Читать книгу Das Lächeln des Sisyphos - Ray Müller - Страница 8
Оглавление1) Sind wir intelligente Wesen?
Worauf wir Menschen am meisten stolz sind, ist unser Intellekt. Schließlich unterscheidet er uns vom Tier. Wir haben ihn so weit entwickelt, dass wir unseren Planeten mit einem Schlag vernichten könnten. Nicht nur einmal, sondern hundertfach. Andererseits hat uns der Verstand auch sinnvollen Fortschritt ermöglicht. Die Bilanz unserer wissenschaftlichen Leistungen ist beeindruckend, unsere Gier nach immer mehr (Leistung, Geld, Macht) ebenso. Zwar lebt ein Großteil der Menschen auf diesem Globus unter menschenunwürdigen Bedingungen, aber der kleinen Minderheit, zu der wir uns auf Grund einer Laune des Zufalls in Europa zählen können, mangelt es an nichts.
Auch an Verstand mangelt es nicht. Immerhin denken auf der Erde über 7 Milliarden Gehirne. Mit welchem Ergebnis?
In einem endlichen System (unserer Biosphäre) unbeschränktes Wachstum zum einzig möglichen Wirtschaftssystem zu erklären ist Wahnsinn, aber diesem Wahnsinn folgen wir blind. Brutaler Gewalt ebenso. Seit Ende des 2. Weltkriegs gab ca 300 weitere Kriege („bewaffnete Konflikte“) mit 30 Millionen Toten, viele davon Frauen und Kinder. Jeden Tag sterben 100 000 Menschen an Hunger. Das interessiert leider nur wenige. Der Raubbau an unseren Ressourcen geht ungezügelt weiter, die Klimakatastrophe, die unsere Zivilisation vernichten könnte, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Die globalen Perspektiven sind also eher düster. Bei all dem, was Menschen sich und diesem Planeten antun, weiß niemand, ob unsere Spezies langfristig überleben wird.
Irgendetwas scheint mit uns also nicht zu stimmen. Was könnte das sein? Hat unser Gehirn einen schwerwiegenden Defekt?
Evolutionsbiologen wissen darauf keine eindeutige Antwort. In unseren Genen scheint tatsächlich eine erstaunliche Rücksichtslosigkeit verankert zu sein. Unaufhaltsam streben wir nach persönlichen Vorteilen und machen alles nieder, was sich uns in den Weg stellt, auch unsere Artgenossen. Früher, als wir noch im Lendenschurz durch die Wälder zogen, mag das eine Haltung gewesen sein, die uns das Überleben sicherte. Doch inzwischen haben wir Felle und Keulen abgelegt und wissen um die komplexe Interaktion zwischen Lebewesen und ihrer Biosphäre. Unser Verhalten aber ändern wir nicht.
Sind wir eine Fehlkonstruktion? Möglicherweise.
Im Lauf der Evolution hat der Mensch zwar vieles gelernt, doch vielleicht ist er von Natur aus gar nicht im Stande, sein genetisches und psychisches Programm zu zügeln oder gar zu ändern. (2)
Unser größtes Defizit scheint unser Unvermögen zu sein, auf zukünftige Katastrophen rechtzeitig, also jetzt, zu reagieren.
Wenn unsere Vorfahren von einem Tier oder einem menschlichen Gegner bedroht wurden, schwangen sie die Keule, um sich zu verteidigen. Sie hätten diese Keule aber nicht erhoben, wenn man ihnen gesagt hätte, der Feind würde erst in zwei Wochen auftauchen. Wir handeln also auf Grund einer aktuellen Bedrohung, zukünftige Gefahren lassen uns kalt. So verhalten wir uns auch heute noch wie Neandertaler. Niemand kommt auf die Idee, das Autofahren jetzt zu reduzieren, damit die übernächste Generation noch Luft zum Atmen hat.
Anscheinend sind wir nicht im Stande zu reagieren, so lange die Katastrophe, so gewaltig sie auch sein mag, nicht unmittelbar vor uns steht. Was tun? Können wir uns umprogrammieren, um unser Bewusstsein auf eine höhere Stufe zu bringen? Davon könnte unsere Zukunft abhängen.
Viele von uns scheinen sich damit zufrieden zu geben, ihr Leben mit dem Privileg grenzenlosen Konsums oder mit Vergnügungen aller Art zu verwirklichen.
Gibt es Alternativen? Woran sollen wir im Zeitalter des globalen Turbokapitalismus überhaupt noch glauben – an Aktienkurse?
Wir werden die großen Probleme der Menschheit nicht lösen können, bevor wir uns nicht genauer ansehen, was das eigentlich ist – ein Mensch und sein Bewusstsein. Schließlich schaffen wir uns nicht nur in der äußeren Welt immer größere Probleme, auch in unserem Innenleben machen wir wenig Fortschritte. Trotz ungeahnter materieller Errungenschaften scheint unser Alltag mit all seinen Sorgen und Ängsten immer noch nicht besser zu funktionieren.
Die Schwierigkeit, die uns im Laufe dieser Überlegungen begleiten wird, ist eine Grundsätzliche. Was immer wir denken, wir können es nur innerhalb der Grenzen unseres Verstands. Wenn wir über ihn selbst nachdenken wollen, müssen wir Distanz zu ihm schaffen, ihn zum Objekt unserer Beobachtung machen. Damit versuchen wir, mit dem Denken über das Denken nachzudenken. Dies scheint nicht möglich zu sein. Schon bei der Vorstellung, aus unserem Verstand herauszutreten und irgendwo außerhalb einen neuen Standpunkt einzunehmen, sträuben sich uns die Haare.
Doch wenn wir wirklich frei werden und einen Blick auf den Ausgang der Höhle werfen wollen, müssen wir es versuchen.