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Letzter Geburtstag daheim

Vor lauter Abi geriet selbst Renates Geburtstag im März in den Schatten des großen Schul-Ereignisses. Es war ja auch das bisher wichtigste gesellschaftliche Ereignis in ihrem Leben! Ihre ganze Zukunft würde schließlich von ihren Abi-Noten beeinflusst – auch wenn Noten ja nicht alles sind im Leben. Renate beschloss kurzerhand, ihre Geburtstagsfeier diesmal ausfallen zu lassen – »Bis das Abi rum ist und ich meine Noten erfahre, ist mir doch nicht zum Feiern zumute!«, erklärte sie. »Nachfeiern kann ich dann immer noch!« Tamara und Tabea sowie ihre neuen Göttinger Freundinnen hatten vollstes Verständnis für Renates Entscheidung. Auch ihren Schulkameradinnen war vorerst nicht zum Feiern zumute. Dabei war es voraussichtlich der letzte Geburtstag, den sie daheim in Göttingen feiern würde. Denn der Vogel gedachte ja, aus dem Nest auszufliegen!

Für die mündliche Abi-Prüfung hatte Renate unter anderem Spanisch gewählt. Nach ihrem tollen Aufenthalt in Sevilla hatte sie bereits damit begonnen. Italienisch konnte sie ja schon ganz gut, und Paul und Suse hatten dafür gesorgt, dass ihre Italienisch-Kenntnisse, die sie sich für ihren langen Aufenthalt in Neapel, bei Onkel Herbert, erworben hatte, nicht wieder einrosteten. »Mit einer Sprache ist es wie mit einer Buchstaben-Suppe«, hatte Suse treffend gesagt: »Man muss sie sich auf der geistigen Wärmhalte-Platte warmhalten – sonst verliert man den Geschmack daran!« Die Eltern bezahlten ihr und Rafi sogar die Kursgebühren für den Italienisch-Kurs, doch Rafi zeigte sich bald lustlos und sprang ab. So belegte nur Renate allein den Folgekurs. Und mit ihren Italienisch-Kenntnissen hatte sie jetzt gute Voraussetzungen für Spanisch gehabt, auch wenn sie anfangs oft sehr ähnliche Wörter verwechselte. Mit der Zeit gelang es ihr, die Wörter auseinanderzuhalten, und einige waren ja sogar gleich, wie »casa« für Haus.

Nun saß sie in der mündlichen Spanisch-Prüfung den Lehrern gegenüber. Selbst die Direktorin war gekommen, denn sie freute sich über die Spanisch-AG an ihrer Schule. Die Direktorin sprach nämlich selbst Spanisch und stellte auch ein paar der Prüfungsfragen. Doch lag es nun an der Aufregung oder an der harten Aussprache des »rrrrr« im Spanischen – jedenfalls klebte Reni die Zunge am Gaumen wie ein trockenes Stück Leder, und mitten in der Prüfung fragte sie kläglich – sogar auf Spanisch –, ob sie nicht ein Glas Wasser haben dürfte?

»Naturalmente!«, antwortete die Direktorin und schickte eine der Lehrerinnen, rasch ein Glas Wasser zu holen. Dankbar nahm es Reni und trank es in einem Zug leer. Dabei tropfte ihr etwas Wasser übers Kinn – und ehe sie sich’s versah, wischte sie es kurzerhand mit dem Ärmel ihrer schicken Bluse ab. Gleich darauf wurde sie rot. Wie ein Fuhrkutscher hatte sie sich benommen! Doch die Lehrer lachten nur gutmütig. Dann ging die Prüfung weiter. Reni war gut vorbereitet und ratterte ihre Sätze hinunter. Jetzt, nach dem Trinken, sprudelte ihr Spanisch hervor wie ein Wasserfall. Nur als sie im Eifer des Gefechts Mallorca größer sein lassen wollte als Kuba, fragte die Direktorin nochmal mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Ach nein – natürlich umgekehrt!

Schon war auch diese Prüfung überstanden. Reni saß noch ganz benommen da. »Was ist – wollen Sie nicht nachhause gehen?«, fragte die Direktorin.

»Ach ja, ja!«, beeilte sich Reni zu sagen. Wie im Traum verabschiedete sie sich und ging heim.

Zuhause fühlte sie sich wie eine Kranke, total erschöpft und ausgepumpt. Sie machte das Radio an, doch die Musik lärmte und dudelte ihr nur stumpfsinnig entgegen, und sie schaltete wieder aus. Als Suse von der Arbeit heimkam, fand sie ihre Tochter im Tiefschlaf. Lächelnd zog sie sich lautlos zurück. Als Reni ihr später mit Ringen unter den Augen entgegenkam, machte Suse ihr einen großen, dampfenden Kakao, wie in Kindertagen, den Reni dankbar trank. Rafi kam und sah seine Schwester kopfschüttelnd an. »Du siehst aus wie ein Zombie!«, stellte er fest.

»So fühl’ ich mich auch!«, entgegnete Reni und schnitt ihm eine Fratze, etwa so, wie sie sich einen Zombie vorstellte.

Dann, als sie erfuhren, dass sie zur mündlichen Prüfung zugelassen worden waren, lockerte sich auch die Spannung bei den Freundinnen. Sie schöpften wieder neue Hoffnung. Und als die »Mündlichen« herum waren und alle ein gutes Gefühl hatten, weil die Lehrer ihnen freundlich lächelnd ihre Zufriedenheit signalisierten und sich in positiven Orakeln ergingen, da beschloss Reni endlich, ihren Geburtstag nachzufeiern.

Suse, die den Entschluss ihrer Tochter, die Geburtstagsparty zu verschieben, feinfühlig respektiert hatte, freute sich nun natürlich mit, dass ihrem Sprössling nun wieder die Freude am Leben zurückgekehrt war. Sie richtete eine prächtige Feier aus und bedachte dabei sogar, dass sie es mit angehenden jungen Damen zu tun hatte! Schon lange kein Kinderkränzchen mehr, keine rosa Torte mit Kerzen und Serviettenhalter mit Tier-Motiven, auch keine albernen Teeny-Gags, stattdessen ein schlicht-weißes Lebenslicht, das in einer mit Sand ausgestreuten Keramikschale prangte. Die Servietten waren lila marmoriert, in modernem Design mit Silberstreifen, und ein ebenso lila Hyazinthen-Töpfchen verströmte einen betörenden Duft. Die Geburtstagstafel war sehr stilvoll – Mutter Suse hatte Geschmack, das musste man ihr schon lassen!

Als besondere Überraschung hatte sie ihrem großen Geburtstagskind und deren Gästen sogar zwei Flaschen Sekt kalt gestellt, wahlweise mit und ohne Alkohol, die Renate mit ihren Freundinnen »köpfen« durfte. Da standen alle feierlich auf und Melanie brachte einen Toast auf das Geburtstagskind aus. Den Rest Sekt tranken sie dann mit Orangensaft gemischt. Renate fühlte ein Kribbeln in der Magengrube – und das kam nicht nur vom Sekt! Mit neunzehn ist man eben endgültig erwachsen!

Die Sternschnuppenkinder - Band 5

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