür und führte die Besucher in das Hausinnere. So alt das Haus von außen auch wirkte, so prunk- und geschmackvoll war es eingerichtet. In den Gängen reihten sich Gemälde und Vitrinen aneinander, die von Tatjana als wertvolle Antiquitäten eingeschätzt wurden. Das Kaminzimmer überraschte durch hohe Wände und strahlte behaglich Wärme aus. Bis unter die Decke reichten die mit unzähligen Büchern bestückten Regale. Ein kleiner Lesetisch präsentierte eine aufgezogene Papyrusrolle, bedruckt mit altägyptischen Schriftzeichen. Schräg neben dem offenen Kamin, wartete Putkin auf einem mit dunklem Leder bezogenen Ohrensessel, ganz, wie auf einer Ruheinsel.

Tatjanas freundlicher Gruß wurde nicht erwidert. Ihr Gastgeber stand auch nicht auf, wie er es Tage zuvor im Restaurant getan hatte. Überhaupt schien es ihr, als stand sie einer ganz anderen Person gegenüber. Sein Ton gab ihrem Gefühl Recht.

„Setzen Sie sich! Sie haben mich schwer enttäuscht, dachte ich doch, ich hätte es mit einer intelligenten jungen Frau zu tun, die ihre Geschäftsbeziehungen ernst nimmt.“ Tatjana versuchte sich zu rechtfertigen und klarzulegen, dass seine Forderung unmöglich zu erfüllen war. Er aber fauchte sie an, wie sie es nicht erwartet hatte. „Nichts auf dieser Welt ist unmöglich! Glauben Sie etwa, ich wäre der geworden, der ich heute bin, wenn ich vor allem, was mir auf den ersten Blick unmöglich erschien, gekniffen hätte? Was für eine unwürdige Vorstellung geben Sie hier ab! Ich habe Sie schlichtweg überschätzt. Schon beim kleinsten Problem machen Sie die Augen zu und laufen davon. Sie sind es gewohnt, stets auf Rosen gebettet zu sein, aber wer im Leben etwas erreichen möchte, der muss auch mal den steinigen Weg gehen!“ Nur langsam nahm er die Wucht seiner Stimme wieder zurück. Fast schon in sich gekehrt, leise, nachdenklich und beinahe resigniert wirkend, reichte er ihr ein Telefon.

„Ja, bitte“, meldete sie sich schüchtern. „Hallo Tatjana, hier ist Nikolai. Man hat mir gesagt Du genügst den in Dich gesetzten Ansprüchen nicht. Sie sagen auch, Du hast Deine Firma bestohlen und hintergehst Deine Geschäftspartner. Ist das wahr? Sie meinen, Du solltest mehr Engagement zeigen, wenn Dir an meiner Gesundheit gelegen ist.“ Tatjana glaubte es beinahe zu spüren, als ihren Bruder eine flache Hand im Gesicht trifft. Man nahm ihr den Hörer aus der Hand und dabei liefen Tränen über ihr Gesicht. „Wissen Sie Tatjana, Ihr Bruder wird das verschmerzen, aber sollten Sie mich ein weiteres Mal enttäuschen, könnte er auch sein Augenlicht verlieren. – Heute in einer Woche, also genau nächsten Montag, werden diese beiden Jungs hier wieder bei Ihnen sein und das Material in Empfang nehmen. Ich gehe davon aus, wir haben uns verstanden.“ Putkin sagte es so, als ob es ihm Leid täte.

Gleich am Morgen darauf, rief sie Igor Panev an. Von ihm hatte sie schon während ihres Praktikums gehört, aber nie mit ihm zu tun gehabt. Trotzdem blieb er ihr als eine äußerst ungepflegte Erscheinung in Erinnerung. Die Leute mochten ihn nicht, fürchteten ihn sogar und auch sie verspürte nach wenigen Blickkontakten eine tiefe Abneigung.

Sie stellte sich ihm vor und bat um einen Termin, da sie ein anliegendes Problem nur mit ihm persönlich besprechen könne. Deshalb, so ihre Entschuldigung, habe sie ihn direkt angerufen. Panev reagierte mit gewohnter Arroganz und spürbarer Geringschätzigkeit, gewährte ihr aber zu ihrer Überraschung, einen Kurzbesuch. Am Sicherheitsdurchlass sollte sie ihn als Besuchten angeben.

Tatjana machte sich sofort auf den Weg, klopfte an seine Tür und vernahm ein beinahe wieder ausladendes „Herein!“ Sie öffnete die Tür, trat bis kurz vor seinen Schreibtisch und stellte sich nochmals vor. Er deutete ihr Platz zu nehmen und ihm kurz ihr Anliegen zu schildern. Um sich nicht in Unwahrheiten zu verstricken, erzählte sie ihm die wirkliche Geschichte. Dabei überraschte es sie, nicht unterbrochen zu werden. Es schien ihr sogar, als sei Panev an sämtlichen Einzelheiten interessiert. Seine zusätzliche Funktion als Sicherheitsverantwortlicher rechtfertigte dieses Interesse. Nachdem er sie die gesamte Zeit während ihrer Schilderung intensiv gemustert hatte, forderte er sie wegen der Komplexität der Sachlage auf tags darauf erneut in seinem Büro zu erscheinen.

Am nächsten Abend, sie hatte den Tag mehr schlecht als recht hinter sich gebracht, stand sie erneut in seiner Tür. Die Anstrengungen der letzten Tage, dazu die anhaltende Schlaflosigkeit, hatten längst Spuren in ihr Gesicht gezeichnet. Sichtbar müde und kraftlos hielt sie auf ihren Stuhl zu, grüßte freundlich und setzte sich ihm gegenüber. Da sie ihm die ganze Sache schon tags zuvor berichtet hatte, fragte sie gleich zu Beginn, ob er ihr das Geforderte aushändigen könne.

Lange schaute er sie an, ohne ein Wort zu sagen. Erst nach langen Sekunden drückender Stille fuhr er sie heftigst an. „Wie war doch gleich Ihr Name? Ach ja richtig, beinahe hätte ich ihn vergessen, Frau Dr. Smirnow! Sie besitzen also allen Ernstes die Unverfrorenheit mein Büro zu betreten und sich zu setzen, ohne dass ich Sie dazu aufgefordert habe! Was glauben Sie eigentlich wer Sie sind? Stehen Sie gefälligst auf, wenn ich mit Ihnen rede! Ich möchte verdammt noch mal sehen, mit wem ich es zu tun habe!“ Er schrie so laut, dass man ihn auch in den benachbarten Büros problemlos hätte hören können.

Tatjana stand langsam auf und entschuldigte sich. „Ich wollte nicht unhöflich sein, bitte verzeihen Sie.“ Seine nächsten Worte knallten durch den Raum wie ein Befehl. „Treten Sie zur Seite, ich möchte Sie ganz sehen.“

Tatjana kam seiner Aufforderung nach und stellte sich neben den Schreibtisch. Zu ihrer weißen Bluse, trug sie eine graue Hose mit einem schwarzen schmalen Gürtel, dazu farblich passende halbhohe Schuhe und über die Schultern hatte sie ein grob kariertes Sakko gehängt. Trotz dieser für sie so schweren Zeit, war sie, wie stets, äußerst gepflegt und geschmackvoll gekleidet.

Panev schaute sie lange von oben bis unten an und seine Blicke hielten sie fest wie Schraubstöcke. Sein süffisanter Ton sollte kränken und tat es auch. „Sie wollen was von mir? In diesem Aufzug? Ziehen Sie sich erstmal so an, wie man es von einer Frau erwartet, die um einen Gefallen bittet. Ich bin morgen nicht im Haus. Am Donnerstagabend nach Dienstschluss habe ich für Sie Zeit. Wenn Ihnen bis dahin klar ist, wie Sie sich zu kleiden haben, können Sie mich noch mal besuchen. Und jetzt verschwinden Sie!“

Tatjana glaubte es zu wissen. Sie hielt noch einen Moment inne, dann verließ sie den Raum.

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