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Kapitel 5

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Es dauerte zwei Tage, bis sich Bruno wieder meldete.

Sonja erledigte ihre Arbeit so unkonzentriert wie nie zuvor und flüchtete in die Selbstlüge, dass alles gar nicht so schlimm sei.....sie müsse sich nur durch erhöhte Selbstdisziplin 'reif' für Bruno machen.

Im Gegensatz dazu standen Phasen, in denen sie keine Zukunft für sich sah.....sich nur als nichtsnutzige Kreatur empfand, deren Leiden eine gerechte Strafe für ihre Unzulänglichkeit waren. Tränenflüsse und Übelkeiten bildeten den physiologischen Rahmen dieser Gemütsverfassung.

Ein bis jetzt unbekanntes Begehren machte sich in ihr breit und erfüllte sie mit Sehnsucht nach den abartigsten Erniedrigungen gegenüber Bruno. Hier kam auch reichlich Prosecco zum Einsatz.

Sein Anruf erreichte sie in einem Moment der trockenen Klarheit.

„Hallo Sonja, hier Bruno!" klang es aus dem Telefon. „Verzeihen Sie bitte, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe."

„Hallo Bruno!" antwortete sie. „Hier gibts nichts zu verzeihen. Ich freue mich sehr über Ihren Anruf."

Ruhig und direkt klang ihre Stimme.

„Hätten Sie Zeit, dass wir uns in zwei Stunden treffen? Sie würden mir eine große Freude machen."

Nun, solche Worte waren heilender Balsam auf ihre Wunden, gerissen in Extasen der Selbstverachtung.

„Auch ich hätte große Freude daran."

Sie verabredeten sich bei einem 'Italiener' der gehobenen Preisklasse.

Brunos letzte Worte klangen wie ein verheißungsvolles Echo in Ihren Ohren nach. Er hatte nämlich gesagt: „Ich habe in den vergangenen zwei Tagen oft an Sie denken müssen. Sie haben ganz schön viel Eindruck auf mich gemacht. Am liebsten würde ich die Uhr vordrehen. Also, bis gleich!"

Sonja hatte alle Mühe, nicht in vorfreudige Hysterie zu fallen.

Anstatt zum Prosecco zu greifen, machte sie ein paar Entspannungsübungen, die sie einmal in einem Kurs für autogenes Training gelernt hatte. Heikel wurde es bei einer Atemübung die darin bestand, dass man - locker auf dem Stuhl sitzend - sich vorstellte, die Luft durch das Geschlechtsteil einzuatmen und durch die Afteröffnung wieder von sich zu geben. Nur durch äußerste gedankliche Konsequenz gelang es ihr, sich auf die Entspannung zu konzentrieren und nicht irgendwelchen Phantasien anheimzufallen.

Adrett gekleidet und exakt zum verabredeten Zeitpunkt betrat sie das Lokal.

An den Wänden hingen gerahmte Fotos, die den Besitzer des Lokals, einen zwielichtig blickenden Italiener, in Gesellschaft bedeutender Persönlichkeiten zeigten. Unter anderem des russischen Präsidenten, des italienischen Ministerpräsidenten, des kroatischen, des polnischen und des ungarischen Regierungschefs, mit griechisch- und serbisch-orthodoxen Priestern sowie dem österreichischen Kardinal.

Den alles andere verdrängenden Blickfang stellte für Sonja aber Bruno dar, der an einem Tisch bereits auf sie wartete.

Er erhob sich bei Sonjas Erscheinen und trat einen Schritt auf sie zu.

„Danke, dass Sie Zeit für mich gefunden haben." Er nahm ihre Hand. „Sie sehen bezaubernd aus. Ich bin der glücklichste Mann dieser Welt."

Dann hob er ihre Rechte leicht empor, neigte gleichzeitig den Kopf entgegen und küsste mit vollendeter Galanterie ihren Handrücken!

Sonja war erschüttert. Nachdem sie sich zwei Tage lang wie ein verachtenswerter Trampel vorgekommen war, empfing sie nun von Bruno einen derartigen Schwall an Hochachtung, dass sie wieder einmal an ihrer Sinneswahrnehmung zweifelte. Die Augen wurden feucht.

„Bruno..." hauchte sie. „Bruno, wie schön, dass es heute mit uns klappt."

„Ja, ich musste Sie sehen. Soll meine Arbeit ruhig warten!" entgegnete er.

Auf den Aperitif folgte leichter Weißwein, passend zu einer Vorspeisenvariation aus Meeresfrüchten.

Sie plauderten im Grundton gegenseitiger Hochachtung.

Bruno erzählte ihr, dass er in Kontakt zu einem großen Mailänder Magazin stünde, das Interesse an seiner regelmäßigen Mitarbeit habe. Außerdem zeige auch ein trendiges Hochglanzmagazin aus Berlin Interesse an seinen Artikeln. Er stünde also derzeit mit einigen wichtigen Personen in Verhandlung, worunter sein Privatleben leide.

Kurz bevor der Hauptgang serviert wurde, griff Bruno in die Tasche seines Sakkos und holte ein quadratisches, schwarzes Päckchen von etwa acht Zentimeter Seitenlänge zutage. Er legte es vor Sonja auf den Tisch und sagte mit sanfter Stimme und tiefem Blick in ihre Augen:

„Das ist ein kleines Geschenk für Sie."

„Was, für mich?" fragte Sonja in beglückter Überraschung.

„Ja, ich wollte Ihnen eine Freude machen." Dabei wurde sein Blick noch tiefgründiger, worauf Sonja einen Hauch von Unheimlichkeit verspürte.

Mit vorsichtigen Fingerspitzen löste sie das rote Band und die Klebestreifen, die das schwarze Geschenkpapier zusammenhielten. Daraus schälte sie ein ebenso schwarzes Schächtelchen hervor. In bewundernder Neugier drehte Sonja dieses zwischen den Fingern hin und her; schließlich hielt sie in dieser Bewegung inne und ihr Blick verlor sich in der schwarzen Oberfläche.

„Sie können es gerne öffnen!" sagte Bruno, der sie mit hintergründiger Aufmerksamkeit beobachtet hatte.

An einer Längsseite befand sich ein winziger Druckknopf aus Messing. Sonja betätigte ihn behutsam, wozu sie den Daumen der rechten Hand benutzte. Dabei schien sie einen Nerv zu berühren, der unter der Hautoberfläche ihrer sensiblen Daumenkuppe verlief: ganz kurz spürte sie einen Stich; ein schneidender Impuls durchfuhr den Arm und setzte sich bis in den Unterbauch fort, wo er sich nach einer kurzen Rotationsbewegung verlor.

Das Innere des Etuis war mit dunkelrotem, kurzflorigem Samt ausgelegt. Darauf gebettet lag ein zartgliedriges Goldkettchen. An diesem hing ein kleiner Anhänger, ebenso aus Gold. Erst bei genauerem Hinsehen konnte Sonja erkennen, dass es sich dabei um einen Skorpion handelte. Ihr Blick blieb mit freudig fragendem Ausdruck daran hängen.

„Mein Sternzeichen ist der 'Skorpion'", erklärte Bruno sanft. „Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Anhänger für mich tragen."

Wortlos nahm Sonja das Kettchen aus dem Etui und schlang es um ihren Hals.

Als sie die filigrane Schließvorrichtung betätigen wollte, sagte Bruno:

„Warten Sie, ich helfe Ihnen."

Er kam um den Tisch herum und Sonja wandte ihm das Genick zu. Als er mit seinen Fingerspitzen die Enden des Kettchens aus Sonjas zartem Griff übernahm, berührten sich ihre Hände und Sonja zog es zusammen, wie eine Nacktschnecke, an der man streift. In gekonnter Manier betätigte Bruno den Verschluss; danach legte er die Hände auf ihre Schultern und flüsterte von hinten in ihr linkes Ohr: „Lass uns doch einfach ´per Du´ sein."

Dann wechselte er mit seinem Gesicht die Seite und küsste sie weich auf den Hals, unmittelbar unter dem rechten Ohr.

Sonja lehnte den Kopf nach hinten und flüsterte: „Du....." Leicht öffnete sie die Lippen, um sein Ohrläppchen zu liebkosen. Da bemerkte sie, dass Bruno gar keines hatte und hauchte, ihre Irritation verdrängend, einen Kuss hinter das Ohr.

Gerade in diesem Augenblick wurde das Hauptgericht serviert, ein 'Seeteufel in Salzkruste'. Wortlos setzte sich Bruno wieder an seinen Platz und zerklopfte mit einem Löffel die Salzkruste; der bizarre Bewohner tiefer Gewässer kam zum Vorschein. Sonjas Blick fiel auf die unheimlich geronnenen Augen des Fisches. Sein überproportional großes Gesicht mit dem breiten Maul....daraus spitze Zähne rachsüchtig drohten....sowie die drachenartige Rückenflosse riefen in Sonja für Sekundenbruchteile eine Phantasie des Zerschnittenwerdens wach.

Bruno zerteilte den Fisch mit routiniertem Messer und legte ein weißes Filetstück jeweils auf Sonjas und auf seinen Teller. Er hob sein Glas, fixierte wieder einmal Sonjas Augen und sagte sanft: „Salute!"

Sonja antwortete mit willenlosem Ausdruck: „Salute, Bruno! Du...!"

Nach einem kleinen Schluck begannen sie wortlos zu speisen. Bei jedem Bissen kam es ihr vor, als dränge mit der Fischmaterie ein beobachtender Spion in ihr Inneres. Aber sie interpretierte das eigentlich unangenehme Empfinden um - in ein Gefühl des Komplett-Werdens.

Schließlich fragte Sonja: „Bist Du 'Fisch' - vom Aszendenten? Du hast so etwas Sensibles."

„Nein! " gab er lächelnd zurück. „Der 'Wassermann' ist mein Aszendent......aber die Fische sind meine Freunde."

In Zusammenhang mit ihrem vorhergegangenen Spionageverdacht, bekam seine Aussage etwas Beunruhigendes. Aber auch jetzt ignorierte sie die Alarminstinkte.

„Und Dein Aszendent....etwa 'Fisch'?" fragte er.

„Nein, 'Löwe'. Mein Hauptzeichen ist die 'Jungfrau'."

„Ah verstehe", fiel er ein. „Daher die große Ordnungsliebe."

Sie dachte: 'Woher weiß er von meiner Ordnungsliebe. Ich hab doch noch gar nichts davon erzählt.'

Sie sagte aber: „Manchmal denke ich mir, dass ich eher einem Wasserzeichen entspreche; oft wäre ich gern ein Delphin, der in grünem Wasser taucht."

Sie aßen schweigend weiter.

„Der Seeteufel ist Dir ein bissl unheimlich, stimmts? Aber nimm noch, er ist göttlich!"

Ohne eine Antwort abzuwarten legte er ein weiteres Stück auf ihren Teller, füllte wieder die Gläser und sie aßen zu Ende.

Sonja betrachtete die Fischreste.

„Aber der hat ja gar keine Gräten!" bemerkte sie erst jetzt.

„Ja, der Seeteufel ist ein Knochenfisch", erklärte er.

Er löste den länglichen und konisch verlaufenden Hauptknochen von den anderen, streifte mit den Fingern an der glatt-weißen Oberfläche entlang, nahm Hummerbutter auf ein Messer und bestrich ihn damit gleichmäßig. Dann zog er den eingefetteten Gegenstand mit einer waagrechten Bewegung unter seiner schnüffelnden Nase durch.

„In italienischen Fischerdörfern bezeichnen sie das hier als 'Erinnerungsknochen'", erklärte er. „Wenn die Fischer für mehrere Tage aufs Meer müssen, hinterlassen sie ihren Frauen einen solchen als Erinnerungsgegenstand."

Sonja war sich nicht sicher, ob er einen Scherz machte.

Sie sagte: „Naja, man lernt nie aus!"

Wieder trafen sich ihre Blicke und die Lippen verbreiterten sich zu einem konspirativen Lächeln.

Bruno wusch seine Hände in einer Schale Zitronenwasser und trocknete sie mit elegantem Schwung, unter Zuhilfenahme der Stoffserviette.

Dann sagte er mit verliebtem Blick: „Das Kettchen steht Dir hervorragend. Es macht Dich irgendwie so richtig komplett."

Jetzt schlug der Alkohol bei Sonja spürbar durch und sie meinte:

„Du machst mich so richtig komplett." Ihre Augen waren wieder sehr feucht. Und wieder blickten sie einander stumm an.

Bruno orderte nun Grappa und Espresso für sie beide.

Als die Bestellung serviert wurde, fragte Bruno ob es sie störe wenn er rauche. Sie verneinte und er beförderte eine silberne Tabatiere aus der linken Brusttasche seines Sakkos. Er bot Sonja eine Zigarette an, sie lehnte dankend ab. Dann zog er aus der Stecktuchtasche einen Zigarettenspitz aus Ebenholz. In diesen fügte er die Zigarette, um hernach, in dezenter Kapriziosität rauchend, den schwarzen Gegenstand mit weichen Lippen zu umspielen.

Unaufgefordert begann Sonja von ihrem Vater zu erzählen, der bei einem Tauchunglück auf den Malediven ums Leben gekommen war. Sie, damals noch ein kleines Kind von sieben Jahren, hatte als prägende Erinnerung das Bild vor Augen, wenn er vor dem Zeichentisch saß und wagemutige Pläne entwarf. Er war Architekt gewesen. Ihre Mutter, die eineinhalb Jahre nach der Tragödie ihren Gynäkologen geheiratet hatte, sagte immer wieder, Sonja hätte von ihrem Vater das strukturelle Denken geerbt.

„Und wieso fällt Dir das gerade jetzt ein?" fragte Bruno.

„Wegen meiner Ordnungsliebe, die Du vorhin angesprochen hast. Woher weißt Du eigentlich, dass ich so ein ordnungsliebender Mensch bin?"

Es war diese Eigenschaft ein heikler Punkt ihrer Persönlichkeit. Zwei von ihren bisherigen drei ernsthaften Beziehungen, waren an den jeweiligen unterschiedlichen Auffassungen von 'Ordnung' gescheitert. Sie konnte da ganz schön pedantisch sein.

Komisch - und trotzdem verstand sie nicht, warum so viele Beziehungen, nach anfänglich verrückter Verliebtheit, so oft in eheliche Vorwurfs-Sümpfe mündeten?

Wie auch immer, das Wort hat jetzt Bruno:

„Ich habe sofort gespürt, dass wir einiges gemeinsam haben; und ich war mir gleich sicher, dass die Ordnungsliebe eine solche Gemeinsamkeit darstellt."

Diese Aussage war ein weiteres starkes Tau, das sie an die rosa Wolke fesselte, deren ständiger sturzartiger Höhenabfall sie so auslaugte.

Nachdem er bezahlt und sie das Lokal verlassen hatten, fragte Sonja, ob sie vielleicht noch auf einen Drink in irgendeine Bar gehen wollten, damit sie sich für die großzügige Einladung revanchieren könne.

Doch zu ihrer Enttäuschung lehnte er dankend ab; mit dem Hinweis, er müsse heute Abend früh ins Bett, morgen sei für ihn ein anstrengender Tag.

Sie bestiegen ein Taxi und fuhren zu ihrem Haus.

Als Bruno dort bezahlte und mit Sonja ausstieg, beschlich sie eine heiße Hoffnung.... Er zog sie unter den Torbogen, strich mit zärtlicher Leidenschaft durch ihr Haar und sagte:

„Du bist die Schönste im ganzen Land."

Dann legte er die Linke um den unteren Bereich ihres Rückens und küsste sie mit sensibler Dringlichkeit. Leicht schmiegte er den Oberschenkel an ihre empfindliche Mitte.....

Dann meinte er: „Ich hab' da noch was für Dich."

Aus dem Sakko zog er eine längliche Schachtel.

„Zur Erinnerung an diesen schönen Abend. Danke.....Du!"

Noch ein kurz geschleckter Kuss - dann drehte er sich um und verschwand im Dunkel der Nacht.

Sonja konnte sich später nicht mehr erinnern, wie sie in ihre Wohnung gekommen war. Die Erinnerung setzte erst wieder mit dem Augenblick ein, als sie die längliche Schachtel öffnete. Im Gegensatz zu ihr, sind wir ja nicht wirklich überrascht darüber, was darin lag. Was wir mit ihr gemeinsam haben ist das Gefühl des Ekels, das sie beim Anblick des Hummerbutter-beschmierten und entsprechend riechenden 'Erinnerungsknochens' empfand. Was uns dann wieder voneinander unterscheidet ist die Tatsache, dass Sonjas Ekel bald in Sentimentalität umschlug. Aber das geht uns nichts an und wir drehen jetzt das Licht ab.

Den nächsten Morgen erlebte Sonja in einer Glücksverfassung von unbekannter Qualität.

Singend tänzelte sie durch die Wohnung. Mit widerstandsloser Leichtigkeit hängte sie die Wäsche des gestrigen Abends zum Trocknen auf, die sie vor dem Schlafengehen noch eingeweicht hatte. Mit dem Staubsauger ging sie schnell über den flauschig weichen Teppich des Wohnzimmers und entschloss sich kurzerhand, gleich die ganze Wohnung zu saugen. Mit einem feuchten Tuch wischte sie über die ohnehin sauberen Oberflächen der Küche, des Badezimmers und der Toilette; danach zog sie die zwei Tage alte Bettwäsche ab, steckte sie in die Waschmaschine und überzog das Bett neu - in 'creme'-farbenem Satin.

Nach einer genussvollen Körperpflege - sie hatte heute ein ausgeprägt positives Verhältnis zu sich und ihrem Leib - wählte sie ein stahlblaues Business-Kostüm.

Ihr Büro, das in einer innerstädtischen Dependance des ´Ministeriums zur Überwindung kultureller Gegensätze´ lag, betrat sie mit lustvollem Tatendrang und ihre MitarbeiterInnen, die sich während der letzten zwei Tage schon Gedanken über ihre Gesundheit gemacht hatten, nahmen dies mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Einerseits waren sie froh, dass die grundsätzlich beliebte Sonja diese undurchschaubare Melancholie abgeworfen hatte; andererseits versprach ihr Arbeitseifer, den sie in ihrer gehobenen Stellung auch von ihnen einforderte, heute einen besonders stressenden Tag.

Hofrat Weisungsknecht war sichtlich erleichtert; denn Sonja war der Motor seiner Abteilung und bei einem länger andauernden Ausfall dieser Zugmaschine, hätte er womöglich selbst etwas arbeiten müssen.

Sonjas Aufgabe bestand unter anderem darin, die Kultur- und Feuilletonseiten wichtiger europäischer Zeitungen zu lesen und allgemeine Trends zu benennen, damit die Republik Österreich bei offiziellen Erklärungen einen klaren Standpunkt einnehmen konnte.

In ihrem Büro fuhr Sonja den Computer hoch und 'googelte' neugierig diverse Magazine mit Erscheinungsort Mailand, die im weitesten Sinne etwas mit Kultur zu tun hatten.

Sie vermutete, dass es sich beim gesuchten Magazin um eine Monatszeitschrift namens 'Impressione d'Oggi' handelte. Es schien ihr nicht weiter verwunderlich, dass unter den Mitarbeitern nirgendwo Brunos Name auftauchte; schließlich stand er ja erst in Verhandlungen mit der Redaktion.

Sonja, die perfekt italienisch sprach, fand heraus, dass diese Zeitschrift dem kulturellen und gesellschaftlichen Ist-Zustand der Gegenwart nachspürte und daraus auf die möglichen Entwicklungen eines kollektiven Bewusstseins schloss.

Alle Artikel standen zueinander in einem gewissen Zusammenhang. Mit weitausholenden Schilderungen ihrer persönlichen Eindrücke, näherten sich die Autoren mit wohlargumentierten Mutmaßungen den komplexen Wahrheiten dieser Welt. Politische, ökonomische, künstlerische und vor allem religiöse Zusammenhänge nahmen bei diesen Betrachtungen einen hohen Stellenwert ein.

Hochartifizielle Fotografien, bei denen extreme Kontraste zwischen Licht und Schatten ein prägendes Stilelement darstellten, gaben dem Magazin den Ausdruck des Besonderen.

Im Internet fand sich auch ein Foto des Chefredakteurs, der gleichzeitig auch Herausgeber war; er hieß Giovanni Libanesi.

Mit durchdringender Ernsthaftigkeit blickte er in die Kamera. Auch bei diesem Foto fanden sich die Licht- und Schattenspiele wieder: seine Haare, die Wangen und das Kinn wurden von der Dunkelheit aufgesogen; die Augen und der Mund hingegen, waren perfekt ausgeleuchtet. Die Nase bildete einen überhellen, knolligen Vorbau. Sein suggestiver Blick überzeugte den Betrachter, dass er ein Vermittler der wirklich wichtigen Dinge des Lebens war.

Sonja träumte sich nach Italien. Für zwei Minuten verlor sie sich in einer Phantasie: ein römischer Palazzo....ein großzügiger Salon...offene Fenster bei geschlossenen Fensterläden, sodass die Streifen des Sonnenlichts den Raum mit einem Zebra-artigen Muster überfluteten....ein breites Bett mit zerwühlten Laken....sie lag auf dem Bauch.....ein irritierender und eigenartig anregender Dufthauch von Hummerbutter lag in der Atmosphäre und Bruno sagte: „Du machst einen besseren Menschen aus mir."

Nach dem Mittagessen in der Kantine ('Polardorsch gebacken'), überfiel sie bleierne Müdigkeit. Damit einhergehend kam auch die rosa Wolke wieder gehörig ins Trudeln und sie glaubte in einer dunklen Höhle zu schwimmen; im schwarzen Wasser schnappten aggressive Seeteufel nach ihr. Reflexartig versuchte sie, diese mit den Füßen wegzustoßen. Die in der Kantine neben ihr sitzende Kollegin verschüttete vor Schreck ihren Johannisbeersaft und fragte:

„Sonja, was machst Du da?"

Sonja zuckte auf und sagte: „Äh ...nix...Nein..ich...äh...äh...ich mach gerade einen Tanzkurs und ich bin im Kopf kurz die Schritte durchgegangen."

„Hey, Tanzkurs! Is' ja super!" rief die Kollegin. „Ich würde ja auch so gern in einen Tanzkurs gehen, aber mein Mann will lieber zuhause vor dem Fernseher sitzen und Bier trinken. Na, wenn das so weitergeht, geh ich ganz einfach allein. Hast' einen guten Partner?"

Sonja fuhr hoch und herrschte sie an: „Aber das ist doch bitte meine Privatsache!!" Unkontrolliert sprang sie auf und verließ den Tisch.

Jetzt ging natürlich im Büro das Getratsche los.

Sonja hat Liebeskummer!! Das war jetzt allen klar. Eine Sensation!!!

In der engen Kaffeeküche drängten sich fortan die MitarbeiterInnen und ergingen sich in Spekulationen über die Hintergründe von Sonjas Ausnahmezustand.

Man war sich bald sicher, dass es sich beim Auserwählten um einen verheirateten Mann handeln müsse. Natürlich! Ein anderes Hindernis als eine unüberwindbare Ehefrau konnte es für jemanden wie Sonja doch nicht geben!

Gleichzeitig machte sich bei einigen Kolleginnen höhnische Genugtuung breit.

Eine verzopft wirkende Mitarbeiterin mit Brille und sackartigem Blümchenkleid sagte: "Naja, Hochmut kommt vor dem Fall."

Ein redseliger und ehrgeiziger Praktikant, der eben erst seine Matura an der ´Josephinischen Akademie´ absolviert hatte, witterte Sonjas Hang zu irgendeiner Abartigkeit; oder zumindest zu einem nicht salonfähigen Fetischismus. Er hieß Phillip, sein Gesicht wurde von einem flaumigen Bartgebilde a la Kardinal Richelieu verziert und er konnte es nicht verwinden, dass Sonja trotz seines guten Aussehens, trotz seiner überdurchschnittlichen Intelligenz und trotz seines einflussreichen Vaters seine arroganten Anbratversuche nicht einmal ignoriert hatte. Er legte in der Kaffeeküche endlose Mutmaßungen dar. Etwa, dass Sonja eine Schwäche für verschwitzte Straßenarbeiter habe; für Türken und Jugoslawen! Sie würde sich gerne auf Baustellen herumtreiben und sich am Anblick der derb-muskulösen und braungebrannten Körper in ihren orangefarbenen Arbeitshosen aufgeilen. Wahrscheinlich würde sie sich in verwanzten Arbeiterquartieren von diesen grobschlächtigen Halbaffen brutal aufs Bett schleudern und so richtig durchficken lassen. Je fester, desto besser! Bei seinen Beschreibungen dieser proletarischen Unterleibsaktivitäten kam auffallend oft das Wort 'Presslufthammer' vor. Während solcher Schilderungen verirrte sich die rechte Hand des Praktikanten immer wieder zwischen seine Beine, wo er dann kratzend rieb.

Ein anderer Mitarbeiter, der seine Freizeit zoologischen Studien widmete, wusste zu berichten, was man bei der Jaguar-Population in den endlos weiten und tierreichen Gebieten Brasiliens beobachtet hatte: Jaguarmännchen verfügen über verhältnismäßig wenig Sperma. Im Gegensatz zu anderen Tieren, wo Männchen ihre Rivalen besiegen müssen, um das alleinige Befruchtungsrecht über die verfügbaren Weibchen zu erkämpfen, ist es bei Jaguaren gerade umgekehrt. Hier treten die Weibchen gegeneinander in einem Balzkampf an, um an den knappen und daher umso wertvolleren Samen des paarungsbereiten Männchens zu kommen. Unterlegene Weibchen würden abwechselnd in paralytische Zustände unkontrollierbarer Aggression oder in tiefe Apathie verfallen....und erst nach einer erfolgreichen Befruchtung wieder zu ihrer gelassenen Souveränität finden. Er würde also in Bezug auf Sonja vermuten, dass sie in einem Rivalitätskampf unterlegen sei; dies könnte auch die Theorie mit dem verheirateten Mann stützen; Voraussetzung sei auf jeden Fall eine Samenknappheit beim umkämpften Partner.

Aus irgendeinem Grund waren sich alle einig, dass Sonjas Verhaltensauffälligkeit keine ungewollte Schwangerschaft zugrunde liege.

Eine ältere Mitarbeiterin meinte in Hinblick auf Sonjas Perfektionismus, dass sie sich möglicherweise einen Pilz eingefangen habe: dies müsse für Sonja ganz furchtbar sein, da dies ein zentraler Makel sei; und außerdem würde ihr tadelloses Auftreten ihr verbieten, sich 'dort' zu kratzen....und so müsse sie permanent einen unmenschlichen Juckreiz ertragen. Diese Theorie wurde aber in der allgemeinen Erörterung nicht weiter verfolgt.

Erwogen wurde auch, dass der hoffnungslos Begehrte homosexuell sei; oder vielleicht sogar ein Geistlicher.

Oder es war ganz anders: vielleicht war ja der Mann großartig....aber in letzter Konsequenz dann halt doch nicht perfekt; man sagt ja: 'Lang und schmal, der Frauen Qual.'

Nach wochenlangem Spekulieren hat dann Phillip, der redselige Praktikant, ein anderes Theorem ins Spiel gebracht, indem er sagte: „Ich glaub' ja, dass die Sonja eigentlich lesbisch is'."

Während dieser Wochen stieg der Kaffee- und Zigarettenkonsum in der Abteilung signifikant.

Auch Hofrat Weisungsknecht blieb es natürlich nicht verborgen, welch schwere Phase Sonja durchmachte. Als sie ihm einmal ein paar Schriftstücke zur Unterschrift vorlegte, sah er die Trauer in ihren Augen und die Ringe darunter. Er wollte sie trösten und sagte, ihr seine Zigarettenschachtel entgegenhaltend mit aufmunterndem Tonfall:

„Bitte, nehmen Sie doch eine herrliche 'Winston'!"

Als Sonja ihn daraufhin apathisch ansah und mit der Bemerkung, Nichtraucherin zu sein grußlos ging, verdross ihn das zutiefst.

Wenige Tage später fand er sich bei einem Nobelheurigen in Grinzing zum allmonatlichen 'Hofrats-Stammtisch' ein.

Sein bester Freund und engster Vertrauter, Hofrat Bobby Herzenstreu aus dem Innenministerium, fragte in weinseliger Laune:

„Wie gehts denn dem 'Zuckerl'?"

Seit durch die züngelnde Indiskretion des französischen Attachés Gerüchte über die individuellen Besonderheiten Sonjas die Runde gemacht hatten, hieß sie in höchsten Beamtenkreisen nur mehr das 'Zuckerl'.

„Ach Gott, hör mir auf mit dem 'Zuckerl'! " antwortete Weisungsknecht desperat. „Ich weiß nicht, was das Mädl hat. So g'scheit. So begabt. So schön......Irgendeine blöde G'schicht. Sie tut mir ja so leid."

Im gelblichen Widerschein des flackernden Windlichts, schlürfte er lustlos aus seinem Veltlinerglas und es ergriff ihn bittere Melancholie.

Die Musik spielte: 'Wenn der Herrgott net will nutzt des gar nix' und Hofrat Weisungsknecht stimmte schluchzend in den Refrain ein.

Als er danach aufstand, seine Zeche beglich und der Musik ein fürstliches Trinkgeld zusteckte....um schließlich aus der Laube zu stolpern und grußlos zu verschwinden, riefen ihm die anderen Hofräte verdutzt nach:

„Aber Hansl! Was hast denn? So kennen wir Dich ja gar nicht!"

Ein Hofrat des Verteidigungsministeriums fragte in die Runde. „Is 'leicht was mit seiner Frau?"

Hofrat Bobby Herzenstreu aus dem Innenministerium sah ihn an und schüttelte den Kopf: „Nein, mit seiner Frau is nix."

Dann schaute er ins flackernde Windlicht und sagte sorgenvoll sinnierend:

„Und mit einem gewissen süßen Mädl is halt auch nix...."

Da nickten die Hofräte in sentimentalem Wissen und unterließen es, weitere Fragen zu stellen.

Nach ihrem 'Seeteufel-Rendezvous' - so nannte Sonja diesen Abend - dauerte es fünf Tage, bis sie Bruno wieder traf.

Dazwischen gab es einen Anruf und zwei SMS.

Sonja musste also die ganze Zeit warten und bereit sein.

Als sie sich dann endlich wiedersahen, diesmal in einem thailändischen Restaurant, war Bruno ganz reizend und Sonja erzählte viel aus ihrem Leben.

Sie berichtete von einer Faschingsfeier in der Volksschule, knapp nach dem Tod ihres Vaters.

Sie sei als 'Schneeflocke' gegangen.

Zwei Buben aus ihrer Klasse die sie verehrten, hatten Angst, dass sie schmelzen würde und zogen sie in einen kalten Hinterhof. Sonja hielt der Kälte trotz ihres dünnen Gewandes tapfer stand - sie sah etwa aus wie eine kleine Ballett-Elevin aus 'Schwanensee'. Allerdings begannen die Buben bald zu frieren und ließen sie allein. Sie blieb im Freien und sagte sich mit klappernden Zähnen vor:

„Ich werd' nicht schmelzen, ich werd' nicht schmelzen......"

Erst nach einer Stunde wurde sie zufällig von der Lehrerin gefunden, die sich mit der Direktorin in eben diesem versteckten Hinterhof für ein ganz kurzes 'Hupferl' verabredet hatte.

Erstaunlicherweise trug Sonja dabei nicht einmal eine Erkältung davon.

„Manchmal kann ich ganz schön stur sein, obwohl ich mir selber dabei nichts Gutes tu." beendete Sonja ihren Bericht.

„Ich würde lieber sagen, Du hast Ausdauer und Disziplin." Brunos Schmeicheln tat wohl.

Unter dem Tisch fußelte er diskret aber eindringlich.

Er streichelte ihre Hände und hörte den Erzählungen konzentriert zu; dabei schien sein Blick durch ihre Augen hindurchdringen zu wollen - 'wohl, um mir noch näher zu sein!' dachte Sonja.

Hier wäre es an der Zeit, eine vertiefende Zwischenbemerkung einzufügen.

Sonjas Distanziertheit in ihren bisherigen Liebesbeziehungen hatte sich als eine Art 'Selbstschutz' eingestellt.

Sie sah sich ständig mit dem Eindruck konfrontiert, der Partner nähme sie gar nicht wirklich wahr, sondern benutze ihre Erscheinung als Projektionsfläche - ihre tatsächliche Persönlichkeit dabei in kränkender Weise ignorierend. Bei ihr stellte sich das Empfinden ein, gar nicht wirklich gemeint zu sein. Keiner nahm sich wirklich Zeit, sie umfassend zu ergründen, sondern strebte nur nach hastiger Eroberung einer Trophäe.

Einen besonderen Tiefschlag zum Beispiel, hatte ihr einer ihrer frühesten Liebhaber, ein verwegener Schilehrer-Typ, versetzt. Sie war damals noch deutlich unter Zwanzig. Während seiner sportlich straffen Stöße sah er sie immer wieder kurz an, um gleich darauf für längere Zeit die Augen zu schließen. Nachdem sich dieser Vorgang mehrere Male wiederholt hatte, meinte er in keuchender Euphorie:

"Pfoh, geil! Ich hab' das G'fühl, i puder' die Kate Moss!"

Derartige Erfahrungen veranlassten Sonja, sich unwillkürlich zu verschließen.

Anders ausgedrückt: ein sexueller Höhepunkt war ihr in Gemeinschaft mit einem Mann bis jetzt unbekannt.

Und sie spürte seit der ersten Begegnung mit Bruno, dass den Gipfeln ihrer Freude in seiner Gesellschaft keine Grenzen gesetzt waren.

Wieder fuhren sie mit dem Taxi bis zu ihrer Haustür.

Wieder kam es zum Kuss.

Sonjas Poren öffneten sich; sie nahm Brunos linke Hand und legte sie auf ihren Busen.

Da brach er den Kuss ab. Ruhig und vorwurfsvoll sagte er:

„Sonja bitte, ich mag's nicht wenn Du mich drängst."

Er küsste ihre Hand und verschwand, wie zuletzt, im Dunkel der Nacht.

Und wieder:

Warten, warten, warten -

Durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.

Warten, warten, warten.....

Diesmal musste sich Sonja sechs Tage lang gedulden.....

Dann allerdings kam es zu einer sensationellen Einladung!

Bruno rief an, als Sonja noch im Büro war.

„Sonja! Ist es Dir recht, wenn ich Dich heute Abend mit dem Auto abhole?"

Natürlich war ihr das recht!

Auf ihre Frage, was er denn mit ihr vorhabe, hielt sich Bruno bedeckt.

Seinem Ersuchen, heute Abend keine Jeans sondern lieber einen Rock anzuziehen, kam sie selbstverständlich nach.

Wie verabredet, verließ sie Punkt zwanzig Uhr das Haus und trat auf die Straße.

Sie konnte ihn aber nirgendwo sehen. Er hatte ihr auch nicht gesagt, was für ein Auto er habe.

Sonja stand also auf der Straße und hielt sehnsuchtsvoll Ausschau in die Richtung, aus der Bruno in der Einbahngasse kommen musste.

Sie trug heute den teuren, cremefarbenen Body, den sie am ersten Tag nach Brunos Auftauchen gekauft hatte....

Nach zehn Minuten griff sie manisch zum Handy, unterließ es aber seine Nummer zu wählen, da sie nicht gegen Brunos Verbot verstoßen wollte.

Die wachsende Nervosität brachte sie nicht dazu herumzugehen, vielmehr wurde sie von Minute zu Minute statischer und regloser. Ihr Blick fiel auf die Fensterscheibe eines vor ihr parkenden Autos. Sie sah ihr leicht verzerrtes Spiegelbild....mit den gewellten, offen getragenen Haaren. Der kirschrote Mund und die schon etwas dicker aufgetragene Schminke, die die deutlichen Ansätze ihrer Gramfalten verdecken sollte, gaben ihrem Aussehen etwas Ordinäres, wie sie empfand; sie kam sich vor wie eine Straßenhure.

Ein Gefühl der Apathie lief vom Scheitel abwärts durch ihren Leib und irgendwann spürte sie die Beine nicht mehr. Gelegentlich lehnte sie den Kopf nach hinten und mit dieser Kippbewegung schlossen sich die Augen wie bei manchen Babypuppen, die dabei ein wohliges Säuglingsgeräusch von sich geben.

Aus ihrem Mund löste sich dabei aber ein geflüstertes und trauriges „Komm!"

Sie mochte etwa eine halbe Stunde so gewartet haben, als sich die Tür eines auf der gegenüberliegenden Gassenseite parkenden schwarzen Lancia öffnete, der offenbar schon die ganze Zeit dort gestanden hatte.

Bruno entstieg dem Wagen und kam auf sie zu. Sonja glaubte, zu träumen.

Wieder legte sie den Kopf nach hinten und hauchte schmerzvoll:

„Warum machst Du Dich über mich lustig?"

Meinte sie das Schicksal....oder ihren Schutzengel.....oder ihren Sehsinn?

Bruno jedenfalls fühlte sich angesprochen und sagte:

„Ich mach' mich nicht über Dich lustig. Ich wollte Dich nur in Ruhe beobachten.“ Da fing Sonja an, leise zu weinen. Die Tränen rollten an ihren Wangen herab und sie fragte:

„Warum quälst Du mich so?"

Nach einer kurzen Pause antwortete Bruno:

„Sonja bitte, begrüße mich nicht gleich mit einem Vorwurf. Ich habe geglaubt Du bist nicht so wie alle Frauen. Aber Du hast mich gerade bitter enttäuscht. Schon seit Tagen freue ich mich auf diesen Abend; und jetzt hast Du alles verdorben."

Er drehte sich um, ging zu seinem Wagen und öffnete die Tür.

Sonja schrie auf: „Bruno!!"

Ohne zu schauen lief sie über die Fahrbahn. Sie hörte das ohrenzerreißende Quietschen von Autoreifen und spürte an der rechten Hüfte den harten Stoß eines Autos, das sie eben beinahe überfahren hätte. Sonja nahm dies in ihrem Schrecken gar nicht wahr, beugte sich hastig zu Brunos Lancia, klopfte zaghaft an dessen Seitenfenster und flehte:

„Bruno! Bitte lass mich nicht so stehen! Bitte! Ich bin nicht so wie alle anderen Frauen! Glaub es mir! Bitte!"

Er ließ das Fenster einen spaltbreit herunter und sagte, den Blick melancholisch auf das Lenkrad geheftet:

„Ich bin schon so oft enttäuscht worden."

Dann schwieg er.

Sonja verharrte fünfzehn Sekunden in ihrer Position, dann ging sie um das Auto herum und öffnete schüchtern die Beifahrertür. Sie beugte sich leicht ins Wageninnere und fragte kleinlaut:

„Darf ich mich hineinsetzen?"

Nach einigen endlosen Momenten nickte er wortlos, ohne ihr den Blick zuzuwenden.

Leise, um nur ja nicht zu stören, kauerte sich Sonja auf das schwarze Leder des Beifahrersitzes. Ängstlich blickte sie ihn an.

Am liebsten hätte sie jetzt gesagt - und es lag ihr auch schon auf der Zunge -

'Bruno, ich hab' so eine Sehnsucht nach Dir.'

Sie wollte aber nicht drängend oder gar fordernd wirken und sagte:

„Dein Auto ist schön."

Da wandte ihr Bruno kurz seinen leidenden Blick zu, um schließlich wieder mit enttäuschtem Ausdruck in die Betrachtung des Lenkrades zu versinken.

Nun hielt es Sonja nicht mehr aus und sagte:

„Bruno, ich hab' so eine Sehnsucht nach Dir!"

Da löste er sich aus seinem elegischen Ausdruck, schien plötzlich zu strahlen und sagte: „Ich hab' uns für heute etwas ganz Tolles ausgedacht. Da wirst Du nie draufkommen!"

Er startete den Motor und reversierte den Wagen aus der gar nicht so kleinen Parklücke. Trotzdem hatte er gehörige Mühe damit, der Motor starb viermal ab.

Mit fast schon provokanter Langsamkeit chauffierte er den Wagen unsicher durch die abendlichen Straßen.

Sonja fragte: „Wo fahren wir denn hin?"

Er antwortete: "Bitte nicht reden. Ich muss mich konzentrieren."

Sie verließen das Stadtzentrum und gelangten auf eine große Ausfallstraße.

Links und rechts befanden sich Einkaufszentren, Tankstellen, Einrichtungshäuser, Freudenhäuser und Gebrauchtwagenhändler.

Bald säumten weitläufige Felder die Straße.

Schließlich bemerkte Sonja in mittlerer Entfernung einen Lichtschein.

Beim Näherkommen erkannte sie eine riesige Leinwand und ihr wurde bewusst, dass sie auf ein Autokino zusteuerten.

Bruno fuhr bei der Kassa vor, kaufte die Tickets und rollte dann auf einen Stellplatz.

Das Auto kam, mit der Vorderseite nach oben, in einer Schieflage zu stehen. Links und rechts des Wagens befanden sich Hängevorrichtungen für Lautsprecher, die man an der Innenseite der Scheiben einhängen konnte.

Gezeigt wurde ein Klassiker des neorealistischen italienischen Films:

'Die Perle des Muscheltauchers' von Gasparo Fellalucci.

Der Film lief in Originalsprache mit deutschen Untertiteln.

Erzählt wurde die Geschichte von Pietro, einem armen Waisenknaben aus Neapel, der unter Wasser die Luft ungewöhnlich lange anhalten kann und sich seinen Lebensunterhalt mit dem Tauchen nach Muscheln verdient.

Dieser verliebt sich im Alter von sechzehn Jahren in Maria, die schöne Tochter eines steinreichen Neapolitaners. Obwohl sie, ebenfalls so um die sechzehn, sich innerlich stürmisch zu Pietro hingezogen fühlt, gibt sie den Befehlen ihres Vaters nach und heiratet einen wohlhabenden Reeder.

Doch in der Nacht vor der Hochzeit besucht sie Pietro und es kommt zu einer leidenschaftlichen und tränenreichen Vereinigung.

Schon knapp nach der Hochzeit bemerkt Maria, dass sie schwanger ist. Sie weiß, dass die Frucht ihres Leibes von Pietro stammt, behält dieses Geheimnis aber für sich und fügt sich in ein Leben voller Luxus aber ohne Freude. Nur die kleine Tochter bringt Liebe in ihr Dasein.

Pietro leidet und versucht, durch immer längere Tauchgänge seinen Kummer zu vergessen. Er legt es geradezu darauf an, in immer dunkleren Tiefen vom unerträglichen Gewicht der Wassermassen erdrückt zu werden. Eines Tages kommt es beinahe tatsächlich dazu, doch im letzten Moment wendet sich Pietro noch zum Lichte hin und kommt, von Hustenattacken geschüttelt und Salzwasser spuckend, am steinigen Strand zu liegen.

Ein Mann mit verschlagenem Blick und wettergegerbten Gesichtszügen tritt auf ihn zu und rät ihm, sich 'bereitzuhalten‘: wenn er die 'Perle‘ eines Tages emportauchte, würde der lähmende Gram seines Lebens beendet sein – und seinem Glück stünde dann nichts mehr im Wege.

Pietro sucht nun gezielt nach Perlen, um durch deren Verkauf reich zu werden.

Der Zuschauer erlebt bewegende Begegnungen mit der Unterwasserwelt und taucht mit Pietro in den Kosmos ein, der den erlösenden Gegenstand bereithält.

Nach 15 Jahren hat er es schon zu beträchtlichem Reichtum gebracht, doch immer noch drückt ihn der Kummer in die Welt der Melancholie.

Eines Tages, tief unter dem Meeresspiegel, erblickt er den im Wasser schwebenden Leib eines Mädchens, dessen weiße Gewänder schleierartig um sie wogen.

Pietro weiß nicht, dass es sich dabei um seine Tochter handelt.

Diese hat erkannt, wie liebesleer die Beziehung ihrer Eltern ist; sie kann den Schmerz der Mutter nicht mehr ertragen. Sie weiß zwar nichts über die Hintergründe, fühlt sich aber schuldig und möchte die Mutter durch die Opferung ihres eigenen Lebens erlösen. Vor den entsetzten Augen ihrer Eltern springt sie von der Reling der 'väterlichen' Luxusyacht ins Meer und versinkt in den Fluten; der reiche Reeder und vermeintliche Vater starrt ihr entsetzt nach, unternimmt aber nichts, um sie zu retten. Er hält Maria, die im Begriffe ist ihrer Tochter nachzuspringen, zurück, da er sie nicht auch noch verlieren will. In seiner Hilflosigkeit fesselt er die panisch um sich Schlagende mit einem Tau an den Mast. Am dramatischen Höhepunkt starrt ihn die Gefesselte mit hasserfüllten Augen an und offenbart ihm mit rauer Stimme ihr Geheimnis.

Der Reeder, der Maria wirklich liebt und all die Jahre unter ihrer Kälte gelitten hat, beklagt daraufhin ihr aller Schicksal und beginnt mit einer Axt das Boot zu zerstören, auf dass sie alle gemeinsam sterben mögen.

Mit jedem Axthieb schreit er: „Puttana! Puttana! (dt.: Hure! Hure!)“

Rechtzeitig aber taucht Pietro mit dem Leib Belindas auf, so heißt die Tochter. Die Spannung wird unerträglich, als Pietro vom Wasser aus und Maria vom Masten her, den rasenden Reeder dazu bringen wollen, den beiden im Meer Schwimmenden an Bord zu helfen.

Belinda ist reglos, sie braucht dringend eine Reanimierung. Jede Sekunde zählt.

Plötzlich kommt es zu einer Rückblende aus der Sicht des Reeders: man sieht ihn, der – selber ein Waisenkind – in einem Kloster aufgewachsen ist. Gerade versucht er eine Katze zu töten, die ihn, bei seinem Versuch ihre Jungen zu ertränken, übel zerkratzt hat.

Ein liebenswürdiger Mönch taucht auf, sein Gesicht verdeckt die Sonne und – umstrahlt vom Gegenlicht das an einen Heiligenschein erinnert - sagt er die prägenden Worte: „Nur wenn Du Dich von Deinen selbstsüchtigen Absichten verabschiedest, wird Dir die ewige Liebe zuteil.“

Der Film blendet nun wieder zurück in die Gegenwart. Der Reeder bindet Maria los und die beiden helfen Pietro und Belinda auf die Yacht.

Eine dramatische Wiederbelebungsaktion beginnt und gerade als alle die Hoffnung aufgeben, öffnet Belinda ihre Augen und fragt: „Mama, wo bin ich?“

Diese antwortet: „Du bist bei mir, mein geliebtes Kind, in Sicherheit. Du bist gerettet.“

Jetzt erst fällt Marias Blick auf Pietros Gesicht und sie erkennt den Geliebten, den Vater ihres Kindes.

Tränen schießen ihr aus den Augen und in einer Großaufnahme, die bei Cineasten Kultstatus genießt und dem Regisseur Gasparo Fellalucci zu unsterblichem Ruhm verholfen hat, sagt sie weiter:

„Dein Vater ist zurückgekommen. Er ist Dein Retter. Zum zweiten Mal hat er Dir das Leben geschenkt.“

Sie nimmt die rechten Hände Pietros und Belindas, legt diese ineinander und umschließt sie mit ihren beiden Händen.

Dann sagt die hinreißende Diva mit feierlichem Ernst, aber nicht ohne erotischen Aplomb: „So lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet.“

Jetzt kommt der Reeder ins Bild. Ergriffen hat er die Szene verfolgt.

Nun sagt er: „Ich will dem Glück nicht im Wege stehen, ansonsten ich doch nur in Trauer danach dürste.“

Er besteigt das Beiboot und nach einem stummen Abschied rudert er auf das offene Meer.

Pietro, Maria und Belinda stehen am Bug der Yacht und halten einander innig umarmt.

Die Kamera schwenkt auf die schaumigen Wellenkronen im Abendlicht und der Schwarzweißfilm ist zu Ende.

Zu Beginn der Vorführung schob Bruno den Sitz möglichst weit nach hinten und lehnte sich zurück.

Danach sagte er zu Sonja: „Wie schön, dass wir das erleben können.“

Seine Moschus-Aura, seine Worte und der warme Duft der Ledertapezierung beglückten sie.

Es erschien ihr ganz selbstverständlich, dass Bruno den Gürtel löste, die Hose öffnete und bis zu den Knien hinunterschob.

Verträumt verfolgte er die Handlung auf der Leinwand und sagte beiläufig zu Sonja: „Bitte mach Dich unten frei.“

Mit schnellerem Atem öffnete sie die relevanten Druckknöpfe ihres 'Body'.

Als es zur leidenschaftlichen und tränenreichen Begegnung zwischen Pietro und Maria kam und abwechselnde Großaufnahmen der beiden entrückten Gesichter ihren Liebesakt wiederspiegelten, griff Bruno hektisch nach Sonja und sagte gepresst: „Komm jetzt.“

Sie tat wie ihr geheißen und kam über ihm zu knien; in der aufbrausenden Filmmusik konnte man deutlich die sich steigernde Leidenschaft vernehmen und noch ehe Sonja sich versah, war Bruno schon in ihr drinnen – und kam beinahe im selben Augenblick zum Höhepunkt.

Allerdings deutlich vor Pietro und Maria.

Ganz zu schweigen von Sonja.

Sie bemerkte den Verdruss in seinen Augen; in der Gewissheit, irgendetwas falsch gemacht zu haben und weil sie in vorauseilendem Gehorsam Brunos Wünschen entsprechen wollte, hielt sie es für das Beste, ihn wieder freizugeben.

Zu diesem Behufe hob sie das Becken und bewegte es nach hinten. Dabei kam ihr Popo mit der Mittelfläche des Lenkrades in Berührung und ein lautes Hupen zerstörte die kunstvolle Wirkung der abrupt leiser gewordenen Filmmusik.

Genervt stöhnte Bruno auf: „Danke! Vielen Dank!“

Er schob sie weg und sie purzelte schamgeöffnet auf den Beifahrersitz. Gereizt schwang er seine Tür auf, stieg ins Freie, zog die Hose hinauf, trat vor das Auto, lehnte sich an die Kühlerhaube, steckte eine Zigarette in den Ebenholzspitz und rauchte mit Enttäuschungs-grundierter Kapriziosität.

Sonja sah durch die Windschutzscheibe seinen schattenhaften und rauchumwölkten Umriss vor dem Hintergrund des verzweifelt tauchenden Pietro.

Sie sammelte sich zwei Minuten lang und trat dann zu Bruno.

„Verzeih' mir, Bruno. Ich hab wohl irgendwas falsch gemacht.“

Er verfolgte das vergebliche Werben des reichen Reeders um seine Ehefrau auf der Leinwand.

Aus den umstehenden Autos drangen die leisen Stimmen der Darsteller.

„Lass mich jetzt bitte allein, Sonja!“

Kurze Pause.

Dann Sonja: „Bruno...bitte...ich...“

Er unterbrach sie harsch: „Geh bitte!“

Sonja wendete sich ab, verharrte neben der Beifahrertür und verfiel in herzzerreißendes Schluchzen.

Neben ihr stand ein klappriger weißer VW Golf. Ein sympathisch wirkender, gesetzterer Herr, der mit einer deutlich jüngeren, sinnlich zupackenden Verführungskünstlerin zu Gange war, kurbelte das Fenster hinunter und sagte freundlich: „Lassen’s doch den Trottel – mit dem Oaschloch wird nie was.“

Sonja drehte sich erstaunt zu ihm.

Er fuhr fort: „ Das is’ ein Trottel, ein Psychopath!“

Auch die junge Frau richtete sich jetzt auf und sagte mit sachlicher Bestimmtheit und in freundlicher Zuwendung: „Ja stimmt: das is’ ein Oaschloch. Vergiss ihn!“

Dann wurde das Fenster wieder hochgekurbelt und man gab sich erneut den Freuden hin.

Sonja setzte sich in den Lancia und verfolgte, erfüllt von Zerknirschung und ernsthaften Bedenken, die Handlung des Films.

Ein Drittel des Bildausschnitts wurde dabei allerdings von Brunos Silhouette verdeckt, der bis zum Ende der Vorführung rauchend an die Kühlerfront des Wagens gelehnt blieb.

Als der Nachspann abgelaufen war und die meisten Autos schon den Platz verlassen hatten – auch der weiße Golf, dessen reale Existenz Sonja mittlerweile anzweifelte, war plötzlich verschwunden – drehte sich Bruno um und nahm mit vergeistigter Attitüde wieder den Platz hinter dem Lenkrad ein.

Nach einigen Minuten des Schweigens sagte er mit weichem und versöhnlichem Timbre: „Du musst halt einsehen, das Timing is' mir total wichtig. Aber so nah wie heute war ich noch nie dran. Danke, Sonja!“

Er streichelte ihr die Hand und fuhr fort: „Würdest Du bitte die Lautsprecher wieder an ihren Platz hängen?“

Stumm kam Sonja seiner Bitte nach.

Als sie sich wieder gesetzt hatte, startete er den Motor, legte den ersten Gang ein und fuhr ruckelnd los. Dabei übersah er, dass die Vorderreifen sich ja auf dem höchsten Punkt der wellenförmigen Betonerhöhung befanden, die die Rückwärtsneigung der Fahrzeuge bewirkte, um so den Insassen eine bequeme, aufwärtsgerichtete Blickrichtung zu ermöglichen.

Nachdem sich das Auto einen halben Meter vorwärts bewegt hatte, saß es mit der Bodenplatte auf. Ein alarmierendes, blechernes Schabgeräusch war die akustische Folge.

Erschrocken blickte Bruno hoch: „Nein, bitte nicht, was soll ich denn jetzt tun?“

Ratlos sah er zu Sonja.

„Warte, das werden wir gleich haben!“ Sie stieg aus und forderte ihn auf, den Rückwärtsgang einzulegen. Sonja schob an, die Reifen hatten zum Glück genügend ´Grip´ und mit metallenem Ächzen löste sich die Bodenplatte vom unnachgiebigen Beton. Als das Auto wieder in seiner ursprünglichen Position angekommen war, richtete sich Sonja auf und kam im blendenden Licht der Scheinwerfer zu stehen. Der Rock war hochgerutscht und, ihr Geschlecht nur halb verbergend, baumelte die dreieckig zulaufende Partie des ebenfalls hochgerutschten Body mit provokantem Schwung in der gleißenden Beleuchtung.

Bruno öffnete bei laufendem Motor die Tür, packte Sonja, legte sie auf die Motorhaube des Lancia, schob die Hose hinunter und nahm sie mit ekstatischer Wut. Unter hysterischen Stößen richtete er sich auf und schrie: „Fellalucci – Du bist ein Genie!“

Dummerweise hatte er vergessen, die Handbremse anzuziehen.

Die Wucht seiner Stöße übertrug sich auf den Wagen und mit überraschender Plötzlichkeit rollte das Auto zwei Meter zurück, gerade in dem Augenblick, als er schreiend Gesicht und Arme in den Nachthimmel reckte.

Bruno verlor das Gleichgewicht, verhedderte sich in der heruntergelassenen Hose und klatschte mit der Vorderseite auf den Betonboden.....gerade in dem Moment, als die Samenflüssigkeit aus seinem Glied drang.

Erschrocken richtete sich Sonja, die nach wie vor auf der Motorhaube lag, auf: „Bruno, hast du Dir wehgetan?“

Anstatt zu antworten machte er Schwimmbewegungen....das entblößte und gut ausgeleuchtete Gesäß rotierte über dem harten Boden.

Dabei rief er in verbitterter Ernsthaftigkeit: „Ja, ich werde Armeen aus dem Boden stampfen! Kommt, meine Betonsoldaten! Frucht meiner Lenden! Golem erwache!! Sei mein General!!!“

Es klang wie ein archaischer Beschwörungszauber.

Mit flachen Händen auf den Boden trommelnd, sagte er dumpf, in pathetischem Rhythmus und wirren Blicks: „Bumm bumm bumm bumm bumm bumm!“

Nach einer kurzen Phase der Erschöpfung richtete sich Bruno auf und kam ins Knien. Er wirkte verstört, als sei er eben aus einem beklemmenden Traum erwacht. Im Scheinwerferlicht konnte man deutlich die besudelnden Flecken auf der Bauchpartie seines Hemdes erkennen.

Nachdem er ein paarmal tief durchgeatmet hatte, sprang er plötzlich auf, tat so als ob nichts Ungewöhnliches passiert sei, zog die Hose hoch, setzte sich hinters Lenkrad und sagte zu Sonja: „Komm bitte.“

Sie nahm im Auto Platz und diesmal gelang es Bruno, den Wagen ohne Aufsitzen vom Platz zu chauffieren.

Sie fuhren dieselbe Strecke zurück, die sie gekommen waren. Keiner sprach ein Wort.

Sonja war noch ganz paralysiert von den Vorgängen. Sie kam sich missbraucht, ja geradezu geschändet vor....der Akt hinter dem Lenkrad war, sie musste es vor sich zugeben, eine Enttäuschung. Bei dieser Erinnerung schloss sie automatisch die unteren Druckknöpfe.

Das Paar aus dem weißen Golf fiel ihr wieder ein. „Psychopath“..... „Oaschloch“….naja, solche Begriffe konnten sich allerdings aufdrängen.... Wohl hatte die Liebe auf der Motorhaube eine gewisse obszöne Faszination gehabt...aber auch da war er in Gedanken ganz woanders gewesen... Vollkommen überfordert war sie mit den Folgen seines unfreiwillig komischen koitalen Sturzes, nämlich die mehr als befremdliche Betonbefruchtung, das bizarre Herumrudern und vor allem dieser zitathafte Wortsalat!

Nein! Sexy war das nicht!

Auch wie er jetzt wieder so provokant langsam fuhr und dabei versuchte, souverän zu wirken.....wo er doch ganz einfach ein schlechter Autofahrer war.....das war nun bitte wirklich offensichtlich!

Sie erinnerte sich wieder an jenen Assistenten am Institut für Theaterwissenschaften, der sich später als Dramaturg keinen - und noch später als Kritiker, ein bisschen einen Namen gemacht hatte.

Dieser hatte sie unter Einsatz intellektueller Kapriolen und gesellschaftspolitischen Weitblicks umworben. Irgendwie beeindruckte es Sonja mit ihren damaligen 19 Jahren, dass er auf alles eine Antwort wusste; mit langen Argumentationsketten selbst die widersinnigst scheinenden Behauptungen als ‚richtig‘ klassifizieren konnte.

Ausführlich schilderte er seine persönliche - und die somit objektiv wahre - Vorstellung von der Bedeutung des Theaterwissenschaftlers im Kunstgewerbe, speziell im Theaterbetrieb: Theater sei eine Wissenschaft und die ganzen Regisseure und Schauspieler hätten die Aufgabe, die Erkenntnisse dieser Wissenschaft zu respektieren und die daraus resultierenden Erwartungshaltungen der Rezensenten zu erfüllen. Das eigentliche Kunstwerk entstehe erst durch die Diskussionen im Feuilleton, getragen vom subjektiven Empfinden der Rezensenten; diese seien die eigentlichen Boten der Kunst; Geistesmenschen, die – im Gegensatz zum infantilen Traumtänzertum und weltfremden Gehabe der Künstler - durch ihre praktische Verbundenheit einen klaren Blick auf die Welt haben und mit der damit einhergehenden 'moralischen Überlegenheit' die 'Avantgarde' der Gesellschaft repräsentieren. Und diese 'Sehenden' (zu denen er sich auch zählte) bildeten durch ihre 'Übersicht' ein 'seismographisches Regulativ', um 'sozialen Katastrophen vorzubeugen'. Der Künstler habe nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn er die Erkenntnisse dieser 'Sehenden' als Grundlage seines Schaffens respektiere.

Er lud sie auf eine 'Spritztour' in seinem Auto ein, einem bejahrten VW Käfer.

Genauso wie Bruno, hatte auch er Probleme damit, aus einer wirklich großzügigen Parklücke herauszukommen.

Als sie von der Neben- in die Hauptfahrbahn einmünden wollten, dauerte dies Stunden! War die Straße nämlich frei, so vergewisserte er sich durch unzählige prüfende Blicke so lange davon, bis schließlich doch wieder Fahrzeuge daherkamen.

Oder: wenn er sich 50 Meter vor einer grünen Ampel befand und diese zu blinken begann, stieg er nicht aufs Gas um die Flüssigkeit der Bewegung aufrecht zu erhalten, nein, er machte eine Notbremsung....die Gegebenheit der Situation vollkommen ignorierend; noch mehr: er brachte seine Umwelt in Gefahr!

Allein bei der Spritztour mit Sonja verursachte er durch sein unsituatives Verhalten zwei Auffahrunfälle, die wiederum gewaltige Staus nach sich zogen. Er selber bemerkte gar nichts davon, da nur die hinter ihm Fahrenden ineinander krachten. Und nach hinten blickte er nie, die Spiegel blieben unbeachtet.

Und auch der Existenz eines Blinkers schien er sich nicht bewusst zu sein. Seine unangekündigten Richtungswechsel zwangen die Straßenbahn zu einer Notbremsung (die bei mehreren Fahrgästen schwere Verletzungen verursachte), sie brachten die Pferde eines Fiakers zum Scheuen (was zur Folge hatte, dass die hochschwangere englische Touristin, die sich mit ihrem Mann in der Kutsche befand, so heftig erschrak, dass es zu einer Frühgeburt im Fiaker kam) und er bemerkte nicht, dass minutenlang eine Rettung mit Blaulicht und Folgetonhorn hinter ihm herfuhr und durch ihn wertvolle Zeit verlor. Der transportierte Herzinfarktpatient kam dann zu spät im Krankenhaus an und starb.

Von all diesen Einflüssen die er ausübte, merkte er nichts. Wenn sie ihm bewusst gewesen wären, hätte sich möglicherweise Jahre später seine große Lebenskrise nicht so zermürbend gestaltet, als er, ein gescheiterter Dramaturg, einsehen musste, dass er den großen Weltenlauf nicht verändern konnte; und zwar deshalb, weil keiner auf ihn hörte.

Also wurde er Kritiker.

Jetzt allerdings erkannte er, dass es ihm zwar noch immer nicht möglich war, die makrokosmische Struktur in seinem Sinne zu beeinflussen, er aber Macht auf einer ganz anderen Ebene hatte: er verfügte nämlich in seinem nunmehrigen Beruf über eine mikrokosmische Zerstörungskraft; durch das vernichtende Hinaustrompeten angeblicher Schwächen und Unzulänglichkeiten, die er bei den künstlerischen Unternehmungen anderer zu konstatieren nie müde wurde, erwarb er sich großen Respekt in der Branche. Vor allem in der notorisch unterdotierten 'Freien Szene'; dort hörte man auf ihn, dort wurde er ernst genommen....er durfte bei Proben anwesend sein......man hofierte ihn.....setzte seine schlechten (und dann nie wieder nachgespielten) Stücke auf den Spielplan.....und es soll sogar zur Opferdarreichung kunstwilliger Jungschauspielerinnen auf den Altären verschwiegener Hotelbetten gekommen sein.

Und als er in Frühpension ging, fiel es ihm nicht schwer sich einzureden, dass er auf ein erfülltes Leben zurückblicken konnte.

Beim Tête à Tête mit Sonja auf der Aussichtsterrasse eines romantischen Ausflugslokals, dozierte er im schon beschriebenen Sinne weiter.

So sehr er aber auch bemüht war, sich bei Sonja als Liebhaber zu empfehlen.....er hatte nach seinem jämmerlichen Auftritt im Verkehr jeden Bonus verspielt. Außerdem trank er zu viel und verhielt sich arrogant gegenüber dem Personal.

Als sie dann zum Auto zurückgingen und er in einem Anflug von Humor darlegte, dass er nun über den nötigen Kurvengeist verfüge - und gleichzeitig einen ungeschickten Versuch unternahm, Sonja zu küssen, da bestand sie darauf, selbst zu fahren. Nach anfänglicher Skepsis willigte er ein, im Bemühen vorurteilsfrei und großzügig zu erscheinen. Er sollte allerdings sein blaues Wunder erleben. Er konnte ja nicht wissen, dass Sonja auf den Wald- und Feldwegen, die das Anwesen ihres Großvaters durchkreuzten, schon mit 12 Jahren auf einem alten VW Käfer das Fahren erlernt hatte....den Fahrersitz ganz nach vorne geschoben und auf zwei Pölstern sitzend. Gemeinsam mit ihren älteren Cousins erwarb sie sich alle praktischen Kenntnisse des Rally-Fahrens, des Gegenlenkens in gedrifteten Kurven, des Springens über Bodenwellen, des Antizipierens von Situationen und als lustvolle Krönung - die Beherrschung des ‚J-Turns' (sprich: Dschäi-Turn), zu Deutsch: Flucht-Drehung. Man kennt dies Kunstfigur aus Verfolgungsjagden in Actionfilmen: der Fahrer beschleunigt das Kfz im Rückwärtsgang auf eine hohe Geschwindigkeit und durch ein (genau aufeinander abgestimmtes) Verreißen des Lenkrades bei gleichzeitiger kurzer Betätigung der Bremsen, vollzieht der Wagen eine 180° Drehung. Während dieser legt man den Vorwärtsgang ein, lässt im richtigen Moment die Kupplung schnalzen und fährt, ohne nennenswerten Geschwindigkeitsverlust, in einer Vorwärtsbewegung weiter.

Und mit eben so einem ‚J-Turn‘, startete Sonja auf dem leeren und weitläufigen Parkplatz des Ausflugsrestaurants die Heimfahrt, die in einer engen Parklücke nahe der Universität ihr Ende fand.

Der Assistent, dessen Mageninhalt – Gulaschsuppe und drei Viertel Zweigelt - neben einem innerstädtischen Alleebaum wieder den Weg in die Freiheit fand, vermied hinfort den Kontakt zu Sonja.

Ihr war das egal.

Jetzt aber saß Bruno am Steuer und behauptete stur seine Wichtigkeit, indem er unerschütterlich auf der linken Überholspur blieb, den ersten Gang eingelegt hatte und mit 40 km/h dort fuhr, wo 70 erlaubt waren.

Er bemerkte nicht den Stau, der sich hinter ihm bildete; auch die ihn rechts Überholenden, die laut hupten und ihn mit unschönen Gesten auf sein Fehlverhalten hinwiesen, ignorierte er.

Das Schalten verweigernd, quälte er den Motor im roten Drehzahlbereich.

Sonja wunderte sich, dass das Auto noch keinen Kolbenreiber hatte.

Und es packt einen schon ein unheimliches Grausen, wenn man sieht, mit welch mephistophelischer Sensibilität jetzt Bruno seinen Hörigkeits-Hebel dort ansetzte, wo Sonjas Abwehrschicht durch die Spätwirkung irgend eines fatalen Lindenblattes porös war.

Nach ein paar Minuten sagte er nämlich: „Sonja, es ist mir fast peinlich, aber ich fühle mich irgendwie nicht gut. Kannst Du Autofahren? Magst Du das Steuer übernehmen?“

Er gab also eine Schwäche zu und machte Sonja d a s Angebot, das sie längst – schon auf der Hinfahrt – herbeigesehnt hatte.

Falls Sie jetzt denken: „Was heißt hier 'Schwäche zugeben’? Was bleibt ihm denn bitte anderes übrig! Der Typ ist doch stehend k.o.! Wie dumm ist die Sonja eigentlich?“

- dann übersehen Sie, dass Sonja im Empfinden ihrer eigenen Situation eben nicht über den Vorteil der kühlenden Distanz verfügt, wie Sie jetzt!

Dass S i e möglicherweise das zweifelhafte Glück haben, nie in das stromschnellige Gewässer der Leidenschaft gelangt zu sein; oder Sie haben es vergessen!

Und, dass die Liebe halt eben dumm macht.

Und wenn Sie sich auf diese Dummheit nie eingelassen haben, dann haben Sie auch nie wirklich g e l e b t!

Also hören Sie gefälligst auf, schlecht über Sonja zu denken!

Sonja antwortete: „Na klar, ich fahre gern!“

Auf diverse Rally-Kunststücke verzichtend, lenkte sie den Lancia zügig und sicher.

Bruno sparte nicht mit Lob und gab begeistert zu, dass Sonja ihm da „ganz schön was voraus“ habe.

Dies bestätigte Sonja in ihrer Wunschvorstellung, dass sie einander großartig ergänzten; dass der Platz an Brunos Seite, d a s Einserplatzerl ihres Lebens sei.

Und Bruno richtete sich jetzt noch mit einer weiteren vertrauensbildenden Frage an sie:

„Sag' Sonja, darf ich bei Dir duschen?“

Sonja zwinkerte ihm zu und sagte: „Mmmh, da kommt dann der ‚Wassermann’ zum Vorschein!“

Er zwinkerte zurück: „'Wassermänner’ lieben 'Jungfrauen’.“

Sonja war betört! Wie er sich doch ihr Sternzeichen gemerkt hatte; und gar vom 'Lieben' hatte er gesprochen...

Der Klang seiner Worte hallte noch nach, als schon die Häuser der Stadt, ihre Bewohner und Fahrzeuge schwerelos an ihnen vorüberglitten.

Es erschien Sonja als gutes Zeichen, dass die Parklücke, in der Bruno vor ihrem Kinobesuch auf sie gewartete hatte, noch immer – oder schon wieder – frei war.

Als sie im hochmodernen Lift aufwärts schwebten, sagte Bruno sogar: „Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich heute noch in den Himmel komme.“

Und als sie im hochgelegenen Appartement angekommen waren und auf ihrer Terrasse stehend den freien Blick über die Dächerlandschaft genossen, nahm er sie zärtlich um die Hüften, liebkoste ihr Gesicht und sagte: „Es ist so schön bei Dir.“

Sonja lehnte sich an seine Brust und war glücklich.

Einander umfangen haltend, standen sie still da und Brunos Aura war das Wunderland der erfüllten Wünsche. Stunden später flüsterte sie fragend in sein Ohr: „Soll ich Dir die Dusche zeigen?“

Und er antwortete ebenso: „Ich will, dass Du mir alles von Dir zeigst.“

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Badezimmer.

Dort zog er ihr Rock und Bluse aus.

Brunos Blick fiel auf Sonjas Waschmaschine mit Trocknerfunktion und er fragte höflich: „Kann ich hier vielleicht mein Hemd und meine Unterhose waschen?“

Sonjas Lippen formten sich zu einem charmanten Lächeln. Sie knöpfelte das rohseidene Hemd auf und zog es ihm aus. Dann löste sie den Gürtel, den obersten Knopf und den Reißverschluss seiner Hose und zog sie, sich hinkniend, hinunter. Danach tat sie dasselbe mit den rohseidenen Boxershorts.

Als sie an ihm zu schnüffeln begann, zog er sie liebevoll empor und sagte: „Lass uns duschen.“

Sie steckte Hemd und Boxershorts in die Waschmaschine und schaltete diese, nach wohldosierter Beifügung eines flüssigen Feinwaschmittels, ein.

Dann trat sie, noch immer den Body tragend, in die Duschecke.

Sofort war sie komplett durchnässt; Bruno gesellte sich dazu und umschlang ihren Nixenleib.

Trotz all der vorangegangenen Entspannung wirkte er unausgeglichen. Etwas zu fest rieb er sich an ihr und sein Stöhnen hatte etwas Aufgesetztes. Immer röter wurde sein Kopf. Ein wenig außer Atem gebot er ihr „ihn doch anzufassen“. Sonja leistete dem Ansinnen folge und widmete sich seiner Schlaffheit.

Er pumpte immer krampfiger und mit heiserer Stimme stieß er gepresst die Worte „komm, komm, ja! ja! komm!“ hervor. An Stirn und Hals schwollen die Adern und auch sein Oberkörper nahm die Farbe eines gekochten Hummers an, um schließlich ins Dunkelrote zu changieren. Mit den Händen schlug er gegen die Fliesen. „Ja! Fester! Fester!“ Die Augen quollen aus den Höhlen.

Sonja gab sich reichlich Mühe, doch das einzige was sich verhärtete, war ihr rechter Arm.

Sie wechselte nach links und forschte mit der zitternden Rechten nach Brunos erogenen Zonen.

Als sie kurz davor war aufzugeben, schien er plötzlich das Tief zu überwinden.

Außer Atem keuchte er: „Aufmachen...unten“.

Sonja nestelte an sich herum, aber ohne Erfolg. Die Druckknöpfe klemmten - wohl durch die Nässe - und Brunos Ziel blieb unter Verschluss.

Durch Selbsthilfe versuchte sich Bruno bei Laune zu halten; dann wurde es ihm zu dumm: er krallte sich in den teuren Body und riss ihn ihr in Streifen vom Leibe.

Endlich hatte er freie Bahn und sie brachten einander in Position. Die Vereinigung stand kurz bevor – das finale Glück zum Greifen nahe. Doch just in diesem Augenblick fiel die Temperatur des Wassers empfindlich ab – eine kalte Dusche für die Liebenden.

Sie retteten sich aus dem Wasserstrahl und Bruno fragte erzürnt: „Was ist denn da los!?“

Er steigerte sich immer weiter in seinen Zorn: „So ein Scheiß, scheiße, was soll das? Sonja! Was ist das für ein Scheiß?! Sonja!“

Mit den Fäusten hieb er gegen die Fliesen und das kalte Wasser tropfte von seinem Leib, der sich zwar in einem Erregungszustand befand, allerdings nicht so, wie man es sich erhofft hatte.

Kleinlaut sagte Sonja: „Meine Kombitherme spinnt manchmal.“

„Deine Kombitherme?“ wiederholte er misstrauisch. Hinter diesem ihm unbekannten Begriff vermutete er irgendeinen Witz, den er nicht verstand. Absurderweise glaubte er, Sonja wolle sich über ihn lustig machen.

Diese holte ein flauschiges Frottee-Badetuch hervor und hüllte sie beide damit ein.

„Is ja wurscht....“ hauchte sie und ihre Zunge suchte wieder vergebens nach seinen Ohrläppchen.

Er beruhigte sich langsam und unter dem Badetuch wurde es warm. Sonja hatte den Eindruck, jetzt aktiv werden zu müssen. Sie setzte sich auf die Waschmaschine, die sich gerade im Schleudergang befand und Bruno lehnte sich an deren Vorderfront. Es schien ihm aber so nicht zu gefallen und er sagte, nach wie vor in Griesgram verhaftet: „Magst Du mir Dein Schlafzimmer zeigen?“

Gemeinsam ins Badetuch gehüllt, tänzelten sie gleichsam ins Schlafgemach.

Es brauchte lange bis die Wut von ihm wich – als Sonja mit galantem Schwung das Badetuch entfernte, sich und ihn wie ein Kunstwerk enthüllte, war er immer noch zornrosa.

Mit dem Selbstbewusstsein eines Mannequins und der Grazie einer Ballerina legte sie sich in die Landschaft des azurblauen Satin, mit dem sie am Nachmittag das Bett frisch überzogen hatte.

Auf der rechten Seite liegend, offenbarte sie ihm die Wohlgeformtheit ihrer linken Hemisphäre.

Eine Aphrodite in den blauen Wellen eines knisternden Meeres.

Bruno war sichtlich beeindruckt. Er entspannte sich und eine sonderbare Weichheit schien ihn, einer Wolke gleich, zu umhüllen.

Seine Augen wurden feucht und die nunmehr bronzene Tönung seiner klassischen Statur strahlte Gleichmut und erotisierende Weisheit aus. Im Abstand von zwei Metern formte er mit den Händen Sonjas Konturen nach. Vergeistigt und sehend. Ein gereifter Dionysos.

Die Lippen begannen sich zu bewegen, doch keine Laute drangen nach außen.

Sonja fühlte sich ausgeliefert in ihrer Nacktheit; doch nichts lag ihr ferner als der Gedanke, sich zu bedecken. Sein Verhalten hatte eine erregende Wirkung und die Makellosigkeit ihrer Aura strahlte wie das lockende Licht eines Leuchtkäferweibchens.

Da begann Bruno zu sprechen, gleichsam in Trance.

Erst undeutlich, dann immer klarer, steuerte er in göttlicher Nacktheit auf den zeremoniellen Höhepunkt hin....es sprach es aus ihm, ein aufwühlendes Adagietto.

„Denn die Schönheit Phaidros, merke das wohl, nur die Schönheit ist göttlich und sichtbar zugleich, und so ist sie denn also des Sinnlichen Weg, ist, kleiner Phaidros, der Weg des Künstlers zum Geiste...“

Während des Sprechens bedeutete er Sonja, sich zu drehen. Sie lag nun auf dem Bauch und sein Begehren manifestierte sich in sichtbarer Verfestigung.

Nach dem Vollzug einer weiteren anmutigen Drehung kam sie auf der linken Seite zu liegen und so bot sich ihm ihre rechte Flanke dar.

Abrupt unterbrach er das Sprechen und stierte auf einen Punkt knapp oberhalb ihrer Hüfte.

„Was ist denn das?“ stammelte er.

Ein blauer Fleck irritierte ihn und riss ihn aus dem Versunkensein.

„Aber...was soll denn das?“ maßlose Enttäuschung schwang in dieser Frage.

Zunächst wusste Sonja gar nicht, was er meinte. Doch seine weit aufgerissenen Augen wiesen ihrem Blick die Richtung. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über den blauen Fleck und sagte: „Das ist von dem Auto.“

„Welches Auto?“ fragte er verständnislos.

„Das Auto, das mich beinahe überfahren hat.“

„Wann bitte hat Dich beinahe ein Auto überfahren?“

„Na heute, kurz nachdem Du mich vor meinem Haus angesprochen hast.“

„Ja und...?“

„Da wolltest du mich doch alleine zurücklassen und bist in Deinen Lancia gestiegen; und ich bin Dir nach um dich aufzuhalten und hab nicht auf den Verkehr geschaut; und ein Auto hat es gerade noch geschafft vor mir stehen zu bleiben; aber ein bisserl angeschubst hat es mich doch.“

Bruno schüttelte den Kopf und sagte: „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Macht ja nix!“ entgegnete Sonja und streckte ihren Leib. „Komm zu mir!“

„Was heißt da: Macht ja nix?“ fuhr Bruno auf. „Das ist so hinterhältig von Dir, wie Du mir dauernd ein schlechtes Gewissen machen willst!“

„Aber wieso ´schlechtes Gewissen´?“

„Jetzt tu doch nicht so! Dir ist wirklich jedes Mittel recht! Glaubst ich bin blöd?“

Jetzt glaubte Sonja, dass er einen Witz machte den sie nicht verstand.

„Ich weiß jetzt nicht...“ Sie sah ihn fragend an.

Sein Blick fixierte den blauen Fleck; angeekelt und verärgert verzog er das Gesicht.

„Ich mag das nicht sehen! Pfui Teufel!“ Er wendete sich ab. „Tu irgendwas drüber! Aber nix anziehen! Nimm ein Makeup.“

Sonja stand eingeschüchtert auf und setzte sich an den Schminktisch. Sie nahm ein Gefäß zur Hand, das eine cremeartige, hautfarbene Grundierung beinhaltete. Sie strich ein wenig davon über den dunkelblauen Untergrund, musste aber einsehen, dass ihr Makel nicht ganz überdeckt war. Sie verteilte noch mehr von dem Kosmetikum an der betroffenen Stelle. Jetzt konnte man zwar keinen Farbunterschied mehr erkennen, aber es hatte sich eine kreisförmige, dreidimensionale Struktur gebildet.

Sie legte sich wieder aufs Bett und fragte: „Isses jetzt in Ordnung?“

Bruno, der währenddessen seinen Kopf zur Seite gewendet und die Augen geschlossen gehalten hatte, öffnete diese nun misstrauisch und prüfte ihre Erscheinung.

„Pfoah! Nein! Das ist ja total schiach! Grauslich!“

Sonja sah ihn verständnislos an.

„Schau mich nicht so an!“ warf er ihr zu. „Wenn was so ungustiös ist, dann kann ich wirklich nicht! Ich bin doch kein Neandertaler!“

Missmutig verließ er das Schlafzimmer.

„Wo willst Du hin?!“ rief Sonja und Angst krallte ihr Herz.

„Ich zieh mich jetzt an und dann gehe ich!“ kam es aus dem Bad.

Sonja krümmte sich auf dem Bett zusammen und herzzerreißendes Schluchzen entrang sich ihrer Brust.

Kurz darauf hörte sie einen Aufschrei.

„Nein! Nein! So ein Mist!! Das darf doch nicht wahr sein!!! Scheiße!!“

Sonja fuhr hoch: „Was ist denn?“

Sie lief ins Badezimmer.

Dort stand Bruno vor der geöffneten Waschmaschine und hielt fassungslos sein rohseidenes Hemd und die Boxershorts in den Händen.

„Was hast Du denn?“ Angstvoll zitterte Sonjas Stimme.

„Was ich habe?! Schau doch einfach nur her, dann weißt Du’s!“

Hatte Sonja vergessen den Schongang zu wählen? Oder hatte die Trocknerfunktion einen Defekt?

Die edlen Kleidungsstücke schienen eingegangen zu sein und der farbige Glanz war einer grauen Stumpfheit gewichen.

„Die Sachen sind hin! Total im Arsch! Weißt Du eigentlich was ich dafür bezahlt habe?!“

Sonja versuchte einen beruhigenden Ton zu treffen.

„Zieh die Sachen doch einmal an? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm...“

Grunzend versuchte er die Wäsche anzulegen. Doch das nunmehr poröse Material gab nach und zahllose Risse degradierten die einst so feinen Stücke zu wertlosen Fetzen.

Konsterniert betrachtete Bruno sein Spiegelbild.

„Bruno...Es tut mir so leid...Ich weiß auch nicht...Ich hab doch auch so viel Seide...Mir ist das noch nie passiert.“

Und wieder kullerten Tränen über ihre Wangen.

„Hör bitte mit dieser Heulerei auf! Deine widerliche emotionale Erpressung zieht bei mir nicht!“

„Bruno...!“

„Ruhe jetzt!“

Er riss sich die Wäsche vom Leib, warf den Stoff achtlos zu Boden, suchte seinen Anzug zusammen und zog ihn über. Dann schlüpfte er in die Socken, die von Sonja säuberlich zusammengefaltet danebenlagen, begab sich ins Vorzimmer, zog die Schuhe an und sagte:

„Ich bin fassungslos!“

In der Tür stehend wandte er sich noch einmal zu Sonja, die ihm angsterfüllt nachgetrippelt war und meinte tonlos: „...und lass Dir ja nicht einfallen, mich anzurufen.“

Dann zog er die Tür zu.

Sie stand wie erstarrt. War das jetzt ein Albtraum? Innerlich leer, verlor sich ihr Blick in der Struktur des Teppichbodens. Das Grauen des Alleinseins formte sich zur konkreten Vorstellung. Hätte sie doch die Möglichkeit einer Aussprache mit Bruno!

Da! Als hätte eine höhere Macht ihr Flehen erhört, erklang das Klingeln des Handys. Sie hastete hin und sah auf dem Display 'Bruno' leuchten. Mit zitternden Händen stellte sie die Verbindung her.

„Ja? Bruno?!“ In hoffnungsvollem Außer-sich-Sein hauchte sie den Namen.

„Sonja?“ Seine Stimme klang sachlich gefasst: „Wie komme ich denn bei der Haustür raus?“

„Rechts an der Wand ist ein Kippschalter....“ antwortete sie kleinlaut.

„Ah ja!“ Im Telefon hörte sie ein surrendes Geräusch.

„Bruno...“ Doch die Verbindung war unterbrochen.

Durch ein gassenseitiges, geöffnetes Fenster nahm sie die Startgeräusche des Lancia wahr. Es folgte das Aufkreischen dessen überdrehter Maschine, die, in den roten Bereich gepeitscht, nach Hilfe schrie. Dies wurde plötzlich durch das enervierende Ruckeln des abgewürgten Motors konterkariert. Dreimal starb der Wagen ab und musste neu gestartet werden, ehe Bruno es dann doch schaffte ihn auszuparken - und die hochtourige Gequältheit des Lancia verlor sich in der Ferne.

Sonja schwankte ins Schlafzimmer und warf sich aufs Bett, wo sie laut aufschluchzte: „Nein! Nein! Nein! Ich hasse mich!“

Nach einer etwa fünfminütigen Litanei der selben Worte setzte sie sich auf, wobei die rechte Hand an ihrem Makelpunkt streifte. Hautfarbene Schminke haftete nun an ihren Fingern und verunstaltete auch die azurblaue Satinbettwäsche. Angeekelt nahm sie ein Kleenex aus der Pappschachtel, die auf dem Nachtkästchen stand.

Mit selbstzerstörerischer Energie rieb sie das Makeup von ihrer Haut.

Sie steigerte sich in einen autoaggressiven Wahn und versuchte auch den blauen Fleck wegzureiben. Sie rieb und rieb; in ihrem Selbsthass spürte sie keinen Schmerz. Nach einiger Zeit zerknüllte sie das Papier und warf es fort.

In blinder Wut schrie sie auf, krallte die Nägel des rechten Zeige-, Mittel- und Ringfingers unterhalb des blauen Flecks in ihr Fleisch und riss die Hand aufwärts.

Drei tiefe Wunden durchzogen nun streifenartig und blutrot den blauen Grund.

Restpartikel des Makeup gelangten in die Wunden und bescherten eine oberflächliche Infektion.

So blieben ihr, der Makellosen, für den Rest des Lebens drei Narben; ein ewiges Mahnmal ihrer Entgleisung.

Sie ließ die Wunden einfach bluten, warf sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Die Sehnsucht nach Bruno wurde unerträglich.

Da öffnete sie die Lade des Nachtkästchens und entnahm einem länglichen, liebevoll arrangierten Nest aus rotem Samt den Erinnerungsknochen.

Sie löschte das Licht, legte sich, den Knochen mit beiden Händen umklammernd zurück aufs Bett und stieg hinab in die einsame Zelle, die der Anbetung Brunos geweiht war.

Während des Schlafes drehte sich Sonja auf die rechte Seite und das Blut gerann im Kontakt mit dem Leintuch.

Es graute schon der Morgen und die ersten Vögel sangen, als sie sich auf die andere Seite warf. Da lösten sich die drei Streifen getrockneten Schorfs und Sonja erwachte durch hefigen, risshaften Schmerz.

Sie sprang auf, nahm ein Desinfektionsmittel aus dem Medizinschrank, versorgte die Wunde und verband sie.

Zurück im Schlafzimmer, begann sie den Boden von den gebrauchten Kleenex Tüchern zu befreien.

Danach zog sie die Bettwäsche ab und stopfte sie in die Waschmaschine. Als sie diese in Gang setzte, überprüfte sie noch einmal alle Einstellungen: der Schonwaschgang mit 30° war ebenso programmiert, wie das Schonschleudern: auch der Trockner...jetzt stutze sie: für den Trockenvorgang bot ihre Luxusmaschine zwei verschiedene Temperaturen an:

High – schnelles Trocknen, für normale Wäsche

Low – langsames Trocknen, für empfindliche Wäsche

Den fingernagelgroßen Kippschalter hatte sie grundsätzlich immer auf 'Low' gestellt. Doch jetzt stand er auf 'High'.

Nachdenklich ließ sie den Abend revuepassieren; ja natürlich! Sie hatte sich doch während des Schonschleuderganges auf die Waschmaschine gesetzt....und als Bruno sich angelehnt hatte, gab es ein knackendes Geräusch! Sie legte den Schalter um - und hörte genau dieses Knacken.

Gemartert von Überlegungen, wie sie Bruno ihre Unschuld mitteilen könnte, überzog sie das Bett neu; zur Vorsicht mit schwarzem Satin. Aus der gleichen Vorsicht schlüpfte sie in eine Pyjamahose und suchte vergebens nach Schlaf.

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Zapfenstreich für Österreich

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