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Die Nuit Mountains Guestranch
ОглавлениеDie Nuit Mountain Guestranch unserer Freunde Brigitte und Manfred liegt inmitten
der Wildnis nahe der Coast Mountains in British Columbias Westen.
Etwa 23 Kilometer südlich von Tatla Lake auf der Route von Williams Lake nach
Bella Coola an der Pazifik Küste. Die Guestranch hat zwei Cabins. Eine für zwei
Personen und die andere für vier Personen. Von hier aus hat man einen
fantastischen Blick auf die Nuit Mountains im Westen. Das Panorama ist wirklich
traumhaft.
Unsere Freunde waren schon oft in Kanada umher gereist und genossen dort ihre
Urlaube. Und später entschlossen sie, sogar dorthin auszuwandern.
In 1993 fingen sie an, ihre Gastranch aufzubauen. Am Anfang wohnten sie noch in
einer Cabin. Einem kleinen Blockhaus, das sie später an Gäste vermieten wollten.
Zwei dieser Blockhäuser wurden als Erstes fertiggestellt.
Manfred arbeitete derweil am großen Wohnhaus. Die Möbel und das ganze
Inventar, das man aus Deutschland mitbrachte, waren erst einmal in einem großen
Zelt untergebracht.
Die Blockhäuser und das große Wohnhaus sind ganz nach deutschem Standard
eingerichtet. Das Wohnhaus hat sogar ein Basement, also eine Unterkellerung, was
nicht grade üblich ist in Kanada.
Alles in allem bieten die Blockhäuser einen guten Komfort, mit Dusche, warmen
und kalten Wasser, der den Urlaubern Erholung und Entspannung bietet.
Das einmal vorne weg.
Wir aber waren erst mal auf dem Wege dorthin.
Wir befanden uns noch in Clearwater und genossen die Nacht in einem bequemen
Bett. Durch das kleine Fenster schien die Morgensonne und ich wurde geweckt
vom Geräusch der Dusche.
Mein Freund Jürgen war - wie fast immer - schon auf gestanden und machte sich
frisch. Nach der langen Fahrt von Jasper hier her hatten wir beide auch eine
Dusche nötig.
Schlaftrunken wand ich mich aus meiner Decke und sah auf meine Uhr. Wow, erst
halb sieben. Na ja, ich kannte das ja schon von unseren anderen gemeinsamen
Touren. Immer wenn wir unterwegs waren zum Camping oder zu einer Kanu-Tour,
schliefen wir nie lange. Außer wir saßen abends noch am Lagerfeuer und die Nacht
wurde etwas zu lang. Bei Bier und geistigen Wässerchen konnte das schon mal
vorkommen. Doch gestern hatten wir keine Lust mehr, herumzulaufen und noch
irgendwo einen Schlummertrunk zu nehmen. Und auf dem Campingplatz, in der
Nähe der Stadt, gab es keinen Alkohol.
Das ist in Kanada anders als bei uns in Deutschland. Wo man an jedem Kiosk oder
einer Tankstelle Bier, Schnaps und Wein kaufen kann. Hier darf nur derjenige
Alkohol verkaufen, der eine staatliche Lizenz dazu hat. Und die bekommt nicht
jeder. Und Liquor Store, also Spirituosen-Läden gibt’s nicht an jeder Ecke.
Zum Thema Alkohol in Kanada muss ich noch was Grundsätzliches dazu sagen:
Nach langläufiger Meinung - nicht nur der Meinung der Gesetzgeber - übersteigen
die potentiellen Gefahren des Alkohols die einer Waffe oder die eines Automobils
um mehrere Größenordnungen. Deshalb ist der Erwerb und Genuss in manchen
Provinzen auch erst gereiften Persönlichkeiten über 21 Jahren gestattet. In dem
Alter kann man in Europa schon eine legale Säuferkarriere hinter sich haben.
Es muss wohl auch strenge Strafen geben, wenn sich ein Verkäufer nicht an diese
Regeln hält. Er kann seine Lizenz verlieren und hat dadurch seine Existenz aufs
Spiel gesetzt. Vielleicht wäre das mal ein Denkanstoß für unsere Politik, um den
Komasaufen in unserem Land Einhalt zu gebieten.
Auch darf man in Kanada nicht in der Öffentlichkeit Alkohol trinken. Also sich´s auf
einer Bank im Park bequem machen und sich zuschütten, ist nicht.
Auch gibt’s in manchen Provinzen Kanadas am Wochenende überhaupt nichts
Alkoholisches zu kaufen.
Und so mussten wir auf unseren Reisen durch das Land immer rechtzeitig an
unsere Verpflegung denken, wenn wir zum Beispiel auf eine Kanu-Tour gingen.
Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Froh gelaunt kam Jürgen aus der Dusche, sah mein verschlafenes Gesicht und
grinste breit.
„Na, auch schon munter?“, rief er.
„Ich bin schon fast eine Stunde auf den Beinen. Es ist ein herrlicher Tag. Wir wollen
doch heute zum Helmcken Fall.“
„Jo joo“, murrte ich. „Ich will auch erst mal duschen.“
Ich brauchte von Haus aus eine Weile, bis meine Lebensgeister geweckt wurden.
Eigentlich bin ich ein Morgenmuffel und frühes Aufstehen widerspricht meiner
Natur.
Beim Duschen hörte ich schon das Klappern von Geschirr. Jürgen war damit
beschäftigt, uns ein kräftiges Frühstück zu machen. Danach waren wir fit und der
Tag konnte uns neue Abenteuer bescheren.
Und wieder einmal waren wir beeindruckt von der herrlichen Landschaft, als wir
durch den Wells Gray Park fuhren. Dunkle Nadelwälder mit bunten Inseln aus
Laubhölzern, boten uns nach jeder Kurve eine neue Landschaft. Die Berge mit
ihren lichtdurchfluteten Birken und Ahornwäldern hielten ein unvergleichliches
Schauspiel für uns bereit.
Es war früh am Morgen gegen neun Uhr und die Sonne schien zwischen den
Bäumen hindurch, so dass ihre Strahlen sich tausendfach brachen und ein
herrliches Farbenspiel verursachten.
Es war nicht mehr weit bis zum Wasserfall, und doch kamen uns schon zu dieser
Zeit einige Autos und Wohnwagen entgegen.
Dann sahen wir auch schon die Schilder, die darauf hinwiesen, dass wir unser Ziel
erreicht hatten.
Wir stellten unseren Mietwagen auf dem Parkplatz ab und gingen die etwa hundert
Meter bis zum Aussichtspunkt zu Fuß. Schon von weitem hörten wir das dumpfe
Rauschen des Wasserfalls. Dann traten wir aus dem Wald heraus und sahen ihn
vor uns. Den Helmcken Fall.
Was für ein Anblick!
Ich als begeisterter Videofilmer holte sofort meine Kamera aus der Tasche und
legte los.
Der Schutz des Wasserfalls war einer der Hauptgründe für die Entstehung des teils
bewaldeten, von Bären bewohnten Naturparks. Ein weiterer Grund für die
Parkgründung, also gegen die Besiedelung, sind die vulkanischen Aktivitäten in
dieser ausgedehnten, etwa 5000 Quadratkilometer großen Wildnis inmitten des
Wells Gray-Clearwater Vulkanfeldes.
Benannt wurde der Wasserfall nach dem deutschstämmigen Arzt John Sebastian
Helmcken, der im Auftrage der Hudson’s Bay Company in British Columbia tätig war und
mithalf, das Land der Kanadischen Konföderation anzugliedern. Helmcken selbst
bekam den Wasserfall nie zu Gesicht.
Staunend und beeindruckt standen wir vor diesem herrlichen Naturwunder. Das
dumpfe Rauschen unterdrückte jeden unserer Begeisterungs-Rufe.
Und so erging es auch einigen Besuchern, die sich zu dieser Stunde hier
eingefunden hatten.
Nach einer Stunde Aufenthalt rissen wir uns von dem großartigen Schauspiel los
und fuhren zurück nach Clearwater.
Den Rest des Tages gingen wir in der Umgebung spazieren und besuchten dabei
auch das Visitor Center, um uns genauere Infos über die Gegend zu holen.
Den darauf folgenden Morgen machten wir uns fertig. Wir wollten den Rest der
Strecke zu unseren Freunden an einem Stück zurücklegen. Immer auf dem
Highway 24 und 97 entlang, bis Williams Lake. Von da an gab es nur noch eine
Straße, die nach Westen führte. Den Highway 20. Teilweise auf einer sogenannten
Gravelroute, also einer Schotterpiste, fuhren wir mit Tempo 90 - der
Höchstgeschwindigkeit - unserem Ziel entgegen.
Unterwegs bekamen wir mächtigen Kohldampf. Und da sonst weit und breit nichts
zu sehen war, hielten wir in Chilanko Forks - einer kleinen Siedlung - an. Hier boten
Indianer den Reisenden Fast Foot an. Nicht gerade mein Ding - ich hasse FastFoot
-, doch der Hunger musste gestillt werden.
Mampfend saßen wir im Auto und Jürgen grunzte zwischen zwei Bissen, dass er
noch nie so einen guten Burger gegessen hätte.
Ich sah meinen Handtaschen großen Cheeseburger misstrauisch an und bekam
Zweifel, ob ich die Kiefer so weit auseinander bringe, um hineinzubeißen. Doch es
klappte, und trotz dem der Ketchup und was sonst noch alles an den Seiten
herausquoll, stillte ich mit diesem Ding meinen ersten Hunger.
Einigermaßen gesättigt ging es dann auf die letzte Etappe.
Endlich waren wir in der kleinen Ortschaft Tatla Lake angelangt, wo wir abbiegen
mussten. Jetzt nur noch ein paar Kilometer und wir hatten es geschafft. Diese paar
Kilometer waren eine reine Freude. Mit einer riesigen Staubwolke hinter uns, tobten
wir lustig über die Schotterpiste. Immer wieder rollten wir dabei über sogenannte
Rinder Raster, die dazu dienen, den überall frei umherlaufenden Rindern das
Überqueren zu verhindern.
Jürgen lachte. „Bis zum Manfred Esser wird der Weg nicht besser.“
Lachend über diese trockene Bemerkung, pflichtete ich ihm bei.
Unser Freund hatte uns zwar eine Wegbeschreibung geschickt, nach der wir an
einem Telefonhäuschen abbiegen müssten, und dann noch etwa drei Kilometer auf
einem Waldweg fahren sollten, bis wir an seinem Grundstück ankamen. Doch wir
sahen kein Telefonhäuschen. Wo zum Teufel stand in dieser Einöde auch schon so
ein technisches Gebilde?
Wir fuhren und fuhren und dachten schon, wir hätten den falschen Weg
genommen, als vor uns am linken Straßenrand etwas erschien, das nicht zu der
Wildnis ringsherum passte.
Wir fuhren langsamer und erkannten tatsächlich eine Telefonzelle, die einsam an
der Straße stand.
Staunend sagte ich: „Das kann doch nicht wahr sein. Mitten im Nirgendwo steht
hier ein Telefonhäuschen.“
Das ist, als wenn bei uns im tiefsten Harz an einem Waldweg so etwas stehen
würde.
Staunend und lachend bogen wir wie uns beschrieben ab und nach etwa drei
Kilometern sahen wir tatsächlich vor uns ein hölzernes Gatter. Es war offen und wir
hielten erst mal an und stiegen aus. Ein Schild deutete uns, dass wir richtig waren.
Nuit Mountain Guestranch stand in verschnörkelter Schrift auf dem Schild. Und die
Kanada-Flagge wehte sanft im Wind.
Wir hatten es geschafft.
Jetzt noch die Zufahrt hoch und nach ein paar hundert Metern standen wir vor dem
großen Haupthaus.
Kaum waren wir aus dem Wagen gestiegen, kam uns auch schon unser Freund
Manfred entgegen. Mit großem Hallo, Umarmungen und Schulterklopfen begrüßten
wir uns. Wir gingen die paar Meter zu einer Cabin. Dem kleinen Blockhaus, in dem
Manfred und seine Frau wohnten, bis das Haupthaus fertig war.
Stöhnend ließen wir uns auf den Sesseln nieder, die auf der Veranda standen. Die
Fahrt hatte uns schon etwas geschlaucht.
Dann kam auch Brigitte heraus und die Begrüßung von vorhin wiederholte sich.
Dann wurde erst mal erzählt. Über den Flug, die Überraschungen, die wir erlebten
und den Start in Deutschland. Wir packten unsere Geschenke aus und ein
freudiger Manfred probierte sofort die Maschine aus, mit der man ganz einfach
Zigaretten drehen konnte.
Bei einem kühlen kanadischen Bier rief Manfred in unverwechselbaren Kassler
Dialekt: „Ich dachte, ihr wolltet zu dritt hierher kommen. Wo iss dann der annere?“
Der andere, mit dem er Bernd meinte.
Wir erzählten die unglaubliche Story und seine Augen wurden immer größer. Und
auch Brigitte wollte es nicht glauben.
„Was hot der dann vor ne Macke“, rief Manfred. „Do iss der einfach widder
abgehauen? Das kann doch alles nit wohr sinn.“
Und dabei lachte er. Bis ihm fast die Tränen kamen. „Do haut der einfach us
Kanada widder ab, der Blödmann.“ Er konnte sich kaum beruhigen.
Naja, auch wir hatten so was noch nie erlebt.
Noch lange bis in den Abend hinein saßen wir bei kühlem Bier auf der Veranda.
Wohlweislich hatten wir unser Zelt schon vorher auf der großen Wiese vorm Haus
aufgebaut, so dass wir nur noch müde, aber glücklich in unsere Schlafsäcke
krochen.
Traumlos und tief schlief ich diese Nacht durch.
Den nächsten Tag sahen wir uns erst mal das riesige Grundstück unserer Freunde
an. Sogar ein kleiner, kristallklarer Bach floss oberhalb des Grundstücks durch ein
kleines Wäldchen. Das große Haupthaus und eine der Cabins waren noch im Bau.
Manfred machte vieles alleine. Ein paar Freunde kamen ab und an und halfen ihm.
Das Haus und die beiden kleinen Blockhäuser waren ganz aus massiven Stämmen
der Zeder gefertigt. Es roch nach Harz, Holz und Natur rings herum. Eine würzige
Duftmischung, die ich so liebte.
Unser Freund führte uns herum und wir staunten über die gemütliche Atmosphäre,
die man jetzt schon erahnen konnte.
Aus beiden Cabins und der großen umlaufenden Veranda des Haupthauses hatte
man einen wunderschönen Ausblick. Auf die Nuit Mountains, bis hinunter zu dem
kleinen See - der etwa drei Kilometer entfernt liegt - erstreckt sich dichter
Nadelwald, durchzogen von einigen wenigen Laubhölzern.
Und einige hundert Meter hinter dem Anwesen lebt ein Nachbar. Ein Künstler hat
dort sein Domizil errichtet. Aus Hölzern und Baumwurzeln fertigt er schöne und
einzigartige Wohnmöbel.
Heute, am ersten Tag wollen wir die nähere Umgebung erkunden.
Manfred erzählte uns, dass wir - wenn wir Glück hätten - Elche beobachten
könnten. Dafür müssten wir einige Kilometer den Berg hinauf. Oben wäre ein
großer Kahlschlag, wo er schon die Tiere gesehen hatte.
Also machten wir uns auf den Weg. Ohne zu wissen, dass das erste Abenteuer auf
uns wartete.