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Gesundheit, Liebe …

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oft sind es die Werte, die nicht so erfüllt sind oder die gegenwärtig bedroht sind, die im Ranking ganz oben landen. Es sind auch oft die Werte, die im Alltag hintenanstehen müssen. Überraschend wenig geht es bei den zentralen Werten um Berufliches. Zwischen Innen und Außen gähnt bei den meisten Menschen ganz offensichtlich ein tiefer Abgrund.

Die meisten, die gefragt werden, was sie anders machen würden, wenn sie noch mal leben dürften, sagen: Mich mehr um meine Liebsten kümmern. Bei vielen geht es um Liebe, Beziehung, Partnerschaft, Nähe, Intimität. Auch Kinder und Freundschaften kommen in der Rückschau in vielen Leben zu kurz.

Ist doch auch klar. Kein Mensch sagt auf dem Sterbebett: Schade, dass ich nicht mehr Zeit im Büro verbracht habe. Karriere ist es nicht. Auch nicht bei Victor.

Ich könnte ihn fragen: Stell dir vor, du hättest alle finanziellen Ressourcen, die du haben willst, die du bräuchtest für das, was du im Leben vorhast. Und stell dir vor, es wäre ausgeschlossen, dass es ein Misserfolg werden könnte, egal was du anpackst – was würdest du mit deinem Leben anfangen?

Oder ich könnte ihn fragen: Warum begehst du nicht heute Abend Selbstmord? Was genau hält dich davon ab?

Aber das brauche ich ihn gar nicht mehr zu fragen, er hat es bereits gecheckt. Jetzt bin ich nur gespannt, was er ändern wird. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er eine solche Lusche ist, dass er einfach so weitermacht wie bisher. Man kann sich gut und gerne mal verrennen. Und man darf auch mal den Durchblick verlieren. Das ist nicht schlimm. Aber wenn man dann wider besseres Wissen einfach so weitermacht, nur weil man zu feige ist, die Konsequenzen zu ziehen, nur weil man weiter den Weg des geringsten Widerstands gehen will, dann vergeudet man sein Leben. Und das ist das Einzige, was gar nicht geht!

Der Philosoph und Unternehmensberater Rupert Lay hat einmal sinngemäß gesagt: Ein Mensch, der nicht lebt, sondern gelebt wird, ist das ärmste aller Schweine.

Geld hilft bei der Suche nach dem Sinn wenig. Oft ist es nur Ersatz. Geld ist aber auch nichts Schlechtes. Wenn ich weiß, was mein Lebenszweck ist, kann es helfen, Geld für die Umsetzung zu haben.

Umgekehrt ist es oft so, dass das Geld von alleine kommt, wenn Sie nur tun, was Sie wirklich wollen. Denn wir Menschen haben eine unglaubliche Kraft und Ausstrahlung, wenn wir unserem Leitstern folgen. Wir können förmlich Berge versetzen, wenn wir wissen, wofür wir leben. Wir können andere Menschen für unser Ziel faszinieren und gewinnen. Und wir haben Energie für zwölf. Dann sind wir oft so erfolgreich, dass uns auch der materielle Erfolg zusätzlich in den Schoß fällt, obwohl der vielleicht gar nicht das Ziel war.

Es kann aber auch sein, dass Sie Ihren Sinn in etwas finden, womit Sie gar kein Geld verdienen können. Sie könnten Streetkids in Rio de Janeiro helfen, ganz altruistisch. Da ist Geld nicht wichtig, zumindest nicht Geld für Sie persönlich. Und Sie könnten damit sehr glücklich sein. Sie würden nach Ihren Werten leben. Wenn Ihre Grundbedürfnisse erfüllt wären, würde jeder Euro, den Sie mehr hätten, Sie kein bisschen glücklicher machen.

Wenn Sie weder einen Sinn gefunden noch Geld haben, das ist dann allerdings wirklich bitter!

Ich habe mich gefragt, was ich machen würde, wenn ich bei »Schlag den Raab« den Jackpot holen würde. Was dann? Na ja, ich weiß, ich bin bequem. Die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, ist für mich ein positiver Antrieb. Wenn ich steinreich wäre, würde das wegfallen, vielleicht würde mir dann die Motivation fehlen und ich würde lethargisch werden.

Ein bisschen weniger Geld kann gut sein, um glücklich zu leben.

Und Sie sollen ja auch nicht gleich Ihren Job kündigen. Sie könnten auch einfach weiter Ihre Brötchen verdienen und nebenbei etwas Ehrenamtliches machen. Was aus Ihrer Sicht Sinnvolles tun. Geld würde keine Rolle spielen, aber Sie könnten Ihre Werte leben.

Ich für mich habe eine ziemliche Luxushaltung angenommen. Ich habe mir geschworen, beruflich nichts zu tun, was zwar Geld bringt, aber aus meiner Sicht sinnlos ist und mir keinen Spaß macht. Ich habe mich dafür entschieden, Gelderwerb, Sinn und Spaß miteinander zu vereinen. Machen wir uns nichts vor, das ist ein verdammt hoher Anspruch. Das kann nicht jeder in jeder Situation. Diese Haltung haben zu können ist ein Privileg!

Victor sitzt verdreht auf seinem Hocker und schaut sich die anderen Gäste an. Ich wische die Arbeitsfläche ab.

Dann hole ich Luft und sage eindringlich zu ihm: »Wenn du weißt, die nächsten dreißig Jahre musst oder willst du Geld verdienen, dann mach doch etwas, was dir Spaß macht und was du sinnvoll findest! Natürlich nur, wenn dir das wichtig ist …«

»Du hast schon recht.« Victor dreht sich um und schaut mich geradeaus an. »Was glaubst du, was mir in den letzten Wochen so alles im Kopf rumgeht! Ich habe schon verstanden, welche Entscheidung für mich ansteht.

Aber so einfach finde ich das nicht.

Mir ist schon mal eine Beziehung in die Grütze gegangen. Meine erste Frau wollte wegen des Jobs keine Kinder, da ging es ja noch mit der Trennung. Aber jetzt haben wir Kinder, auch ein gemeinsames. Was, wenn das jetzt in die Brüche geht? Ich kann mir das nicht vorstellen, weißt du?«

»Du hast Angst, ist klar.«

»Ja, natürlich habe ich Angst, verdammt! Meine Frau bekommt ja auch mit, dass ich nicht glücklich bin.«

»Woran merkt sie es denn?«

Victor muss lachen. »Also, du bist echt ’ne Marke, hey. Pass auf, du bist mein Barkeeper, dir vertraue ich alles an … beinahe alles!« Er räuspert sich, nimmt einen Schluck aus dem Strohhalm.

»Also, meine Ex, die hat mich dauernd in so Beziehungsgespräche reingezogen, das hat mich unendlich genervt. Aber mittlerweile ist mir klar: Mit meiner neuen Frau hätte ich schon gern eine Basis, um auch mal über uns reden zu können. Ich meine, ich will ja mit ihr nicht gleich auf ein Tantra-Seminar oder so, aber irgendwie mehr Nähe wäre wunderbar. Mehr Tiefe. Weißt du, was ich meine?«


»Hmhm. Was willst du denn genau von ihr?«

»Ich will, dass sie zu mir steht. Auch mit weniger Geld.«

»Voll ins Schwarze. Was noch?«

»Ja, und da ist noch … hm. Weißt du, meine Exfrau hat zwar immer so viel gelabert, aber im Bett war sie ’ne echte Granate. Und sie war eine ehrliche Haut. Wir waren viel enger, viel vertrauter, haben mehr miteinander geteilt, hatten mehr Spaß miteinander. Ich wünsche sie mir nicht zurück, echt nicht. Aber wenn meine Frau heute ein bisschen offener wäre …

Früher ging bei uns auch ab und zu mal die Post ab. Sie ist ja keine Nonne. Aber seit die Kinder da sind, passiert nicht mehr so viel. Mit Überredungskunst klappt’s ab und zu, aber ich will schon mehr als sie. Und auch mal anders.«

Seine Augenringe sind irgendwie noch dunkler geworden. Seine Mundwinkel haben einen bitteren Zug, wenn er redet.

»Sag’s ihr.«

»Ja, ich weiß.«

»Sag ihr, was du von ihr willst.«

»Ja, Mann!«

»Mach dir nicht in die Hose. Du musst für dich einstehen. Ich schätze, sie wartet darauf. Aber sie wird nicht ewig warten.«

Kannst du deinen Anspruch an dich selbst jederzeit und in jeder Situation einlösen?


»Aber mal ganz ehrlich, Bruno.« Er beugt sich ein Stück vor und schiebt sein leeres Glas zur Seite. »Kannst du denn immer tun, was du für sinnvoll erachtest? Kannst du deinen Anspruch an dich selbst jederzeit und in jeder Situation einlösen?«

Ich zögere, werfe mein Handtuch über die Schulter und stütze mich mit beiden Händen auf die Spüle. »Hm, ich bin nicht Superman, habe ich das schon erwähnt? Aber ich glaube schon, dass ich Ernst mache.«

Victor dreht die leeren Handflächen nach oben: »Und? Beweise? Belege? Beispiele?«

Er prüft mich. Natürlich meint er damit eigentlich sich selbst, er prüft mich stellvertretend, denn ganz offensichtlich will er auch so langsam Ernst machen.

»Okay, Hohes Gericht, verehrte Geschworenen«, ich richte mich auf und hebe eine Hand. »Ich habe letzten Monat einen Auftrag abgelehnt. Obwohl ich den Umsatz gut hätte gebrauchen können. Es ging um eine Veranstaltung für Führungskräfte, ich sollte einen Vortrag halten. Thema: Balance im Leben. Mein Paradethema. Meine Zielgruppe. Gutes Geld. Termin passte. Alles bestens. Aber …«


»Aber?« Victor zieht die Augenbrauen hoch und neigt seinen Kopf leicht nach vorne.

»Aber im Gespräch mit dem Auftraggeber kam für mich klar heraus: Im Prinzip wollte er seine Leute nur benutzen. In Wahrheit hatte er kein Interesse an ihnen. Er hatte kein echtes Anliegen, wollte mit meinem Vortrag nur eine Bespaßung liefern, um für gute Stimmung zu sorgen. Mein Vortrag sollte nichts bewirken. Ob mein Vortrag dem Publikum helfen würde, künftig mit Druck besser umzugehen, war ihm wurscht. Im Gegenteil. Eigentlich wollte er, dass seine Leute gnadenlos Gas geben und Geld reinholen, der Rest war egal. Aber es wirkt ja immerhin sozial, wenn er ihnen für viel Geld einen Typen vorsetzt, der ihnen Tipps gibt, wie sie alles unter einen Hut kriegen und rundum glücklich werden. Ich sollte sozusagen als Pausenclown engagiert werden. Eine Alibi-Veranstaltung. Also …«

»Also?«

»Also habe ich ihn gebeten, den Betrag, den er für mein Honorar eingeplant hatte, für einen echten Clown auszugeben oder einem wohltätigen Zweck zu spenden. Ich habe ihm gesagt, dass ich lieber zu Hause vor einer Wand reden würde, als zu seiner Veranstaltung zu kommen.«

»Oh, wow!«

»Jawohl. Allerdings ist das nun auch nicht sooo heldenhaft, oder? Ja, es hat ein bisschen Mut erfordert und es war auch Mist, weil die Kohle flöten ging. Seinem Anspruch gerecht zu werden, hat eben manchmal seinen Preis. Manchmal hat man den Mumm, ihn zu bezahlen, manchmal nicht …«

Seinem Anspruch gerecht zu werden, hat eben manchmal seinen Preis.


»Doch, doch, ich glaube, du bist doch Superman.« Victor grinst, langt über den Tresen und gibt mir einen Klaps auf die Schulter.

Danke, sollte das wohl heißen. »Gern geschehen«, sage ich. »Noch einen Drink?«

»Nee, lass mal. Ich geh nach Hause.« Er legt einen Schein auf den Tresen.

Ich vermute, ich werde ihn jetzt eine Weile nicht mehr sehen. Das finde ich schade.

»Hm, tu mir einen Gefallen, ja?«

»Ja?«

»Bitte komm eines Tages mal vorbei und erzähl mir, wie es ausgegangen ist. Okay?«

»Okay, Sportsfreund.« Er gibt mir die Hand wie ein Kumpel, lacht, nimmt seine Jacke und geht.

Die zwei Mädels, die gerade zur Tür hereinkommen, treten einen Schritt zur Seite, machen ihm Platz, er grinst sie an, sie bekommen riesige Augen, schauen ihm auf den Hintern, sobald er an ihnen vorbei ist, und kichern los, sobald er durch die Tür ist. Sie halten sich beim Lachen die Hand vor den Mund und benehmen sich wie die Schulmädchen. Was für ein lässiger Typ!

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