Читать книгу Kanada. - Ralph Pape - Страница 6
Die Kanu-Tour
ОглавлениеEndlich war es so weit.
Schon lange wollten wir in Kanada mal eine Kanu-Tour auf einem der Seen
machen. Der Tatla Yoko Lake war für den Anfang gut geeignet dafür. Der etwa 23
Kilometer lange und bis zu zwei Kilometer breite See, war zwar eine Pfütze
verglichen mit anderen Seen in Kanada, doch für eine Drei-Tage-Tour sollte er
reichen.
Man brachte uns mit dem Pic Up und der Ausrüstung bis hinunter zum See.
Eigentlich wollten wir noch am Nachmittag losfahren. Doch schon bei der
Vorbereitung zu unserer Tour bemerkten wir, wie der Wind auffrischte.
Bald schon sichteten wir auch die ersten leichten Schaumkronen auf den höher
werdenden Wellen.
„Na, das wird wohl heute nichts mehr werden“, knurrte Jürgen. Für ihn als
überzeugten Kanuten ein Graus. In Deutschland hatte er ein Schild an seinem
Wagen, worauf stand Vorsicht Kanufahrer. Er hält an jeder Pfütze“.
So zogen wir also das Boot wieder ans Ufer und blickten zum Himmel. Einzelne
dunkle Wolken zogen über uns hinweg und der Wind nahm an Stärke zu. Wie wir
später erfuhren, konnte man dieses Schauspiel fast jeden Tag zur gleichen Zeit
erleben. Immer um die Mittagszeit fegten starke Winde vom Pazifik her durch die
Berge und machten die Seen für kleine Boote unbefahrbar.
Der Steg, der hinaus in den See führte, wurde von den Wellen schon überspült und
auch das kleine Motorboot, das am Ufer lag, wurde vom Sturm hin und her
gerissen und bewegte sich wie von Geisterhand.
Na, Mahlzeit. Wir konnten uns also auf einen langen Abend und eine einsame
Nacht einrichten. Und so entfachten wir erst mal ein Feuer. Das ist übrigens das
Wichtigste in diesem Land. Ohne ein gutes Feuer läuft hier nichts. Zum Wärmen,
Kochen und nasse Klamotten trocknen ist es unentbehrlich. Und Holz dazu lag hier
am Ufer genug herum.
Dann packte ich mein Kochgeschirr aus und machte mich daran, einen Kaffee zu
kochen. Einen anderen Topf benutzten wir, um ein kräftiges Süppchen
zuzubereiten. Das nötige Wasser dazu holte ich einfach aus dem See. Vom Steg
aus schöpfte ich schnell zwischen zwei hohen Wellen das kristallklare Nass. Doch
nicht schnell genug. Eine hohe Welle rollte heran und ehe ich flüchten konnte, hatte
sie mich erfasst und ich stand knietief im Wasser. Jürgen, der das mit ansah, lachte
schallend und auch ich musste grinsen.
Naja, wir hatten beide unsere wasserdichten Überhosen an und so blieb alles
trocken. Nur in meine Trekking-Schuhe war etwas Wasser eingedrungen.
Ich stellte den Topf mit Wasser auf den Rost über dem Feuer und schüttete eine
gute Portion Kaffee dazu, den ich mit dem Esslöffel umrührte.
Jürgen sah grinsend zu und meinte trocken: „So kocht man Teer.“
Ich erwiderte: „Soll ja auch nach Kaffee schmecken und nicht nach Wasser.“
Dann saßen wir auf unseren Camping Hockern am Ufer und schlürften genüsslich
unseren Teer.
Ab und an fegten Sturmböen über uns hinweg und ich musste meinen Hut
festhalten.
Jürgen machte ein Nickerchen und ich blickte nachdenklich auf den See hinaus.
Weiße Schaumkronen tanzten auf den Wellen. Sie sahen aus, wie die wilden
Mähnen galoppierender Pferde. Ich zog meinen Flachmann aus der Jackentasche
und goss einen guten Schluck Golden Wedding in meinen Kaffee.
Die Nacht würde noch lang und Zelte wollten wir nicht aufstellen, wegen der paar
Stunden.
Beim Rauschen der Brandung dachte ich über die vergangenen Tage nach. Wir
waren wirklich in Kanada und erlebten zum ersten Male die echte Wildnis. Ich
konnte es immer noch nicht richtig glauben. Es kam mir vor wie ein süßer, weit
entfernter Traum. Doch es war Wirklichkeit.
Schnell kam der Abend und damit die Dunkelheit. Nur der flackernde Schein des
Feuers erhellte wenige Meter die Umgebung. Ich versuchte, ein wenig zu schlafen,
setzte mich an einen dicken Baum, der etwas windgeschützt hinter einem Gebüsch
stand, und zog meinen Hut tief ins Gesicht.
Doch das Rauschen der Brandung und das Knacken der Äste ließen nur kurze
Nickerchen zu.
Und so verbrachten wir die Nacht.
Ich muss doch eingeschlafen sein, denn Jürgen klapperte mit dem Geschirr und
hatte schon wieder irgendetwas auf dem Feuer.
Es gab Eier mit Speck und Bohnen aus der Dose.
Mir knurrte auch schon wieder der Magen. Ich hatte hier in Kanada dauernd
Kohldampf - was ich von zuhause gar nicht so kannte. Da bin ich eher ein
mittelmäßiger Esser.
Mampfend saßen wir am Feuer und Jürgen meinte zwischen zwei Bissen: „Heute
geht’s los. Der See ist wieder ruhig“.
Und tatsächlich: Wie ein Spiegel lag der See vor uns. Kein Lufthauch regte sich.
Und zudem kam auch die Sonne langsam durch die sich auflösenden dunklen
Wolken. Es schien ein guter Tag zu werden.
Nach dem kräftigen Frühstück beluden wir unser Kanu und stachen endlich
gutgelaunt in See.
Von den nächsten Tagen ist nicht viel zu berichten. Wir durchfuhren den See bis zu
seinem Ende und waren bereits wieder auf dem Rückweg, als das Wetter abermals
umschlug und der Wind zunahm.
Wir sahen uns an und Jürgen schüttelte den Kopf. So was kann es doch einfach
nicht geben. Wir schauten auf die Uhr. Ja, fast dieselbe Zeit wie das letzte Mal.
Man konnte wirklich die Uhr nach dem Wetter stellen.
Aber was soll´s! Wir hatten ja Zeit und es war für heute auch genug. Wir wollten ja
keine Meisterschaft im Paddeln gewinnen, und wir fanden auch einen Platz, der
geradezu zum Zelten einlud.
Das Ufer war flach und kiesig. Über eine kleine Böschung gelangte man auf eine
von Bäumen nicht bewachsene Fläche, auf der wir unser Lager errichteten.
Am Waldesrand stellten wir unser Zelt auf und ich begann sogleich damit, eine
Feuerstelle zu errichten. Das war immer mein Part. Wir waren mittlerweile schon
ein eingespieltes Team, so dass jeder wusste, was er zu tun hatte. Außerdem liebte
ich Lagerfeuer.
Ein kluger Kopf sagte einmal: „Ein Lagerfeuer macht die größte Wildnis zum Heim.“
Womit der Mann völlig Recht hatte. Wenn erst das Feuer prasselt und der Kaffee in
der Kanne brodelt, ist die Welt in Ordnung - egal wie das Wetter ist. Und eigentlich
war das Wetter nicht so schlecht. Ein paar dunkle Wolken, durch die immer wieder
die Sonne schien. Ab und an ein wenig Nieselregen, das war´s.
Doch die Sturmböen waren das Problem. Sie fegten im Minutentakt über den See
und bauten sofort hohe Wellen auf.
Also richteten wir uns an diesem schönen Plätzchen erst mal häuslich ein.
Schnell war das Feuer entfacht und verbreitete wohlige Wärme. Jetzt hatten wir
auch Gelegenheit unsere nassen Sachen zum Trocknen aufzuhängen. Einiges war
bei dem Wetter doch feucht und klamm geworden.
Auch unsere Küche war schnell aufgebaut. Unsere wasserdichten Kisten und
Tonnen dienten dabei als Schränke und Arbeitsplatte.
Und wo ich schon mal dabei war, grub ich auch gleich dreißig Meter vom Lager
entfernt ein Loch; um später unsere nicht verbrennbaren Abfälle zu entsorgen.
Das ist auch eine der wichtigen Tätigkeiten beim Zelten in der Wildnis. Man kann
nicht einfach seine Abfälle achtlos in der Landschaft herumliegen lassen.
Außerdem verhindert man damit, dass Bären und andere Raubtiere zu Besuch
kamen.
Als diese Arbeiten nun verrichtet waren, war es mal Zeit für Körperpflege. Obwohl
das Wasser im See nur etwa 8-10 Grad hatte, musste diese Maßnahme sein.
Jürgen, der einige Kilo mehr auf den Rippen hatte wie ich, fackelte nicht lange und
stürzte sich nackt in die Fluten. Alleine dieser Anblick erzeugte eine Gänsehaut bei
mir. Obwohl ich noch völlig angezogen war.
Ich zögerte noch und entschied dann, dass ich nicht unbedingt baden müsste. Eine
Wäsche reichte vollkommen aus. Ich bin beileibe nicht zimperlich. Doch Baden,
und dazu noch im eiskalten Wasser, war nicht mein Ding. Bei meinen 65 Kilogramm
schlug die Kälte sowieso schon blitzartig bis auf die Knochen durch.
Ach nein, das lassen wir doch lieber!
Ich zog meine Schuhe und Strümpfe aus, entledigte mich meiner Weste und des
Hemdes und krempelte mir die Hosenbeine hoch. Dermaßen entblößt stieg ich
tapfer in die Fluten. Wie befürchtet bekam meine Haut eine komische, unebene
Oberfläche und ich beeilte mich mit der Wäsche, um schnell wieder ans warme
Feuer zu kommen. Doch der Kreislauf wurde auf wundersame Weise angeregt.
Nach einer Weile im Windschutz meines Mantels sitzend, fühlte ich mich wieder
sauwohl und genoss den heißen Kaffee und die Röstkartoffeln.
Es war, wie es kommen musste ...
Das Wetter war regnerisch. Nur vereinzelt blinzelte die Sonne durch die Regen
verhangenen, schwarzen Wolken. Der See war durch den starken Wind
aufgewühlt. Weiße Schaumkronen ritten auf den hohen, sich immer mehr
aufbauenden Wellen.
Wir standen am Ufer. Mit düsteren Mienen blickten wir auf den See. Vor uns, im
groben Kies des Ufers, lag unser Kanu, vollgepackt mit Ausrüstung, die wir für drei
Tage auf unserer Kanu-Tour brauchten.
Wir waren auf dem Rückweg, als wieder dieser Wind auffrischte, der uns in den
Tagen zuvor immer wieder zu schaffen machte.
Doch noch einen Tag länger wollten wir nicht bleiben. Das Wetter schien sich nicht
bessern zu wollen und aus Erfahrung wussten wir, dass es besser wäre, jetzt
aufzubrechen, bevor es ganz und gar unmöglich wurde, von hier wegzukommen.
Die Seen in Kanada können tückisch sein.
An einem Tag liegen sie ruhig und flach vor einem, so als würde es nie anders sein.
Am nächsten waren sie aufgewühlt und wild wie ein tobendes Meer. Besonders in
den bergigen Regionen blies der Wind vom Pazifik her und verwandelte die Seen in
Minutenschnelle in brausende, aufgewühlte Gewässer. Man kam sich dann vor wie
am Meer, wo die Brandung mit Urgewalt an die Ufer rollte.
Nun waren wir schon den dritten Tag auf dem See und waren auf dem Weg zurück.
Schon einige Male hatten der Wind und der hohe Seegang uns gezwungen früher
als geplant an Land zu gehen.
Man muss sich eben hier auf das Wetter einstellen. In der Wildnis Kanadas, wie
auch anderswo, muss man mit der Natur und seinen Gegebenheiten leben.
Wir hofften, dass wir es vielleicht an diesem Tag schaffen würden, bis zu unserem
Ziel durch zu paddeln. Doch wie so manches Mal zeigte uns die Natur auch jetzt
wieder ihre Macht.
Wir schätzten die Wellen auf bis zu sechzig Zentimeter hoch. Das hört sich nicht
viel an. Doch für ein kielloses Kanu, wie das unsrige, konnten solche Wellen zum
Verhängnis werden. Auch mit Schwimmweste und warmer Kleidung konnte man in
diesen kalten Gewässern nicht lange überleben.
Auf der anderen Seite der Landzunge, wo wir standen, war in Ufernähe der
Wellengang um einiges schwächer, so dass man dort ohne Schwierigkeiten
paddeln konnte.
Auch mit einiger Erfahrung, die wir im Laufe der Jahre gesammelt hatten, war es
doch eine große Herausforderung, bei diesem Wellengang auf den See
hinauszufahren. So eine Situation hatten auch wir noch nie erlebt.
Wir machten uns einen Plan. Wir mussten zuerst etwa 50-80 Meter gegen die
Wellen anpaddeln, um nicht sofort wieder durch die Brandung ans Ufer getrieben
zu werden. Dann das Boot so schnell es ging wenden und mit dem Wellen um die
Landzunge herumfahren, um in die ruhige Zone zu kommen. Die Schwierigkeit
bestand darin, das Kanu zwischen den einzelnen Wellen zu wenden. Schafften wir
das nicht und eine Welle erfasste uns breitseits, würden wir unweigerlich kentern.
Dieser Gedanke erweckte Unbehagen in mir. Da ich sowieso lieber auf dem
Wasser statt in ihm war, war es für mich eine Horrorvorstellung in diesem kalten
See baden zu gehen. Doch wir hatten keine Wahl, wollten wir nicht noch eine Nacht
an dieser steinigen Uferregion unsere Zelte aufschlagen.
Jürgen sah meine Unentschlossenheit und Skepsis und meinte: „Wir können auch
den ganzen Krempel und das Kanu durch den Busch auf die andere Seite
schleppen. Dann sind wir gleich in ruhigem Gewässer.“
Doch dazu hatte ich auch keine große Lust. Immerhin waren es einige hundert
Meter dichtes Gestrüpp und Unterholz, wo wir uns durchquälen mussten. Und
außerdem ließ es mein Stolz nicht zu, der Herausforderung aus dem Weg zu
gehen. Und so entschieden wir uns für Surfen mit dem Kanu.
Und immer wenn man vor so einer schwierigen Entscheidung steht, geht es nur
darum, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und mit klarem Verstand zu
handeln.
So war es auch diesmal.
Wir stießen uns vom Ufer ab und paddelten mit Leibeskräften auf den See hinaus.
Das Kanu wurde mit dem Bug bei jeder Welle hoch aus dem Wasser gehoben - so
dass ich kaum noch mit dem Paddel einstechen konnte - und fiel dann klatschend
in das Wasser zurück.
Gischt übersprühte mich. Ich kniete mich vorne hin, um den Schwerpunkt möglichst
tief zu halten.
Mein Freund als Steuermann saß hinten und hielt das Kanu auf Kurs. Ich konnte
ihm dabei wenig helfen, musste ich doch für kräftigen Vortrieb sorgen.
Gegen die Wellen anzukämpfen, war schon eine schwierige Sache. Wer so etwas
mal erlebt hat, weiß, was Wasser für eine Gewalt hat.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis wir den Wendepunkt erreichten.
Jetzt nur noch das Boot im richtigen Moment wenden und wir hatten das
Schlimmste geschafft.
In so einer Situation denkt man nicht mehr nach, was passieren kann. Man tut
einfach das, was getan werden muss.
Bei der nächsten Welle, die unter uns hindurchrollte, gab mein Freund das
Kommando. Mit vereinten Kräften und kräftigen, gleichmäßigen Paddelschlägen
brachten wir das Boot herum.
Gerade im richtigen Augenblick. Die nächste anrollende Welle erfasste unser Heck
und wir surften fast schon wie von alleine vorwärts.
Wir hatten es geschafft.
Mein Puls schlug immer noch hoch, als wir unser Kanu mit ruhigen Paddelschlägen
und mit Unterstützung der Wellen in das ruhigere Gewässer steuerten.
Jetzt erst mal an Land.
Da war wieder mächtig Adrenalin im Körper.
Am Ufer machten wir eine Pause und ich steckte mir mit noch zitternden, klammen
Fingern eine Zigarette an.
Grinsend hob mein Freund die Hand und ich schlug ein.
Geschafft!!
Den Rest der Strecke legten wir in gewohnter Manier zurück.
Später - im Licht des flackernden Lagerfeuers - gestanden wir uns, dass wir doch
eine Menge Schiss hatten. Doch so was gehört dazu. Und auch das Gefühl, wieder
eine gefährliche Situation gemeistert zu haben, erfüllte uns mit Stolz. Wer keine
Angst hat, der ist entweder leichtsinnig oder lebensmüde. Angst zu haben kann vor
allzu waghalsigen Situationen schützen. Ein Mechanismus des Überlebens. Man
muss das Risiko und seine Erfahrung und Können einschätzen, um das Richtige zu
tun
Jedenfalls hat diese Erfahrung uns wieder einmal geholfen, alle noch kommenden
Erlebnisse und Abenteuer unbeschadet zu überstehen.