Читать книгу Die Sternschnuppenkinder - Band 5 - Rebecca Netzel - Страница 6

Оглавление

Abifete!

Hurraaaaaa!!!!!! Abi bestanden! Ein auffälliger Autokorso bewegt sich durch die Stadt: hupende Autos, aus denen grölende Abiturienten aus den Fenstern raushängen und den Leuten zujubeln: »Abiiiii! Abiiiii!« Sie sind total ausgeflippt vor Freude. Einige sind – das muss man leider sagen – schon ein wenig angetrunken. Manche Leute auf der Straße finden, das sei kein würdiger Zustand für angehende Erwachsene, und haben damit nicht Unrecht. Doch die vor Freude Überschäumenden hören davon nichts – sie sind schon längst weitergefahren. »Abiiii! Abiiiii!!!«, brüllen sie aus voller Lunge – endlich ist der übergroße Druck von ihnen abgefallen und die Erleichterung und Freude muss sich einfach Luft machen! Viele Leute lachen auch und haben Verständnis für die Freude der Jugendlichen. Mit dem Abi fängt schließlich ein neuer Lebensabschnitt an, und jung ist man ja auch nur einmal! Die ganze Welt könnte man umarmen! Es ist der totale Ausnahmezustand.

Renate kommt sich auf einmal vor wie arbeitslos – nichts zu pauken, nichts zu lernen, morgens unbesorgt ausschlafen können, wie man möchte – dass es so was überhaupt gab, hatte sie ja schon ganz vergessen! Sie macht einen Spaziergang – der Tag gehört ihr, frisch und unverplant.

Wie zufällig streicht sie um das alte Schulgebäude – es ist wohl die Macht der Gewohnheit, die sie hierhergeführt hat! So – aus dem alten Kasten war sie glücklich raus! Doch so etwas wie Melancholie kommt auf – außer Mathe war ja alles gar nicht so schlimm gewesen, manche Fächer – wie natürlich Bio – hatten ihr echt Spaß gemacht, und auch einige der Lehrer waren so nett gewesen, dass der Abschied doch irgendwie schwerfiel. Na, und von den Freundinnen erst! Denn sie wussten alle, bald würden sie sich in alle Winde zerstreuen – ihre Göttinger wie ihre Flensburger Freundinnen. Regine wollte eine Banklehre anfangen, Kirsten Krankengymnastin werden – sie zog es nicht zum Studium; Gabi hatte vor, eine kaufmännische Ausbildung anzufangen und Sabine wollte natürlich Informatik studieren. Die hatte auch das Zeug dazu – immer ’ne Eins in Mathe: für Reni unvorstellbar! Und auch die hiesigen Freundinnen, die Göttinger Sabine, Steffi und Melanie hatten schon so ihre Pläne.

Doch – was war das? Das Gesicht dort drüben, neben dem Schuleingang, das kannte sie doch! Schon winkte sie Steffi zu. Dann standen sie sich verlegen gegenüber und musterten sich fragend.

»Hey, was machst du denn hier, Reni?«

»Dasselbe wollte ich dich fragen!«

»Ich? Ich geh’ bloß so ein bisschen hier herumspazieren! Und du?«

»Ich auch ...«

Sie mussten lachen und beschlossen, gemeinsam in ein Café zu gehen. Dabei wärmten sie schon voller Nostalgie ihre Schulerinnerungen auf. »Komisch!«, sagte Steffi und schlürfte geräuschvoll von ihrem heißen Cappuccino, »ich dachte immer, wenn du mal von der Schule raus bist, dann verschwendest du keinen Gedanken mehr daran! Und jetzt ist es doch so!«

»Ja – mir geht’s genauso!«, bestätigte Reni nachdenklich. »Vielleicht liegt das daran, dass mit der Schule ja auch unsere Kindheit endgültig zu Ende geht ...«

»Na ja – wir sind doch schon längst keine Kinder mehr!«, protestierte Steffi lachend.

»Nein, das nicht!« Auch Reni verwahrte sich entschieden dagegen. »Das will ich damit ja auch gar nicht sagen! Aber die meiste Zeit in der Schule waren wir ja noch klein! Und das Abi zieht dann sozusagen einen dicken Schluss-Strich unter diesen Lebensabschnitt!«

Steffi nickte. Fein, wie die Reni das gesagt hatte. »Und du willst jetzt also gehen und die Viecher studieren?«, neckte sie ihre Freundin.

»Ja! In jedem Fall studier’ ich Zoologie, vielleicht auch Botanik! Ich will an Forschungsprojekten zur Rettung seltener Tierarten teilnehmen, oder ganz neuartige Zootierhaltung in Freiland-Anlagen entwickeln, oder ...«

»Na, da hast du dir ja ein großes Ziel gesteckt!«, sagte Steffi. »Aber wie ich dich kenne, schaffst du es! Obwohl – moderne Freigehege gibt’s ja jetzt schon!«

»Ja – aber leider nicht für alle Tierarten, sondern meist nur für solche, die besonders selten sind oder einfach Publikums-Magneten darstellen, wie etwa Affen. Es gibt auch schon gemischte Haltung verschiedener Arten. Aber hast du schon mal ’nen Zoo gesehen, wo ganze Elefantenherden an Gruppen von Zebras und Antilopen vorbeiziehen?«

»Nee – aber dafür brauchste wahrscheinlich zu viel Platz! Das wird zu teuer!«

»Na – dann züchte ich eben Bonsai-Elefanten!« So allmählich gerieten sie ins Blödeln.

»Du – was macht eigentlich Melanie?«, fragte Reni auf einmal ernst.

»Die? Die hab’ ich neulich auf ’ner Abi-Fete gesehen, wo der Sekt scheinbar in Strömen floss! Ich bin da bald wieder gegangen!«

»Und du? Willst du wirklich so’n trockenes Zeug wie Banksachen lernen?«

»Ja. Weil man da ganz gut Kohle bekommt und rasch Karriere machen kann!«, sagte Steffi entschlossen. »Ich will in ein paar Jahren schon sehen können, dass ich was geschafft habe!«

»Hm. Das wäre nichts für mich! Bei mir sind die Berufsaussichten zwar nicht so rosig – die brauchen wirklich nicht jeden Tag ’nen neuen Zoodirektor –«

»– es sei denn, einer wird vom Löwen gefressen!«, kicherte Steffi –

»– aber irgendwo werd’ ich schon unterkommen!«, fuhr Reni unbeirrt fort. »Mir ist jedenfalls ganz wichtig, was zu studieren, was mich begeistert!«

»Ja, bei dir ist Bio ja auch dein Hobby«, sagte Steffi.

»Meine Leidenschaft!«, sagte Reni stolz. »Ich war schon immer ein Fan von allen Tieren!«

»Na – wenn die dann keinen neuen Zoodirektor brauchen, dann machst du eben deinen eigenen Zoo auf!«, lachte Steffi.

»Mein Onkel Herbert wird mir dabei schon helfen!«, erklärte Reni großspurig. Lachend stießen sie mit ihren Kaffeetassen an, als seien es Sektgläser.

In den nächsten Tagen gehen die Freundinnen zusammen zur Berufsberatung vom Arbeitsamt, surfen im Internet in den Job-Börsen und informieren sich ganz gewissenhaft über all die verschiedenen Berufs-Profile. Suse und Paul haben ihre helle Freude daran, wie verantwortungsbewusst und zielstrebig die jungen Mädchen dabei vorgehen. Besonders Reni und Sabine erkundigen sich gemeinsam über ihre geplanten Studiengänge, über etwa bestehende Zulassungs-Beschränkungen, Studienplatz-Vergabe und lauter Zeug, von dem sie vorher keine Ahnung gehabt haben. Der aufregende Hauch von Abenteuer liegt in der Luft! Eine neue, prickelnde Phase beginnt! Das Leben selbst gestalten! In ihren Zukunftsträumen wachsen die Bäume in den Himmel.

Eines Abends kommt Reni ganz normal zum Abendbrot. Sie setzt sich mit harmlosem Gesicht zum Essen. Suse ist müde von der Arbeit, Rafi schaukelt wie immer unruhig auf seinem Stuhl hin und her – er ist der reinste Zappel-Philip! Wie gut, dass er wenigstens regelmäßig zum Sport geht! Nur Papa Paul ist, wie immer, die Ruhe in Person, still und konzentriert bestreicht er sich eine Scheibe Vollkornbrot mit Butter. In dieses friedliche Idyll hinein platzt Reni mit der Ankündigung: »Hey, hört mal, Leute! Ich geh’ zum Studium nach Heidelberg!«

Suse fällt fast die Milchflasche aus der Hand. Paul lässt das Brotmesser sinken. Rafi hört zu kauen auf. Er schluckt, dann steht ihm der Mund offen. Reni genießt den Überraschungs-Coup. Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe!

»Ja!«, bekräftigt sie grinsend. »Ich werde in Heidelberg studieren!«

»Aber Göttingen ist auch eine Universitätsstadt!«, protestiert Suse aufgebracht.

»Ja – aber wer sagt denn, dass ich hierbleiben muss?« Genüsslich grinst Reni übers ganze Gesicht.

»Wer? Wir!«, antwortet Papa langsam. Er ist so schnell nicht aus der Fassung zu bringen. »Wenn du hier studierst, müssen wir dir keine teure Studentenbude anderswo bezahlen! Und das haben wir nicht vor!«

Reni gefriert das Grinsen auf den Lippen. Donnerschock! So hatte sie nicht gewettet! Das ist ja die reinste Erpressung! Für sie war klar, dass sie so weit wie möglich von ihrer Heimatstadt fort muss, um auf eigenen Füßen stehen zu lernen. Soll sie etwa brav wie eine Schülerin morgens das Haus verlassen und zur Uni gehen, als sei es noch zur Schule! Oh nein! Hochschule hin oder her – sie war ja keine Gymnasiastin mehr. Und womöglich würden die Eltern verlangen, dass sie gleich nach der Vorlesung ebenso brav heimzukommen hätte, oder gar ihren Freizeitvergnügungen hinterherspionieren!

Papa bleibt hartnäckig. »Wir werden unser Geld nicht für unnützes Zeug rausschmeißen!«, erklärt er. »Die Fassaden-Renovierung des Sternenhauses hat uns schon ein kleines Vermögen gekostet, Oma war längere Zeit im Krankenhaus, und …«

Weiter kommt er nicht. Die große Renate hat doch allen Ernstes auf einmal Tränen in den Augen. Rasch springt Suse ihrer Tochter zur Seite. »Na ja, Reni – wir hatten natürlich gedacht – wenn du am Ort bliebest, dann wäre vieles einfacher – und du könntest sogar immer deine Wäsche zum Waschen heimbringen –«

Pah! Darüber kann Reni nur lachen! Lieber wäscht sie das ganze Zeug irgendwie selber oder bringt’s in ’nen Wasch-Salon, als deswegen zu Mami heimzulaufen! Einfach lächerlich! Die bloße Vorstellung bringt sie in Rage.

Suse bemüht sich, ihre Tochter zu beruhigen. Papa ist sauer und sagt nichts.

Reni aber telefoniert heimlich mit ihrem Onkel Herbert in Berlin – in dem hat sie schon immer einen Verbündeten gehabt! Und hurra! Der Onkel kennt einige Kollegen in Heidelberg und ist auch gerne bereit, eine Empfehlung auszusprechen, wieso ein Studium gerade und ausgerechnet bei diesen Koryphäen für seine Nichte so nutzbringend sein soll. »Was ist mit diesen Koniferen?«, fragt Reni aufgeregt. Da lacht der Onkel am anderen Ende der Leitung so schallend, dass es im Hörer hallt. »Koryphäen, Mädi! Das sind große Experten auf ihrem Gebiet! Du kannst auch sagen, es seien weiße Raben –« Die Wortverwechslung belustigt ihn hörbar. Doch Reni ist dankbar, dass er ihr seine Hilfe zusagt.

Und – oh Wunder! Er muss dann wohl längere Zeit mit Paul telefoniert haben. Denn dieser kommt merkwürdigerweise nicht mehr auf das Thema »Göttingen« zurück und beharrt nicht mehr darauf, dass Reni in ihrer Heimatstadt bleiben solle. Wessen Eltern über dem BAföG-Satz verdienen, der kann sich ja schließlich noch um ein Stipendium bewerben oder in den Semesterferien jobben, hatte Herbert dem Paul gesagt … Reni wittert Morgenluft!

Und als dann die Mega-Abi-Abschlussparty in einem gemieteten Saal steigt, da ist Renate die Ausgelassenste von allen! Während die Musik dröhnt und die Luftschlangen fliegen, während gelacht und gealbert wird, malt Renate sich ihre Zukunft in den tollsten Farben aus. Sie sieht sich mit Filmausrüstung und Moskito-Netz durch den Dschungel stapfen, irgendwelchen seltenen Tieren auf der Spur, sieht sich vom Helikopter aus Elefantenherden zählen oder vom Schlauchboot aus Delfine streicheln – hach, es wird großartig! Gemeinsam mit ihren Freundinnen stößt sie auf ihrer aller Zukunft an! Wenn auch die Bäume nicht in den Himmel wachsen – doch so hoch ausschlagende grüne Zweige treiben sie später im Leben nie mehr!

Die Sternschnuppenkinder - Band 5

Подняться наверх