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Prolog

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Nehmen wir mal an, Sie wollen eine Leiche vergraben …

Es gibt für alle möglichen Dinge ideale Plätze. Wundervolle, einzigartige, prädestinierte Plätze, die über ausgezeichnete Voraussetzungen verfügen. Belebte Stellen beispielsweise, an denen man gute Geschäfte machen kann, mit hübsch viel Laufkundschaft. Man braucht dafür bevölkerte Orte, die häufiger frequentiert werden als andere, bei denen die Menschen aber dennoch nicht so in Eile sind, dass sie gleich weiterströmen. Plätze, an denen alles stimmt – je nachdem, was man vorhat.

Es gibt Plätze, von denen aus man einen perfekten Überblick hat, eine durch nichts verstellte Weitsicht, die einem viele Geheimnisse offenbart, wenn man aufmerksam das Auge schweifen lässt.

Es gibt aber auch das Gegenteil davon. Plätze, an denen man verborgene Dinge tun kann. Will man eine Unternehmung im Geheimen durchführen, benötigt man einen Platz, an dem niemand etwas von den Heimlichkeiten mitbekommt, denen man dort nachgeht. Solche Orte, so scheint es, werden zunehmend seltener in unserer Zeit.

Nehmen wir also an, Sie wollen eine Leiche vergraben. Wirklich nur mal angenommen. Auf den ersten Blick kann man das natürlich überall tun. Im Stadtpark, im Gebüsch hinter der Autobahnraststätte, im Grünstreifen neben dem Finanzamt, in der Weitsprunggrube der Sportanlage … All das ist selbstverständlich nicht angeraten, das ahnen Sie schon selbst. Man braucht dazu einen idealen Platz. Einen Platz, an dem man sehen kann, ohne gesehen zu werden. Einen Platz, den man unbeobachtet erreichen und wieder verlassen kann. Man braucht Mut, Kraft und ein bisschen Geschick. Und selbstverständlich eine Leiche.

Nehmen wir mal an, bei Ihrer Leiche handelt es sich um einen mittelgroßen Körper. Nicht zu schwer. Einen leblosen Körper zu bewegen, ist eine Heidenarbeit, wenn man dabei nicht mehr als seine eigene Muskelkraft zur Verfügung hat. Wahrscheinlich haben Sie eine Vermutung, was das bedeutet, aber Sie können sicher sein, dass Sie keine Ahnung haben, wie schwer so etwas in Wirklichkeit ist. Fatalerweise kann man es ja vorher noch nicht einmal üben. Folglich braucht man bei der Planung eine gehörige Portion Vorstellungskraft.

Setzen wir also mal voraus, Sie haben die Leiche, die Vorstellungskraft, das Geschick und … ja, natürlich auch den Spaten. Selbstredend brauchen Sie einen Spaten! Einen guten Spaten, ein solides Gerät. Nun ja, es geht auch mit einem Baumarkt-Sonderangebot. Aber das müssen Sie selbst wissen.

Nehmen wir vor allen Dingen aber mal an, Sie haben den idealen Platz! Einen perfekten Platz, ja, den haben Sie. Einen besseren als den können Sie gar nicht finden, da sind Sie sich sicher. Sie sollten sich sehr sicher sein, was den Platz angeht!

Sie können sich nicht in diese Situation hineinversetzen? Hm. Ist das denn wirklich so schwierig?

Na gut, versuchen wir, uns jemand anderen vorzustellen. Eine Projektion auf ein anderes menschliches Wesen, das mit allem bestens ausgestattet ist, was für diese Tat benötigt wird. Ja, auch mit dem Spaten.

Es ist schwer, sehr, sehr schwer, den in Folie gewickelten Körper aus dem Kofferraum zu zerren. Diese kleine, metallene Hürde, vielleicht zwei Handbreit hoch, stellt schon ein gigantisches Hindernis dar. So ein toter Körper ist unglaublich träge. Wenn er erst einmal irgendwo liegt, will er da auch liegen bleiben. Aber das geht nicht. Er muss verschwinden. Er wird also gepackt. Die Person hat vielleicht schon wieder verdrängt, wie schwer es war, ihn überhaupt in den Kofferraum hineinzukriegen, hat inzwischen Kräfte gesammelt. Also jetzt ein herzhaftes Zupacken. Aber auch das klingt wieder leichter, als es sich in der Realität darstellt. Die Sommernacht ist ungewöhnlich schwül, die Folie rutscht unter den verschwitzten Händen weg, die Kabelbinder, die straff um den Hals und die Füße der Leiche gespannt sind, bieten zwar etwas Halt, schneiden aber schmerzhaft in die Finger.

Dann kommt schließlich der Moment, in dem der Körper mit dem oberen Ende so weit über die Kante des Kofferraums hinausragt, dass ein letzter, kleiner Ruck genügt, um ihn darüber hinweg in die Tiefe stürzen zu lassen.

Kaltes, lebloses Fleisch, verhüllt von ein wenig Kleidung, eingewickelt in eine Kunststoffplane – das macht fürchterliche Geräusche, wenn es auf dem staubigen Boden einer sommerlich dürren Wiese aufschlägt. Vielleicht bricht einer der Knochen dabei, womöglich springt ein Gelenk auseinander – die Leiche spürt von alldem nichts mehr. Ja, gut, das ist überhaupt kein Trost, das muss man zugeben.

Als das Geräusch verklungen ist, das sich in der Stille der warmen Sommernacht wie eine gewaltige Explosion vernommen hat, werden wieder die flüsternden Grillen hörbar. Der Atem ist noch angehalten, in weiter Ferne ruft leise ein Nachtvogel. Ein Käuzchen womöglich. Ein Fuchs bellt heiser. Man kennt solche Situationen aus dem Fernsehen, aber man hat sich nie vorstellen können, sie einmal selbst zu durchleben. Schaurig ist das, richtig schaurig. Man ist allein in der Nacht – und doch nicht allein. Die Begleitung ist allerdings tot wie ein Zentner Kartoffeln.

Jetzt darf wieder geatmet werden. Niemand hat etwas gehört. Außer den Tieren natürlich. Aber die nehmen keine Notiz davon, und weitererzählen werden sie es erst recht nicht.

Nun wird es erneut laut. Die Folie schleift zischend und schmirgelnd über den Boden. Zum Glück ist das Gelände ein wenig abschüssig. Schön, dass irgendetwas mal leichter geht als erwartet.

Der Schweiß läuft in die Augenwinkel. Er rinnt zwischen den Schulterblättern hinab. Überhaupt ist er überall, am ganzen Körper. Ob es Angstschweiß ist oder ob die ungeheure Anstrengung ihn aus den Poren treibt – wer weiß das schon.

Nach wenigen Metern ist schließlich der ideale Platz erreicht. Der Blick geht, wenn man aufrecht steht, fast endlos über die tiefer liegende Ebene. Weiter hinten sind ein paar Lichter. Das nächste Dorf ist schön weit weg. Wenn man sich nicht kerzengerade aufrichtet, sieht einen niemand. Hier ist ja auch zu dieser Stunde kein Mensch unterwegs. Ein Jäger vielleicht. Aber der nächste Hochsitz steht hinter der nächsten Hügelkuppe, das hat sich bei der Vorbesichtigung herausgestellt. Hauptsache ist, dass man kein Licht macht. Für das, was man tut, braucht man kein Licht. Die Begutachtung des Geländes bei Tag hat alles offenbart, was man wissen muss. Jetzt deutet das Mondlicht die wenigen Fixpunkte an, die man kennen muss: den verwitterten Zaunpfosten, den rostigen Blechkanister, die parallel verlaufenden Fahrspuren, die früher einmal von gewaltigen Traktorrädern in die Wiese gewalzt wurden und sich im mageren Gras verlieren. Man ahnt all das mehr, als dass man es sieht. Es handelt sich um ungepflegtes Brachland. Früher mag hier ein Feld gewesen sein. Nicht zu erkennen, was hier einmal angebaut worden ist.

Ein undeutliches Geräusch drängt sich in das Bewusstsein. Eine Art sonores Knurren, das anschwillt und wieder abebbt. Was sich zuerst anhört wie die Drohung eines wilden Tiers, stellt sich als die Ankündigung eines heraufziehenden Gewitters dar. Ein Blick in die Ferne zeigt es. Am Horizont leuchtet es zitternd auf. Das ist nicht unbedingt ein ermutigendes Signal.

Dieser Mensch setzt jetzt also den Spaten an, den er an der ausgewählten Stelle in den Boden gerammt hat, bevor er sich der enormen Mühe mit der Leiche unterzogen hat. Der Boden ist trocken. Das hat Vor- und Nachteile, wie Sie sich denken können. Zwar klebt nicht der feuchte Lehm faustdick unter den Sohlen der Gummistiefel, aber dafür ist das Erdreich fest, kompakt, und es staubt gewaltig. Wenn das Gewitter tatsächlich näher kommt, kann sich die Situation rasch ändern.

Jetzt kommt die Fleißarbeit. Der Schweiß kommt von hier an ganz zweifellos von der ungewohnt anstrengenden Betätigung. Machen Sie es nicht wie die Person, die wir hier bei ihrem Tun beobachten. Nehmen Sie zusätzlich auch noch eine Spitzhacke und eine Schaufel mit. Eine Grabschaufel mit rund geformter Vorderkante. Drei bis vier Kubikmeter schafft ein geübter Arbeiter damit in einer Stunde. Bei festem Boden natürlich weit weniger. Und nur mit einem Spaten ist es ein verdammt hartes Stück Arbeit, das merkt jetzt übrigens auch die Person.

Sie stößt das Metall immer wieder in die Erde und wirft das Erdreich ziellos hinter sich. Das ist nicht klug, denn hinterher soll ja auch wieder alles ordentlich zugeschaufelt werden, und wenn man sich dann erst auf die Suche nach dem verschleuderten Material machen muss …

Wer auch immer hier gräbt, hat wenig Übung. Das merken Sie jetzt auch, oder?

Aber die Verzweiflung treibt die Person an. Sie hat den Kopf gereckt und sich davon überzeugt, dass sich die Blitze langsam, aber stetig nähern. Sie schaufelt jetzt schneller, verbissener. Man könnte das Zähneknirschen hören, wenn es nicht vom rauen, schabenden Geräusch des Spatens übertönt würde. Die vagen Gedanken an die Blasen, die unweigerlich an den Fingern entstehen werden, die Überlegungen, ob es überhaupt das Richtige ist, was hier getan wird, ob man nicht alles hätte ganz anders lösen können, treten jetzt völlig in den Hintergrund. Kurz will sich der Zweifel zu Wort melden, ob es nicht doch besser gewesen wäre, die Leiche so lange im Kofferraum zu belassen, bis das Loch in all seiner famosen Geräumigkeit zur Verfügung steht, wird aber beiseitegeschoben. Jetzt muss gegraben werden!

Mittlerweile ist der Donner lauter geworden. Vielleicht ist es nur ein kurzes Sommergewitter, das rasch weiterziehen wird. Ist es gefährlich, währenddessen hier auf der Anhöhe zu sein? Lädt man den Blitz womöglich ein, genau an dieser Stelle einzuschlagen? Weiter hinten stehen Bäume. Sind das Eichen? Das wäre gut, oder?

Egal. Weitergraben! Die Ausrichtung des Lochs spielt keine Rolle. Erwarten Sie bitte keine akkurat rechteckige Grube, die hier entsteht, mit kerzengeraden, stabilen Wänden. Nein, das hier wird ein flacher Trichter, in den von den Seiten immer wieder das lose Geröll nachrutscht. Die Ästhetik spielt eine stark untergeordnete Rolle. Hier soll eine Leiche verschwinden, sonst nichts.

Wollen Sie etwas Erfreuliches hören? Unter der festen Oberschicht ist das Erdreich jetzt doch deutlich lockerer, als zunächst zu befürchten gewesen war. Trotzdem ist es trocken und staubig. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist es Zeit für eine kurze Verschnaufpause und eine Begutachtung des bis jetzt Geschafften. Das sieht schon sehr nach einer Grube aus. Wie tief mag sie sein? Im kränklichen Licht des abnehmenden Mondes ist es nicht so leicht, das zu schätzen. Ist sie schon einen halben Meter tief? Würde die Person jetzt einen Zollstock hervorholen und nachmessen, wäre sie sicherlich enttäuscht. Gerade einmal dreißig Zentimeter an der tiefsten Stelle. Das verspricht eine lange Nacht zu werden.

Die Leiche liegt daneben, als hätte sie mit alldem nichts zu tun.

Jetzt schieben sich unvermittelt Wolken vor den Mond. Das geht ungeheuer rasch vonstatten. Mit einem Mal ist es stockfinster. Und im nächsten Moment zerreißt ein Blitz die Schwärze und verwandelt einen Wimpernschlag lang alles in eine brutal kontrastierende Schwarz-Weiß-Szene. Der Donner folgt in beängstigend kurzem Abstand. Das Gewitter kommt mit hoher Geschwindigkeit näher.

Es wird für Sie von Nutzen sein, zu hören, dass zu all den nötigen Vorkehrungen, die zu treffen sind, auch eine Kenntnis der Großwetterlage zu empfehlen ist. Für den Menschen aber, der hier gerade im Begriff ist, eine Leiche zu vergraben, kommt dieser Hinweis eindeutig zu spät.

Er flucht leise in sich hinein und klammert die Finger grimmig um den Spatenstiel. Untermalt vom sich nähernden Rumoren des Sommergewitters geht es weiter. Jetzt soll nicht mehr so sehr in der Breite gearbeitet werden, sondern es ist ermutigender, wenn man an einem Ende der Grube in die Tiefe geht, um ein schnelles Erfolgserlebnis zu haben. Dann kann man die erreichte Sohle der Länge nach durch die Grube fortführen. Diese Technik scheint sich zu bewähren. Das Blatt des Spatens versinkt zu mehr als der Hälfte in der Erde, die jetzt auch nicht mehr so elend trocken zu sein scheint wie vorhin noch so dicht unter der Oberfläche. Der Aushub, der jetzt zur Seite geworfen wird, staubt nicht mehr so stark, und er hört sich auch anders an. Satter, dumpfer.

Mehrere Blitze tanzen am Himmel miteinander und illuminieren die Kulisse wie eine Unzahl flackernde Neonröhren. Mit dem nächsten ohrenbetäubenden Donner kommt auf einmal Wind auf. Es sind kraftvolle Böen, die aus dem Nicht zu entstehen scheinen und Staub aufwirbeln, die die Schwüle wegpusten und an den Kleidern unserer Person zerren. Im ersten Moment ist es erfrischend, doch in Verbindung mit dem unabwendbar heranrollenden Gewitter verheißt der Wind nichts Gutes.

Das Graben wird schneller, hektischer. Gleichzeitig lässt die Kraft nach, die Stöße verlieren an Wucht, immer weniger Erde wird mit jedem Spatenschwung beiseite geschleudert. Der verschwitzte Körper krampft sich bei jedem Donnergrollen zusammen und bückt sich instinktiv unter jedem kreischend grellen Blitz.

Und dann fallen die ersten Regentropfen nass und schwer und gefühlt so groß wie Kinderfäuste. Im Licht des nächsten Blitzes sehen die Flecken ihres Aufpralls auf dem Boden kreisrund und schwarz aus, als regnete die Nachtfinsternis wie zähe Tinte vom Himmel.

Die Person keucht vor Angst und Anstrengung. Die Bewegungen mit dem Spaten werden immer fahriger und ungenauer.

Die Tropfen folgen schneller aufeinander, dichter, nasser, fester. In der entstandenen Grube wird es rasch sumpfig. Wie zu erwarten war, saugt sich das klebrige Erdreich auch schon an den Stiefelsohlen fest und erschwert jeden Schritt.

Dann ist da ein Stein, der weißlich leuchtend im dunklen Morast auftaucht. Gerade da, wo es sich bis jetzt noch fast mühelos graben ließ. Die Person stößt einen lauten Fluch aus. Egal, im sich ausbreitenden Tosen am Nachthimmel wird das niemand hören.

Der Spaten kratzt mehr und mehr von der Oberfläche des Steins frei. Die Regentropfen tanzen darum und peitschen die nasse Erde auf. Der Versuch, die Kante des Spatenblatts unter den Rand des Hindernisses zu schieben, um es aus der Tiefe heraufzuhebeln, misslingt, das Metall rutscht immer wieder ab. Der Stein ist groß, viel größer als alle anderen, die hier in der Erde geschlummert haben. Groß und rund, mit vom Lehm verklebten Vertiefungen. Unsere Person stürzt mit lautstarken Verwünschungen auf die Knie, das schlammige Wasser, das sich bereits in der Grube gesammelt hat, spritzt auf. Das ist egal. Alles ist egal! Es muss hier und jetzt zu Ende gebracht werden! Hier ist der ideale Platz, und dies ist die letzte Gelegenheit!

Die Finger wühlen sich durch den Morast, versuchen, die Form des Steins zu umfassen, eine Stelle zu finden, an der man ihn packen und aus der Erde reißen kann.

Und dann offenbart der nächste Blitz in gnadenloser Deutlichkeit am Rand des Steins eine Reihe von Zähnen, die ein obszönes, halbes Grinsen aus der Tiefe zu unserer Person heraufschicken.

Dem nun folgenden schrillen Aufschrei folgt eine Schockstarre, in der im Bruchteil einer Sekunde die ganze Situation in ihre deutlich erkennbaren Einzelteile zersprengt wird. Dort die verpackte Leiche in der Folie, hier das halb ausgehobene Grab und da der menschliche Schädel, um den munter gluckernd das braune Regenwasser herumspringt.

In diesem Augenblick geben sich Blitz und Donner endgültig die Hand und brüllen gemeinsam durch die Nacht. Und tief unter ihnen kauert eine erbarmungswürdig zitternde Menschengestalt in einer finsteren, schlammigen Vertiefung, und das, was ihr jetzt über die Wangen rinnt, ist nicht mehr nur der Schweiß, und es ist auch nicht nur der Regen. Es sind heiße Tränen der Enttäuschung und der abgrundtiefen Mutlosigkeit.

Ein Grab für zwei

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