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Kapitel 4 - Gespräch mit Paris
ОглавлениеParis und Ferry sassen auf der Terrasse des Kennedy's Irish Pub und tranken ein Bier. Paris hatte ein grosses Brooklyn Brewery bestellt und Ferry ein Kilkenny Red: herrlich! Der Mai war wirklich ungewöhnlich warm und sonnig. Es war Freitag, und bald würden die Studenten der nahegelegenen Schulen und Institute wie eine wilde Horde über das Pub hereinbrechen. Doch es war noch früher Nachmittag und sie waren fast alleine auf der Terrasse. Sie sassen zuhinterst in der Ecke, an der Hauswand.
Bart, der irische Besitzer, winkte einen Gruss im Vorbeigehen. Scheinbar war er schon wieder auf dem Weg zu einem seiner vielen Projekte. "Good to see you!", rief er, bevor er in seinen Lieferwagen stieg und davonröhrte. Ferry war ein gerngesehener Gast hier, ein Stammgast. In den letzten drei Jahren hatte er in der Zimmerstunde häufig hier gesessen, bei einem Pint über sein verkorkstes Leben nachgedacht und von Laura geträumt. Ferry winkte zurück.
Sie hatten sich zwei Tage der Erholung gegönnt. Am Tag nach dem Heiratsantrag hatte Laura ihr neues IFO, die "Wolke", materialisiert. Sie waren dazu mit der Toilette nur kurz an die vertraute Stelle an der Sihl geflogen, wo Ferry häufig seine Flugübungen machte. Das Materialisieren hatte auf Anhieb geklappt, was bei einem neuen Masseträger nicht unbedingt üblich war. Doch Ferry hatte nicht daran gezweifelt: Laura war stark und erfahren und sie wusste, was sie wollte. Die Wolke war ein extrem schnittiges Objekt, vor allem im Vergleich zu Lauras erstem IFO, welches riesig und sperrig gewesen war und wie ein überdimensionierter Frisbee aussah, mit umgestülpter Salatschüssel obenauf.
Die Wolke war tropfenförmig, das dicke Ende vorn und damit sehr aerodynamisch. Von vorn glich es ein wenig Ferrys IFO, nur dass die Kuppel bei Laura höher war. Von der Seite betrachtet war es jedoch deutlich länger und endete in einem eleganten Spitz. Die Wolke hatte kleine Seitenflügel und ein kurzes Schwert unten in der Mitte, jedoch nicht so ein riesiges Teil wie das Vorgängermodell. Die Kuppel war ungewöhnlich hoch, fand Ferry, doch Laura erklärte ihm, dass sie im IFO stehen können wolle. Wahrscheinlich hatte sie sich das überlegt, als sie mit der Queen durch den Nebel geflogen waren und Ferry seine Turnübungen gemacht hatte, wobei er sich immer wieder den Kopf an der Kanzel gestossen hatte. Laura war durch und durch praktisch veranlagt. Praktisch war gut, fand Ferry, ergo eine hohe Kanzel.
Wiederum dominierte die Farbe Blau. Das mediterrane Azurblau verlief gegen hinten in ein perlmuttartig schimmerndes Silbergrau. Das Interieur war weitgehend gleich wie früher, abgesehen vom Armaturenblock, der deutlich massiver verankert war. Die Armaturen ihres Ex-Fluggeräts hatten Laura beim Crash in Atlantis eingeklemmt und dabei war ihr Bein gebrochen. Das würde ihr nicht noch einmal passieren, meinte sie lakonisch; weder der Abschuss noch die Havarie. Das Bein hatte Ferry zum Glück mit Hilfe Dunkler Energie heilen können.
Laura war einige Runden die Sihl hoch und runter geflogen und fühlte sich in ihrem neuen Fluggerät offensichtlich pudelwohl. Sie hatte gestrahlt, als sie endlich ausgestiegen war.
"¡Fantástico!", strahlte sie und fiel Ferry um den Hals. Fantastisch! "Sie ist schneller, wendiger und viel ruhiger in den Kurven!", erklärte sie. "Und sie beschleunigt fast so schnell wie die Queen!" Das hielt Ferry für eine kleine Übertreibung, denn die Queen hatte deutlich mehr Energie als die Wolke, doch er wollte Laura auf keinen Fall die Freude nehmen, also strahlte er zurück. Laura war glücklich und das neue IFO stand ihr, fand er, und das sagte er ihr auch. Zum Dank erhielt er einen saftigen Kuss: alles richtig gemacht.
Den Rest der zwei Tage hatten sie abwechslungsweise im Bett verbracht und mit der Planung ihrer Hochzeit. Sie sollte bald stattfinden, nur im engsten Familienkreis und ohne Pipapo. Die anstrengenden Tage in Atlantis waren wie vergessen.
Doch wann immer Ferry Zeit für eine Zigarette fand und etwas Luft zum Nachdenken hatte, versank er in tiefes Grübeln. Es gab noch so viele offene Fragen, so viele Dinge, die zu klären waren.
Den ersten Punkt auf seiner Liste hatte er glücklicherweise schnell abgehakt: er hatte gegoogelt, ob es nicht schädlich sei, mit einer Schwangeren Sex zu haben… Kein Problem: sämtliche Sex-Ratgeber von Frauenzeitschriften bis zu Ärzte-Fachseiten hielten Sex während der Schwangerschaft für absolut unbedenklich. Die meisten Ratgeber waren der Meinung, dass schwangere Frauen gerade am Anfang der Schwangerschaft in der Regel eher weniger Lust hatten, doch das schien für Laura nicht zu gelten… Sie entsprach offensichtlich nicht der Regel, was Ferry ganz gut gefiel.
Dann war da noch die Geschichte mit den Grauen... Sie hatten Paris nicht alles erzählt, doch Ferry wusste, dass er es früher oder später tun musste. Nach zwei Tagen hatte er seinen Vorgesetzten angepiepst und um ein privates Gespräch gebeten; und hier waren sie nun, im Kennedys Pub.
"Wie geht es Laura?", begann Paris das Gespräch, nachdem sie schweigend einige Schlucke Bier getrunken hatten. Paris hatte natürlich von Klara erfahren, dass Laura schwanger war. Ferry wusste nicht, ob ihm das peinlich sein sollte, immerhin war damit klar, dass die beiden etwas miteinander gehabt haben mussten in P1… Etwas, das nicht zum Standard-Prozedere einer Rettungsmission gehörte.
"Gut...", antwortete Ferry, was grundsätzlich stimmte. Es ging Laura sehr gut, mal abgesehen von dem Flugverbot, welches einem Arbeitsverbot gleichkam. Das neue IFO und die Hochzeitsvorbereitungen lenkten sie davon ab. "Sie hat ein neues IFO."
Der Blick des Vorgesetzten widerspiegelte, dass er es nicht toll fand, dass Laura wieder flog, wenn sie gerade ein Flugverbot erhalten hatte.
"Nur ein kurzer Testflug! Ganz privat...", beeilte sich Ferry zu ergänzen. Paris nickte bedächtig und nahm noch einen Schluck von dem würzigen Bier.
"Schön.", brachte er hervor. "Und sonst?" Er schaute Ferry mit fragendem Blick an.
"Wir werden heiraten! Sie hat "ja" gesagt! Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich das macht!" Ferry strahlte, Paris nickte wiederum bedächtig.
"Das ist gut.", sagte er. "Hatte schon lange darauf gewartet…" Ferry schluckte trocken und nahm noch einen Schluck von seinem irischen Bier. Paris spielte offensichtlich auf die Trennung an; die Trennung von Laura und die Trennung vom Corps… Er wollte Paris alles erzählen, doch sein Hals war wie zugeschnürt, er brachte keinen Laut heraus. Paris schaute ihn an. Auch er hatte einen Blick, ähnlich wie Laura, den Ferry nicht lesen konnte. Paris nahm einen weiteren Schluck Bier und schien dem Treiben an der Lagerstrasse zuzuschauen. Dann wandte er sich wieder Ferry zu.
"Ferry: ich bin dein Vorgesetzter… aber ich bin auch dein Freund! Ich weiss, dass da etwas ist, was du mir nicht erzählen willst - seit Mollis... Ich habe nie nachgefragt, auch nicht, als du dich wie ein Idiot benommen hast. Es hat mir unendlich leid getan, dich rauswerfen zu müssen, doch ich konnte nicht anders… Du bist der beste Kampfpilot, den ich je gesehen habe, du hast Potential! Aber ich kann nicht tolerieren, dass man meine Befehle nicht ausführt, das weisst du. Ich hatte gehofft, dass du irgendwann zu mir kommen würdest, um mir zu erzählen, was los ist… doch das bist du nicht..." Er pausierte kurz. "Jetzt will ich gottverdammt nochmal endlich wissen, was los ist!" Er liess sein Pint-Glas auf den Tisch knallen und starrte Ferry durchdringend an. Nachdem er sich selbst zur Ruhe gezwungen hatte, fuhr er fort.
"Ich habe dir eine letzte Chance gegeben mit dieser Mission, du hast erfüllt und Laura zurückgebracht: gut. Ich habe euch nicht rausgeworfen, was ich vermutlich hätte tun sollen; ich bin ein elender Romantiker, auch wenn man es mir nicht ansieht… Aber ich muss jetzt endlich wissen, was Sache ist!" Er hatte sich in Rage geredet. Er atmete tief durch, faltete die Hände und schaute Ferry wieder an.
"Laura hat sich für deinen Job beworben…", fuhr Paris fort; er machte eine rhetorische Pause, um das Gesagte sacken zu lassen. Er konnte nicht wissen, dass Ferry bereits Bescheid wusste. "Und du bist seit Jahren bereit, ein Master zu werden! Nur du selbst weisst das nicht, sonst wissen das alle!" Jetzt hatte er die Bombe platzen lassen; glaubte er. Ferry nickte stumm und nahm einen Schluck Bier. Paris fuhr fort. "Der Ältestenrat ist ebenfalls der Meinung, dass du das Zeug zum Master hast; doch ich werde dich auf keinen Fall vorschlagen, wenn du mir nicht endlich sagst, was los ist… Auf keinen Fall! Damit wäre deine Karriere hier und heute zu Ende!" Er schnaufte. Er war losgeworden, was ihm auf der Seele gelegen hatte und Ferry konnte es ihm nicht verübeln.
"Laura ist gut, sie hat das Zeug zum Commander. Du solltest sie befördern.", meinte Ferry, seine eigene Person zurückstellend. In gespielter Verzweiflung verdrehte der grosse Schwarze seine Augen und seufzte.
"Sie ist schwanger! Wie kann ich sie da befördern? Was, wenn sie nach der Geburt nicht ins Corps zurück will?", entgegnete er. "Ausserdem ist Laura hier nicht das Thema: du lenkst schon wieder ab!" Ferry starrte in sein Bierglas und nickte zustimmend. Er schien abwesend. Schliesslich schaute er hoch, Entschlossenheit in seinem Blick.
"Ich werde dir alles erzählen, was du wissen willst, Paris. Aber es liegt mir viel an Laura und ihrer Karriere. Deshalb möchte ich diesen Punkt erst klären." Ferry atmete durch und gab seiner Aussage damit weiteres Gewicht. "Als Squad Leader fällt sie für einige Zeit aus, das ist klar, also brauchen wir Ersatz, das ist wichtig. Solange du mich nicht rauswirfst, bin ich der Kommandant dieser Staffel, und ich fordere einen Ersatz." Er machte eine abwartende Pause. Paris nickte seine Zustimmung. "Egal, wie andere Mütter sich verhalten - Laura wird zurückkommen.", fuhr Ferry fort. "Sie kann nicht anders, das weisst du. Sie ist eine geborene Kampfpilotin, ich habe nie eine bessere gesehen: das Fliegen ist bei ihr völlig intuitiv!" Er suchte Bestätigung in den Augen des Vorgesetzten und dieser nickte wiederum stumm. Ja, Paris wusste, dass es so war, trotzdem hob er einen mahnenden Zeigefinger.
"Laura wurde in Atlantis abgeschossen, du nicht! Für mich bist du immer noch der beste Pilot des Corps. Wenn jemand intuitiv fliegt, dann du!", entgegnete er. Ferry presste die Lippen zusammen und starrte wieder ins Bierglas. Das Kompliment war schön, und vermutlich stimmte Paris' Aussage sogar, doch Fliegen war eines, Feinde abschiessen etwas anderes. Doch das musste warten. Er wollte erst das aktuelle Thema abschliessen.
"Laura hat viel gelernt; nur wer abgeschossen wurde, weiss, wie er es besser machen kann. Ich will, dass sie das Black Command bekommt, sobald sie dafür bereit ist! Ich mache Platz für sie. Und ausser ihr will es sowieso niemand." Damit hatte er recht. Seit seinem Rauswurf vor drei Jahren war das Kommando ohne Führung gewesen. Niemand wollte freiwillig das schwarze Kommando, nicht einmal die schwarze Staffel. Es ging das Gerücht, dass die düstere Farbe das Unglück anzog. Ferry wusste, dass das Blödsinn war, doch was sollte es? Die Leute waren halt abergläubisch. Das Black Command hatte offiziell die Aufgabe Recon & Support - Aufklärung & Unterstützung. Es war keine reine Kampftruppe wie die Geschwader Rot und Grün, doch die schwarze Truppe bekam immer die haarsträubenden Aufträge, das war wahr. Andererseits waren ihre Einsätze auch interessanter als die der Kampftruppen. Diese mussten nur bewachen, patrouillieren und kämpfen. Langweilig, fand Ferry.
Paris hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. Seine Stirn stand in Falten.
"Du willst also einen Deal machen?", fragte er. "Laura bekommt das Kommando und dafür machst du… was genau?" Seine Augenbrauen fuhren langsam hoch und er blickte Ferry fragend an. Dieser nahm noch einen Schluck von seinem Kilkenny.
"Wenn du Laura das Black Command gibst, erzähle ich dir, warum ich als Master nicht tauge.", sagte er. "Und ich danke freiwillig ab." Er leerte sein Glas und winkte damit durch die Scheibe dem Mann hinter dem Tresen zu. Todd würde ihm noch eins bringen.
Die Augen des Masters waren zu Schlitzen geworden; argwöhnisch beäugte er sein Gegenüber. Er schien angestrengt nachzudenken.
"Ich will nicht, dass du abdankst, Ferry! Niemand will, dass du abdankst; wir wollen dich zurück in der Truppe! Als Master!"
"Haben wir einen Deal?", fragte Ferry. Der Afroamerikaner überlegte. Todd tauchte auf und stellte Ferry ein frisches Pint Kilkenny hin und dieser bedankte sich. Paris begann zu sprechen, eindringlich und langsam.
"Ich gebe Laura das Black Command - wenn du mir sagst, was in Mollis passiert ist!" Er hielt kurz inne, dann fuhr er fort. "Und ich kann mir keinen Grund vorstellen, weshalb du nicht als Master taugen solltest, egal, was es ist. Lass den Ältestenrat und mich entscheiden, ob wir dich nominieren… Deal?" Ferry rollte verzweifelt mit den Augen. Paris hatte doch keine Ahnung! Doch er nickte, er wusste, er würde keinen anderen Deal bekommen. Und er wollte, dass Laura den Posten bekam.
"Deal.", bestätigte er und holte tief Luft. "Es war nicht Mollis selbst - es war in der Nacht danach…"
Anschliessend erzählte er Paris die Geschichte seiner Begegnung mit den Grauen am Zürichsee nach der Schlacht von Mollis. Er erzählte weiter, wie die Grauen sie kampflos hatten ziehen lassen in Atlantis. Diesen Punkt hatten sie in Paris' Büro nur sehr vage geschildert gehabt.
Als er geendet hatte, stand er auf und ging nach drinnen, um zu pinkeln. Auf dem Rückweg von der Toilette holte er an der Bar noch ein Brooklyn Lager für Paris. Der hatte es dringend nötig.