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Kapitel 6

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Karl wurde bewusst, dass er sich deutlich tiefer als zwei Spannen unter der Erde befand. Im Bauch eines zügig dahinschlängelnden Wurmes.

Ihn beschlich das Gefühl, diese wurmige U-Bahngarnitur könne jederzeit aus irgendwelchen versteckten Tanks ätzende Magensäure ausscheiden. Als wäre dies ein gottgewolltes Mittel, sich der drückenden Misanthropie und Missgunst zu entledigen. Aufmerksam ließ er den Blick an den Verschalungen des Waggons entlanggleiten. Wo könnten die Hohlräume sein, die Drüsen, darin die Säure gelagert war, um die feindseligen Fahrgäste in unförmige Klumpen zu transformieren.

In Karls Vorstellungen rollte die U-Bahngarnitur durch die oberirdisch gelegene, vorstädtische Endstation....ein Habitat der unerfüllten Träume, ein Massengrab der Lebensfreude, ein Friedhof der Philanthropie - und der Waggon rollte weiter durch die betondichte Fußgängerzone, die eingefriedet war von Tempeln voller Diskontwaren....frequentiert von traurigen Untoten, die der Illusion der Selbstbestimmung und eines freien Willens auf den Leim gingen....

Karls Schwermut verlor in diesen Augenblicken an Gewicht, da er am 'Style' dieser apokalyptischen Bilder Gefallen zu finden begann.

Hatte ihm seine düstere Phantasie doch ein vielversprechendes Setting vor Augen geführt, die Grundidee zu einem innovativen Computerspiel von beklemmender Faszination.....ein Endzeit-Spiel, das in etwa so funktionieren könnte:

Grausame Schwefelmonster trachten danach, die Menschheit in eine kollektive Selbstausrottung zu treiben.

Sie greifen gezielt die Lust- und Liebeszentren des Homo Sapiens an.

Die Ungeheuer infizieren Waren des täglichen Gebrauchs mit einer Emotions-Killer-Säure.

Diese dringt bei der Verwendung des Gegenstandes unbemerkt in die Nervenbahnen des Benutzers.

Sie zerstört seine Empathiefähigkeiten (schmerzlos für den Betroffenen).

Es gäbe in diesem Setting aber nicht nur organische Zersetzungsmittel, sondern auch gedankliche:

Die Formulierungen in Medien, Werbung und Gesetzestexten tragen den 'Kalten Keim' in sich. Dieser potenziert durch Suggestivkraft die Wirkung der Emotions-Killer-Säure.

Zu Beginn des Spieles befindet sich die Menschheit an einem Kreuzungspunkt.

Erstarrung und Gleichgültigkeit bringen immer mehr Eltern dazu, ihre Kinder zu vernachlässigen, die Pflegebedürfnisse der Alten zu ignorieren und die Vereinigung mit dem Partner zu verweigern.

Die Aufgabe des Spielers besteht darin, durch überdurchschnittliche Wachsamkeit und geschärfte sensorische Fähigkeiten seine Mitmenschen auf eine höhere Stufe des Bewusstseins zu führen – auf dass sie die Manipulationen durchschauen und zu einer tatsächlichen Freiheit finden.

An seinem momentanen Entwurf gefiel Karl besonders die Verheißung, an einem anderen Ort der Welt existiere eine attraktive Kämpferin gegen den 'Kalten Keim', die von den Monstern als Terroristin gebrandmarkt und gehetzt wird.

Das Spiel sollte darauf hinauslaufen, dass der 'Aufbegehrer', also der Spieler, in einem großen Finale die gefangengehaltene 'Amazone' befreit. Sie sollte wunderschön sein. Die geradezu bestürzend makellosen Rundungen des Leibes würden in Gemeinschaft mit ihren klugen, ebenmäßigen Gesichtszügen ein Bild berührender Anmut vermittelten - und an einem romantischen Ort zeugten sie beide dann eine neue Form des Homo Sapiens, die geprägt wäre von verständnisvoller Zuwendung und einer verspielten Sexualität, die in die freundliche Sphäre einer beglückenden Harmonie und einer lichtdurchfluteten Spiritualität führt.

Karl war beflügelt.

Durch die Benützung eines Spielhelmes mit Display-Visier und den Gebrauch sensorischer Fingerkuppen wäre ein völliger Eintritt in den Cyberspace möglich.

Damals, während des Germanistikstudiums, hatte ein uralter Professor einmal irgendeinen Künstler zitiert, der gemeint hatte, dass man „den Menschen nicht durch vordergründige logische Analyse verstehen könne, sondern nur durch die Kunst, die ja dem Unterbewusstsein entspringe.“ Und ein völliges Verstehen der Kunst sei nur möglich, „indem das Kunstwerk sich in den Menschen hineinverstelle, und der Mensch in das Kunstwerk.“

Jetzt verstand Karl diese seltsame Aussage, wurde in der Euphorie aber jäh unterbrochen; sein Gedankentaumel hatte ihn innerlich erhitzt und dazu veranlasst, den braunen Pulli auszuziehen und wieder über die Schultern zu hängen. Dabei machte er eine ungeschickte Bewegung nach vorne, gerade als der U-Bahnzug in die Endstation einfuhr. Sein nervöses Drängeln war auch dem Umstande geschuldet, dass er dringend aufs Klo musste.

Der dicke Fahrgast drehte sich brüsk um: „Heans, wos woins? Mir scheint Sie san wirklich a bissl woam!“

Plötzlich hielt er inne. Sein Blick fiel auf Karl, wurde immer misstrauischer und stierer:

„Sogen'S… mir scheint goar… ca. 30, brauna Pullova üba de Schuitern… I wass zwoar net wia das geh'n kann....oba....!“

- Und wieder öffnete sich im bedrohlichsten Augenblick die U-Bahn Tür, zum Glück auf Karls Seite. Er musste nur elegant zurücktreten, sich umdrehen und weglaufen.

Dicker Fahrgast: „Sie san da Kindesmissbraucha! Glei hob i Di!“

Karls Bewegungsablauf beim Rückzug funktionierte perfekt.

Fast. Denn als er mit dem Rücken voran aus dem Zug treten wollte, stieg er mit dem rechten Fuß in die schmale Spalte zwischen Waggon und Bahnsteigkante. Mit einem zügigen Ruck konnte sich Karl befreien. Unglücklicherweise flutschte sein Fuß dabei aus dem Sportschuh, der eingeklemmt hängen blieb!

Karl hatte keine Zeit nach ihm zu fassen – er musste schnellstens flüchten, davonrennen, mit bloßem rechten Fuß!

Hektisch hastete er die steilen Stiegen empor.

Irgendetwas stimmte nicht mit seiner Motorik, denn mindestens viermal schlug er mit der großen Zehe schmerzhaft in die vertikale Seite der Steintreppe.

„Aufhoit'n! Den durt ob'n! Mit den braunen Pullova! Aufhoit'n! Des is a Kindaschända!“

Zum ersten Mal im Leben war Karl dankbar für die mäßig entwickelte Zivilcourage seiner Mitmenschen. Anstatt sich ihm in den Weg zu stellen, glotzten sie kuhäugig auf den dicken Fahrgast.

Danach verfiel dieser in wüstes Fluchen; zuletzt konnte Karl noch seinen unheilandrohenden Ruf hören: „Woat’, Di krieg i no! Du Sau!“

Karl erreichte das Straßenniveau. Der Pullover!! Das Hauptidentifizierungsmerkmal!! Weg damit!

Er riss ihn von der Schulter, stopfte ihn in einen der zahlreich vorhandenen Mistkübel – die Sonnenbrille folgte dem Pulli.

So, jetzt würde ihn niemand mehr erkennen!

Da! Plötzlich stellte sich ihm ein unsympathischer Kleinkrimineller in den Weg! Doch was trug er in der Hand und hielt es Karl unter die Nase? Gott! Diese Blechmarke war der Ausweis für Zivilkontrolleure.

Überlegen grinsend sagte der Mann: „Da schau hea! Is' des net da Kindaschända?“

Es gibt Augenblicke im Leben, die in ihrer unfassbaren Bedrohlichkeit die Zeit stillstehen lassen. Dabei gelingt es uns so kompromisslos im Hier und Jetzt zu sein, dass daneben der Dalai Lama zum Rastelbinderbuben herabsinkt; und der Buddha wird ausg’strichen aus der Mythologie. Dann sind wir offen für Inspiration und Intuition - und es fallen uns Antworten ein, die unter normalen Umständen nie den Weg zum Sprechorgan finden.

Als der gewaltbereite Kontrolleur also sagte: „Da schau hea!“ – und die Frage hinzufügte: „Is des net da Kindaschända?“ – und als Karl bemerkte, dass er über die Finger der rechten Hand, die er aus der Jackentasche zog, einen Schlagring gestülpt hatte – da sprach es aus ihm:

„Wieso? Ich hab' doch keinen braunen Pullover über die Schultern!“

Der Kontrolleur stutzte, sah Karl genauer an und sagte: „Ah jo.“

Dabei begann er mit offenem Mund mechanisch zu nicken und dieses Nicken hielt noch an, als Karl schon längst an ihm vorbeigegangen war.

Karl beeilte sich nun, von der U-Bahnstation wegzukommen.

Allerdings gab es da ein großes Problem: den fehlenden Schuh. Schleunigst musste Ersatz her, mit nur einem Schuh fühlte er sich so auffällig wie ein bunter Hund.

Zum Glück lag ein gerade neu eröffneter Schuhdiskonter am Weg.

Karl betrat humpelnd die riesige Verkaufshalle.

Nachdem er zunächst der Gefahr entronnen war, wurde er nun der schrecklichen Schmerzen inne, die ihm seine blutiggeschlagenen Zehen bereiteten. Er begab sich in den Bereich mit Sportschuhen aller Art und setzte sich dort auf einen der Hocker.

Er zog den Socken vom rechten Fuß. Was er zu sehen bekam, ließ ihn seine Schmerzen noch deutlicher spüren: das Nagelbett der großen Zehe war blauviolett eingefärbt. Die Vorderseite blutig geschlagen. Dies traf auch auf die zweite und dritte Zehe zu. Außerdem war der Straßenstaub durch den Socken gedrungen, sodass der Fuß abstoßend schmutzig erschien.

„Darf ich vielleicht behilflich sein?“ Die misstrauische Frage kam aus dem Mund einer Verkäuferin mittleren Alters, die plötzlich vor Karl stand.

„Jössas, was hamma denn da? Haben Sie sich aufg’schlagen? Pfui Teufel! Warten‘S, ich bring g’schwind ein Pflaster und was zum Desinfiszieren! Und Sie bleiben einstweilen sitzen und machen nix dreckig!“

Sie eilte davon und Karl bedauerte, dass sie so überhaupt nicht sein Typ war. In der Hose fand er ein gebrauchtes Taschentuch. Darauf spuckte er diskret und entfernte damit den ärgsten Schmutz. Dann blickte er um sich, zur Vergewisserung, dass ihn niemand beobachtet hatte. Aber da war niemand. Trotz der sensationellen Eröffnungsangebote herrschte wenig Betrieb.

Mit Schaudern erinnerte er sich an seine Kindheit, als er Bekleidungsstücke nur in Begleitung der Eltern kaufen konnte. Natürlich waren nicht Karls Wünsche entscheidend für die Wahl der Produkte, sondern der Geschmack und die rationalen Erwägungen von Vater und Mutter.

Im Alter von etwa 12 Jahren war er besessen vom Wunsch nach einer ´Levis´-Jean. Im Fernsehen hatte er eine Dokumentation über Jeans gesehen; und er spürte, dass er erst mit einer 'Levis 501er' so richtig er selbst sein könne.

Er sammelte sogar Prospekte und heftete diese in seinem Zimmer an die Wand; langhaarige Motorradtypen in Wüstenlandschaften waren da abgebildet. In deren Gesellschaft befanden sich stets knackige Frauen mit ebenso langen Haaren und eng anliegenden Levis- Jeans, die ihre prachtvollen Popos so richtig zur Geltung brachten. Bemerkenswert war, dass die Frauen meist auch Hemden aus Jeansstoff trugen; dabei waren die Druckknöpfe derselben immer erst ab Nabelhöhe verschlossen, sodass – vor allem bei leicht seitlichem Aufnahmewinkel – der Blick sich an zwei Dritteln des wohlgeformten Busens weiden konnte. Die Brustspitzen waren dummerweise von Jeansstoff bedeckt. Allerdings lugte gelegentlich der kreisrunde Vorhof' um die Nippel aufwühlend hervor.

Mit freudvoller Bestürzung hatte er auch zur Kenntnis genommen, dass die 15-jährigen Mädchen seiner Schule neuerdings derartige Levis-Kombinationen trugen.

Und in seinen Tagträumen sah er sich in Levis-Jeans und Hemd die Schule betreten, und malte sich plastisch die Momente während der großen Pause aus....wenn er am Schulhof in seiner Montur lässig schlendernd die Aufmerksamkeit der begehrenswerten 15-jährigen auf sich ziehen würde....wie ihn diese zu sich winken und er mit seinen trockenen Bemerkungen ihr Interesse steigern würde....wie sie ihn auffordern würden, mit ihnen doch am Samstagnachmittag ins Kino zu gehen.....wie er dann mit der schönsten von ihnen im Kino zu schmusen beginnen würde.....wie er im Dunkel des Kinosaales die Druckknöpfe ihres Jeanshemdes öffnen würde....ihre Brüste streicheln würde....wie er schließlich die Knöpfe ihrer Jeans geschickt öffnen würde....und wie er mit seinen Fingern ihren Intimbereich liebkosen würde......und dass er schließlich nach dem Kino in ihrer Wohnung (die Eltern wären gerade für zwei Tage verreist gewesen) in ihrem herrlich duftenden Bett den fantastischen, grandiosen, unüberbietbaren ersten Geschlechtsverkehr seines Lebens haben würde.....und sie ihm in Dankbarkeit wimmernd beteuern würde, dass er der wunderbarste Mann der Welt sei.

Jedoch stimmt die Wirklichkeit selten mit Tagträumen überein und Karl musste sich mit den Härten der Realität abfinden: Seine Eltern pflegten nämlich ihre und seine Bekleidung ausschließlich bei immer demselben Damen- und Herrenausstatter zu kaufen.

Bedient wurden sie stets vom selben Verkäufer - einem Herrn Baumgartner.

Als Karl und seine Eltern diesmal das Geschäft betraten, lehnte Herr Baumgartner mit lässiger Eleganz neben der Kassa. Wie immer trug er ein kariertes Sakko englischer Art mit Doppelschlitz.

„Guten Tag, Herr Baumgartner!“ sagte Karls Mutter mit übertrieben freundlicher Heiterkeit.

„Wie schön, dass Sie uns wieder beehren. Küss’ die Hand gnädige Frau!“ antwortete dieser mit der Verbindlichkeit eines Nachtclubbesitzers. Dann küsste er seiner Mutter tatsächlich die Hand. Danach begrüßte er die beiden Herren. Während des allzu festen Händedrucks blickte er seinem Gegenüber mit übertriebener Seriosität geradewegs in die Augen. Dabei schlug er immer ganz diskret die Hacken zusammen.

„Wir brauchen für unsern Buben was G’scheites zum Anziehen“, begann Karls Vater.

Herr Baumgartner: „Ich bin überzeugt, dass wir was Passendes finden. Wir sind ein exklusiver Ausstatter.“

Mutter: „Er wächst halt grad so schnell...“

Herr Baumgartner: „Glauben Sie mir gnädige Frau, ich kenne Ihre Bedürfnisse. Als Bekleidungsfachmann hat man einen geschulten Blick für die Sorgen des Menschens. Deswegen bringen mir meine Kunden auch so großes Vertrauen entgegen.“

Vater: „Wir bräuchten zunächst einmal zwei Hosen. Was Robustes. Für die Schule.“

Herr Baumgartner: „Da empfehle ich ihnen Cordhosen. Die sind pflegeleicht und für die Übergangszeit auch nicht zu luftig.“

Karl: „Ich mag eine 'Levis'-Jean. Eine 501er.“

Herr Baumgartner: „Nein. Bitte! Da würde ich dringend davon abraten. Das passt überhaupt nicht zu Dir.“ Und zu den Eltern: „Das dürfen’S ihm bitte nicht kaufen, wie schaut er dann aus? Das war ursprünglich die Montur von Strafgefangenen und abenteuerlichen Hungerleidern. Und dann tragen’s heut’ auch noch Hemden aus so einem Stoff! Sehr gewöhnlich! Ich sag Ihnen: letzte Woche gehe ich durch unser'n Park, sitzen da auf den Bänken lauter Jugendliche, alle in so Jeansfetzen, auch die Mädeln mit so Jeanshemden, und ich sage ihnen – die haben drunter nichts angehabt.“

Die letzten Worte flüsterte Herr Baumgartner mit vorgehaltener Hand und empörtem Timbre.

Mutter: „Nein, nein Karli – das is' nix für Dich.“

Karl: „Aber bitte, ich hätt' das so gern!“

Herr Baumgartner: „Nein, bitte nicht! Außerdem führen wir so etwas gar nicht. Wir sind ein exklusiver Ausstatter!“

Und so wurde Karl mit einer dunkelbraunen und einer olivgrünen Cordhose beglückt. Statt der Levis-Jeanshemden gab es zwei kleinkarierte Stücke von 'Gloriette' und einen kratzigen, weinroten Rollkragenpullover.

Auch bei der Wahl der Schuhe musste Karl klein beigeben. Statt der heiß ersehnten Spitzen-Stiefeletten mit Western-Absatz, bekam er charakterlose bordeauxrote Slipper.

Auf Anraten Herrn Baumgartners – „Ich handle jetzt bitte ganz gegen meine Interessen“ – wurden die Slipper um zwei Nummern zu groß gekauft. „Bedenken Sie, das schnelle Wachstum in diesem Alter, da müssen Sie in zwei Monaten wieder neue Schuh’ kaufen, weil die Zehen vorn anstoßen und das tut weh!“

Karls Eltern waren Herrn Baumgartner dafür sehr dankbar.

Karl weniger: wenn er sich in der neuen Montur mit den viel zu großen Schuhen im Spiegel erblickte, sah er einen traurigen, kleinwüchsigen Clown mit dem tollpatschigen Gang eines autoaggressiven Erpels.

„Eine gute Wahl! Ich beglückwünsche Sie zu ihrem Kauf!“ sagte Herr Baumgartner beim Abschied. „Beehren Sie uns bald wieder; wir können alle Ihre Wünsche befriedigen. Wir sind ein exklusiver Ausstatter!“

„Da schauen‘S, da hab ich was zum Desinfiszieren. Und ich hab‘ auch gleich Pflaster mitgebracht. Damit´S nicht alles blutig machen. Wir woll´n da keinen Dreck.“ Die Schuhverkäuferin stand mit pflichtbewusstem Gesichtsausdruck vor ihm.

„Was sein muss, muss sein!“ Sie tränkte ein sauberes Stofftaschentuch mit dem Desinfektionsmittel und tupfte damit Karls Wunden ab.

Ihre harschen Berührungen schmerzten und das Desinfektionsmittel brannte fürchterlich. Karl zuckte zurück.

Zurechtweisend meinte sie: „Soll ich jetzt helfen oder nicht? Mir scheint, Sie sind ein bissl verweichlicht. Seins nicht so wehleidig!“ Dann applizierte sie stringent die Pflaster über die wehen Stellen.

„Die Männer sind ja alle wehleidig. Mein Partner zum Beispiel: wenn ich dem sag´ dass er´s G´schirr abwaschen soll, dann fangt der immer zum Jammern an: ´Das Wasser is so heiß, ich verbrenn´ mir die Finger!´ Aber das Wasser muss heiß sein, sonst wird ja das G´schirr nicht sauber. Na da kenn ich nix! Und wenn er mir seine Brandblasen zeigt, dann fall ich drauf nicht herein: des is doch nur psychasomatisch. Jammern, das könnens, die Mannsbilder. Mir scheint, Sie sind auch so einer. Na pfoh, wenn Sie mein Partner wär´n, dann tätens ordentlich drankommen. Sie tät ich mir schon z´rechtbiegen. Da muss ma gelegentlich hart durchgreifen. Haben Sie Kinder?“

Karl, der während ihres Monologes verkrampft genickt hatte, sagte: „Ääh, nein.“

„Na, da wird’s aber bald Zeit. Wer soll denn einmal unsere Pensionen zahlen? Im Leben muss ma Verantwortung übernehmen. Obwohl mit den Kindern dürfen’s nicht so wild umgehen wie mit ihren Zehen. Sagen‘S, wo haben’S denn den andern Schuh lassen? Warn´S zu faul ihn anzuzieh´n? Typisch Mann! Schämen Sie sich eigentlich gar net? Wie Sie ausschau´n! Pfui Teufel! Na, mich geht’s ja nix an. Ich geb´Ihnen jetzt Sandalen, was anderes kommt nicht in Frage. Weil wissen’S eh, wenn die Zehen anschwellen und vorne anstoßen, das is' gar nicht gut.

Wir haben da ein super Angebot. Schauen‘S, Trecking-Sandalen. Für nur 19€99! Die sind echt super! Da, ich geb’S Ihnen lieber zwei Nummern größer, damit die Zehen sicher nicht vorschauen. Na, passen sie? Gehen‘S ein paar Schritte! Na gehn´S schon! Ja, passt! Die nehmen´S. Die kosten sonst dreimal so viel. Die führen nur wir. Wir sind ein exklusives Schuhgeschäft. Und weil Sie einer unserer ersten Kunden sind, gibt’s auch ein Paar Socken gratis dazu. Ihre alten können wir dann gleich wegschmeißen. Ich hab eh gleich gesehen, dass die von unterschiedlichen Paaren sind. Na Sie bräucherten echt eine Frau die auf Sie schaut....Und für ihren einzelnen Schuh geb’ ich ihnen eine gratis Mehrwegtasche aus biologischer Jute. Unds beehren Sie uns bald wieder; wir sind ein exklusives Schugeschäft.“

´Warum bleibt eigentlich immer alles gleich?´dachte Karl, als er nun in großkarierten Socken und um zwei Nummern zu großen Trecking-Sandalen, entengleich watschelnd die neueröffnete Filiale des Schuhdiskonters verließ.

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Zapfenstreich für Österreich

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