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GIBT ES DAS IMMUNSTARKE GESCHLECHT?

Um den Mythos »Männergrippe« kümmern wir uns später. Zunächst geht’s um den wissenschaftsbasierten Blick auf geschlechtsspezifische Unterschiede der Immunsysteme von Mann und Frau. Hier sind die Expertisen von Endokrinologen und Genetikern gefragt, also von Spezialisten in Hormonund Vererbungsfragen. Seit ein paar Jahren gesellen sich auch noch Epigenetiker dazu, die sich nicht auf unterschiedliche Genvarianten, sondern auf Abweichungen in der Genregulation konzentrieren. Im konkreten Fall heißt das beispielsweise: Wird das gleiche für das Immunsystem relevante Gen im weiblichen und männlichen Organismus unterschiedlich stark ausgelesen, um mehr oder weniger Abwehrzellen herzustellen?

ÖSTROGENE MACHEN »WAFFEN« SCHARF

Zu den ersten Abwehrgeschossen des Immunsystems gehören Entzündungsreaktionen, die eindringenden Viren und Bakterien »einheizen«. Natürlich muss dieses Geschehen reguliert werden. Dafür gibt es Enzyme wie die Caspase 12. Ihre Aufgabe ist es, Entzündungsprozesse zu hemmen, um ein selbstschädigendes Dauerfeuer zu vermeiden. Wissenschaftler um Dr. Maya Saleh vom McGill University Health Centre in Montreal sind vor gut zehn Jahren auf einen bedeutenden Unterschied in der Caspase-12-Aktivität im Immunsystem von Männern und Frauen gestoßen. So ist das Gen, das den Bauplan für die Caspase 12 liefert, im weiblichen Organismus deutlich weniger aktiv. Dadurch wird weniger von dem Entzündungsbremser produziert und eindringende Krankheitserreger bekommen sogleich die volle Breitseite. Saleh und Kollegen wiesen nach, dass die schwache Aktivität des Caspase-12-Gens im weiblichen Organismus Folge der hohen Östrogenproduktion ist. Diese weiblichen Sexualhormone binden an die DNA und erschweren dadurch die Bauplanablesung für das entzündungshemmende Enzym.

Bei den von Testosteron dominierten Männern hingegen werden die Ablesung des Caspase-Gens und die Produktion des Entzündungshemmers mangels hoher Östrogenspiegel nicht herunterreguliert. Es wird deutlich mehr Caspase 12 hergestellt, die den Entzündungsstatus auf niedrigerem Niveau hält und bei Kontakt mit Krankheitserregern nicht so schnell und effektiv reagieren kann. Dieses Beispiel zeigt die hohe Relevanz epigenetischer (genregulatorischer) Mechanismen. Trotz gleicher Genetik (Gene und Genprodukte) kommt es allein aufgrund unterschiedlicher Epigenetik (Regulation der Genaktivität) zu abweichenden physiologischen Wirkungen.

Unterm Strich bedeutet das: Die von Entzündungsreaktionen getragene erste Abwehrlinie arbeitet bei Frauen aufgrund niedrigerer Caspase-Produktion effektiver als bei Männern. Aber es gibt auch hier die Kehrseite der Medaille. Durch die schnellere Auslösung von Feinde abwehrenden Entzündungsreaktionen steigt das Risiko für überschießende Immunreaktionen gegen körpereigene Strukturen. Solche selbstzerstörerischen »Autoimmunreaktionen« können zu chronischen Erkrankungen wie entzündlichem Gelenkrheuma, Zöliakie (Dünndarmschädigung durch Fehlbewertung von Gluten) oder einer folgenschwer die Schilddrüse beschädigenden Hashimoto-Thyreoiditis führen. Bezeichnenderweise sind Frauen deutlich häufiger von Autoimmunleiden betroffen, besonders in den Lebensjahren hoher Östrogenproduktion vor der Menopause.

AKTE XY

Genetisch entscheiden die Geschlechtschromosomen, ob ein Mensch als Frau oder Mann durchs Leben geht. Das weibliche Geschlecht wird durch zwei identische X-Chromosomen, das männliche durch ein X- und ein Y-Chromosom festgelegt. Dank der epigenetischen Forschung gibt es erste Indizien, dass dies Konsequenzen für die Leistung des Immunsystems hat – möglicherweise so weitreichend, dass sie maßgeblich für die längere Lebenserwartung der Frau sind. So beherbergt das X-Chromosom mehrere Gene mit den Bauplänen für besondere RNA-Moleküle, nicht aber das Y-Chromosom. RNA? Da war doch was! Als Erbmaterial von SARS-CoV-2 hat die RNA (Ribonukleinsäure) eher traurige Berühmtheit erlang. Dabei handelt es sich um eine sehr variantenreiche Klasse von Biomolekülen, die im menschlichen Zellstoffwechsel und auch für die Steuerung des Immunsystems wichtige Funktionen übernehmen.

In diesem letzten Punkt haben Epigenetiker um Claude Libert von der Universität Gent herausragende Erkenntnisse gewonnen. Demnach finden sich nur auf dem X-Chromosom Gene für kleine RNA-Moleküle – sogenannte microRNAs. Diese sind wichtige epigenetische Regulatoren für die Aktivität von Immungenen. Entscheidend ist nun, dass Besonderheiten in der weiblichen XX-Kombination die Immungenregulation durch microRNA variabler und weniger störanfällig machen als in der männlichen XY-Paarung. Das Ganze klingt sehr kompliziert – ist es auch. Details würden den Rahmen dieses Buchs sprengen.

MICRORNAS VOM X-CHROMOSOM MACHEN FRAUEN IMMUNSTARK

RNA ist aus ähnlichen Bausteinen konstruiert wie die menschliche DNA.

RNA fungiert sehr variantenreich als Erbmaterial vieler Viren, aber auch als multifunktionales Molekül in menschlichen Zellen.

MicroRNAs mit Wurzeln auf dem X-Chromosom sind wichtige Genregulatoren im Immunsystem.

MÄNNLICHE UNVERNUNFT

Als ob es nicht schon genug wäre, dass der XY-Status und die höhere Testosteronproduktion das männliche Immunsystem schwächeln lassen, begünstigt der männliche Sexualhormonhaushalt auch noch eine Reihe psychischer Eigenheiten, die seiner Immunstärke schaden. Übersteigerter Ehrgeiz, Wettkampfstress, selbst auferlegter Leistungsdruck, der erschreckend oft mit Schmerzmittelabusus kombiniert wird, sind bei männlichen Sportlern deutlich weiter verbreitet. Gefährdet sind besonders leistungsorientierte Freizeitsportler, die nicht der Supervision eines Betreuerstabs unterliegen. Mahnungen aus dem familiären Umfeld werden oft als inkompetentes Laiengerede abgetan. Zusammengenommen senken diese männertypischen Verhaltensmuster die hormonell-(epi)genetisch bedingte »Immunschwäche« zusätzlich.

DARUM WERDEN FRAUEN ÄLTER

Die um mehrere Jahre höhere Lebenserwartung der Frauen kommt nicht von ungefähr. Ihre bessere Immunlage beruht auf ihrer – auch die sportliche Praxis betreffenden – gesundheitsbewussteren Lebensweise und auf ihrer hormonellen und XX-(epi)genetischen Bevorzugung seitens der Natur.

SPORTLICHE PRAXIS

Die Frage, wie den immunologischen Unterschieden in der sportlichen Praxis Rechnung getragen werden sollte, lässt sich aus Mangel an aussagekräftigen Studien nicht wissenschaftlich abgesichert beantworten. Auch wenn es nach Allgemeinplätzen klingt: Es kann nicht oft genug betont werden, dass ein Missverhältnis aus zu hoher beziehungsweise extensiver Trainingsbelastung und ungenügender physischer wie psychischer Regeneration auch und gerade für das Immunsystem »Killerwirkung« entfaltet.

3 GRÜNDE FÜR MÄNNLICHE IMMUNSCHWÄCHEN

niedrige Östrogen- und hohe Testosteronproduktion

XY-Konstellation der Geschlechtschromosomen

Hang zu immunschwächendem Verhalten wie Sportstress und Schmerzmittelmissbrauch

Fitness fürs Immunsystem

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