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Augen zu bei der Berufswahl

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„Ralfchen“, meinte meine Mutter, „wäre das nichts für dich?“

Wie die Orgelpfeifen aufgereiht standen mein Vater, meine Mutter und ich vor dem Einkaufsmarkt Schätzlein. Alle eifrig an einem Eishörnchen am Schlecken, was uns mein Vater vorher auf unserem Sonntagsspaziergang durchs Städtchen an der Eisdiele ums Eck großzügig spendiert hatte. Mein Vater Haselnuss und Vanille, meine Mutter Vanille und Erdbeere und ich Schleckermäulchen hatte drei Bällchen Schokolade.

Gemeinsam schauten wir auf den Aushang im Schaufenster, der ungefähr das Format von einem Zeichenblock hatte. Das Unternehmen bot für den Beruf Einzelhandelskaufmann Ausbildungsplätze an.

„Ich will aber Koch werden“, kam es trotzig aus meinem schokoladeneisverschmierten Mund.

„Aber denk daran, Ralfchen, du musst dann bestimmt immer Samstag und Sonntag arbeiten. Auch abends. Und schlimmstenfalls an allen Feiertagen“, redete mir meine Mutter zum gefühlten tausendsten Male ins Gewissen.

Es half nichts. Alle Argumente, die vielleicht dagegen sprachen, prallten an mir wie sonst was ab.

Schon seit Wochen führten meine Mutter und ich endlose Gespräche über meine Berufswahl. Und die liefen immer nur auf einen Beruf hin. Koch!

Ich verhielt mich dabei, wie ungefähr der Suppenkasper, der da so lange auf seinem Stuhl wippte, bis er schließlich hinterrücks umfiel und dabei ständig am Maulen war: „Nein, meine Suppe ess ich nicht! Nein, meine Suppe ess ich nicht! Nein, ich will Koch werden! Nein, ich will Koch werden!“

Zu der Zeit wusste ich selbstverständlich noch nicht, auf welch einen aberwitzigen Trip ich mich da bald begeben würde, wenn die strahlend weiße Kochmütze meine minderjährige Matschbirne begrub.

Mit Ach und Krach hatte ich gerade den Hauptschulabschluss gepackt, befand mich mitten in den großen Ferien und stand nun also, wie aus dem Nichts, vor der ersten großen Entscheidung meines Lebens.

Was willste mal werden? Groß und stark vielleicht? Oder eher Feuerwehrmann, Bäcker, Bürohengst, Schlachter, Auftragskiller, Straßenarbeiter oder Polizist? Ich hatte absolut keine Ahnung! Nichts was mich wirklich interessierte. Außer, ja, außer vielleicht eben Koch. Warum eigentlich? Weil mir nichts auf die Schnelle einfiel? Weil ich mir überhaupt keine ernsthaften Gedanken darüber machte, welche schwerwiegenden Folgen das haben könnte? Oder weil ich mitten in der Pubertät steckte und solche Gedanken mich schlichtweg einfach überforderten?

In den 70ern hatte man noch keinen Plan. Als 15-jähriger wollte man sich noch unbekümmert durch die Weltgeschichte schlängeln. Da war der Gedanke zur Berufswahl einfach völlig absurd. Eben lag ich noch faul auf der heimatlichen Couch mit einem Comic in der Hand und von heute auf morgen sollte dieses so sorglose Teenagerleben jäh einen Abbruch erleiden? Ich sollte den Ernst des Lebens kennen lernen? Häh? Wie jetzt? Darauf hatte mich doch keiner vorbereitet. Das ging alles viel zu schnell. Gab es das Wort Plan überhaupt schon zu der Zeit? Ich hatte meine Bedenken. Ich hatte Angst. Ich hatte eine Brille. In meiner begriffsstutzigen schieren Verzweiflung klammerte ich mich an den Begriff Koch fest. Das war das einzige, was ich bisher aus dem Berufsleben kannte.

Alles andere sagte mir ja nichts. Ich hatte keine Erfahrungen als Feuerwehrmann, Bäcker, Bürohengst, Schlachter, Auftragskiller, Straßenarbeiter oder Polizist, aber als Koch hatte ich zumindest einen winzigkleinen Ansatz gefunden, da wir im letzen Jahr das Fach „Hauswirtschaftslehre“ hinzubekommen hatten. Um ehrlich zu sein, machte mir das Fach aber so gar keinen Spaß. Ich war heilfroh, wenn die Doppelstunde vorbei war.

Die zuständige Lehrerin teilte uns in Grüppchen auf, die jeweils aus zwei Mädchen und zwei Jungen bestand. Zu viert saßen wir an einem Tisch und mussten in den kommenden 90 Minuten die Lebensmittel verarbeiten, die uns zugeteilt waren.

Keiner von uns hatte eine Ahnung. Lebensmittel? Verarbeiten? Nun ja, so schmeckte dann auch meist das Endresultat. Obwohl unsere Gruppe noch im gediegenen Mittelfeld lag und wir kleinere Dramen am Herd geschickt kompensieren konnten, waren in einer anderen Gruppe zwei Totalausfälle dabei.

In einer dieser Stunden stand auf dem Essensplan als Nachtisch Bananenquark. Gut, Bananenquark kenne ich, da wird ein Pfund Magerquark aus der Verpackung in die Rührschüssel geworfen, Milch dazu und mit einem Handschneebesen cremig gerührt und, ja, Zucker für die Süße durfte auch nicht fehlen. Dann die Bananen schälen und in nicht so dicke Scheiben schneiden und dem Quark zugeben. Gesagt, getan, wir waren schnell fertig und linsten zu der Katastrophengruppe rüber, wo die beiden Künstler dazu auserkoren waren, den Nachtisch zuzubereiten. Erst sah deren Vorgehensweise ganz normal aus, so wie bei uns eben. Der Quark wurde lieblos und ohne echtes Gefühl in die Schüssel geklatscht, dann goss einer dieser traumatisierten Feinmotoriker Vollmilch über den noch völlig arglosen Quark. Zucker wurde achtlos hinterher gekippt. In der Zwischenzeit hatte der zweite heranwachsende Emporkömmling des Chaos-Teams die Bananen geschält und schmiss sie bedenkenlos beide am Stück hinein. Auch der Lehrerin war dieser Vorfall nicht entgangen.

„Und nu?“, fragte sie etwas kühn die beiden angehenden Küchenhelden. „Da brauchen wir jetzt einen Mixer, sonst müssen wir ja so lange mit einem Schneebesen rühren“, tönte einer der Schlaumeier.

„Ja, dann macht das mal“, ermunterte die Lehrerin die Beiden in einem ganz ruhigen Ton, vielleicht im Glauben, dass einer von ihnen noch rechtzeitig das Licht der Welt erblickt und dabei das zugegebenermaßen noch nicht voll funktionstüchtige Hirn anschalten würde.

Aber nichts dergleichen geschah. Und so schaltete der Neunmalkluge, der uns soeben mit seiner geistreichen Aussage auf einen noch völlig unerforschten Küchenpfad winkte, ohne große Überlegung den Mixer direkt auf volle Stufe ein und fuhrwerkte wie ein Weltmeister in der Schüssel herum. Der Quark wusste nicht, wie ihm geschah, hilflos war er dem Treiben des mixerschwingenden Grenzdebilen ausgeliefert. Die Bananen versuchten in Todesangst nach links und rechts an den Rand der Schüssel zu fliehen, doch nach und nach, als die Milch sich mit dem schwindlig gerührten Quark verbündete, fiel auch die letzte Banane völlig zerfetzt ins Koma und versank in den Fluten einer nicht schön anzusehenden Suppe mit, na ja, eben Bananengeschmack.

Die Lehrerin und die restlichen Gruppen hatten sich das Schauspiel von dem brutalen Gemetzel zweier schutzlos ausgelieferten Bananen aus sicherer Entfernung angeschaut. Die Lehrerin war während dieser fragwürdigen Zeremonie auffällig gelassen geblieben, aber am Ende konnte sie ihre Fassungslosigkeit dann doch nicht mehr verbergen. Sicher, sie hatte die Barbaren ins offene Messer laufen lassen und die Bananenmörder bekamen hinterher auch für ihre Tat eine glatte sechs, aber am Ende dieses verhängnisvollen Tages wussten sie selbst, dass ihre Technik nicht so ganz in Ordnung war.

Und die beiden Bananen? Sie kamen in Frieden in dieses ihr so fremde Land, in der Absicht von schlecht angezogenen Hauptschülern in Scheiben geschnitten zu werden, um dann vorsichtig im Quark untergehoben zu werden. Doch dieses Paradies haben sie nie erleben dürfen.

Der Anti-Koch

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