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„Woran ist sie gestorben?“ – Antwort mit einem fatalistischen Achselzucken: „Das Alter. Ihre Uhr war abgelaufen.“ Keine weiteren Fragen.

Seit Menschengedenken nehmen wir den Verlauf des Alterns als unausweichliche Gesetzmäßigkeit hin. Bei Krankheiten ist das anders: „Welcher Art war die Erkrankung? Gab es denn keine Heilungsmöglichkeit? Wann wird der medizinische Fortschritt die Heilung ermöglichen?“ Wir haben das Gefühl, alle als krankhaft eingestuften Körperprozesse müssten kontrollierbar sein – wenn nicht heute, so doch fraglos in der Zukunft. Der Verlauf der Alterung dagegen entzieht sich menschlicher Kontrolle. Keine weiteren Fragen.

Dabei zeigen Umfragen ein klares Bild: Die größte Sorge der Menschen nach der Lebensmitte ist das Altern. Nicht Arbeitslosigkeit oder Armut, nicht der Anstieg der Gewaltverbrechen, ja, nicht einmal die Vorstellung schlimmer und verstümmelnder Unfälle macht den Menschen am meisten Angst, sondern das Altern: Seh- und Hörverlust, Knochenabbau, Impotenz, Muskelschwäche, nachlassende Vitalität, Gedächtnisprobleme, schließlich Unselbstständigkeit und Bettlägerigkeit. Das und vieles mehr sind unmissverständliche Zeichen der Alterung. Unmissverständliche? Sicher. Aber wirklich unausweichliche?

Wenn einmal die Geschichte des 21. Jahrhunderts niedergeschrieben wird, was wird man wohl als die bedeutsamste Errungenschaft ansehen? Eine zunehmende Zahl von Wissenschaftlern legt sich mit einer Prognose schon heute fest: Aging-Intervention, die Möglichkeit, das Altern unmittelbar zu beeinflussen. Die Anfänge sind bereits Realität und auch das Ziel ist anvisiert: Innerhalb der nächsten 70 bis 120 Jahre – so die derzeitigen Schätzungen von Biogerontologen – wird der Forschungsprozess so weit fortgeschritten sein, dass degeneratives Altern nicht nur verlangsamt, sondern zu jedem Zeitpunkt im Leben gestoppt werden kann. Im Laufe dieses Jahrhunderts Geborene haben also vielleicht bereits die Chance, bis ins höchste „Alter“ keiner gebrechlichen Alterung mehr ausgeliefert zu sein.

Doch von Zukunftsszenarien, so vielversprechend sie sein mögen, handelt dieses Buch nur am Rande. Unsere Zielsetzung war eine andere: Hic Rhodos, hic salta! – wie die Lateiner sagen. Oder etwas salopper: Butter bei die Fische! Welche Ergebnisse der Alternsforschung sind heute bereits konkret umsetzbar? Nicht theoretisch und nicht in einigen Jahren, sondern hier und jetzt. Und nicht für einige wenige Menschen, sondern für jeden, der seine Gesundheit und Leistungsfähigkeit auf jugendlichem Niveau halten möchte. Prävention, die diesen Namen auch verdient! Verschonen werden wir Sie in diesem Buch mit blumigen Darstellungen angeblich neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, die dann jedoch unweigerlich in die immer gleichen „Expertenratschläge“ münden, wie etwa: „Treiben Sie Sport, rauchen Sie nicht und ernähren Sie sich ausgewogen …“ – alles andere sei ja „allenfalls Zukunftsmusik“.

In Wirklichkeit hat diese Zukunft längst begonnen. Weltweit werden immer mehr Kliniken und Einrichtungen gegründet, die sich konkret mit der Vermeidung oder Verlangsamung von Alterungsprozessen befassen und ihre „Patienten“ entsprechend beraten und behandeln. Anti-Aging, von unserem ausschließlich auf die Krankheitsbehandlung ausgelegten Medizinsystem noch vor Jahren als unseriös abqualifiziert, gewinnt zunehmend an Bedeutung für die Gesundheitsvorsorge. Gerontologen, Ärzte, Biologen und andere Fachgruppen haben sich inzwischen zu nationalen und internationalen Anti-Aging-Gesellschaften zusammengeschlossen und tauschen auf wissenschaftlichen Kongressen ihre Ergebnisse aus.

Das Problem für interessierte Laien, aber auch für viele Fachleute, die keinen ständigen Zugang zu wissenschaftlichen Daten haben, ist nach wie vor das unbefriedigende Angebot an umfassender und fundierter (deutschsprachiger) Information. Um dem Leser beides bieten zu können, haben wir über den Zeitraum von vier Jahren aus einer Gesamtzahl von etwa 5000 relevanten wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Daten der wichtigsten 1100 internationalen Arbeiten in dieses Buch eingearbeitet. Ganz bewusst wurden fast ausschließlich direkt aus den Forschungseinrichtungen stammende Originalbeiträge berücksichtigt. Die unglaubliche Fülle von Fakten und Wissenschaftsdaten so aufzubereiten, dass sie auch für Laien nachvollziehbar und mit hohem Nutzwert verbunden sind, war für uns eine der größten Herausforderungen.

Die Kapitel spannen einen Bogen, der sich erstmals in diesem Publikationsbereich von einer tiefen und aufschlussreichen Erörterung des Wesens biologischer Alterung über die „Altersuhren“ des Menschen bis hin zu konkreten Nutzanwendungen erstreckt. Dennoch ist dieses Buch kein klassischer Ratgeber. Gesundheitsratschläge mit erhobenem Zeigefinger werden Sie ebenso wenig finden wie einfache „Ewig-jung-Rezepte“. Wir sagen Ihnen nicht, was Sie tun oder lassen sollen, sondern möchten Wissen über die Zusammenhänge von Altern und Jung- beziehungsweise Gesundbleiben vermitteln und Ihnen dabei so viel konkretes Praxiswissen an die Hand geben, dass Sie sich – möglichst mit fachlicher und diagnostischer Begleitung und Unterstützung – Ihr ganz persönliches Anti-Aging-Programm zusammenstellen können.

Wer übrigens glaubt, beim Thema „Alternsintervention“ gehe es ausschließlich um den Traum von ewiger Jugend, der irrt. Die Medizin der westlichen Industrieländer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark auf die Behandlung bereits eingetretener Krankheiten fokussiert und unser Gesundheitssystem war so sehr damit beschäftigt, die Behandlung degenerativer Erscheinungen unter Aufwendung immer größerer Ressourcen zu erweitern, dass versäumt wurde, die mittlerweile verfügbaren Möglichkeiten echter Primärprävention zu nutzen. (Leser, die sich von der in der Tat dramatischen Dimension dieser Problematik ein Bild machen möchten, sollten vorab schon einmal den Teil III lesen: „Die Zukunft des Alterns – Sozialsystem am Abgrund?“)

Primärprävention, Alternsintervention oder Anti-Aging – unabhängig von allen Diskussionen um die am besten geeignete Bezeichnung gehört dieser neue Wissenschaftsbereich zweifellos zu den aufregendsten und spannendsten Themen unserer Zeit. Entsprechend handelt unser Buch von konkreten praktischen Möglichkeiten, Altern zu verhindern. Und es handelt von begeisterten Wissenschaftlern, deren Arbeit und Enthusiasmus uns inspiriert haben, die faszinierenden Erkenntnisse der Alternswissenschaft in verständliche und praxisbezogene Informationen zu übersetzen. Einer von ihnen ist der Evolutionsbiologe Michael Rose, Professor an der Universität von Kalifornien in Irvine. Er ist überzeugt: „Das 20. Jahrhundert wird als die letzte Epoche in die Geschichte eingehen, in der die Menschen ihrem degenerativen Alternszerfall hilflos ausgesetzt waren.“

Doch nicht nur die extrem zunehmende Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse wird einen revolutionären Dammbruch bringen, sondern vor allem die endgültige Überwindung eines tief verwurzelten medizinischen Dogmas: der Vorstellung, dass allenfalls Krankheiten beeinflussbar seien, nicht aber das Altern selbst. Als Michael Rose vor fast 30 Jahren seine Forschungsarbeit zur Alterung von Fruchtfliegen begann, glaubte auch er an die medizinische Lehrmeinung, praktische Alternsintervention sei nur etwas für Quacksalber oder bestenfalls für hoffnungslose Optimisten. Und noch heute erinnert er sich genau an den Moment, der für ihn dieses Dogma hinwegfegte: „Ich saß an diesem wunderschön sonnigen Tag auf meinem Labortisch und sah die neuesten Ergebnisse durch. Und dann warfen mich die Zahlen auf dem Papier buchstäblich um. Geradezu taumelnd lief ich zu meinem Vorgesetzten und rief: Das müssen Sie sich ansehen!“ Die Resultate bestätigten: Der als festgelegt eingestufte Ablauf biologischer Alterung lässt sich gezielt beeinflussen! „Es war ein Hochgefühl, wie man es im Leben allenfalls noch an seinem Hochzeitstag haben kann.“

Nach wie vor arbeitet der Professor inmitten seiner Labore. Hier leben seine Träume und sie sind zu weiten Teilen bereits Wirklichkeit geworden. Doch ein großes Ziel hat er noch; er teilt es mit vielen Kollegen aus vergleichbaren Forschungseinrichtungen: dazu beizutragen, dass von den Erkenntnissen der Alternswissenschaft endlich auch die Menschen profitieren und dass sie den Verlauf ihrer Alterung bestimmen können, wenn sie das wollen – sei es, um Gebrechlichkeit und Alterskrankheiten zu verhindern, oder auch „nur“, um sich Vitalität, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude bis ins hohe Alter zu bewahren.

Die Zeit ist reif dafür, degenerativen Abbau und Alterskrankheiten nicht wie bisher erst dann zu behandeln, wenn sie bereits eingetreten sind, sondern negative Alterungsprozesse von vornherein zu vermeiden oder möglichst weit in den Bereich des maximalen Höchstalters zu schieben (beim Menschen etwa 120 Jahre). Grundlagenforschungen wie auch Erfahrungen bei Hochbetagten zeigen, dass dadurch der Anteil von Gebrechlichkeit, Krankheit und Siechtum an der Lebensspanne entscheidend reduziert werden kann. Es ist an der Zeit, das zur Verfügung stehende Wissen umzusetzen, ohne die Risiken oder den Grundsatz der Wissenschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren.

Mit jedem Jahr, das wir Menschen älter werden, wird uns bewusster, dass wir letztlich das Resultat aller Entscheidungen sind, die wir im Leben getroffen haben. Den Verlauf der eigenen Alterung auf der Basis wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse selbst mitzubestimmen, das könnte zu den wichtigsten Entscheidungen unseres Lebens zählen.

Rüdiger Schmitt-Homm

Simone Homm

„Komm mit uns, etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden.“

GEBRÜDER GRIMM [in: Die Bremer Stadt-Musikanten]

Handbuch Anti-Aging und Prävention

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