Читать книгу Zwei alte Damen räumen auf - Rebekka John - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеAm nächsten Morgen roch es im Haus schon herrlich belebend nach Kaffee. Bertha hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Sie streckte vorsichtig ihren Rücken und die Arme. Morgens in Schwung kommen, war gar nicht so leicht. Sie saß auf der Couch, auf der sie geschlafen hatte. Ihre Beine baumelten über die Kante. Sie dachte an die vergangene Nacht. Halb im Traum, halb in der Realität hatte sie ihren Auszug immer wieder durchgespielt. War es ein Fehler gewesen? Was hatte sie nur gemacht? Ihr ganzes Hab und Gut weg zu geben und Sybille nichts davon zu sagen, war ihr schwerer gefallen, als sie sich eingestehen wollte.
„Guten Morgen. Na wie hast du geschlafen?“ Inge strahlte. Sie stellte gerade Toast, Butter und Marmelade auf den Tisch. Durchs Fenster floss ein Band weicher Sonnenstrahlen durch den Raum und kleine Staubkörnchen tanzten filigran darin. Alles strahlte eine beruhigende Friedlichkeit aus.
„Haben wir das Richtige getan?“, fragte Bertha leise und setzte sich seufzend an den Tisch. Inge trat zu ihr.
„Du willst doch nicht schon aufgeben?“
„Nein. Das nicht. Aber ich frage mich, ob wir den Staub wirklich loswerden können.“ Sie griff nach den Staubkörnchen in der Luft. Konnte aber keines erwischen.
„Wir haben doch schon so viel erreicht. Es war nicht gerade einfach gewesen so sang- und klanglos unterzutauchen. Die Kinder werden sich schreckliche Sorgen machen. Aber zurück? Nein, Bertha. Ich gehen nicht zurück in mein altes Leben, zurück in eine kalte Wohnung. Wozu auch? Um zu warten, dass irgendwann mal einer vorbei kommt? Nein!“ Inge stand, die Hände auf den Tisch gestützt vor Bertha.
„Ich sage dir, wir haben alles richtig gemacht. Und heute schmieden wir Pläne. So wie du es gesagt hast.“
Bertha war erstaunt, wie resolut ihre Freundin auf einmal wirkte. Nur eine Nacht in diesem Haus und schon war sie ein anderer Mensch geworden.
Aber es war nicht nur die eine Nacht als Hausbesetzerinnen. Es waren die vergangenen Wochen, die Wohnungsauflösungen, das Trennen von alten Gewohnheiten, das Aufbrechen. Auch Bertha hatte diese Energie gespürt. Doch waren sie mit ihren 80 Jahren nicht doch zu alt für das alles hier? Ihr Blick wanderte über den Frühstückstisch und dann zu Inge, die sie fragend ansah.
„Komm, lass uns erst einmal etwas essen. Dann sehen wir weiter.“, sagte Inge. Sie spürte die Zweifel, die in der Luft lagen. Bertha setzte sich ihr gegenüber und nahm sich ein Toast. Zuversichtlich nickte sie ihrer Freundin zu. Und Bertha konnte nicht anders, sie musste lachen. Nein wie erfrischend und aufregend das alles war, dachte sie. Dann trank sie ihren Kaffee und plauderte mit Inge.
Das Frühstück war zu zweit viel besser gewesen, als immer allein zu essen. Dazu der Blick in den schönen Garten. Bertha hatte sich immer ein Haus mit Garten gewünscht. Sie verließ die Küche und trat ins Freie. In den hohen Thujahecken saßen Vögel und zwitscherten. Die große Rasenfläche war lange nicht gemäht wurden. Sie überwucherte sogar die Gehwegplatten. Lange Grashalme kitzelten Bertha am Bein. Das satte Grün in allen erdenklichen Schattierungen, die bereits einsetzende Herbstfärbung in den Laubbäumen und das sanfte Licht hatten eine sehr beruhigende Wirkung auf Bertha. Die kleine sonst so impulsive Frau schritt langsam durch den Garten, machte hier und da Rosensträucher und Staudenbeete aus.
Inge hatte Recht, dachte sie. Zurückgehen war keine Lösung. Schon allein für das hier, lohnte sich der Aufwand. Sie ging mit festem Schritt und geradem Rücken ins Haus zurück.
„Inge komm, wir müssen Pläne schmieden.“ Inge grinste sie breit an.
„Das ist meine Bertha.“, sagte sie. „Und wo fangen wir an?“
Sie rückten den schönen großen Tisch in die Mitte des Salons, dazu zwei Stühle. Doch Bertha setzte sich nicht hin. Sie ging auf und ab und überlegte. Ein Arm hatte sie auf den Rücken gelegt, der andere erhob sich mit jedem neuen Gedanken in die Luft. Inge saß am Tisch und machte Notizen.
„Unser Ziel ist es, die Isolation der Senioren zu beenden. Was kann man dagegen tun? Wo fängt sie an?“, fragte Bertha in einem geschäftsmäßigem Ton. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen.
„Also mir graut es, in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden. Dann lieber tot.“, sagte Inge. Sie hatte sich zu Bertha umgedreht. „Ich habe einige grauenvolle Reportagen gesehen. Ich sag dir, danach kannst du nicht mehr einschlafen. Daneben verblasst jeder Edgar Wallace Film.
„Gut. Das ist ein Punkt. Pflegeheime. Was noch?“ Bertha überlegte. Ihre Augen wurden dabei zu kleinen Schlitzen. Ihre Finger strichen über ihre Oberlippe.
„Seniorentreffs.“, sagte sie schließlich.
„Was hast du gegen Seniorentreffs? Die unternehmen wenigstens was für uns.“, meinte Inge.
„Aber wie? Warst du schon einmal zum Tänzchentee? Wo du doch so gerne tanzt.“
Beschämt sah Inge auf das Papier vor ihr.
„Du weißt was da für Musik gespielt wird? Da würdest selbst du nicht tanzen. Silbereisen, Andrea Berg und sowas und dann noch extra viel Bumm Bumm drunter gemischt, damit die Alten nicht einschlafen.“, sagte Bertha. Inge musste zugeben, dass auch sie diese Treffs hasste. Der Kuchen war trocken, der Kaffee abgestanden und die Musik scheußlich. Alles war lieblos. Das war es, was Bertha meinte. Die Idee war gut, aber die Umsetzung war einfach nur lieblos. Aber warum?
„Okay, also Punkt zwei: Seniorentreffs. Noch was?“ Inge versah die Punkte, mit kleinen Anmerkungen. Damit sie wussten, warum sie diese notiert hatten.
„Schreib noch Politik auf. Ich weiß zwar noch nicht was wir da machen können. Doch eigentlich ist vieles eine Frage des Geldes. Die Notstände in der Pflege, das liegt ja auch am Geld. Man will Profit machen und denkt dabei nicht an die Menschen. Nicht an die Alten und nicht an die Pfleger. Und Seniorentreffs könnte man mit mehr Geld sicher auch besser gestalten. Und wenn mehr Unterstützung da wäre, würden sicher mehr alte Menschen auch Angebote nutzen, die sie sich jetzt nicht leisten können, wie Theater und Cafés.“ Bertha war stehen geblieben und schaute Inge über die knochige Schulter. Sie las, was diese aufgeschrieben hatte.
„Gegen Ausgrenzung von Senioren GAvS. Schreib das mal dazu.“, sagte sie.
„Was ist GAvS?“, wollte Inge wissen. Sie kreiste die Buchstaben ein.
„Das sind wir. Wir sind doch Untergrundaktivisten, dann brauchen wir auch einen Namen. So wie die RAF.“, sagte Bertha begeistert und klatschte in die Hände. Nun hatte sie Feuer gefangen. Nachdem sie am Morgen noch gezweifelt hatte, hatte sie nun schwarz auf weiß worum es ihr ging. Und das spornte sie an. Sie wollte etwas erreichen, nicht nur für sich und Inge, auch für andere Menschen. Sie wollte, dass alte Menschen wieder aktiver am Leben teilnahmen.
„Aber Bertha wir sind doch keine Terroristen. Die RAF, waren gewaltbereite Terroristen. Wenn auch mit nachvollziehbaren Ideen.“ Inge fuhr sich nervös in die Haare und versuchte ihren Knoten wieder zurecht zu rücken. Ihr Herz schlug wild bis in ihre Kehle. Sie war erregt. Erst hatten sie ihre Überlegungen und Notizen aufgeregt. Und nun wollte Bertha terroristische Wege einschlagen. Das war dann doch etwas zu viel.
„Beruhige dich Inge. Ich will doch keine Bomben verschicken. Oder so etwas. Ich denke, dafür wären wir dann doch zu alt.“ Sie lachte Inge an.
„Ich meine nur, wir sollten uns einen Namen geben.“, sagte Bertha. Der kleine Körper bebte noch immer unter ihren Händen.
„Inge, du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich eine Bombe basteln werde?“
„Nein, natürlich nicht.“ Inge musste nun auch lachen. Sie legte ihre Hand auf die von Bertha. Es tat so gut, die wärme eines anderen Menschen zu spüren. Und das war es ja, wofür sie kämpfen wollten, mehr Wärme, mehr Nähe, mehr miteinander. Das sagte sie auch ganz leise.
„Genau Inge. Das ist es, mehr miteinander. Das ist es wofür wir uns einsetzen. Und das geht nicht mit Gewalt.“
„Aber wie dann?“, fragte Inge. „Wo setzen wir zuerst an?“
„Oder besser noch, wem setzen wir zuerst die Pistole auf die Brust?“ Bertha musste lachen. Sie kam sich fast wie ein Mafiosi vor. War das herrlich. So lebendig hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt.
Sie hatte den ganzen Tag mit Inge über die Notstände in Altersheimen, über Kaffeekränzchen mit Florian Silbereisen und über Reformen in der Altenpflege debattiert. Der Tag war so schnell vergangen und am Abend stand ihr Programm fest.
„Und darauf trinken wir jetzt ein schönes Glas Rotwein.“, sagte Bertha. Sie nahm ihre Freundin am Arm und ging mit ihr zur nächste Kneipe.