Читать книгу Dublin. Eine Stadt in Biographien - Ralf Sotscheck - Страница 10
ОглавлениеDANIEL O’CONNELL
1775–1847
Der gläubige Anwalt wollte zunächst nur die Situation der Katholiken verbessern. Nach einem blutigen Duell wurde der scharfzüngige Jurist zum großen, gewaltlosen Vorkämpfer für die Freiheit Irlands.
Ein Revolutionär war er nicht. Daniel O’Connell hat Zeit seines Lebens die Gesetze beachtet und im Rahmen dieser für Irlands Unabhängigkeit und die Gleichberechtigung der Katholiken gekämpft. Er erlebte beides nicht mehr, aber er hat den Boden dafür bereitet, sodass er als »Liberator«, als Befreier, in die Geschichte eingegangen ist. Es gibt heute keine irische Stadt ohne eine O’Connell Street.
Die bedeutendste O’Connell Street befindet sich in Dublin. Im frühen 18. Jahrhundert war es nur eine Gasse, die nach Henry Moore, dem Grafen von Drogheda, benannt war. An ihn erinnern noch die Seitenstraßen Henry Street, Earl Street und Moore Street. Die Drogheda Street endete an der Liffey. Erst 1794 wurde die Carlisle-Brücke, die heutige O’Connell Bridge 21 ( ▶ G 4), über den Fluss gebaut und die Drogheda Street nach den Plänen der »Wide Street Commission« verbreitert. 1879 entschloss man sich aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens, die Brücke zu verbreitern. Heute ist sie als einzige Brücke Europas genauso breit, wie sie lang ist, 50 Meter. Auf dem Mittelstreifen der von Schnellimbissen, Büroblocks und Kaufhäusern gesäumten O’Connell Street wimmelt es von Denkmälern. Neben O’Connells Statue am südlichen Ende der Straße werden zwei Politiker, ein Zeitungseigentümer, ein Gewerkschaftsführer und ein Temperenzler geehrt. Die aus Kolonialzeiten übrig gebliebene Nelson-Säule in der Mitte der O’Connell Street wurde zum 50. Jahrestag des Osteraufstands von Republikanern gesprengt. Nelsons roter Sandsteinkopf ist im Civic Museum ( ▶ G 6) ausgestellt.
An der Stelle, an der die Säule stand, wurde 1988 zur Dubliner Jahrtausendfeier ein Brunnen aufgestellt, der nach einem Werk von James Joyce »Anna Livia« getauft wurde. Er bestand aus zwei Becken; im oberen saß »Anna Livia«, eine über vier Meter große und eineinhalb Tonnen schwere Bronzestatue, der ständig das Wasser aus einem Springbrunnen über den Kopf plätscherte. In das untere Becken sollte die Bevölkerung Kleingeld werfen – für wohltätige Zwecke. Doch meist warfen die Leute Abfälle in den Brunnen, sodass sich die Stadtverwaltung entschloss, etwas zu unternehmen, um die recht heruntergekommene Straße zu verschönern. Die Ladenbesitzer mussten ihre Plastiktafeln durch geschmackvollere Schilder ersetzen, die Fahrbahn wurde verengt und der Verkehr umgeleitet, um den Fußgängern mehr Platz zu verschaffen, die Statuen wurden gereinigt und manche versetzt.
DENKMÄLER AUF DER O’CONNELL STREET
Kernpunkt der Straßenverschönerung war das »Monument des Lichts«, eine 120 Meter hohe Stahlnadel, der der Anna-Livia-Brunnen weichen musste. Zur Jahrtausendwende sollte die Nadel feierlich aufgestellt werden, doch sie wurde erst zwei Jahre später fertig. Die Dubliner neigen dazu, ihren Monumenten Spitznamen zu geben, die nicht sehr schmeichelhaft sind. Hatte man den Brunnen »The Floozy in the Jacuzzi« getauft, also »das Flittchen im Sprudelbad«, so heißt die Nadel »Stiletto im Ghetto« – neben anderen nicht jugendfreien Namen.
Parallel zur O’Connell Street verläuft die Marlborough Street, in der sich die 1825 fertiggestellte Pro-Cathedral ( ▶ G 3) erhebt, die katholische Hauptkirche von Dublin. Die katholische Hierarchie hätte sie gern auf die O’Connell Street gestellt, doch die regierenden Protestanten verhinderten dieses Ansinnen. Stattdessen steht dort das von Francis Johnson entworfene Hauptpostamt. Am nördlichen Ende stößt die O’Connell Street auf den Parnell Square. Die Fassade des am Südende des Platzes gelegenen Rotunda Hospital ( ▶ F 2) weist eine starke Ähnlichkeit mit dem Parlamentsgebäude Leinster House ( ▶ H 6) auf. Beide Entwürfe stammen von dem 1690 in Hessen geborenen Architekten Richard Cassels.
Dr. Bartholomew Mosse war nach seinem Dienst als Truppenarzt durch Europa gereist und von der im Pariser Krankenhaus Hôtel de Dieu angewandten Entbindungspraxis beeindruckt. Nach seiner Rückkehr absolvierte er in Dublin ein Lizenziat in Geburtshilfe und gründete 1745 das Rotunda Hospital, die erste Entbindungsklinik Europas. Die wegen der Stuckarbeiten von Barthelemy Cramilion sehenswerte barocke Kapelle des Hospitals kann nach Voranmeldung besichtigt werden.
Als Daniel O’Connell am 6. August 1775 in Cahersiveen im Südwesten Irlands geboren wurde, konnten seine Eltern nicht damit rechnen, dass aus ihrem Sohn etwas werden würde, geschweige denn, dass einmal Straßen nach ihm benannt würden. Die Eltern gehörten zwar dem niederen katholischen Adel an, waren aber verarmt, weil man ihnen aufgrund antikatholischer Gesetze ihr Land weggenommen hatte. O’Connells Onkel Maurice, ein wohlhabender Junggeselle, der in Frankreich lebte, verstand sich aber gut mit seinem Neffen und dessen Bruder Maurice, sodass er die beiden in St. Omer im Norden Frankreichs studieren ließ. Ein Jahr später wechselten die Brüder nach Douai bei Lille. Wegen der Französischen Revolution kehrten sie 1793 überstürzt nach Irland zurück.
Inzwischen waren die Gesetze gelockert, die Katholiken das Studium in Großbritannien und Irland untersagten. So konnte sich O’Connell am Londoner Lincoln’s Inn im Fach Jura einschreiben. 1796 wechselte er ans King’s Inn in Dublin. Dort kam er erstmals mit radikalen demokratischen Ideen in Kontakt, er studierte Voltaire, Jean-Jacques Rousseau und Thomas Paine. 1798 wurde er als einer der Ersten als katholischer Anwalt zugelassen. Im selben Jahr versuchten Intellektuelle unter Führung des Protestanten Theobald Wolfe Tone, mit französischer Hilfe einen Aufstand gegen die britischen Besatzer zu organisieren. Die Rebellion scheiterte, Wolfe Tone nahm sich in der Haft das Leben. O’Connell, der Gewalt ablehnte, hatte sich herausgehalten und sich vorsichtshalber nach Cahersiveen zurückgezogen, wo er eine Anwaltskanzlei eröffnete. 1802 heiratete er seine entfernte Cousine Mary O’Connell, das Paar bekam drei Töchter und vier Söhne.
Zehn Jahre später zog die Familie wieder nach Dublin, weil sich O’Connell für die Aufhebung der antikatholischen Gesetze einsetzen wollte. Zu diesem Zweck gründete er die Catholic Association, die sich über Spenden finanzierte. O’Connell hatte sich bereits einen Ruf als bissiger Redner erworben, nebenbei trat er auch für die Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien und in Amerika ein. Seine scharfe Zunge brockte ihm 1815 ein Duell ein: Weil er die Beamten der Dubliner Stadtverwaltung als Lumpen bezeichnet hatte, forderte ihn ein D’Esterre zum Kampf. Da D’Esterre ein geübter Duellant war, erhoffte sich die britische Regierung, O’Connell loszuwerden. Doch der erschoss D’Esterre, litt fortan aber unter solchen Schuldgefühlen, dass er die Familie des Getöteten bis an sein Lebensende finanziell unterstützte.
Die Catholic Association spielte eine wichtige Rolle bei der Verabschiedung der Gesetze, die den Katholiken ab 1829 etwas mehr Rechte zugestanden. Ein Jahr zuvor war O’Connell als Abgeordneter ins Londoner Unterhaus gewählt worden, durfte den Sitz als Katholik aber erst nach der Gesetzesreform im folgenden Jahr einnehmen. Nicht alle Strafgesetze gegen Katholiken wurden jedoch aufgehoben. So mussten sie weiterhin Zehntabgaben an die anglikanische Kirche leisten. Weil viele die Abgabe boykottierten, beschlagnahmte die Polizei ihr Eigentum, was zwischen 1831 und 1836 zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen führte.
1840 gründete O’Connell die Repeal Association, deren Ziel es war, die Zwangsunion von Irland und Großbritannien aus dem Jahr 1801 aufzuheben, sodass Irland sich selbst regieren konnte. Die Gruppe organisierte landesweit Demonstrationen, an denen bis zu 100 000 Menschen teilnahmen. Im Oktober 1843 sollte in Dublin eine weitere Massenkundgebung stattfinden, doch die britische Armee erhielt den Befehl, den Aufmarsch zu verhindern. O’Connell sagte daraufhin die Demonstration ab. Das schadete nicht nur seinem Ansehen bei seinen Anhängern, sondern nützte ihm auch nichts: Er wurde verhaftet und wegen angeblicher Verschwörung ins Gefängnis gesteckt. Einige Monate später hob das Londoner Oberhaus das Urteil auf, und O’Connell kam frei.
EINE ENTSETZLICHE HUNGERSNOT
Im Jahr darauf befiel die Kartoffelpest das Hauptnahrungsmittel der Iren. Das war der Auftakt für die größte Hungersnot in der irischen Geschichte. Den ersten Winter überstanden die meisten noch unter entsetzlichen Entbehrungen, doch als die Krankheit auch die nächsten Ernten vernichtete, nahm die Katastrophe ihren Lauf. Die Londoner Regierung exportierte dennoch weiterhin irisches Vieh, Getreide und andere Lebensmittel nach Großbritannien und in die Kolonien. Eine Million Menschen verhungerten, und bis 1920 waren fünf Millionen Iren in die USA ausgewandert. Ein Sechstel der Auswanderer kam bei der Überfahrt auf den kaum seetüchtigen »Hungerschiffen« ums Leben.
Am Custom House Quay auf Höhe der Seán O’Casey Bridge ankert der Nachbau eines solchen »Hungerschiffs«. Der Dreimaster »Jeanie Johnston« ist heute das Jeanie Johnston Tall Ship & Famine Museum 16 ( ▶ K 6), das der Hungersnot gewidmet ist. Von dieser Stelle segelte die »Perseverance« unter dem Kommando des 74-jährigen Kapitäns William Scott am St Patrick’s Day 1846 mit 210 Passagieren nach New York, wo das Schiff zwei Monate später ankam. Ein kleines Stück stadteinwärts von der »Jeanie Johnston« stehen an der Uferstraße die Bronzestatuen mehrerer halbverhungerter Menschen, die auf dem Weg zu einem »Hungerschiff« sind, das sie nach Amerika in ein besseres Leben bringen soll. Dieses Famine Memorial 11 ( ▶ I 4) wurde 1997 von dem Bildhauer Rowan Gillespie gestaltet.
Zahlreiche Mitglieder von O’Connells Partei wollten die Hungersnot und die Wut der Bevölkerung auf die britischen Besatzer nutzen, um eine Rebellion anzuzetteln, doch O’Connell lehnte auch diesmal Gewalt ab. Es kam zur Spaltung seiner Partei. Der enttäuschte O’Connell, der wegen seines Gefängnisaufenthalts ohnehin gesundheitlich angegriffen war, wurde krank und ging auf Pilgerreise nach Rom, das er jedoch nicht mehr erreichte: Er starb am 15. Mai 1847 in Genua. Sein Herz ist in Rom begraben, sein Körper wurde nach Dublin zurückgebracht und auf dem Glasnevin Cemetery unter dem Nachbau eines Wehrturms beerdigt.
Custom House Quay, Dublin 1
▶ LUAS: Busáras
JEANIE JOHNSTON TALL SHIP & FAMINE MUSEUM 16 ▶K 6
1 Custom House Quay, Dublin 1
▶ LUAS: George’s Dock
O’CONNELL STREET, O’CONNELL BRIDGE, O’CONNELL MONUMENT 21 ▶G 4
Dublin 1
▶ Bus: City Centre, An Lár, LUAS: Abbey Street