Читать книгу Ohne dich ist's schon viel besser - Raphael Buchrucker - Страница 2

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Laura stürmte die Treppen hinunter und stieß die Tür auf. Endlich stand sie im Freien - jetzt nur noch weg hier. Wie paralysiert stieg sie in ihren Wagen, steckte den Schlüssel ins Schloss und drückte den Start Knopf. Sie legte den Rückwärtsgang ein und dachte: „Wie konnte er mich nach diesem Geständnis noch so ruhig zur Türe bringen und mir zu allem Überfluss noch einen Abschiedskuss auf die Wange drücken?“

Mit „er“ meinte sie Julian, mit welchem sie bisher eine, wie sie glaubte, glückliche Beziehung geführt hatte. Und nun hatte er ihr soeben erklärt, dass er heute und morgen keine Zeit für sie hätte, da Carolin aus Berlin ihn besuchen käme und sie Zeit füreinander bräuchten. Sie hatte vor Überraschung nur stammeln können: „Wer ist Carolin?“, worauf er ihr ganz gelassen eröffnete, dass er Carolin vor fünf Monaten auf einer Geschäftsreise kennengelernt habe und sie sich seither sehr gut verstanden. Und wie sie aus seinen weiteren Ausführungen entnehmen konnte, seither ein leidenschaftliches Verhältnis pflegten. Ihn schien dies nicht im Geringsten unangenehm oder peinlich zu sein und sie saß auf seinem Sofa wie vom Blitz getroffen und konnte nicht begreifen, was er da gerade zu ihr sagte. Sie war nur noch in der Lage gewesen aufzustehen, ihren Mantel zu nehmen und die Treppe hinunterzustürzen.

So hatte sie sich ihre Beziehung nicht vorgestellt. Und wenn schon ein Ende, dann hätte sie sich definitiv ein anderes gewünscht.

Ein sehr plötzliches Ende der Rückwärtsfahrt riss sie aus ihren Gedanken und brachte sie in die Realität zurück. Langsam realisierte sie auch den Ton, welcher das abrupte Ende ihrer kaum begonnen Abfahrt begleitet hatte. Irgendwie eine Mischung aus einem dumpfen, fast hohlen Klang und berstendem Kunststoff. Als sie in den Rückspiegel schaute, erkannte sie nur ein gelbes Dach, wohl von einem sehr niedrigen Auto. Sie stieg aus dem Wagen, um das störende Hindernis, welches sie am Fortkommen von diesem schrecklichen Ort behinderte, zu begutachten und Zorn loderte in ihr auf. Dass ihr so etwas ausgerechnet jetzt passieren musste.

Johannes fuhr in bester Stimmung die Straße Richtung Meer hinunter. Schon lange hatte er sich nicht mehr so glücklich gefühlt. Tief in seinem Inneren hätte er sich gerne auch noch etwa zufriedener mit seinem Leben und den Aufgaben, die er darin bisher gefunden hatte, gefühlt. Jedoch ahnte er, dass dies nur noch eine Frage der Zeit war. Bis vor wenigen Tagen wäre ihm eine solche Ahnung eher als eine Unmöglichkeit erschienen, dachte er. Es hatte ihn ja bereits viele Jahre gekostet ein Thema zu finden in dem er einen Sinn verspürte und welches ihn auch ansprach. Ja einen Sinn musste es für ihn schon haben, wenn man etwas studierte und später in diesem Themengebiet arbeitete. Und dann hatte ihn lange Zeit eine Depression immer wieder gequält. Sie war meistens wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte in seinem Leben dann jegliche Gefühle von Glück und Freude verhindert. Seit er vor sechs Jahren zumindest das passende Thema für sich gefunden hatte war sie deutlich seltener und auch weniger heftig aufgetaucht. Und jetzt gerade war sie scheinbar ganz verschwunden. Johannes spürte, dass dies daran lag, dass er den letzten Grund für die depressiven Gefühle, oder sollte er besser sagen Nicht-Gefühle, neulich bei einem Vortrag, zu dem ihn Großvater mitgenommen hatte, entdeckt hatte. Durch den Inhalt des Vortrags war ein Sehnen in ihm entstanden, welches nun den Platz der Nicht-Gefühle einnahm. Dies war ein zartes, vorsichtiges Sehnen, welches ihm nur durch den Umstand seiner guten Stimmung ins Bewusstsein kam. Und um dies so bewusst wie möglich wahrzunehmen fuhr er besonders langsam. Und plötzlich machte sein Auto einen seitwärts Ruck, begleitet vom unschönen Geräusch splitternder Kunststoff- Fasern und dem hohlen Tönen sich verbiegenden, sehr dünnen Metalls. Wie von selbst reagierte sein Fuß und brachte den Wagen sofort zum Stehen. Wie praktisch waren doch solche geistesgegenwärtigen Reflexe.

Das Heck des weißen Audi A3 Sportback, welches er zu seiner rechten erblickte, war also der Grund für die Unterbrechung seiner Fahrt und Gedanken. Sofort war ihm klar, dass das Geräusch des splitternden Kunststoffes von Stoßstange und Rücklicht des A3‘s gekommen sein musste und die Metallverformungen jetzt ziemlich sicher in seinem Ferrari F112, das vom Hersteller mit viel Kunstfertigkeit erdachte Design unterbrachen. Er freute sich an dem Gedanken, dass er gleich bei der zweiten Fahrt Dellen in das Geschenk seines Vaters fuhr und besonders gut daran fand er, dass er nicht einmal der Verursacher war. Ach! In der letzten Zeit war das Leben so schön und gut zu ihm.

Vor fünf Wochen hatte er den F112 zu seinem Geburtstag bekommen und hatte dann gleich mit seinem Vater die erste Fahrt machen müssen. Zuerst hatte er versucht seinem Vater zu erklären, warum er sich nicht wirklich über das Geschenk freute und weshalb er damit ganz sicher nicht jeden Morgen zur Universität fahren würde. Sein Vater war etwas betroffen gewesen, doch hatte er ihn auch nicht so richtig verstehen können - so verschieden waren die Wertevorstellungen zwischen ihnen geworden. Sein Vater hatte es nur gut mit ihm gemeint und ihm den Sportwagen als Anerkennung dafür schenken wollen, dass er nun endlich etwas gefunden zu haben schien was er mit Ernsthaftigkeit im Leben tat. Und auch wenn es nicht genau das war, was der Meinung seines Vaters nach sinnvoll wäre zu tun, unterstützte er ihn jetzt darin und war sogar stolz, wenn er gute Noten in der Uni schrieb. Nur die Sache mit der nicht-vorhandenen Freundin, oder besser noch Frau, war für seinen Vater die größte Sorge, das wusste er. Und so wie er seinen Vater kannte war genau das auch der Grund für dieses Geschenk gewesen. Sein Vater dachte, dass er so mehr Aufmerksamkeit bei der weiblichen Studentenschaft finden würde. Ja bestimmt, aber eine Frau die ihn in erster Linie wegen eines tollen Autos mögen würde, wollte er ganz bestimmt nicht. Genau deshalb fuhr er auch weiterhin mit dem Fahrrad und nicht mit dem Ferrari zur Uni, auch wenn es jetzt noch Januar war.

Diese Gedanken im Sinn öffnete er freudestrahlend die Türe, stieg aus und lief vorne um den Wagen. Der Schaden hielt sich in Grenzen fand er und war an seinem Auto jedoch deutlich genug zu sehen, dass seine Freude darüber anhielt. Am A3 waren, wie er schon voraus gedacht hatte, lediglich die Stoßstange und das rechte Rücklicht etwas beschädigt. Eine weibliche Stimme sagte in diesem Moment, dass es ihr leid täte und sie ihn nicht gesehen hätte. Die Stimme klang für ihn bezaubernd. Nach einer Mischung aus innerer Klarheit und Stärke, aber auch Sehnsucht, gepaart mit Lebensfreude. In diesem Moment jedoch klang in ihr auch etwas Ärger mit. Noch nie hatte er beim Hören einer Stimme so viele innere Regungen gleichzeitig empfunden. Es war als brächte diese Stimme Frequenzen in seiner Seele in Schwingung, die er bis dahin teilweise selbst nicht gekannt hatte. Für einen kurzen Moment zogen Sehnsüchte, Gedanken und Gefühle in einer atemberaubenden Geschwindigkeit durch seine Seele.

Er hob den Blick und sah in sicher auf ihn gerichtete Augen. Braun-Grün gesprenkelte Augen waren es, die ihn jetzt, so schien ihm auf einmal, doch unsicher anblickten. Diesen Widerspruch in ihren Augen konnte er sich im Augenblick nicht erklären. Jetzt streckte sie ihm die Hand entgegen und während der Wind ihr halblanges rötliches Haar umschmeichelte formten ihre schön geschwungenen Lippen die Worte: „Hi, ich bin übrigens Laura.“

Laura war selbst ganz überrascht von ihrer lockeren Art in diesem Moment. In Gegenwart dieses fremden Mannes fühlte sie sich seltsam ruhig, sicher und entspannt. Er hatte braunes Haar, welches er unauffällig kurz trug. Markante Gesichtszüge, jedoch mit zarten Unterbrechungen, das konnte sie unter seinem kurzen Bart erkennen. Seine ebenfalls braunen Augen machten einen in sich ruhenden, fröhlichen, gerade auch etwas fragenden Eindruck auf sie. Schön proportionierte, starke Hände erwiderten ihre Begrüßung und eine wohlklingende Stimme sagte: „Hallo, ich bin Johannes.“

Johannes dachte, das klang doch irgendwie zu einfach, hätte er nicht irgendetwas sagen sollen, was ihn besser hätte dastehen lassen? Aber hätte es da was gegeben? Was hätte er sagen sollen? Irgendetwas in ihm wollte ihr gefallen, das merkte er. Und plötzlich verstand er; sie wollte er gerne wieder sehen.

Schon begann sich ein Plan in seinem Kopf zu bilden. Er sagte, dass er leider dringend weg müsse, was ja auch stimmte, schließlich erwartete man ihn auf einer Familienfeier und dass er daher diese kleine Angelegenheit ohne Polizei und etwas später klären würde. Sie stimmte zu und ihm fiel auf, dass sie irgendwie erleichtert schien.

Ohne darüber nachzudenken gab Laura ihm ihre Arbeitsvisitenkarte und sagte dazu: „Melden Sie sich einfach bei mir, meine Daten stehen hier drauf.“ Sie spürte, wie erleichtert sie sich fühlte, hier jetzt endlich weg zu können.

Johannes überflog kurz ihre Visitenkarte -Psychotherapeutische Praxis Laura Worrior und Kollegen, Schwerpunkte Schulverweigerung, Kinder- Elternbeziehung und Sterbebegleitung-. Seine Gedanken blieben bei Sterbebegleitung’ hängen und er fragte sich, wie alt sie sein mochte. Aber darüber konnte er gleich noch nachdenken. Laura hatte ihn mit Sie angesprochen. Sie sah doch bestimmt, dass sie nicht sehr verschieden alt waren. Ach das lag sicher wieder an diesem blöden Wagen, der einem einen Status in der Gesellschaft einbrachte auf den er besonders in diesem Moment gerne verzichtet hätte. Er gab sich einen Ruck und antwortete dann ganz förmlich: „Danke für Ihr Entgegenkommen, ich werde mich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden.“ ‚Ihr Entgegenkommen‘, äffte er sich innerlich nach. Er wollte ihr gegenüber nicht so distanziert sein. Darum wollte er ihr Zusammentreffen so wie es jetzt war möglichst schnell beenden, ging wieder um den Wagen herum, setzte sich hinters Lenkrad des 112ers und versuchte keinen zu schnellen Start hinzulegen, was ihm aber nur so halb gelang.

Sie sah Johannes etwas überrascht zu, wie schnell er wieder verschwand, eigentlich genauso schnell wie er aufgetaucht war und verstand nicht ganz, wie dieser interessante Mann in dieses Auto passte.

Da waren sie wieder, die Vorurteile, welche sie auch bei ihren Patienten zu bekämpfen versuchte, weil sie doch so viel Unwahrheit und Unfrieden in die Welt brachten. Immer wenn man genauer hin schaute, merkte man, dass sich die meisten Meinungen, die auf solchen Urteilen aufbauten, in Luft auflösten. Das Bild, das sich dann meist ergab, war immer wesentlich komplexer und lies mehr Raum für Verständnis und Lösungen. Und genau darum ging es ihr auch im Leben, Verständnis für die inneren menschlichen Verschiedenheiten und Herausforderungen zu schaffen. Und jetzt geschah es ihr selbst, dass sie so vorschnell in Klischees rutschte, wo sie doch gedacht hatte in anderen Kategorien zu denken. Sie konnte also gespannt auf den nächsten Kontakt mit ihm sein, um genaueres herauszufindenden. Ein schneller Blick nach oben, zum Glück, Julian hatte nicht zugesehen. Nicht einmal für ihr Gehen interessierte er sich. Er war wirklich sehr von sich eingenommen und sie wünschte ihm innerlich viel Glück mit seiner Nächsten, ob mit Caroline oder einer anderen war ihr egal. Schnell setzte sie sich in ihr Auto und fuhr zu ihrer Wohnung.

Ohne dich ist's schon viel besser

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