Читать книгу Voll super, Helden (1). Einer muss den Job ja machen - Rüdiger Bertram - Страница 9

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Wetten dass …

»Was hast du denn vor?«, fragte ich, als sich Jenny ihren Rucksack schnappte.

Ich stand mit meinem Koffer bereits im Gang, weil ich gleich aussteigen musste. Seit der Abfahrt hatte ich alle Haltestellen gezählt und die nächste war die fünfzehnte. Genau da musste ich raus.

»Aussteigen«, antwortete Jenny.

»Hier?«

»Was dagegen?«, fragte Jenny zurück.

»Nein, natürlich nicht! Aber das ist doch ein Wahnsinnszufall, dass wir beide am selben Bahnhof rausmüssen.«

Jenny zuckte nur die Schultern. Seit meine Schokolade alle war, hatte ihr Interesse an mir spürbar nachgelassen. Die ganze Fahrt über war sie damit beschäftigt gewesen, irgendwelche Nachrichten auf ihrem Handy zu tippen. Ich hatte unauffällig versucht, herauszufinden, was und an wen sie schrieb. Einmal hatte sie mich erwischt und mich mit ihrem stechenden Kobrablick angesehen. Da hatte ich schnell wieder aus dem Fenster geschaut.

Als der Zug zum Stehen kam, waren Jenny und ich die Einzigen, die ausstiegen. Das Bahnhofsgebäude stand mitten im Nirgendwo. Der kleine Ort, der dazugehörte, musste irgendwo weit weg an der Straße liegen, die von den Gleisen wegführte. Meine Eltern hatten mir gesagt, dass mein Onkel jemanden schicken würde, um mich hier abzuholen. Aber es war keiner da und auch auf dem Parkplatz neben den Gleisen wartete niemand auf mich.

»Ja, tschüss dann. War nett, dich kennengelernt zu haben«, schwindelte ich. »Du musst ja bestimmt noch weiter.«

Jenny nickte nur und sah sich suchend um.

»Ich werde abgeholt«, fuhr ich fort.

»Ich auch«, sagte Jenny.

»Du auch?«

»Ist das so ungewöhnlich?! Wie soll man denn sonst hier wegkommen? Hier fährt der Bus doch bestimmt nur einmal die Woche, wenn überhaupt.«

Ich hätte jetzt gerne mein Handy gehabt, um meine Eltern zu fragen, was ich machen sollte. Doch das war ja kaputt und Jenny nach ihrem zu fragen, traute ich mich nicht. Stattdessen ging ich zum Bahnhofsgebäude und rüttelte an der Tür, aber die war verschlossen. Ich schaute durch ein Fenster hinein. Auf dem Boden lag Müll und die Scheiben der alten Fahrkartenschalter waren alle eingeschlagen.

»Weißt du, wie weit es bis zum nächsten Ort ist?«, fragte ich.

»Zehn Kilometer«, antwortete Jenny.

»Bist du von hier?!«

»Nee, aber steht doch da vorne.« Jenny zeigte auf ein Schild, auf dem der Name des Ortes und die Entfernung standen. »Wetten, ich werde als Erste abgeholt? Um eine Tafel Zartbitterschokolade?«

»Ich habe keine mehr, weil du meine Tafel schon aufgefuttert hast.«


»Mannomann, bist du vielleicht nachtragend.« Jenny ging zu einem Süßigkeitenautomaten, der auf dem verlassenen Bahnsteig stand. »Hier kannst du bestimmt eine neue Tafel kaufen. Damit bezahlst du dann einfach deine Wettschulden.«


»Ich habe doch gar nicht verloren, ich habe noch nicht mal mit dir gewettet!«, rief ich ihr nach.

»Das ist ja mal wieder typisch.« Jenny betrachtete das Angebot hinter der Scheibe. »Hier kriegt man Kaugummis, Bonbons und Chips, aber keine Schokolade. Nicht mal einen Schokoriegel. Alles alle. Egal, gebe ich dir einfach meine Adresse, dann schickst du mir die Tafel per Post. Wettschulden sind Ehrenschulden.«

»Ich habe nicht gewettet!«, wiederholte ich sauer.

Jenny achtete nicht auf mich, sondern hämmerte mit ihrer Faust so lange gegen den Automaten, bis eine Packung Kaugummi in den Ausgabeschacht fiel. Sie griff hinter die Klappe und stopfte sich einen der Kaugummis in den Mund, ohne mir auch nur einen anzubieten. Aber das hätte ich sowieso nicht angenommen, weil es geklaut war und ich noch nie was geklaut hatte. Um Jenny nicht beim Kauen zugucken zu müssen, beobachtete ich lieber die Straße. In der Ferne tauchte ein schwarzes Auto auf. Erst war er nur ein Punkt, dann wurde er immer größer und größer.

»Das ist bestimmt für mich«, sagte ich.

»Träum weiter, das ist mein Taxi«, erwiderte Jenny.

Das Auto raste mit hohem Tempo heran und hielt mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz. Aus dem Wagen stieg der dickste Mann, den ich jemals gesehen hatte. Ganz offensichtlich hatte er Schwierigkeiten, seinen dicken Bauch zu befreien, der hinter dem Steuer eingeklemmt war. Als es ihm endlich gelungen war, kam er gut gelaunt auf uns zu.

»Herzlich willkommen«, begrüßte er uns mit einem strahlenden Lächeln.

»Schön, dass Sie da sind«, sagte ich.

»Das hat aber lange gedauert«, sagte Jenny.

»Der Mann ist ja auch nicht wegen dir hier, der holt mich ab«, bemerkte ich.

»Das glaubst auch nur du. Sie sind wegen mir hier, stimmt’s?«, fragte Jenny.

»Du musst Jenny sein«, sagte der Mann. Jenny warf mir einen triumphierenden Blick zu. »Und du Julian. Mein Name ist Bruce und es freut mich, euch kennenzulernen. Tut mir leid für die Verspätung, aber normalerweise kommt der Zug nie pünktlich. Da habt ihr Glück gehabt – oder Pech, ganz wie man es nimmt. Euer Onkel hat mich geschickt, um euch abzuholen.«

»UNSER Onkel?«, riefen Jenny und ich gleichzeitig, denn dann bedeutete das ja, dass das Wollmützenmädchen und ich verwandt waren, Cousine und Cousin, und dass mein Vater außer seinem Bruder, dem Hotelbesitzer, noch mehr Geschwister haben musste, von denen ich bisher keine Ahnung gehabt hatte.


»Steigt erst mal ein, ich erklär es euch unterwegs.« Bruce schnappte sich unser Gepäck und ging damit zurück zum Wagen. Trotz seines Gewichts schienen ihm mein Koffer und Jennys Rucksack keine Mühe zu machen. Auch sein Gang wirkte überhaupt nicht schwerfällig und behäbig, sondern im Gegenteil ganz leichtfüßig, fast als wenn er tanzen würde.

Jenny und ich liefen ihm zügig hinterher. Sie war schneller als ich und wollte vorne einsteigen, aber das ließ Bruce nicht zu. Jenny musste hinten einsteigen, schnappte sich dafür aber den Platz hinter dem Beifahrersitz. Deswegen musste ich mich auf der anderen Seite in den Wagen quetschen. Bruce hatte den Fahrerersitz so weit wie möglich nach hinten geschoben, sodass da kaum noch Platz für mich war.

»Alle anschnallen und los geht’s!«, rief Bruce und drückte das Gaspedal durch.

Der Wagen schoss rückwärts auf die Straße, wendete und raste mit einem Höllentempo die Straße entlang. Jetzt war ich ganz froh, dass ich zwischen Rückbank und Vordersitz eingeklemmt war. Da konnte ich bei einem Unfall nicht aus dem Auto geschleudert werden. Trotzdem klammerte ich mich sicherheitshalber mit beiden Händen am Türgriff fest und schloss meine Augen. Nur ab und zu wagte ich einen kurzen Blick zur Seite. Jenny hatte eine riesige Kaugummiblase vor dem Gesicht und schien die lebensgefährliche Fahrt ganz offensichtlich zu genießen.

Voll super, Helden (1). Einer muss den Job ja machen

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