Читать книгу Shake your Life - Ralph Goldschmidt - Страница 13
»Was ist denn überhaupt
Оглавлениеdas Problem bei deinem Job?«, frage ich Victor, als er sich wieder gefangen hat.
»Ich gehe mal davon aus, dass Barkeeper ein Schweigegelübde ablegen wie Priester oder Ärzte oder so. Richtig?«
»Na, klar!«
»Also, es ist so: Ich finde das ganze Geld ja auch gut. Ich mag gute Klamotten und so. Mir fällt es leicht, viel Geld zu verdienen, ich finde auch irgendwie, dass das für mich normal ist, es steht mir zu, habe ich das Gefühl. Das soll jetzt nicht überheblich klingen, ich will nur sagen, dass ich mich damit ganz wohlfühle. Ich bin ja auch leistungsfähig. Oder anders gesagt, ich habe kein Problem mit meinem Selbstwertgefühl.«
»Echt?«
»Ja, echt. Wieso echt? Jetzt bring mich nicht aus dem Konzept!«
»Schon gut.«
»Also, jedenfalls gefällt mir meine Gehaltsabrechnung so, wie sie ist. Nur …«
»Nur?«
»Nur nicht um jeden Preis. Faule Tricks anwenden zu müssen, das ist es nicht wert. Ich will mein Geld ehrlich verdienen. Mich kotzt es an, was bei uns läuft! Ich muss mir täglich auf die Zunge beißen, um nicht rumzuschreien, was der ganze Laden für ein Misthaufen ist!«
Oh, mein lieber Scholli. Jetzt merkt man, was der für einen Druck aufm Kessel hat. Mit dem würde ich mich nicht unbedingt anlegen wollen. »Du brauchst mir nicht zu sagen, was da genau läuft, wenn du nicht willst.«
»Doch, das will ich. Ich kann ja mit niemandem drüber reden, das ist ja Teil des Problems, ich will das einfach mal erzählen, wenn’s dir recht ist.«
»Ja, nur zu. Ich höre und vergesse. Das ist mein Job. Und wenn ich mal ein Buch schreibe, werde ich deinen Namen ändern, okay?«
Victor Wodka grinst. »Okay, also pass auf. Es ist ganz einfach. Mein Job besteht darin, überteuerte Medikamente von mittelmäßiger Qualität, die eigentlich keiner braucht, mit Vertriebspower in den Markt zu drücken. Wir werden subtil gedrängt, alle Register zu ziehen, um Kohle zu machen. Ich muss meinen Leuten die Mohrrübe hinhalten oder ihnen richtig in den Arsch treten, damit sie rennen wie die Blöden. Zuckerbrot und Peitsche. Und das macht mir überhaupt keinen Spaß.«
Jetzt merkt man, was der für einen Druck aufm Kessel hat.
Er rührt mit dem Strohhalm in seinem Drink herum, macht eine Pause. Holt tief Luft und redet weiter: »Weißt du, es ist so sinnlos. Kein Mensch wird durch diese Medikamente gesünder. Im Gegenteil. Die Dinger haben alle Nebenwirkungen, manche machen abhängig. Wir machen Deals, die nicht sauber sind, um Ziele zu erreichen, die verrückt sind, und Zahlen zu generieren, die unrealistisch sind. Den Apothekern wird in Veranstaltungen der Hintern gepampert, alle Key-Accounts werden mit Macht gedrängt, beeinflusst, bestochen. Ein Medikament ist besonders übel. Ich weiß, dass da nachweislich Studien gefälscht worden sind. Und von einer Studie weiß ich, dass das Medikament ganz übel dabei wegkommt. Das Zeug ist gefährlich. Und diese Studie wird unter Verschluss gehalten, mit sehr viel Geld natürlich.«
Er schaut mich an, ich bin ganz still.
»Ich finde das so scheiße. Ich würde das Zeug, das ich verkaufe, niemals selbst schlucken. Wenn schon, dann würde ich ein Konkurrenzprodukt nehmen. Wenn überhaupt. Für einen Großteil der Patienten ist das Produkt der Konkurrenz nämlich das verträglichere, außerdem wirkt es besser. Und ist billiger. Wir haben da ein ganz mieses Produkt, und ich bin gerade dabei, es zum Blockbuster zu machen. Weil ich nämlich ziemlich gut darin bin.«
»Oh, Mann.« Das trifft mich jetzt wirklich. »Da würde ich mich an deiner Stelle auch ganz schön beschissen fühlen«, sage ich. »Dafür hältst du dich noch ziemlich gerade, würde ich sagen.«
Dieser Mann lebt eindeutig nicht seine Werte. Und ich frage mich, warum.
»Und was sagt deine Frau dazu?«, frage ich ihn.
»Meine Frau?« Er lacht, denn er hat durchschaut, dass ich ihn durchschaut habe. »Meine Frau will nächstes Jahr einen Porsche Panamera fahren.«
So, jetzt bin wohl ich dran. Ich werde ihm ein wenig von mir erzählen. Das ist nur fair. Außerdem habe ich mir bereits in den Kopf gesetzt, dass ich diesen Typen nicht so aus meiner Bar rauslaufen lasse, wie er hereingekommen ist. Ich meine nicht den Alkoholspiegel im Blut, sondern seine innere Verfassung.
»Moment, ich geh schnell mal die da drüben bedienen. Ich komme gleich zurück und dann will ich dir was erzählen.«
Während ich zwei netten Damen die Cocktailkarte erkläre, sehe ich, wie mein Mr. Wodka durch den Raum Richtung Toilette schlurft: Er geht wie ein Siebzigjähriger mit achtzig Kilo Gepäck auf den Schultern. Das stachelt meinen Ehrgeiz an.
Zurück hinterm Tresen schneide, fülle, schüttle ich, was das Zeug hält, haue mir die Handkante am Edelstahlbecher taub und liefere zwei saubere Drinks aus. Dann komme ich zurück und knöpfe mir Victor den Schönen vor, der mittlerweile ein wenig erleichtert von der Toilette zurückgekommen ist.
»Jetzt hör du mal zu. Ich weiß auch, wie es ist, einen Haufen Geld zu verdienen. So richtig viel Geld. Aber ich tippe, ich habe dir eins voraus, denn ich weiß auch, wie es ist, alles zu verlieren. Ich habe nämlich mal einen Crash hingelegt. Die Umstände sind legendär, aber das tut jetzt nichts zur Sache.«
»Hört, hört …«
»Jedenfalls hatte ich nichts mehr. Kein Geld. Kein Auto. Keine Wohnung. Nur Schulden. Ich habe im Büro auf einer Matratze gepennt. Zum Duschen bin ich ins billigste Sportcenter in der Stadt. Jeden Tag habe ich mir überlegt, ob ich mir einen Kaffee leisten soll oder nicht. Ich war um sehr viel Geld betrogen worden. Richtig viel. Natürlich gab es einen Prozess. Ich habe recht bekommen – aber trotzdem kein Geld. Das Geld war nämlich weg.
Mein Business lag im Staub. Meine Ex-Frau hing bei mir finanziell am Tropf, mitsamt den Kindern. Genau in der Zeit habe ich meine Freundin kennengelernt, vor der ich mich natürlich auch nicht auf dem Boden im Dreck rumwinden wollte. Kurz: Der Druck, einen Ausweg zu suchen, war riesengroß.
Und da begab es sich, wie das Leben so spielt, dass ich ein lukratives Angebot bekommen habe, bei einem großen Beratungshaus als Senior Consultant anzufangen. Richtig gut Kohle. Die Rettung? Auf einen Schlag wäre ich alle finanziellen Sorgen los gewesen. Aber es war nicht die Rettung, sondern eine Versuchung. Dieser Beraterjob wäre nämlich nicht das gewesen, was ich eigentlich im Leben machen wollte. Er hätte überhaupt nicht zu dem gepasst, was mir wirklich wichtig ist. Denn ich war und bin mir über eines völlig im Klaren: Mein persönliches Leitbild beinhaltet zwingend Unabhängigkeit.«
»Leitbild?«
»Ja, Leitbild. Bitte hör genau hin, ich kann es auswendig …«
Dann bete ich ihm mein Leitbild herunter, in dem ich beteure, die volle Verantwortung für mein Leben zu übernehmen und das Bestmögliche daraus zu machen. Meine wichtigsten Werte kommen auch darin vor: Sinn, Spaß, Pro-Aktivität, Unabhängigkeit und Integrität.
»… Balance in meinen wichtigsten Lebensbereichen. Ich liebe meine Frau und meine Kinder aus tiefstem Herzen … und ich zeige es ihnen. Und ich liebe mich selbst. Ich habe immer die Wahl. Es liegt an mir!«
»Oh, das klingt gut. Alle Achtung!« Victor scheint wirklich beeindruckt. »Und so, wie du das vorträgst, glaubst du da fest dran, oder?«
»Ja, natürlich glaube ich daran. Ich habe diese Sätze schließlich mit Blut, Schweiß und Tränen und viel Hilfe von außen aus meinem Innersten herausgeholt. Da geht’s um meine wichtigsten Werte, das, was wirklich für mich zählt im Leben. Du hast gehört: Sinn, Spaß, Pro-Aktivität, Unabhängigkeit und Integrität.
So, und wenn ich jetzt diesen Beraterjob angefangen hätte, dann hätte ich etwas gemacht, von dessen Sinn ich nicht überzeugt gewesen wäre, bei dem mir der Spaßfaktor gefehlt hätte. Und ich hätte meine berufliche Unabhängigkeit aufgegeben – wieder ein Chef, vor dem ich mich zu rechtfertigen gehabt hätte, was ich tue oder lasse.«
»Du hast den Job sausen lassen? Das kann ich nicht glauben!«
»Na, sagen wir so. Ich war mir sicher, dass der Job ein Pakt mit dem Teufel gewesen wäre. Ich hätte mich verkauft, verschachert, prostituiert. Auf der einen Waagschale lagen meine Werte, meine Identität. Aber auf der anderen Waagschale lagen Frauen, Kinder, Gläubiger und vieles mehr.
Ich hatte mir eine Frist gesetzt: Wenn du es in einem halben Jahr nicht schaffst, von selbst wieder auf die Füße zu kommen, musst du eben auf den Strich gehen. Aber dann, vermutlich weil ich so entschlossen und klar war, habe ich einen Weg gefunden.«
»Oh, und was hast du gemacht?« Er hängt mir jetzt förmlich an den Lippen.
»Erst mal hatte ich meinen 40. Geburtstag und lag mit 40 Grad Fieber im Bett. Kein Zufall. Gott sei Dank war’s nicht der 42ste … Danach war ich klar. Meinen Kindern habe ich mein letztes Hemd gegeben. Dann habe ich Privatinsolvenz angemeldet. Kein leichter Schritt, das kannst du mir glauben.«
»Hammer!«
»Die Gläubiger haben noch ein bisschen was bekommen, ich habe meinen Kopf hingehalten, obwohl ich selber betrogen worden war. Alles weg. Fast alles. Mit zwei Sporttaschen, also meinem kompletten Eigentum, bin ich bei meiner neuen Freundin eingezogen.«
»Was, und die hat dich reingelassen? Bist du dir nicht vorgekommen wie ein Straßenköter, der von einer Tierschützerin mit Helfersyndrom aufgesammelt worden ist?« Victor kann es wohl noch nicht so recht fassen, aber er ist fasziniert.
»Nein, ganz und gar nicht. Ich war klar. Ich wusste genau, was ich wollte. Ich habe nach meinen Grundüberzeugungen gehandelt und ich hatte einen Plan, was ich künftig tun wollte. Ich war selbstbewusst. Und deshalb alles andere als unattraktiv. Meine Freundin hat kein Helfersyndrom und nimmt keine streunenden Hunde auf. Nein, ich war voller Energie. Der Neustart hatte schon begonnen.«
»Ich muss schon sagen, das finde ich ganz schön mutig. Ich meine …«
»Ich weiß nicht, ob es mutig ist, nach seinen Überzeugungen zu leben. Problematisch ist vielmehr, sich seiner Überzeugungen gar nicht bewusst zu sein. Wenn du weißt, was du willst, gibt es ja ohnehin keinen anderen Weg als deinen eigenen. Das ist dann kein Mut, sondern einfach nur Klarheit, Bewusstsein, Bei-sich-Sein.«
»Also, am unglaublichsten finde ich an der Sache, dass deine Freundin kein Problem damit hatte, dass du fertig warst.« Victor hält sein Longdrink-Glas wieder fest umklammert. Noch will er nicht loslassen.
Ich kontere: »Weißt du, das sagt doch jetzt mehr über dich als über mich. Warum glaubst du, dass ich fertig war, nur weil ich kein Geld mehr hatte? Ich habe das nicht geglaubt. Ich war nicht fertig, ich fing gerade erst richtig an. Und weil ich das glaubte, glaubte mir das auch meine Freundin. Frauen wollen Männer, die für etwas stehen, egal für was. Und die für sich einstehen. Und ich bin gestanden. Klar, das war nicht so einfach. Da gab es Gegenwind. Ihr Vater zum Beispiel hat schon Fragen gestellt. Ein Schwiegervater in spe steht nicht gerade drauf, wenn seine Tochter einen Typen hat, der zwei Kinder mitbringt und finanziell am Boden liegt. Aber auch ihm gegenüber habe ich mit offenen Karten gespielt. Und siehe da: Auch der hat das akzeptiert.«
Jetzt schaut Victor nachdenklich ins Leere und spielt an seinem Strohhalm rum. Ich denke, er braucht mal eine Pause. Ich gehe in den Keller, die Chips sind aus.