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12. Milch

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Selija war schwanger, die verfluchte Kaulquappe in ihrem Bauch strampelte schon. Gut, dass man den Bauch noch nicht so gut sah, Selija schien zugenommen zu haben, nicht mehr. Gondas war auf Handelsreise, zwischen Aufbruch und Rückkehr vergingen jeweils Monate. Selija blieb genug Zeit, um alles in Ordnung zu bringen. Diese Göre kam ihnen nun wirklich gar nicht gelegen, sie brauchten überhaupt keine Kinder außer Bentis, alles sollte einst ihm gehören. Sie wusste, es würde ein Mädchen, Mütter wissen das immer. Die Leute schauten sich nicht öfter als sonst nach ihr um, es gehörte sich ja auch gar nicht, die Dame des Anführers anzustarren – auch an ihren Schmuck hatten sich längst alle gewöhnt; zudem war gerade Frühling, da arbeiteten alle, denen es nicht an Kraft fehlte, auf den Feldern, pflügten, säten, die Tiere würden bald Junge bekommen. Selija konnte nach Belieben faulenzen und sich verstecken bis zu jenem Tag.

Mag er nur schneller kommen, dann ist alles vorbei. Niemand sollte erfahren, dass dieses Kind dahin verschwinden musste, von wo es gekommen war. Womit hatte sie das verdient? Die Göttermutter hatte ganz sicher etwas durcheinandergebracht.

Selija schlich sich heimlich in den Wald davon, watete durch das dichteste Gestrüpp, kletterte hinauf, wo sie nur konnte, vielleicht würde sie ja herunterfallen, beugte und streckte sich, vielleicht würde es ja vor der Zeit herauskommen. Sie tat das so lange, bis genau das geschah, ein stechender Schmerz, das Fruchtwasser floss ab, Selija packte ein junges Bäumchen, riss die Blätter ab, winselte: »Komm schon raus, du wirst mich noch umbringen!«, manchmal sind die Kinder so, sie sterben nicht nur selbst, sondern nehmen gleich auch ihre Mutter mit, solche Geschichten kursierten in rauen Mengen.

Selija zitterte am ganzen Leib, sie hatte sich ausgezogen, um die Kleider nicht mit Blut zu beflecken, der Schmerz ließ bald nach, bald brachte er sie wieder fast um den Verstand. Wer weiß, wie lange es dauerte, Selija ermattete, die Tiere des Waldes kamen und sahen nach, rührten aber nichts an, denn sie begriffen, was da vor sich ging, das waren doch die allereinfachsten Dinge.

Sogar die Alte mit den Wolfsbissen am Bein schaute vorbei. Sie sagte kein Wort, starrte Selija nur mit zur Grimasse verzerrtem Gesicht an. »Was willst du denn, was geht dich das an? Geh deines Weges, nichts darf wohl ohne dein Wissen geschehen, so aufsässig … Ich sollte dir ins Gesicht spucken, aber dazu fehlt mir die Kraft.« Und überhaupt, wir sollten sie loswerden, diese Alte, sie ist völlig unnütz, steckt nur überall ihre Nase hinein, und dann erzählt sie auch noch der Göttermutter wer weiß was über sie selbst. »Wart nur, ich komme schon wieder zu Kräften, dann hat dein Stündchen geschlagen, ich flöße dir deinen eigenen Trunk ein, dann fault dir die Zunge ab, oder streiche dich mit einer Salbe ein, sodass du dich bei lebendigem Leib häutest. Ich bin kein Wolf, mich wirst du nicht so schnell los, von mir genest man nicht. Schade, dass ich so schwach bin, sonst würde ich es dir hier und jetzt zeigen, du würdest ins Verderben stürzen, noch bevor du deine Gedärme aufsammeln könntest.«

Selija erwachte von einem Fiepen, die Alte mit den Wolfsbissen am Bein war weg, niemand war mehr da, nur ein blutiges kleines Knäuel zwischen den Beinen. Ein Mädchen, natürlich, das Mädchen, ihr Kind. So winzig, klitzeklein, voll Blut, so schwach. Es winselte leise, so leise, als wollte es sich verstecken und nicht um etwas bitten. Selija hob es mit einer Hand auf, vorsichtig, musterte es, ja, da waren die Hände und auch die Füße, das Mädchen blinzelte, so warm, schnappte nach Luft, schwach, nach Kräften, das kleine Geschöpf der Götter und der Erde, Selija konnte sich nicht sattsehen, mit welcher Kraft es sich am Leben festkrallt, dieses noch so winzige Seelchen, der Schmetterling, das Frühlingswunder.

Selija schnitt mit einem eigens dazu mitgebrachten Messer die Schnur durch, die sie verband, legte das Mädchen vorsichtig ins Gras, wartete, bis der Rest herausfiel; seit der Geburt von Bentis wusste sie, wie sehr der Körper sich reinigt, putzte mit feuchtem Gras die Beine und wischte das Blut ab, zog ihre Kleider wieder an. Ihr war leicht schwindlig, das Mädchen lag ruhig da und wartete. Selija riss ein dickes Grasbüschel aus, noch ein wenig, presste das Gras fest zusammen und drückte den Knäuel auf das Gesicht des Mädchens. Sie musste ihn gar nicht allzu fest draufdrücken, das Mädchen fuchtelte ein wenig mit den winzigen Armen, zuckte und wurde dann ganz ruhig. Das war es auch schon. Jetzt musste sie es nur noch in Leinen wickeln und gut verstecken.

»Da, sieh nur, du altes Weib! Du hast mir nicht geholfen, also habe ich die Sache selbst in die Hand genommen, wer von uns ist jetzt die Stärkere? Altes Weib, du sagst, das sei der Wille der Göttermutter, man könne sie nicht in jedem Fall umstimmen? Sieh nur, da liegt er jetzt, dieser Wille, eingewickelt in Leinen, ohne zu weinen und zu atmen.«

Selija trug das Bündel noch etwas weiter, in den dichten Wald hinein, steckte es tief in einen Haufen Zweige und ließ es, ohne sich umzudrehen, ohne jemanden zu verfluchen oder jemandem zu danken, zurück, ging, den weißen Bernstein an ihrem Hals festhaltend, den weißen Milchtropfen mit dem kleinen braunen Kreuz, wie aus geronnenem Blut.

Kleines Bernstein

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