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Bad Kissingen

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Im Jahre 1954, liebe Mama, begann endlich dein eigenes Leben. Du warst so glücklich, alles schien sich nun zum Besseren zu wenden. Die Schule machte dir nicht nur sehr viel Spaß, sondern deine Noten, die zwischendurch total eingebrochen waren, erreichten wieder den früheren Höchststand, sodass du 1956 das Abitur als Jahrgangsbeste bestanden hast. Du hattest also alle Voraussetzungen, um erfolgreich ein Studium zu absolvieren, aber du wolltest nicht länger lernen und vor allem wolltest du nicht länger von der Unterstützung durch das Jugendamt abhängen, also hast du nach einer Möglichkeit gesucht, wie du ohne Ausbildung Geld verdienen könntest.

Eine Freundin machte dich auf eine Zeitungsanzeige aufmerksam, in der ein Dienstmädchen von einem Kurhotel in Bad Kissingen gesucht wurde. Obwohl das Kurhotel um eine schriftliche Bewerbung bat, bist du einfach hingefahren, um dich persönlich vorzustellen und tatsächlich hast du diese Stelle bekommen. Der Personalchef freute sich sogar, das erste Dienstmädchen mit Abitur einzustellen. Außerdem konntest du ein kleines möbliertes Zimmer im Dachgeschoss des Hotels bewohnen, sodass du dein Zimmer in Fulda kündigen konntest und endlich unabhängig warst, sowohl von deiner Mutter als auch vom Jugendamt.

Das monatliche Gehalt war nicht besonders üppig, aber Charlotte kam es vor wie ein Vermögen, außerdem steckten ihr viele Gäste bei so manchen Gelegenheiten noch ein Trinkgeld zu. Der Personalchef hatte zwar ausdrücklich gesagt, dass alle Dienstmädchen verpflichtet seien, das Trinkgeld abzugeben, aber die anderen Dienstmädchen wussten, dass dies nicht sehr genau nachgehalten würde; wenn tatsächlich mal danach gefragt wurde, gab man einfach nur einen Teil des Trinkgeldes ab.

Die ersten Wochen waren für Charlotte sehr anstrengend, weil diese Arbeit für sie vollkommen ungewohnt war, außerdem wurde ganz selbstverständlich erwartet, dass die Dienstmädchen zehn und mehr Stunden am Tag arbeiteten, ohne dass irgendwelche Überstunden bezahlt würden. Doch nach einigen Wochen hatte Charlotte sich an diese Arbeit gewöhnt, sodass sie ihr viel leichter fiel und nun hatte sie endlich das Gefühl, vollkommen frei und unabhängig zu sein.

Charlotte freundete sich sehr schnell mit einigen der übrigen Dienstmädchen an und an ihren freien Abenden gingen sie dann gemeinsam raus. Manchmal kauften sie sich etwas zu trinken und setzten sich in den nahegelegenen Park, erzählten sich gegenseitig von ihren amourösen Erlebnissen, machten sich über die vorbeigehenden jungen Männer lustig und bei dem einen oder anderen sagten sie: „Den würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ Aber Charlotte sagte dann immer: „Diese Kerle sind mir doch alle viel zu jung waren, was soll ich denn mit einem so jungen Schnösel, mit dem kann man sich doch gar nicht so richtig unterhalten.“ Die übrigen lachten dann nur: „Wer will sich denn unterhalten?“

Wenn sich mal besonders viel Trinkgeld angesammelt hatte, gingen sie alle gemeinsam in eine Diskothek. Meistens wurden die anderen Mädchen zum Tanzen aufgefordert und Charlotte blieb alleine sitzen, nicht nur waren ihr diese Männer zu jung, sie schien auch eine gewisse Ablehnung auszustrahlen. Lediglich bei langsamer Musik wurde sie manchmal zum Tanzen aufgefordert. Wenn sich dann diese Männer ganz fest an sie klammerten, konnte sie ihre Erektion spüren und es war ihr sehr unangenehm, wenn sie dann auch noch anfingen, sich an ihr zu reiben. Besonders schlimm war es für sie, wenn sie riechen konnte, dass ein Mann dabei zum Höhepunkt gekommen war. Aber sie wagte es nie, eine Aufforderung zum Tanz abzulehnen.

Als Charlotte bereits sechs Jahre in diesem Kurhotel beschäftigt war, sie war inzwischen 25 Jahre alt, fiel ihr auf, dass einer der Gäste sie ständig zu beobachten schien, wenn sie in seine Nähe kam. Wolfgang Stötzel war zehn Jahre älter als Charlotte, er war leicht übergewichtig und sein rotblondes Haar hatte sich bereits soweit gelichtet, dass man seine Kopfhaut sehen konnte. Eines Tages, Charlotte versorgte die Gäste des Hotels mit frischen Handtüchern, bat Wolfgang Stötzel sie, einen Moment in sein Zimmer zu kommen.

„Es tut mir Leid, wir dürfen nicht in die Gästezimmer gehen, wenn der Gast anwesend ist.“

„Ich werde Sie schon nicht verraten, ich möchte mich wirklich nur einen Moment ungestört mit Ihnen unterhalten.“

Charlotte ging in das Zimmer hinein, blieb aber direkt hinter der Tür stehen; sie presste die frischen Handtücher, die sie für Wolfgang bereit hielt, fest gegen ihre Brust; es war ihr sehr unangenehm, alleine mit einem Mann im Zimmer zu sein.

„Bitte entschuldigen Sie, ich möchte Sie wirklich nicht belästigen, aber Sie sind mir seit Tagen schon aufgefallen, weil Sie das schönste Dienstmädchen in diesem Hotel sind und ich muss Sie das jetzt einfach fragen. Bitte nehmen Sie mir das nicht übel und wenn Sie verheiratet sind oder einen Verlobten haben, dann vergessen Sie meine Frage einfach wieder. Würden Sie mit mir mal auszugehen?“

„Es tut mir Leid, wir dürfen keine persönlichen Beziehungen zu unseren Gästen haben.“

„Das kann ich verstehen, aber wenn wir uns in der Stadt treffen, wird ja niemand etwas davon erfahren. Wir könnten in ein Restaurant gehen und uns in Ruhe ein wenig kennenlernen.“

Charlotte zögerte, einerseits war ihr so etwas streng verboten, andererseits wusste sie, dass sie in ihrem Leben kaum Gelegenheiten hatte, einen Mann kennenzulernen und dieser Wolfgang Stötzel war ihr tatsächlich sehr sympathisch, sodass sie schließlich zusagte, sich mit ihm an ihrem nächsten freien Abend mit ihm in der Stadt zu treffen. Es war ein Samstagabend, an dem Wolfgang zwei Plätze in einem Restaurant reserviert hatte.

„Seit wann arbeiten Sie in diesem Kurhotel?“

„Jetzt schon seit sechs Jahren.“

„Sie sind mir gleich aufgefallen und ich habe den Eindruck als wären Sie hier völlig fehl am Platz. Kann es sein, dass Sie eigentlich einen anderen Beruf haben?“

„Nein, ich habe keinen anderen Beruf. Aber Sie haben Recht, ich habe vor sechs Jahren in Fulda mein Abitur als Jahrgangsbeste abgeschlossen und eigentlich könnte ich studieren oder eine Ausbildung machen, aber ich wollte nach dem Abitur so schnell wie möglich Geld verdienen und wenn man dann erst einmal den Anschluss verloren hat, ist es schwer, noch einmal von vorne anzufangen.“

„Konnten Ihre Eltern Sie denn nach dem Abitur nicht unterstützen, wollten sie nicht, dass ihre Tochter einen vernünftigen Beruf erlernt?“

„Das ist eine lange Geschichte und ich möchte heute Abend wirklich nicht gerne darüber reden. Erzählen Sie mir lieber von sich. Was machen Sie denn beruflich?“

„Ich habe einen Möbelhandel und der floriert sehr gut, denn seitdem es bei uns wirtschaftlich immer weiter bergauf geht, wollen natürlich auch immer mehr Menschen neue Möbel haben. Ich suche übrigens gerade eine neue Sekretärin, also wenn Sie Lust auf eine Veränderung, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie bei mir anfangen würden.“

„Ich weiß nicht, ich fühle mich in dem Hotel wirklich sehr wohl, aber ich werde es mir mal überlegen.“

Nach dem Essen gingen Charlotte und Wolfgang noch in ein Wirtshaus und obwohl Charlotte gar nicht so viel getrunken hatte, war sie am Ende doch ziemlich betrunken, weil sie Alkohol überhaupt nicht gewohnt war. Deswegen war es ihr auch egal, dass sie gemeinsam mit einem Taxi zum Hotel zurückfuhren, dort angekommen, trennten sie sich allerdings, während Wolfgang durch den Haupteingang ging, nahm Charlotte den Personaleingang.

Auf wackligen Beinen versuchte Charlotte das Dachgeschoss zu erreichen, als sie plötzlich jemand am Arm fasste und sie festhielt. Es war Wolfgang, der sie zu seinem Zimmer bugsierte, ohne dass Charlotte in der Lage gewesen wäre, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten. Sie wehrte sich nicht einmal, als Wolfgang sie auszog und auf sein Bett legte. Die nächsten Minuten zogen an ihr vorüber wie in einem Rausch und als Wolfgang fertig war, schlief sie sofort ein.

Am Sonntag war Charlotte froh, dass sie nicht arbeiten brauchte, denn sie hatte doch ziemliche Kopfschmerzen, sodass sie am Abend auch früh zu Bett ging. Den ganzen Tag über versuchte sie zu ergründen, was am Abend vorher geschehen war, sie wusste zwar, dass sie früh morgens von Wolfgangs Zimmer aus in ihr eigenes geschlichen war, doch sie hatte keine Ahnung, was in seinem Zimmer alles passiert war. Sie konnte es nur ahnen, weil sie bei ihrer Morgentoilette feststellte, dass an ihren Oberschenkeln Blut klebte.

Wie gewohnt trat sie dann am Montagmorgen wieder ihren Dienst an, doch eine Kollegin sagte ihr, dass sie sofort zum Personalchef kommen sollte. Wie sich herausstellte, hatte sich ein Gast darüber beschwert, was in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf seiner Etage geschehen sei.

„Ich hatte Ihnen bei Vertragsabschluss klar und deutlich gesagt, dass wir in unserem Haus keinerlei persönliche Kontakte zwischen unseren Gästen und dem Personal dulden. Offensichtlich hatten Sie das wohl vergessen, denn was sich Samstagnacht wahrscheinlich in unserem Hotel zugetragen hat, ist eine Ungeheuerlichkeit, die wir auf gar keinen Fall dulden können. Sie sind hiermit fristlos entlassen. Sie können sich in der Buchhaltung noch ihr Gehalt für diesen Monat abholen und dann erwarte ich, dass Sie unser Haus noch heute verlassen.“

Charlotte ging zunächst zur Buchhaltung und dann hinauf zu ihrem Zimmer, um ihre Sachen zu packen. Vor der Tür zu ihrem Zimmer stand Wolfgang Stötzel.

„Was ist passiert?“

„Mir wurde fristlos gekündigt.“

„Das tut mir Leid. Ich wurde gebeten, das Hotel auf eigenen Wunsch hin zu verlassen. Der Manager sagte mir, dass ich natürlich noch bleiben könnte, aber man würde es lieber sehen, wenn ich gehen würde. Ich habe daraufhin meine Rechnung bezahlt und meine Koffer sind schon in meinem Auto. Wenn du willst, kannst du mit zu mir fahren und erst mal bei mir wohnen. Das Angebot, bei mir als Sekretärin zu arbeiten, gilt auch immer noch. Ich wohne in Schweinfurt, das ist hier ganz in der Nähe, eine halbe Stunde mit dem Auto.“

Da Charlotte keine Ahnung hatte, wo sie sonst hingehen könnte und sie natürlich keine Lust hatte, auf der Straße zu übernachten, nahm sie Wolfgangs Angebot an und fuhr mit ihm nach Hause. Sie wunderte sich zwar darüber, dass ein selbstständiger Möbelhändler in einer so kleinen Wohnung lebte, aber es beschäftigte sie doch viel mehr, dass Wolfgang ganz selbstverständlich ihre Sachen in sein Schlafzimmer brachte. Sie hatte angenommen, dass sie ein eigenes Zimmer haben würde und jetzt stellte sich heraus, dass er diese eine Nacht wohl schon für den Anfang einer ehelichen Beziehung hielt. Aber sie wagte nicht zu widersprechen, die Angst, vollkommen alleine zu sein, war einfach zu groß.

In der Hoffnung, dass Wolfgang sie in Ruhe lassen würde, falls sie schon schlief, ging Charlotte an diesem Tag sehr früh ins Bett. Aber sie konnte nicht einschlafen, es waren einfach zu viele Dinge in den letzten Tagen geschehen, die sie so sehr beschäftigten, dass sie gar keinen klaren Gedanken fassen konnte. War die schöne Zeit ihrer Unabhängigkeit schon wieder vorbei oder sollte es doch hier die Möglichkeit geben, ein glückliches Leben zu führen?

Als Wolfgang ins Bett kam, war Charlotte natürlich noch wach und er kuschelte sich sofort an sie heran. Waren alle Männer so, dass sie Frauen einfach in Besitz nahmen? Von ihrem ersten Mal hatte Charlotte ja gar nichts mitbekommen, jedenfalls konnte sie sich an nichts erinnern. Deshalb wollte sie jetzt genau darauf achten, was mit ihr passierte. Wolfgang war sehr zärtlich zu ihr und er drang auch sehr vorsichtig in sie ein, aber danach schien alles wie ein Uhrwerk abzulaufen und nach wenigen Minuten stöhnte er laut auf und ließ sein ganzes Gewicht auf Charlotte fallen. Am liebsten hätte sie ihn von sich runter geworfen, aber sie blieb still liegen und wartete, bis er von ihr herunter stieg, sich auf die Seite dreht und sofort einschlief. Charlotte konnte immer noch nicht einschlafen, denn jetzt waren es andere Gedanken, die sie bewegten.

Es war sehr schön, als Wolfgang sich an sie kuschelte, aber als er in sie eingedrungen war, hatte sie nichts, aber auch gar nichts empfunden. Reichte die Sympathie, die sie für ihn empfand, einfach nicht aus? Sie spürte es nur zu deutlich, dass sie Wolfgang nicht liebte und das, was da passiert war, hatte nichts mit Liebe zu tun, es war einfach nur Sex, nichts weiter. Saß sie erneut in einer Falle, so wie bei ihrer Mutter? Sollte sie sich auf diese neue Abhängigkeit einlassen, um finanziell abgesichert zu sein, oder begann jetzt schon wieder ein endloser quälender Prozess eines Befreiungskampfes. Über ihrer totalen Ratlosigkeit schlief sie schließlich ein.

All ihre Überlegungen fanden ein Ende, als Charlotte feststellte, dass sie schwanger war. Jetzt war es klar, dass es nicht mehr nur um sie ging, sie musste dafür sorgen, dass ihr Kind unter geordneten Verhältnissen und in finanzieller Sicherheit aufwuchs, also entschied sie sich endgültig, bei Wolfgang zu bleiben. Als Wolfgang von der Schwangerschaft erfuhr, machte er Charlotte einen Heiratsantrag und auch darin willigte sie ein. Sie wollte es besser machen als ihre Mutter und sie war bereit, eine richtige Familie zu gründen, auch wenn sie dabei auf die Liebe verzichten musste.

Es fand keine große Hochzeitsfeier statt, weder kamen irgendwelche Verwandte von Wolfgang noch irgendwelche Mitarbeiter seines Betriebes. Charlotte hätte ihren Vater gerne eingeladen, aber sie fürchtete sich vor einem erneuten Konflikt mit ihrer Mutter. Sie hatten nicht einmal Trauzeugen, sodass zwei Mitarbeiter der Verwaltung dafür herhalten mussten. Anschließend gingen die beiden alleine essen. Als Charlotte ihn nach der Hochzeit fragte, wann er sie denn mit in seinen Betrieb nehmen würde, um sie als Sekretärin einzuarbeiten, teilte er ihr mit, dass er schon eine andere Frau eingestellt hätte und dass sie sich jetzt erst einmal auf ihre Schwangerschaft konzentrieren sollte.

1963 wurde ihre Tochter Gisela geboren, meine ältere Schwester, und Charlotte war nun wirklich voll und ganz beschäftigt mit dieser neuen Aufgabe und damit, den Haushalt in der kleinen Wohnung in Ordnung zu halten. Obwohl sie nun zu dritt waren, lehnte Wolfgang es ab, in eine größere Wohnung zu ziehen, er meinte, das würde schon irgendwie gehen. Wenn Wolfgang zu Hause war, spielte er immer mit Gisela und es war ihm anzumerken, dass er sehr glücklich war, denn er nannte sie immer seinen kleinen Engel.

Jeden Morgen ging er aus dem Haus und kam erst spät abends zurück, das Haushaltsgeld, dass er ihr jede Woche gab, war so üppig, dass Charlotte wirklich froh war, endlich keine finanziellen Sorgen mehr zu haben. Gisela war ein aufgewecktes Mädchen und so kam es Charlotte so vor, als hätte sie endlich das Ziel ihres Lebens erreicht.

Es war ein Donnerstagvormittag, Gisela war inzwischen zwei Jahre alt, als dieser Traum schon wieder zusammenbrach. Charlotte war sehr erschrocken, als sie nach dem Klingeln an der Haustür die Tür öffnete und die Polizei vor der Tür stand. Sofort dachte sie, dass Wolfgang etwas passiert sei, dass er vielleicht einen Unfall gehabt hätte und schwer verletzt sei, in ihrem Schrecken rechnete sie sogar mit einer Todesnachricht. Eine Todesnachricht war es nicht, die ihr die Polizisten überbrachten, doch kam es ihr vor wie ein Todesstoß und plötzlich ergaben die kleinen Merkwürdigkeiten der Vergangenheit, über die sie nie länger nachgedacht hatte, auch einen Sinn.

„Sind Sie Frau Stötzel?“

„Ja.“

„Wissen Sie, wo Ihr Mann ist?“

„Nun, ich nehme an, dass er in seinem Geschäft ist oder auf Besuch bei einem Kunden.“

Einer der beiden Polizisten zeigte Charlotte ein Foto, das sehr unscharf war, es zeigte einen Mann vor einem Bankschalter mit einer Maske und einer Pistole in der Hand. Natürlich konnte man nicht genau erkennen, wer das war, aber von der Körperhaltung und der Kleidung her hätte es Wolfgang sein können.

„Das ist selbstverständlich nicht mein Mann, wir haben einen gut gehenden Möbelhandel. Warum sollte mein Mann eine Bank überfallen, das hat er doch gar nicht nötig, außerdem ist mein Mann ein herzensguter Mann, er würde so etwas niemals tun.“

„Frau Stötzel, ein Bankkunde, der ihren Mann kennt, hat uns glaubhaft versichert, dass es sich um Ihren Mann handelt. Deswegen hat Ihr Mann wahrscheinlich auch auf diesen Kunden geschossen, er liegt jetzt verletzt im Krankenhaus, aber es besteht keine Lebensgefahr. Ihr Mann befindet sich auf der Flucht, aber wir vermuten, dass wir ihn sehr schnell verhaften können, denn er ist mit seinem eigenen Wagen geflohen. Falls Ihr Mann bei Ihnen auftaucht, sollten Sie uns sofort verständigen, er hat einfach keine Chance; er könnte seine Situation jedoch dadurch verbessern, dass er sich selbst der Polizei stellt.“

In ihrem Schock war Charlotte nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum hatte er das getan, sie konnte einfach keine Erklärung dafür finden. In dem Prozess gegen Wolfgang Stötzel sah Charlotte ihren Mann zum letzten Mal und hier erfuhr sie auch, dass ihr Mann tatsächlich sehr viele Möbel verkauft hatte, weil sie außerordentlich preiswert waren, allerdings hatte er die Rechnungen der Hersteller seit Monaten nicht mehr bezahlt, sodass sich seine Schulden inzwischen auf über eine halbe Millionen Mark angehäuft hatten und nun hatte er versucht, eine Katastrophe durch eine andere zu beheben.

Charlotte blieb als einzige noch lange im Gerichtssaal sitzen, acht Jahre Gefängnis waren das Resultat einer kurzen glücklichen Beziehung, auch wenn sie Wolfgang nicht geliebt hatte, so hatten sie doch ein normales Familienleben geführt.

Als sie nach Hause kam, holte sie Gisela bei der Nachbarin ab, die in der Zwischenzeit auf sie aufgepasst hatte. Da saß sie nun mit ihrer kleinen Tochter und erst jetzt wurde es ihr zur schrecklichen Gewissheit, dass ihr Mann, der Ernährer der Familie, nicht mehr auftauchen würde, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich wieder eine Arbeit zu suchen. Viel schlimmer war der Gedanke, dass sie ihre Tochter in eine Pflegefamilie geben musste, weil sie niemanden hatte, der sich hätte um sie kümmern können, während sie arbeiten ging. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, denn sie konnte es einfach nicht fassen, dass sie mit ihrem Kind nun dasselbe machen musste, was ihre Mutter mit ihr gemacht hatte.

Charlotte wollte nicht länger in Schweinfurt bleiben, weil sie hier alles an den Mann erinnerte, der sie so schrecklich hintergangen und belogen hatte, zumindest hatte er ein Leben geführt, das ihr verborgen geblieben war und deshalb wollte sie ihn auch nicht wiedersehen und deswegen zog sie wieder nach Fulda, wo sie sich besser auskannte und wo sie hoffentlich einige Bekannte wieder treffen würde.

Wieder einmal musste Charlotte Kontakt mit dem Jugendamt aufnehmen und wieder war es die korpulente Dame, mit der sie auch beim letzten Mal zu tun hatte und sie war genauso verständnisvoll und freundlich, sodass es in kürzester Zeit gelang, eine nette Pflegefamilie für Gisela zu finden. Trotz allem hatte Charlotte das Gefühl, es würde ihr das Herz brechen. Sie fand auch sehr schnell eine Anstellung als Kellnerin in einem Restaurant, sodass zumindest die äußeren Umstände geregelt waren.


Evelyn

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