Читать книгу Handbuch Anti-Aging und Prävention - Rüdiger Schmitt-Homm - Страница 7
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Die ewige Suche nach dem Jungbrunnen
„Als die Götter den Menschen schufen, teilten sie ihm den Tod zu. Ewiges Leben behielten sie sich selbst vor.“
Aus dem GILGAMESCH-EPOS [Sage der Sumerer und Akkader, 3000–2000 v. Chr.]
Ein Privileg der Götter
Zu allen Zeiten sehnten sich die Menschen nach ewiger Jugend. Betrachten wir die Geschichte, so finden wir Zeugnisse dieser Sehnsucht in fast allen Kulturen. Niemanden wird das verwundern. Bei genauerem Hinschauen stößt man aber auf einen interessanten Aspekt, der sich durch die verschiedensten Kulturkreise und Religionen zieht. Es gibt Unsterblichkeit – doch sie ist fast immer ein Privileg von Göttern. Alterung und Tod sind dagegen so eng mit dem Schicksal der „normalen“ Menschen verbunden, dass der Wunsch nach ewiger Jugend meist nicht nur als unerreichbar, sondern geradezu als frevelhaft und gotteslästerlich galt. Und teilweise hat sich daran bis heute nichts geändert.
So soll der sagenhafte König Gilgamesch, der etwa 2600 v. Chr. in Mesopotamien lebte, zeitlebens auf der Suche nach dem Unsterblichkeitselixier gewesen sein. Er meinte, das auch beanspruchen zu können, schließlich galt er als Nachfahre der Götter. Allerdings war er der Überlieferung nach nur zu einem Drittel göttlich – für die damals herrschenden Götter offenbar zu wenig. Sie ließen ihm die Unsterblichkeit nur durch den ewigen Ruhm seiner Bauwerke zuteilwerden – noch heute ein beliebter Ersatz für echte Unsterblichkeit.
„Geschichte ist der Beginn einer jahrhundertelangen systematischen Arbeit, die dazu bestimmt ist, das Geheimnis des Todes aufzuklären und endlich den Tod selber zu überwinden. Aus keinem anderen Grund komponieren Menschen Symphonien, entdecken sie die mathematische Unendlichkeit und die elektromagnetischen Wellen. Um in diese Richtung vorzudringen, braucht man einen gewissen Aufschwung der Seele.”
BORIS PASTERNAK [russischer Literaturnobelpreisträger, 1890–1960]
„Some people try to achieve immortality through their offspring or their works. I prefer to achieve immortality by not dying.”
WOODY ALLEN [amerikanischer Autor und Regisseur, *1935]
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Auch Tantalos, nach der griechischen Mythologie als Sohn des Zeus immerhin ein Halbgott, durfte zwar an der göttlichen Tafel speisen. Als er aber das unsterblich machende Ambrosia vom Tisch mitgehen und normalen Sterblichen zukommen ließ, verdonnerten ihn die Götter zu einer eher unangenehmen Form ewigen Lebens: Er musste für alle Zeiten bis zum Kinn im Wasser stehen, ohne jemals trinken zu können. Über ihm hingen die schönsten Leckereien – trotz nagenden Hungers konnte er aber nichts davon essen.
Der Baum des Lebens
Die christliche Lehre macht keine Ausnahme bei dieser etwas einseitigen Verteilung der ewigen Jugend. In der Bibel bestraft Gott den Menschen, weil dieser vom Baum der Erkenntnis gegessen hat: „Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“ (1. Buch Mose 2,3)
Adam und Eva hatten schon vom Baum der Erkenntnis genascht. Um zu verhindern, dass sie sich am Baum des (ewigen) Lebens vergriffen, mussten sie gehen. Der Lebensbaum aber erhielt fortan eine drohende Wache, auf dass ja kein Mensch seine Sterblichkeit überwinde.
Unsere egozentrische Sicht auf die Welt
Warum diese Reservierung der Unsterblichkeit nur für übersinnliche Wesen und warum die geradezu gesetzmäßige Zuordnung von Alterung und Tod für den Menschen? Im Wesentlichen dürfte es zwei Gründe geben:
1. Aus psychologischer Sicht ist es für den menschlichen Geist über alle Kulturen hinweg hilfreich und tröstlich, die eigene Vergänglichkeit mit Sinn zu füllen. Über die tiefere Bedeutung von Altern und Tod wurden in der Menschheitsgeschichte unzählige Abhandlungen verfasst, sowohl religiöse als auch philosophische. Beide Ansätze bieten ohne Zweifel nachdenkenswerte Antworten und wir möchten mit diesem Buch keine davon infrage stellen. Was wir aber in der Tat infrage stellen, ist die Unausweichlichkeit degenerativer Alterung, die dem Tod vorausgeht. Der tiefere Sinn faltiger Haut, schwindender Kraft oder zerbrechlicher Knochen erschloss sich uns bis jetzt jedenfalls nicht.
„Das Altwerden hat viele Vorzüge. (Lange Pause) Ich versuche gerade, darauf zu kommen, welche es sind …”
WILLIAM SOMERSET MAUGHAM [amerikanischer Schriftsteller (1874–1965) im Alter von 80 Jahren]
2. Ein weiterer Grund für die Einstufung der Alterung als unumstößliches Gesetz entspringt der tief verwurzelten Eigenart des Menschen, eine egozentrische Sicht auf die Welt zu haben. Wir neigen dazu, Abläufe, die aus unserer subjektiven Sicht selbstverständlich erscheinen, auch ganz generell als gesetzmäßig und unausweichlich anzusehen.
Zu allen Zeiten stand die Egozentrik dem wissenschaftlichen Fortschritt im Wege. Beispiele sind der Streit um die Kugelform der Erde, die Akzeptanz unseres Sonnen- und Planetensystems oder eben die menschliche Alterung. Ein Vergleich mit anderen Lebewesen zeigt jedoch, dass Altern beim lebenden Organismus keineswegs so ablaufen muss wie bei uns Menschen. Tatsächlich ist nicht einmal der Tod ein unabdingbares Charakteristikum für biologisches Leben, wie wir noch sehen werden.
Die Neigung, erlebte Normalität zur Gesetzmäßigkeit zu erheben, ist keineswegs ein Relikt vergangener Zeit. Etliche unserer Zeitgenossen, die die halsstarrigen Gegner von Darwins Evolutionstheorie heute belächeln, sind bei aktuellen Fragestellungen in der Altersforschung nicht imstande, ihre eigenen eingefahrenen Denkabläufe zu durchbrechen.
„Jeder Mensch hält die Grenzen seines eigenen Gesichtsfeldes für die Grenzen der Welt.”
ARTHUR SCHOPENHAUER [deutscher Philosoph, 1788–1860]
Viele machten sich auf die Suche
Natürlich hielten sich im Laufe der Geschichte nicht alle an die religiösen und gesellschaftlichen Denkmuster. Und das war auch gut so. Denn trotz der aus heutiger Sicht naiven Vorgehensweise kann nur der ein Mittel gegen das Altern finden, der sich überhaupt auf den Weg macht. Damals wie heute.
Der katholische König Ferdinand von Spanien war solch ein Mensch. Anfang des 16. Jahrhunderts hörte er von einem sagenhaften Jungbrunnen in der Karibik. Sogleich wies er seinen dortigen Gouverneur Ponce de Leon an, danach zu suchen. Die spanischen Eroberer hatten in Mittelamerika begonnen, die Azteken zu unterjochen und auszurotten, um an Gold und nicht zuletzt an das Geheimnis eines Jugend spendenden Trankes zu kommen. Sie fanden beides. Der Zaubertrank der Azteken entpuppte sich als Kakaogetränk, das zwar erstaunliche Gesundheitswirkungen hatte (– sofern die Spanier es überhaupt trinken konnten, da das Rezept mit beißend scharfen Chilis zubereitet wurde), die Jugend aber brachte auch der Trank der Azteken nicht zurück.
Doch so schnell gaben die Spanier nicht auf. Ponce de Leon hatte mithilfe besonderer „nachdrücklicher Befragungen“ gefangener Indios im Jahre 1511 von einem wirklichen Jungbrunnen weit im Norden erfahren. Kurzerhand beauftragte ihn sein König Ferdinand, statt dem Gold ab sofort dem Jungbrunnen nachzujagen. In der betreffenden Gegend in der nördlichen Karibik fand de Leon tatsächlich diesen Ort. Es war das beschriebene Land mit vielen Sümpfen und Wasserläufen. Die Spanier tranken aus einem Wasserlauf nach dem anderen – ohne durchschlagenden Erfolg. Die Reise war erfolglos. Fast.
Was in diesem Augenblick keinen der Eroberer interessierte: Zum ersten Mal in der Geschichte betraten Bewohner der alten Welt Florida, das seine Entdeckung somit dem Traum von der Jugend verdankt – eine Sehnsucht, die sich die Amerikaner bis heute in besonderer Weise bewahrt haben. Nirgendwo gibt es heute mehr Anti-Aging-Kliniken als in diesem sonnigen Teil Amerikas. Und es ist schon eine etwas seltsame Ironie: Viele Suchende finden dort das, was Ponce de Leon vor fast 500 Jahren an dieser Stelle vergeblich suchte: einen – zumindest bis zu einem gewissen Grad – wirksamen Jungbrunnen.
Vom Traum zur Realität
Heute, im 21. Jahrhundert, hat sich das Bild vom Jungbrunnen gewandelt. Wir wissen, wir brauchen nicht in fernen Ländern suchen und nicht an sagenhaften Orten. Wir wissen aber auch, dass Menschen nicht einfach in eine Quelle werden tauchen können, um verjüngt wieder aufzutauchen. Hinter jeder Tür, die die Alternswissenschaft aufstößt, befinden sich zwei neue. Altern ist so vielfältig wie das Leben und der Kampf gegen das Altern muss an vielen Fronten erfolgen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute lautet:
Anders als Ponce de Leon sowie unzählige Generationen vor und nach ihm haben wir erstmals wirksame Waffen gegen das Altern. Die beste von allen ist Wissen. Wissen, wie das Altern funktioniert und wie es zu durchbrechen oder zumindest zu beeinflussen ist. Im nächsten Abschnitt wollen wir deshalb einen Blick hinter die Kulissen des Phänomens Altern werfen.
Moderne Jungbrunnen sind manchmal kompliziert, immer aber vielfältig. Nur eines hat sich seit den Zeiten der Entdecker nicht geändert: Wir müssen uns auf den Weg machen!
„Alle Menschen träumen, aber nicht gleich. Jene, die in der Nacht träumen, in den verschleierten Winkeln ihres Geistes, erwachen am Tag, um festzustellen, es war Einbildung. Die Träumer des Tages aber sind gefährliche Menschen; denn sie können mit offenen Augen nach ihren Träumen handeln, um sie wahr zu machen.”
T. E. LAWRENCE [amerikanischer Freiheitskämpfer und Schriftsteller, 1888–1935, in: The Seven Pillars of Wisdom]