Читать книгу Starknebel auf der Autobahn - Ralph Scheible - Страница 5
Journalistendeutsch
ОглавлениеNein, Nein, Nein, die Würfel sind nicht neu gemischt, wie kürzlich zu vernehmen war, wie denn auch. Nach konzentriertem Mischen der Selben, mit Abheben und Ziehen, war da überhaupt nichts zu machen. Na ja, vielleicht hätte Max dann doch lieber sechs anstatt nur fünf Würfel genommen, oder hat Max da etwas falsch verstanden? Bei solchen Satzschöpfungen einiger in öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten agierenden Journalisten, tut sich ihm, mittlerweile Kulturpessimist, dann doch die Frage auf, ob der einhergehende Verlust der deutschen Sprache, nicht doch ein tiefenpsychologisches Problem darstellt.
Nach mehrmonatigen Aufzeichnungen derartigen Sprachmissbrauchs in verschiedenen Morgenmagazinsendungen, muss er sich tatsächlich fragen, ob die deutsche Provinzbevölkerung der so akademisch klingenden Wortschöpfungen überhaupt mächtig ist. Nichts gegen kreative Wörter wie »Fernsehlandschaft«, das hat immerhin ein gewisses Etwas. Besonders frappierend für Max, als einfacher Plattenleger, ist jedoch, dass dies nicht mal unserer angeblich akademischen Elite auffällt und munter in diesem Stil weiter drauf losplappert.
Maximilian Maier, ein fünfundfünfzigjähriger Fliesenleger aus der südwestdeutschen Kleinstadt Kühlacker, ohne Familienanhang und momentaner Arbeitslosengeld II Bezieher, nimmt sich tatsächlich die Zeit, die allmorgendlichen geistigen Ergüsse sogenannter Journalisten in allen möglichen Fernsehmorgenmagazinen zu verfolgen, man könnte direkt sagen »Max Allein Zuhaus«. Auch macht er sich die Mühe alle möglichen germanistischen und linguistischen Entgleisungen seit September 2011, peinlich genau zu protokollieren. Mit schon schütterem Haar, um nicht mit schwäbischen Worten zu sagen »Muggaflugplatz«, und leichtem Bauchansatz, wundert er sich immer wieder aufs Neue über Aussagen wie »Anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts, circa um 1895«.
Moderatoren wie Ulrich Stusse leiten dann galant über zu den »Wettern«, der ehemals gewohnten Wettervorhersage. Um auf »Augenhöhe« zu bleiben, holt sich Max ganz schnell noch eine Tasse Kaffee mit Milch und Zucker aus der Küche, um ja nichts zu verpassen. Bert Wetterfrosch, Nomen est Omen, parliert dann sogleich über Starkregen und das nicht vorhandene Schnee Chaos, welches ein Jahr zuvor auch schon nicht stattfand um diese Jahreszeit. Nach ein paar Zahlen, die auf die Wärmeentwicklungen des heutigen Tages deuten lassen, freut sich Max auf eines der faszinierenden Interviews des Ulrich Stusse mit einem seiner hochkarätigen Interviewpartner. Heute ist es ein Grüner Politiker aus dem Ländle, der etwas zur Lage um »Stuttgart 21« sagen soll. Ob der unterirdische Bahnhof nun gebaut werden soll, oder ob der alte Kopfbahnhof oben bleiben wird, lässt sich daraus auch nicht erschließen. Nach der Frage »ob die Bahn nun kommen soll«, war der Grüne Verkehrsminister so verblüfft, dass auch der keine Antwort wusste. Jedenfalls soll weiter demonstriert werden. Max war regelrecht angetan von diesem Interview, obwohl er eigentlich gar nichts verstanden hat. Seit geraumer Zeit ist er an Politik und dem allgemeinen Weltgeschehen derart interessiert, obwohl ihm eine höhere Bildung versagt blieb, dass er gerne mal im Internet recherchiert, um herauszufinden was die da eigentlich meinen. Zu seiner Überraschung wird er nicht immer fündig, was auch nicht verwundert.
Max als ehemaliger Fliesenleger, gerne auch mal als »Das Team vom Bau, blöd wie d’Sau« verspottet, hat es gewagt sich diesen neuen Medien öffnen zu wollen und sich einen Computer angeschafft. Das Wort Rechner ist ihm zu heftig, weil ihn das verstärkt an unbezahlte Rechnungen erinnert, die ihr Dasein ungeöffnet in einer speziell dafür eingerichteten Ecke fristen, wie noch viele andere amtliche Schreiben mehr. Einzige Sorge jetzt, hoffentlich wird nicht eines Tages der Strom abgestellt. Aber was ist das nun? Den Computer eingestöpselt und es kommt nur ein freundliches optimistisches »Willkommen«. Sehr enttäuscht über diesen ihm erscheinenden Unsinn, beschloss Max, dass da jetzt ein Fachmann ran muss, schließlich wollte er ja in diesem weltweiten Internetz so etwas wie Weiterbildung betreiben und dann nur ein Willkommen? Aber wie und wo? Im »Gelbe Seiten« Telefonbuch vielleicht, aber was kostet dann so ein Informationstechniker? er ist ja inzwischen, mehr oder weniger, mittellos. Hm, eventuell kann ihm ein Telefonat mit seinem Kumpel Sven Schänkel weiterhelfen. Der ist jedoch, obwohl Langzeitarbeitsloser, immer sehr beschäftigt, oft auch mit Extrem Frühschoppen. Aber vielleicht hat Max ja Glück und Sven, der Studienabbrecher und autodidaktischer EDV Experte mit Schwerpunkt Netzwerktechnik, geht tatsächlich sofort ans Telefon. Glück gehabt, bevor Sven sein stationäres Büro ins Unterwegs Office verlegt. »Schänkel, was gibts?« grummelt es auf der anderen Seite. Nachdem Max sein Dilemma mit diesem widerborstigen Computer schilderte, kam nur ein nicht enden wollendes schallendes Gelächter seitens Sven. Als er sich nach geraumer Zeit beruhigt hatte, wurde Max mitgeteilt was er da noch alles lernen muss und vor Allem was er noch zu kaufen hat. Auch, dass das Internet ohne Zugang bei einem Internetdienstanbieter, also bei einem ISP, das ist ein Internetserviceprovider, wie Sven dem verdatterten Max mit stolz geschwellter Brust erklärt, nicht funktioniert. Wobei er es sich nicht nehmen lässt, das Wort Provider in bestem Englisch und mit zwei amerikanischen zungenverdrehten und Kaugummi kauenden »ar« auszusprechen. Das zeugt von Kompetenz und Fachwissen, wie Max bewundernd feststellt und er fühlt sich direkt dumm Sven gegenüber. »Warte, ich komme kurz bei dir vorbei, das wird besser sein« Na gut, was ist nun zu tun, und an welchen Anbieter soll er sich da wenden? Da wäre doch diese junge Schöne, die ständig im Fernsehen irgendwas von Äliss haucht. Aber Sven, inzwischen in Maximilians Wohnung eingetroffen, findet das nicht die passende Lösung für Max und er meldet ihn schwuppdiwupp bei einem ihm komfortabel erscheinenden Provider an. »Dauert ungefähr zwei Wochen, ich komme dann wieder vorbei um Alles einzurichten!« trällert er. Einstweilen könne Max sich ja mit den von Sven installierten Programmen näher befassen, wie zum Beispiel Texte schreiben und Tabellen kreieren. »Und was ist mit Spielen?« möchte Max noch wissen. Aber das ist nicht so Svens Ding, der hat es gerne akademischer und empfindet Computerspiele als brutale Zeitvernichtung. Außer Poker, damit haut er sich ganze Nächte um die Ohren. Mit der Sicherheit einmal ganz groß herauszukommen. Bis nach Las Vegas selbstverständlich. Immerhin hat er in sechs Monaten schon stattliche 20 Cent erspielt. Nach ein paar Einweisungen mehr in die Welt der Computer, verlässt Sven die kleine, aber gemütliche Zweizimmerwohnung seines Kumpels, mit dem Versprechen bald wieder zu kommen.
Jetzt etwas zufriedener mit seiner neuesten Errungenschaft, versucht Max das ganze Kabelgewirr hinter dem eigens dafür aufgestellten Computertisch zu verstauen. Zum Glück kommt das Internet angeblich kabellos daher. So waren die ersten Schritte in eine neue Welt, erinnert sich Max, der sich mittlerweile ziemlich gut auskennt, recht ungerne zurück.
Am neunundzwanzigsten Oktober war es, als er von seinen inzwischen verehrten Morgenmagazin Moderatoren erfährt, dass »China eine eigene Weltraumstation auf den Mann bringen« Was genau die einunddreißig Jahre zählende Hanna Balken genau damit meint, kann nur vermutet werden. Aber Max will es ganz genau wissen und erfährt in anderen Medien, dass die Chinesen weitsichtiger Weise diese Raumstation bauen, um in absehbarer Zeit die Einzigen zu sein, die so ein Ding ihr Eigen nennen dürfen. Einen gewissen Geschäftssinn kann man natürlich nicht ausschließen, da die Amis und die Europäer, nach Verschrottung ihrer gemeinsamen internationalen Raumstation, sich dort wohl einmieten müssen um weiter forschen zu können. Warum Frau Balken sich so infantil und nur halb informiert ausdrückt, zeugt wohl von reiner Oberflächlichkeit, denkt sich Max. Und darf man als erwachsener und gebildeter Mensch solch ein Deutsch in aller Öffentlichkeit verkünden? Jens Schlurig, einer der heutigen Mitmoderatoren, erzählt dann noch etwas von »abgrillen«. So nennt sich das jetzt, wenn man in Stadtparks, bei schönem Wetter den halben Haushalt mitschleppt, um ein sowieso arg schlimm aufgewachsenes Schnitzel, verkohlen zu lassen.
Was alles ganz viele Eurons kostet schießt allerdings gänzlich den Vogel des Tages ab. Vermutlich meinte der studierte Journalist damit den vermeintlichen Plural der europäischen Währung. Nach Recherchen im wunderbaren Internet, haut es Max direkt von seiner alten Couch. Bei Eurons handelt es sich um Windelhosen und Einlagen für Erwachsene. Auch zu ersteigern bei allen gängigen Auktionsplattformen. Als Eurons bezeichnet man auch ein Projekt, welches der Erforschung der »Initiative of European nuclear structure scientists« von fünfundvierzig Institutionen in einundzwanzig Staaten betrieben wird. Ist doch eine tolle Sache so ein Euron. Als danach noch von irgendwelchen alpischen Bergedörfern die Rede ist, wird es Max, dem eher einfachen Menschen, dann doch zu viel des Guten und er schaltet den Fernseher ganz einfach und emotionslos ab.
Wie lange er schon nicht mehr aus dem Haus war, überlegt er sich jetzt. Sollte er nicht mal wieder einkaufen? Oder sich mit Sven auf ein Hefeweizen treffen? Das ist immer lustig und Max kann noch viel von ihm lernen. Insbesondere was das Leben als Dauerarbeitsloser so ausmacht. Viele Tipps hat Sven wahrscheinlich nicht parat, aber irgendwie hat er es ja geschafft ohne viel Geld, dieses gediegene Vorstadtleben bestreiten zu können. Na gut, ein Leben in Luxus ist das eher nicht, dafür aber mehr eines in seiner ganz eigenen Welt. Im Bier und Schnapsrausch eigentlich, ohne welchen Sven sein Dasein wohl doch nicht aushält. Vielleicht ist es aber auch nur dem gewohnten morgendlichen und außerhäuslichen Bürozwang zu verdanken. Meist imaginäre Geschäfte lassen sich dann doch viel leichter in Kneipen erledigen, die ihm ein unsagbares Gefühl der Freiheit und Überlegenheit geben.
Max versucht Sven telefonisch in seinem Refugium zu erreichen. Nach zweimaligem Klingeln, oder Hupen, oder wie soll man die heutigen Klingeltöne sonst bezeichnen, ist er tatsächlich noch zu Hause. Üblicherweise hechtet Sven um diese Uhrzeit regelrecht in den Stadtbus, mit seiner selbst organisierten Monatskarte in Richtung Stadtmitte, um sein erstes Weizenbier des Tages zu begrüßen. »Ich muss schnell machen, wir sehen uns dann.« keucht er ins Telefon und weg ist er. Aha, denkt sich Max, der es glücklicherweise nicht weit hat ins Stadtinnere, wo soll er sich jetzt mit ihm treffen? Wird sich wahrscheinlich so ergeben. Einfach in die nächst beste Kneipe und abwarten. Sven schafft sich »Wirtschaftlich« gesehen gerne von der Unteren Bahnhofstraße ganz nach oben zum Bahnhof hoch. Diese Strecke ist heutzutage relativ schnell bewerkstelligt, wenn es bei einem Bier pro Kneipe bleibt.
Kühlacker, die typische schwäbische Kleinstadt, in der Beide ihr Leben fristen, ist immer mehr von Verfall und Aussterben bedroht. Ein Geschäft nach dem Anderen schließt seine Pforten. Max beschließt in einem noch verbliebenen Eis-Café auf Sven zu warten. Dort kann man schön draußen sitzen und Alles ist sehr überschaubar. Max, der eigentlich kaum Alkohol trinkt, außer bei gelegentlichen Treffen mit Sven, räkelt sich solange auf einem bequemen Bistrosessel in der goldenen Oktobersonne. Das tut ihm und seinen geschundenen Knochen ziemlich gut, auch die gute frische Luft trägt ihr Übriges bei. Nach etwa einer Stunde und einem heißen Cappuccino mit Spritzgebäck, trudelt Sven schon ziemlich gut gelaunt ein. »Einen recht schönen Guten Morgen Allerseits! « trällert er, mit seiner ihm typischen Handbewegung, um elf Uhr Vormittags. »Na, was gibt’s Neues?« möchte er in Erfahrung bringen, oder auch nicht. Hauptsache die junge rassige, südländisch wirkende Bedienung bringt ihm ein schönes kaltes Bier für den Anfang. Nicht ohne ihren Hüftschwung zu bewundern und ihre Schuhgröße im Geiste zu ermitteln. »Am besten gleich zwei Hefeweizen!« ruft er ihr hinterher. Max erzählt derweil von seinen Fortschritten am Computer und gesteht, dass er sich nun doch zwei Spiele gekauft hat. Ein Aufbauspiel um das alte Rom, und ein fetziges Rennsimulationspiel. Natürlich rümpft Sven entsetzt die Nase und schüttelt verständnislos den Kopf. Das macht Max allerdings rein gar nichts aus, da er doch sehr viel Spaß damit hat. Um dennoch abzulenken, erzählt er Sven von seinem morgendlichen Grauen mit der deutschen Sprache. Wie zum Beispiel, dass man energetische Flatulenzen olfaktorisch wahrnehmen kann. Er lacht sich kaputt. Was jedoch ein virtuell meditativer Prozess bedeuten soll, bleibt auch für einen äußerst gebildeten Zeitgenossen wie Sven im Dunkeln. Auch bei Offshore Windparks im Binnenland scheiden sich die Geister. Umso amüsanter sind dann doch Sätze wie: »Ich spreche hündisch« oder »Liebe Börger und Börgerinnen« und »er ist ein perverser Sadist«. Na toll, denken die Beiden, erst pervers und dann noch Sadist. Das hätte man doch ahnen können. Schlimmer wäre es womöglich noch, wenn er sadistisch und dazu noch ein Perverser wäre. Viel Gelächter und nach einer weiteren Runde Bier, ergötzen sie sich über Aussprüche wie: »dauerhaft nachhaltig« »das ist suboptimal« »mathematisches Rechnen« und auch über »das Wetter ist regennass«. »Das habe ich alles vom letzten Samstag« erklärt Max. Irgendwie bekommt Sven sein Lachen gar nicht mehr aus dem Gesicht und bestellt noch einmal zwei Hefeweizen. Wahrscheinlich auch deshalb, um diesen knackigen Po der Bedienung in Bewegung zu sehen. Max macht sich nach dem dritten Bier, mehr trinkt er meistens sowieso nicht, auf den Heimweg. Sven wird seine Zeit noch bis in die Abendstunden in der »freien Wirtschaft« verbringen.
Nach dem Aufstieg in die dritte Etage, um endlich seine Wohnung zu erreichen, ist Max ziemlich platt und muss sich nach dieser Kletterstrapaze erst einmal ausruhen. Zurückgelehnt auf seiner alten, aber äusserst bequemen Couch, sinniert er, immer noch pustend, über sein derzeitiges Leben, in welchem er sich zunehmend als Einzelgänger entwickelt. Bis auf spärliche, unbedeutende ab und zu Begegnungen in Kühlacker, hat er kaum Kontakte. Ausnahmen sind natürlich seine langjährigen Bekanntschaften mit Mimi Seitenzeller und Tochter Wanja Seitenzeller, Suzanna Lessa und Sven Schänkel. Natürlich genießt er inzwischen weltweite Kontakte in Form elektrischer Post. Diese netten Menschen wohnen alle ganz virtuell in seinem wunderbaren Rechner. Trotz Sprachbarrieren mangels Fremdsprachenkenntnisse, funktionieren diese Freundschaften eminent gut, im Gegensatz zu den reellen vor Ort »Freunden«. Ist Max ein Hochbegabter, oder nur ganz normal dumm? macht er sich so seine Gedanken. Ganz und gar nicht, murmelt er feststellend vor sich hin. Was ist er dann? Ein Introvertierter, gar ein Misanthrop? Vermutlich gar nichts von Allem. Er ist einfach ein alternder, unbeweglich gewordener Single, der sich viel zu viele Gedanken macht.
Rumpeln und andere Geräusche hört Max aus seinem Magen. Mal sehen was sein Singlehaushaltskühlschrank heute zu bieten hat. Hm, so gut wie nichts direkt Verwertbares, stellt Max fest. Gegenüber auf der anderen Straßenseite sind zwei Dönerbuden, dort riecht es immer so gut. Muss eigentlich nicht sein, Schnellfutter ist dann doch nicht so sein Ding. Er futtert dagegen schnell seine Tabletten, die er dreimal täglich nehmen muss. Ja keine vergessen, sonst wird es übel. Schinkennudeln ohne Schinken könnte er sich zubereiten. Breite gewalzte Nudel sind noch da und eine oder zwei Gewürzgurken. Während das Nudelwasser schon sprudelnd vor sich hinkocht, schaltet er den Fernseher ein. Der Rechner muss auch noch an. Im Internet gibt es immer mal etwas zu Ermitteln. Als angehender Bildungsbürger würde er gerne Volkshochschulkurse besuchen, wie etwa der Kolleg Allgemeinbildung, Englisch für Ältere – Lost in Translation, oder Geschichte im Zeitspiegel der Politik. Töpfern würde ihm bestimmt auch gut gefallen, aber das kostet einfach zu viel Geld. Dann doch lieber den Magen füllen. Ach ja, die schwäbischen Tagliatelle müssen ins Wasser. Feinschmecker und Hobbykoch Max musste nach seinem sozialen Abstieg, ganz schön Federn lassen, was seine Ansprüche der höheren Kochkunst anbelangt. Jedoch hat er festgellt, dass Breite Nudeln in nördlichen Gefilden eher wie abgefahrene Panzerketten anmuten. Kartoffeln bevorzugt er allerdings lieber als Salat oder gebraten in der Pfanne.
Huch, was schallt da aus dem Fernsehgerät? Da wird über »Kredithebel und Rettungsschirme« debattiert. Was auch immer das ist, das ist bestimmt nicht für einen wie ihn gedacht. Bestimmt so eine andere Bezeichnung für, wie vertausendfache ich das gestohlene Kapital einfacher Länder und Leute. Max ist empört, fällt aber gleich wieder in die gewohnte Lethargie zurück. Als nächstes wird von einem neuen Film über Udo Jürgens und seiner Familie berichtet »Der Mann mit dem Fagett« sagt die Moderatorin Ulla Kaijali. Kann eigentlich nur Fagott heißen, denkt sich Max und kümmert sich um seine Nudeln. Die schmecken gar nicht so schlecht mit Butter durchgemischt. Nach einem Apfel, der noch einsam in der Küche lag, lehnt er sich wieder zurück und freut sich über seine neueste Errungenschaft, die Sven ihm installierte. Max ist jetzt in der Lage umsonst ins Deutsche Festnetz zu telefonieren. Und das über den Computer, ist er voller Stolz diese Entwicklung nicht verschlafen zu haben. Etwas frustrierend stellt er jedoch fest, dass er weder angerufen wird, noch weiß er nicht wen er anrufen könnte. Mit seiner Familie, die ihn als angeblichen Taugenichts zur Persona non grata erklärte, hat er inzwischen komplett gebrochen.
Am heutigen Donnerstag tritt plötzlich das Urgestein des Morgenmagazins Gernot Tapsatai, mit gewohnten Turnschuhen zum Anzug auf die Bildfläche, um den erkrankten Kollegen Bill Passif zu vertreten. Mit scharfem und politikstudiertem Verstand erklärt er die »Integration Europas« und erfreut sich riesig über spezielle deutsche Mitmenschen mit Migrationshintergründen. Den sogenannten Hintergründen um es Neudeutsch zu sagen. Kaum mitzuzählen wie oft und zu was man das Wort »sogenannt« überall einsetzen kann. Mit kritischem Blick auf seinen Tisch denkt sich Max »Aha, das ist ab sofort ein sogenannter Tisch« Einfach nur Tisch zu sagen erscheint ihm von nun an viel zu trivial. Ulla Kaijali tritt heute voller Begeisterung, zusammen mit Herrn Tapsatai moderieren zu dürfen, ausnahmsweise mit Kostüm und Turnschuhen auf. Und weiter geht es mit der Migrationsdebatte, die laut Frau Kaijali eine große »Wichtung« hat. Das kommt Max, warum auch immer, schon längst so vor. Voller Wissensdurst lauscht er ergriffen weiter über Rettungsschirme um den total verarmten Euro, oder deren Besitzer, oder wie war das nochmal? Jedenfalls erfährt er von Gernot Tapsatai um die sagenhafte Wirkung der Kredithebel. Das klingt jetzt aber zu kompliziert für Maximilians Ohren. Den soll ihm Sven am Telefon erklären.
»Schänkel, was gibt’s?« »Max hier, ich bin dumm, kannst du mir erklären was so ein Kredithebel ist?« »Naja, also sagen wir mal so, du gibst mir zehn Euro und dafür gebe ich Dir dann hundert Euro als Kredit. Die zehn Euro sind für mich eine Art Sicherheit deiner Liquidität. Alles klar?« »Nee, klingt aber gut, vielleicht komme ich mal darauf zurück« »Du Doof, das geht doch nur zusammen mit dem ESFS, also nicht zwischen Privaten.« »Na dann, vielen Dank für die Auskunft« verabschiedet sich Max, noch immer grübelnd. Das muss also so sein, wenn er die einhundert Euro dann zurückbezahlt hat, ist er gerettet und Schänkel hat zehn Euro gut gemacht. Tolle Sache, obwohl da noch irgendwo ein Haken sein muss. Da Sven diese einhundert Euro ja gar nicht hat…, hm, wo kommen die jetzt genau her? Banken verschenken doch kein Geld, so etwas kann sich nicht einmal Max vorstellen. Jemand der eigentlich gar nichts damit zu tun hat wird wohl die Zeche bezahlen, da ist sich Max sicher.
Den Schatz im Silbensee hat jedoch Hanne Resthüsen gehievt, und aus den gefundenen Silben »Mit wohlwollender Dominanz kann man das Foto von Ursula Vonnderleyen als etwas blury bezeichnen.« zusammengebastelt. Das ist schon stark und beinhaltet so ziemlich alles was Max vollends von seiner Couch haut. Eigentlich hätte die doch einfach nur sagen können, dass das Foto der Ursula von der Leyen ziemlich unscharf ist. Wer will das eigentlich wissen? Was hat es mit der wohlwollenden Dominanz auf sich? Warum muss das blury heißen und kann man den Namen der armen Ursula nicht wenigsten ein einziges Mal richtig aussprechen? Der fast revolutionäre Beat Club von einst hätte dagegen schon ziemlich alt und spießig ausgesehen, obwohl der weder eine Nachrichtensendung, noch ein Allerweltsmagazin war, sondern für die Jugend gedacht war. Nachrichten sind heutzutage also so etwas wie die alten Rock - und Popsendungen, mit noch mehr Geräuschkulissen und Durcheinandergequatsche als damals. Waren wir nicht bei den Nachrichtensendungen? unterbricht Max seinen Gedankenfluss. Sollten diese nicht mehr seriös, informativ, objektiv und auf dem neuesten Stand sein? Noch besser investigativ und in verständlichem Deutsch. Aber nein, da werden Nachrichten verbreitet die gar keine sind. Man kann ja mal spekulieren ob es je eine wird, und ganz wichtig und gewinnbringend: die Zuschauermeinungen einholen. Dazu muss man dort anrufen und sagen: ja, dafür – nein, überhaupt nicht – mir doch egal. Ganz unten am Bildschirm und kaum zu lesen, steht für etwa eine Nanosekunde, wie viel dieser Anruf kostet. Das ist besonders für diejenigen gedacht, die mit »mir doch egal« abstimmen. Daraus entsteht dann ein »sogenanntes Voting«. Nach weiteren nichtssagenden und wiederholten Meldungen, wird dann das Voting verkündet. Gevoted wurde… nein es hat keine Regierungswahl in einem englisch sprechenden weit entfernten Land stattgefunden, um einfach so aus Jux und Tollerei festzustellen, ob irgendeine Kowalski aus Berlin, die ständig beim Hair Stylisten oder in einem Nail Studio abhängt und ALG II kassiert, oder sich doch lieber dazu bewegt einen ihr entsprechenden Job anzunehmen. 87 Prozent sind für den Job, niemand war dagegen und den restlichen 13 Prozent war es egal. Völlig intellektuell überfordert fragt sich Max, was diese dreizehn Prozent veranlasst für viel Geld dort anzurufen, nur um zu sagen das es ihnen egal ist? Das Volk, die unbekannten Wesen.