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Auf den Koppeln...

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Auf den Koppeln des Waldeinschnitts genossen kleine Pferdeherden ihre Freiheit und knabberten das junge, dank das beginnende Frühjahrs, sprießende Präriegras. Gemächlich drehten sich die Flügel des Windrades in der kühlen, böigen Spätnachmittagsbrise und schienen den nicht allzulang zurückliegenden Winter noch mit sich zu tragen. Der Geländewagen stand nicht, wie sonst, neben dem Ranchhaus und eine entspannte Ruhe lag über der tropfenförmigen Schneise. Nur im runden Pferch, zwanzig Schritte neben der Scheune, standen drei Männer. Ein hübscher, zierlicher Braunscheckwallach tänzelte unruhig um Dan herum, während Trey versuchte, das Tier am Halfter festzuhalten. Ärgerlich tippte der Vormann dem jungen Cowboy auf die Schultern.

„Wäre es eine zu anstrengende Aufgabe für dich, ihn für fünf Sekunden zu beruhigen? Dann könnte ich das Seil heute noch dort befestigen, wo es hingehört!“

Mit hochrotem Kopf bemühte Trey sich um kurzes, ruhiges Stillstehen des jungen, unausgebildeten Pferdes.

„Aus dem wird höchstens mal ein Männerpferd!“, keuchte er und hängte sich mit seinem ganzen Körpergewicht an den Führstrick.

Blitzschnell hakte Dan das lange Seil an der Metallöse ein und in beinahe demselben Augenblick den Führstrick aus. Sofort suchte der Braunschecke das Weite und begann ganz von selbst, ohne Aufforderung, im Galopp seine Runden am Zaun des Pferchs entlang zu drehen.

Mit einem geistesgegenwärtigen Sprung rettete Trey sich vor dem erregten Pferd auf den hohen Lattenzaun und machte es sich auf der obersten Stange gemütlich. Ein wenig außer Atem schob er sich den hellbraunen, verstaubten Hut aus der Stirn.

„Man könnte nicht meinen, dass der hier der erste für heute ist.“

Chris McKinley, der außerhalb des Zauns lehnte und alles genau verfolgt hatte, grinste belustigt: „Na, es wird ja für heute auch der letzte sein, wenn ich so auf die Uhr schaue“, entgegnete er zuversichtlich und versetzte Trey einen spielerischen Schlag gegen die Schulter. „Dann kannst du dich von deiner anstrengenden Aufgabe erstmal wieder erholen!“

Die Ironie in seiner Stimme ärgerte Trey. „Hey! Keine derartigen Witze gegenüber seinen besten Freunden, ja? Außerdem will ich etwas dazulernen, bezüglich dem Zureiten junger Pferde. Dan kennt noch die alten Traditionen, die will ich auch beherrschen.“

„Hört, hört! Welch weise Worte aus deinem Mund!“ Chris lachte auf und legte sein Kinn auf die Unterarme, die er auf der oberste Zaunlatte gestützt hatte. „Da musst du dir von unserem Boss aber noch eine Menge zeigen lassen!“

„Wieso nur ich?“ Entrüstet boxte ihm Trey den Ellenbogen zwischen die Rippen. „Du bist auch nicht perfekt! Wenn ich mir deinen Gaul manchmal ankucke…“ Er vollendete den Satz mit einem leisen Pfiff.

„Ich weiß. Er ist noch lange nicht so gut, wie er als Arbeitspferd sein sollte“, gab Chris zu und seufzte. „So, jetzt hoffe ich, dass meine Reitschülerin bald kommt!“

„Welche Reitschülerin?“ Fragend zog Trey die Brauen hoch.

„Mich erwartet heute Abend noch Arbeit!“

„Mich nicht mehr!“ Voller Vorfreude rieb Trey sich die Hände und zwinkerte seinem Kollegen übermütig zu. „Mich armen, einsamen Cowboy empfängt später nämlich noch die entzückende, kleine Tochter unseres allseits hochgeschätzten Hotelbesitzers zum Essen!“

„Dann lass dich bloß nicht von ihrem Alten erwischen!“ Chris beobachtete unaufhörlich den Vormann im Pferch, der mit fast unsichtbaren Zeichen und Handbewegungen und einem beneidenswerten Fingerspitzengefühl das junge, aufgeregte Pferd dazu bewegte, sich immer mehr auf ihn zu konzentrieren und das Tempo zu verlangsamen.

„Du weißt, was mit Lucys letztem potentiellen Verehrer passiert ist, der dem werten Herrn Vater nicht gepasst hat?“, fügte Chris seelenruhig hinzu.

„Hör auf“, befahl Trey. „Das ist mir gleich! Außerdem gehöre ich nicht zur Sorte der potentiellen Verehrer!“

Der schwarzhaarige Cowboy grinste. „Entschuldigung! Ich habe ja völlig vergessen: Du gönnst dir nur mal eine Abwechslung zu deinem eigenen, einsamen Bett!“

„Hast du schlechte Laune, weil der alte Mann dich heute Morgen in sein Büro zitiert hat?“

Als „den alten Mann“ bezeichneten die Männer, mehr freundschaftlich und respektvoll, ihren Arbeitgeber.

„Hmm.“ Chris’ Gesicht verzog sich geheimnisvoll. „Er hat jemand für eine besonders heikle Aufgabe gesucht.“

Neugierig drehte Trey sich auf der Zaunlatte herum. „Aha! Und dafür sucht er sich ausgerechnet dich aus? Da wäre ich doch genau der Richtige gewesen!“

Der Jeep ihres Vaters rollte die Straße entlang. Er hatte sich gerne dazu breitschlagen lassen, seine ältere Tochter zur Ranch hinüberzufahren. Sie trug ihre neuen Bluejeans, ein kariertes Hemd, genau wie Amy es besaß und nagelneue Cowboystiefel. All das hatte Matthew ihr zur ersten Reitstunde geschenkt.

Aufgeregt rutschte Jean auf ihrem Sitz hin und her. Ihre erste Reitstunde, endlich! Schon als kleines Kind hatte sie davon geträumt, einmal auf dem Rücken eines Pferdes sitzen zu dürfen, aber das wäre für ihre Mutter niemals in Frage gekommen. Hier draußen, in diesem Land, da war es etwas anderes. Hier schienen alle reiten zu können, weil es einfach notwendig war und von Anbeginn so gehandhabt wurde und sie wollte jetzt auch endlich ihre Wünsche erfüllen. Es kam ihr vor, als sei es längst überfällig.

Drei Tage hatte sie gebraucht, um sich mit ihrer Vorstellung gegen Rachel durchzusetzen. Ihre Mutter hatte geschrien und getobt, aber alles vergebens. Jean spürte tief in ihrem Inneren, dass sie kein kleines Kind mehr war und bereit dazu, sich selbst in der Welt ihren Weg zu suchen. Sie wollte nicht länger ihren Lebenspfad von ihrer Mutter vordiktieren lassen. Sie war anders als Rachel und auch anders als Patty. Beide besaßen diesen Drang nach Modebewusstsein und Schönheit, nach Bewunderung und Macht, aber bei beiden lag das auf der Hand, denn sie waren beide makellos und anziehend und wurden von allen Menschen bewundert. Sie, Jean, jedoch besaß nicht diese außergewöhnlich ebenmäßigen Gesichtszüge. Sie sah ihrem Vater ähnlicher und war sich durchaus bewusst, dass sie gegenüber ihrer Schwester in Bezug auf das Äußere keine Chance hatte. Patty war zwei Jahre jünger und besaß bereits den weiblicheren Körper von ihnen beiden. Sie war wohlgeformt, mit großen Brüsten, während Jean hochgewachsen und dünn blieb, ein Streichholz, wie ihre Mitschülerinnen sie bisweilen hänselten. Oft beneidete sie ihre kleine Schwester, wenn sie wieder einmal hübsch zurechtgemacht auf eine Party verschwand, stets begleitet von einem gutaussehenden Jungen und selten kam derselbe zweimal, um sie abzuholen. Dagegen hatte Jean noch nie jemand zu einer Party ausgeführt. Sie verblasste neben Patty und in ihrer Gegenwart kam sie sich stets nur zweitklassig vor. Gerade deshalb war es ihr so wichtig, für sich selbst etwas zu finden, was nur ihr etwas bedeutete. Sie wollte das mit der Reiterei mit niemandem teilen aus ihrer Familie. Es war wie eine Art Schatz, der ihr das Selbstbewusstsein schenkte, das ihr bisher gemangelt hatte.

„Ich bin sehr stolz auf dich“, sagte Matthew plötzlich und riss sie unvermutet aus ihren Grübeleien. Er warf ihr einen langen Blick zu.

Erstaunt hob Jean die Brauen. „Stolz? Auf mich?“

Sein linker Mundwinkel zuckte. „Ja, du hast dich gegenüber deiner Mutter behauptet und du machst jetzt das, wozu du alleine Lust hast.“

„Ja“, gab Jean zu. „Ich bin auch ein bisschen stolz auf mich.“

„Du musst das tun, was dir selber gefällt“, fuhr ihr Vater fort und verlieh jedem seiner Worte Nachdruck. „Lass dich nicht von deiner Mutter beirren. Du führst irgendwann dein eigenes Leben und dann wird sie nicht mehr da sein, aber du musst für dich selbst geradestehen können.“

Jean lauschte seinen nachdenklich gesprochenen Worten. Sie fragte sich häufig, ob er glücklich war mit dem Leben, das er führte oder ob er sich einfach damit arrangiert und abgefunden hatte.

„Ich danke dir, Paps.“

„Keine Ursache.“ Matthew nickte ihr zu. „Gib dein Bestes und finde heraus, ob es dir taugt. Du allein musst glücklich werden mit deinen Entscheidungen und sonst niemand!“

Als sie in den Innenhof fuhren, kam Amy aus dem Ranchhaus gelaufen. Sie winkte und lachte auf ihre herzliche, einnehmende Art.

„Guten Tag, Doktor van Haren!“, rief sie fröhlich und wartete, bis Jean ausgestiegen war. Ihr Blick glitt an der neuen Kleidung der englischen Arzttochter herunter. „Gut siehst du aus! Fast, wie eine von uns!“

„Hallo Amy!“, erwiderte Matt lächelnd. „Pass mir gut auf mein Mädchen auf!“

„Keine Sorge!“, versicherte die Rancherstochter und packte Jean am Arm. „Mein Vater hat den besten unserer Männer ausgewählt!“

„Na, das will ich hoffen!“ Matthew lachte, noch ein wenig zweifelnd, und blieb in der offenen Wagentür stehen, während seine Tochter bereits mit Amy in Richtung den Umzäunungen verschwand, wo noch immer die drei Männer beisammenstanden und miteinander schwatzten.

„Ruf mich an, wenn ich dich wieder holen soll!“, rief er ihr nach und schüttelte den Kopf. Sie hatte ihn schon nicht mehr gehört.

Bei der Einpferchung angekommen, deutete Amy auf einen der Männer. „Jean, du kennst Chris ja schon. Daddy und ich haben entschieden, dass er der Beste ist, dir das Reiten beizubringen. Er macht das andauernd mit irgendwelchen Touristen.“

„Na ja, übertreib mal nicht!“ Grinsend winkte der schwarzhaarige junge Mann ab. „Jetzt fangen wir erstmal an!“

Inzwischen hatte Dan seine Arbeit mit dem jungen Braunschecken beendet, der sich wesentlich ruhiger und gelassener wie zu Anfang neben ihm her zum Tor führen ließ. Trey schwang seine Beine über den Zaun und sprang auf der Außenseite des Pferchs in den Sand.

„Ich gehe mich umziehen. Bin mal wieder spät dran. Viel Spaß!“

Jetzt kam der grauhaarige Vormann mit dem Wallach am Halfter zu ihnen. Er deutete auf das zierliche, elegante Pferd und nickte Jean eifrig zu: „Das wäre ein Bursche für dich, Mädchen! Aus dem wird einmal ein richtig tolles Reitpferd! Trey ist zwar der Ansicht, den könnte nur ein Mann bändigen, aber ich sage dir: Liberty wird ein richtiger Kracher!“

„So weit sind wir noch lange nicht!“, wimmelte Chris ihn ab, als er bemerkte, wie Jeans Gesicht einen unsicheren Ausdruck bekam. „Jetzt muss sie erstmal sattelfest werden.“ Mit einer Kopfbewegung forderte er das Mädchen auf, ihm zu folgen. „Dort hinten steht dein heutiges Reitpferd.“

Jean und Amy folgten ihm hinüber zur Scheune, an deren Frontseite, am Anbindebalken eine dunkelbraune, kleine Stute mit hängendem Kopf und halbgeschlossenen Augenlidern stand. Sie hatte nur ein Stallhalfter übergestreift und ihr kurzes, weiches Fell glänzte im Sonnenlicht kastanienrot.

„Das ist Lady“, stellte Chris dem jungen Mädchen das Pferd vor und tätschelte ihm die Kruppe. „Sie ist ausgesprochen ruhig und geduldig, das ideale Anfängerpferd. Fangen wir also mit der Theorie an.“

Jeans Herz raste. Der Augenblick rückte näher. Sie erfüllte sich einen Traum. „Ich habe mir extra ein Buch gekauft über Pferde und reiten und es auch schon gelesen!“

Einen Augenblick starrte Chris sie amüsiert an. Für ihn war der Umgang mit Pferden normal und hier kam dieses junge Mädchen, voller Begeisterung und Vorfreude auf das, was er täglich machte. Es erschien ihm irgendwie surreal.

„Umso besser! Da spare ich mir jede Menge Atem!“ Er löste den Führstrick vom Balken und hielt ihn Jean auffordernd entgegen. „Hier, nimm du sie gleich!“

Eifrig griff das junge Mädchen zu. Sie ließ den rauen Strick durch ihre Finger gleiten, während sie mit ihrer anderen sanft die weichen Nüstern der Stute berührte. Der warme Atem des Tieres suchte in ihrer Hand nach einer Leckerei und als sie keine fand, wanderte sie forschend mit ihren Lippen Jeans Arm hinauf.

„Hey!“, lachte Amy. „Lass ihr nicht gleich alles durchgehen! Sonst tanzt sie dir auf der Nase herum.“

Das Tor zum Pferch stand offen. Jean brachte die Stute hinein und nachdem Chris ihr befohlen hatte, sie erst einmal herumzuführen, damit sie sich aneinander gewöhnen konnten, marschierte sie zuversichtlich und nicht ohne einem Gefühl von Stolz in der Umzäumung umher.

„Glaubst du, sie lernt es?“, fragte Amy leise, nachdem sie das Tor hinter dem Cowboy geschlossen hatte. „Ich würde so gerne jemanden haben, mit dem ich ausreiten gehen kann!“

Ein leises Lachen drang aus Chris’ Kehle. „Diesen Monat nicht mehr! Sie muss erst ein bisschen sicher werden, damit sie dir nicht bei deinen wilden Galoppaden verloren geht! Im Sommer vielleicht, je nachdem wie sie sich anstellt.“

„Du machst das schon!“ Amy nickte mit zuversichtlicher Miene und ihre runden Backen leuchteten. „Darum hat Daddy dich ja ausgesucht!“

„So“, sagte Chris McKinley laut in Richtung der Engländerin. „Jetzt lass uns mal loslegen.“ Mit großen Schritten durchquerte er den Platz und nahm dem jungen Mädchen den Strick wieder aus der Hand. „Wir fangen ganz klein an. Einverstanden?“

„Alles, was Sie sagen, Herr Reitlehrer!“ Jean lächelte und wippte aufgeregt auf ihren Zehenspitzen. „Darf ich rauf?“

Chris lachte. „Von mir aus!“

Er bot ihr seine Hand, damit sie ihr linkes Knie hineinlegen konnte. Mit Schwung hob er sie hoch, in Richtung Pferderücken. Als hätte sie noch nie etwas anderes getan, hob Jean das rechte Bein über die Kruppe der Stute. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, saß sie auf dem blanken, warmen Rücken des Pferdes.

Chris nahm den Führstrick von Ladys Hals. Er trat ein paar Schritte zurück. „Am besten hältst du dich erstmal an der Mähne fest und dann geht’s los!“

Auf ein Zeichen mit seiner Hand hin, setzte die Stute sich in Bewegung. Ruhig ging sie im Schritt um Chris im Kreis herum. Der harte Pferderücken fühlte sich fremd und ein wenig unbequem an und durch die Bewegung des Tieres wurde Jean vor und zurück geschaukelt. Sie sah den Boden unter sich vorbeiziehen und schluckte erschrocken. Nie hätte sie erwartet, auf einem Pferd der sicheren Erde so weit entfernt zu sein! Das Büschel Mähnenhaar gab ihr nur wenig Halt. Es war schwieriger als es aussah, sich dort oben im Gleichgewicht zu halten.

Chris bemerkte es. „Entspann dich!“, rief er. „Du brauchst keine Angst zu haben. Lady tut keiner Fliege was zuleide!“

„Ich will nur nicht herunterfallen!“

„Wirst du nicht! Vertrau mir!“

Runde um Runde zog Lady ihre Bahnen in der Umzäunung. Ganz allmählich verlor Jean ihre Unsicherheit. Von hier oben hatte sie einen weiten Blick über die Ranch und alles wirkte mit einem Mal ganz anders als zuvor, viel weiter und größer. Ihr gefiel das Geschaukel des Pferderückens noch besser, als sie es sich in ihren Träumen je ausgemalt hatte. Irgendwie glaubte sie, hier ihrer ersehnten Freiheit ein Stück näher zu sein – der Freiheit, für sich selbst zu entscheiden und auch in London ihren Interessen nachgehen zu dürfen, zu denen sie sich bislang nicht getraut hatte zu stehen.

Es schien nur kurze Zeit, viel zu kurz, bis Chris erklärte: „Okay, für heute ist es genug!“ Er hielt die Stute in der Mitte des Corrals an und schaute prüfend zu Jean hinauf.

„Schade…“ Ihre Finger streichelten über das weiche Fell des Pferdes.

„Du wirst ab sofort ja öfter Gelegenheit haben!“ Er grinste. „Zum Absteigen das rechte Bein nach hinten über den Rücken schwingen!“

Jean überlegte, wie sie dies anstellen sollte und kam schließlich seiner Aufforderung nach. Der Schwung, mit dem ihr rechtes Bein über die Kruppe des Pferdes schwang und sie zu Boden riss, war stärker als erwartet und bei der Landung verlor sie das Gleichgewicht. Hätte Chris sie nicht noch geistesgegenwärtig mit einem Arm an der Taille gepackt, sie wäre im Sand der Arkin Ranch gelandet.

Unangenehm berührt, dass es nicht so funktioniert hatte wie gewünscht, murmelte sie verlegen: „Danke.“

Sie spürte seinen Blick und fühlte seinen Atem, der an ihrem Haar entlang strich. Noch nie war sie einem Mann, abgesehen von ihrem Vater, so nahe gekommen. Sie wollte von ihm zurücktreten, doch er hatte sie bereits losgelassen.

Jean wagte es, den Blick zu heben. Chris betrachtete sie noch immer aus seinen hellbraunen Augen, die an den Sand der Prärie erinnerten, wobei ein kaum merkliches Lächeln um seine vollen, geschwungenen Lippen spielte.

„Ich glaube, aus dir könnte eine ganz hervorragende Reiterin werden.“

Er nahm Ladys Führstrick und ging mit ihr zum Tor, das Amy für ihn öffnete. Regungslos starrte Jean ihm nach. Seine Worte und seine Gegenwart brachten sie auf eigenartige Weise völlig aus der Fassung. Nie zuvor hatte sie solche Emotionen erlebt. Sie würde zu Fuß hinüber zur Hütte gehen, anstatt ihren Vater anzurufen. Sie musste ein wenig alleine sein. Das Gefühl auf diesem Pferd, alles, was ihr heute widerfahren war, verwirrte sie und sie wusste in ihrem tiefsten Inneren, dass etwas mit ihr geschehen war – etwas, das sich niemals wieder würde auslöschen lassen.

* * *

Die Schule startete Anfang des neuen Monats für die beiden Schwestern und Jean konnte sich freuen, mit Amy in einer Klasse zu sein. Patty hingegen kannte noch niemanden, als sie die Schule von Summersdale das erste Mal betrat. Diese Tatsache konnte das selbstbewusste, junge Mädchen jedoch nicht stören. Sie sah es mehr als Wettstreit an, sofort der neue Klassenliebling zu werden, mit dem alle anderen Mädchen befreundet sein wollten und der die Jungs auch aus den höheren Klassen im Schulhof hinterher pfiffen. Sie wusste ihre Schönheit gezielt einzusetzen. Mit grazilen Bewegungen lief sie täglich den Flur der Schule entlang, gefolgt von ihren neugewonnenen Freundinnen oder denen, die sich zumindest dafür hielten und nur nicht verstanden hatten, dass sie für Patty lediglich ein Mittel zum Zweck waren, um ihren Status als unübertroffene Königin der Schule zu unterstreichen.

Patty hatte noch nie Probleme gehabt, sofort Anschluss zu finden oder gleich die Führung zu übernehmen. Sie hatte nicht nur äußerlich sehr viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, auch im Wesen waren ihre Parallelen nicht abzustreiten. Das unerschütterliche Selbstbewusstsein und die ausgeprägte Arroganz waren wohl die beiden herausstechendsten Eigenschaften, doch ihre faszinierende Schönheit machte es möglich, dass weder Patty, noch Rachel jemand diese übelzunehmen schien. Ihre äußerliche Makellosigkeit blendete ihre Mitmenschen und zog sie gleichzeitig in ihren Bann. Jedes Mädchen wollte so schön und begehrenswert sein wie Patricia van Haren und genauso von den Jungs angehimmelt werden. Natürlich gab es auch Neiderinnen, doch die konnten Pattys Selbstverliebtheit nicht im Mindesten beeinträchtigen. Sie hatte sich vorgenommen, in dem einen Jahr in den Staaten das beliebteste Mädchen der Schule zu werden und das würde ihr auch gelingen.

Das Gegenteil zu ihrer jüngeren Schwester war hingegen Jean. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass Amy in ihre Klasse ging und sie sich erst einmal an die Rancherstochter halten konnte. Diese machte sie mit allen Mitschülern bekannt und so brauchte Jean nicht selbst auf die Klassenkameraden zuzugehen, was ihr ohnehin mehr als schwergefallen wäre.

Meistens verbrachte sie auch die Zeit nach der Schule mit Amy und fuhr mit ihr auf die Arkin Ranch, wo sie gemeinsam Hausaufgaben machten und danach zum Reiten gingen oder sich um die Pferde kümmerten. So entstand zwischen Jean und Patty eine noch größere Kluft, als sie ohnehin bereits vorhanden war. Beide sahen sich nur noch selten und wechselten auch nur noch wenige Worte miteinander. Es blieb beim oberflächlichen Austausch der wichtigsten Informationen ihrer beider Leben, ohne, dass die eine sich mehr um die Angelegenheiten der anderen kümmerte als notwendig.

* * *

Im offenen, aus großen, rauen Steinen erbauten Kamin knisterte das herunterbrennende Feuer und hüllte den Raum in rauchige Wärme. Draußen hatte die Dunkelheit die Sonne vertrieben und die Cowboys waren längst entweder nach Hause, zu ihren Familien gegangen oder in der Unterkunft verschwunden. Durch das Fenster seines Arbeitszimmers, neben dem mächtigen, antiquarischen Bücherregal konnte der Ranchbesitzer sehen, dass Licht im Bunkhouse brannte – wie beinahe jeden Abend spielten die Männer noch Karten. Amy hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen und Abigail, ihre Haushälterin, hatte längst Feierabend und war nach Silvertown, zu ihrem Mann in ihr kleines Häuschen zurückgefahren.

Konzentriert saß Ben hinter seinem riesigen Mahagonischreibtisch über einer Reihe Rechnungen, die sich im Laufe der vergangenen Woche angesammelt hatten. Bisher war er nicht dazu gekommen, sie abzuarbeiten. Auch heute Abend war er im Grunde viel zu müde, um sich ihnen noch lange zu widmen. Den Nachmittag hatte er bei der Stadtratsversammlung in Silvertown verbracht, wo die letzten großen Beschlüsse zum Start der Touristensaison gefällt worden waren. Wie immer waren Stunden darüber vergangen und jeder der Stadträte hatte seine Ansichten und Kommentare mindestens zweimal wiederholt, bevor endlich eine Entscheidung getroffen worden war. Bisweilen fiel ihm diese Aufgabe auf die Nerven. Wieso konnte dies alles nicht unkomplizierter und ohne große Debatten geregelt werden?

Erschrocken zuckte Ben aus seinen Überlegungen hoch – es klopfte leise scheppernd an der Haustür.

„Ach, richtig!“ Ahnend ging er zur Türe und trat erfreut einen Schritt beiseite. „Guten Abend, Matt! Komm rein!“

Die beiden Männer schüttelten sich kurz die Hand.

„Zu lange kann ich leider nicht bleiben, sonst schöpft meine Frau am Ende noch Verdacht“, bedauerte der Arzt und verzog entschuldigend das Gesicht. „Sie weiß ja, wann Feierabend ist und zur Zeit ist sie nicht gerade bester Laune. Der Architekt arbeitet ihr nicht schnell genug. Eine Diskussion ertrage ich heute beim besten Willen nicht mehr! Es war ein verdammt harter Tag!“

„Das wollen wir natürlich nicht riskieren!“ Ben ging ihm voraus ins Arbeitszimmer. „Cognac?“

„Oh – ein Gläschen nach einem anstrengenden Arbeitstag dürfte auch einem Chirurgen nicht schaden.“ Dankend nahm Matt nach einer auffordernden Handbewegung des Ranchbesitzers in einem der beiden schwarzen, tiefen Ledersessel vor dem Kamin Platz.

„Die scheinen dich in der Klinik ja dringender zu brauchen, als erwartet!“ Ben reichte Matthew das volle Glas. „Bist du zufrieden?“

„Es ist natürlich ein gewaltiger Unterschied zu dem, was ich aus London gewöhnt bin. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich unserem Leiter mal ein wenig unter die Arme greifen, aber es ist sehr viel zeitraubender, in einem kleinen, nicht so anonymen Krankenhaus arbeiten zu können. Man verbringt viel mehr Zeit mit den einzelnen Patienten.“ Er stockte. „Und die einzelnen Fälle berühren einen wesentlich tiefer, als ich das je zuvor erlebt habe.“

Verständnisvoll nickend ließ Ben sich ihm gegenüber, im anderen Sessel, nieder. „Der Mensch ist anpassungsfähig – jedenfalls wenn er will.“

Matt zog die Brauen hoch. „Wenn er will, ja.“ Nachdenklich starrte er in sein Glas. „Rachel hat damit keinerlei Mühe, jedenfalls inzwischen nicht mehr. Sie hat sich gestern einen neuen Cadillac gekauft, in marineblau mit passenden Ledersitzen! Und sie möchte die Damen von Summersdale für die neueste Mode begeistern und einen Verein gründen!“

Bei dieser Vorstellung musste Ben schmunzeln. „Beides äußerst interessante Aspekte. Bis zum Wintereinbruch kommt sie mit diesem Auto ohne Probleme zu eurer Hütte hinaus. Bei Schnee wird sie allerdings wohl oder übel ihre Beine benutzen müssen!“

Matthew verdrehte Augen. „Falsch! Dann werde ich meine Kondition trainieren dürfen und sie wird meinen Jeep in Beschlag nehmen!“

„Ich bin ja gespannt, ob sie unsere Damen hier mit Mode begeistern wird können. Die meisten haben keinen Gebrauch dafür“, meinte Ben, wie nebenbei, und nahm einen kräftigen Schluck des Cognacs.

„Hmm.“ Matt legte den Kopf schief und überlegte kurz. „Sie steckt schon mitten in ihren Planungen für diesen Club, mit dem sie durch ganz Amerika reisen will. Manchmal bekomme ich sie tagelang nicht zu Gesicht. Rachel findet schnell Leute, in deren Gegenwart sie sich gut aufgehoben fühlt.“ Er stockte. „Und bei Patty ist es nicht viel anders.“

„Tja“, machte Ben und schürzte die Lippen. „Sie hat eindeutig die Gene ihrer Mutter.“

„Sie ist das Abbild ihrer Mutter in jungen Jahren“, verbesserte Matt rasch. „Zum Glück ist Jean bodenständiger und bei Amy in besten Händen!“

„Ich dachte“, gestand Ben und kam sich dabei fast lächerlich vor, „ich könnte deiner jüngeren Tochter auch die Natur und unser Land näherbringen und sie vielleicht sogar ein wenig dafür begeistern, genau wie Jean. Sie hat sehr viel Talent fürs Reiten, weißt du das?“

„Ach – der Ausflug, als Rachel und ich einen dreistündigen Gewaltmarsch hinter Stevie Bentley her, quer durch ganz Silvertown absolvieren durften!“ Matt lachte leise auf und probierte das teure Getränk, das ihm schon nach dem ersten Schluck im Hals brannte. „Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob Patty je erfahren hat, was das Wort Erziehung überhaupt bedeutet.“

„Damals schien sie sich jedenfalls nur dunkel daran zu erinnern“, meinte Ben ungeniert und verzog das Gesicht zu einem versöhnlichen Lächeln.

„Details solltest du mir meinen Nerven zuliebe besser ersparen!“

„Na, wenigstens hast du mit Jean ein wenig mehr Glück“, warf Ben schmunzelnd ein. „Sie passt ja irgendwie so gar nicht zum Rest deiner Familie…“

„Wahrhaftig nicht!“ Matthew seufzte tief und hörbar. „Sie hat zu viel von mir mitbekommen. Das ist in unserer Gesellschaft nicht gut. Sie hat sich dort noch nie zurechtgefunden und ich fürchte, sie wird es auch niemals ernsthaft tun.“

„Hmm...“ Bens Gedanken arbeiteten angestrengt. „Dann hat sie zumindest jetzt die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu finden. Oder glaubst du, Patty wird sich später viel von deiner Frau unterscheiden?“

Nur ungern ging Matt auf dieses Thema ein. Es bereitete ihm häufig genug Kopfzerbrechen und er hatte sich angewöhnt, es beiseitezuschieben und bestmöglich zu verdrängen.

„Manchmal frage ich mich, wo ich da hineingeraten bin.“ Seine Stirn legte sich in tiefe Sorgenfalten. „Zu Anfang unserer Ehe war alles vollkommen anders. Damals stand Rachel hinter dem, was ich entschieden habe und sie hat mich dabei unterstützt. Sie war da, wenn ich sie brauchte und hatte nicht bloß ihre eigenen Interessen im Kopf. Wäre nur dieses verfluchte Erbe nicht gewesen!“

Fragend legte Ben den Kopf schief. Seine linke Augenbraue bog sich in gewohnter Manier nach oben, wenn er stark über etwas nachdachte.

Matthew seufzte, als er den Blick des anderen Mannes bemerkte und fuhr erläuternd fort: „Rachels Vater besaß eine nicht unbedeutende Textilfabrik. Sie war seit ihrer Jugend seine Privatsekretärin, weil die Mutter früh verstorben ist und hat alle wichtigen Dinge für ihn geregelt.“

„Sie hat studiert?“

„Nein. Sie hätte beginnen sollen, Betriebswirtschaft zu studieren, ja. Allerdings kam es nie dazu, weil, nun ja, leider kam ich dazwischen! Ich – der einfache, nichtssagende Medizinstudent, neun Jahre älter und sie – die reiche, vergötterte und von allen angehimmelte Tochter eines angesehenen, harten Mannes, der nie über den frühen Tod seiner Frau hinweggekommen ist. Rachel war für ihn der einzige Ersatz. In ihr lebte seine Frau weiter und sein ganzes Leben hat sich nur um seine Tochter gedreht. Er hat ihr alles zu Füßen gelegt, was sie sich nur erträumte. Er entschied für sie und sie ist von klein an gewohnt, alles, was sie will, zu bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Als er vor zehn Jahren starb, fiel das gesamte Vermögen an Rachel: Die Firma, die Immobilien, die Aktien und Wertpapiere, das Barvermögen, die Antiquitäten… Wir haben heimlich geheiratet, ohne ihren Vater und nur mit zwei guten Freunden als Trauzeugen. Ihren eigenen Willen besaß sie schon immer!“ Er seufzte tief. „Oh, ich entsprach keineswegs den Vorstellungen von Mr. van Haren senior! Ein Geschäftsmann hätte ins Haus gehört, einer, der etwas von seinem dubiosen Wertpapierhandel versteht und vor allen Dingen von Textilien! Kein Wunder, dass er mich in seinem Testament keines Wortes bedacht hat. Allerdings zeigte auch Rachel keinerlei Interesse daran, die Hinterlassenschaften ihres Vaters fortzuführen. Wozu auch? Das meiste davon hat sie gewinnbringend verkauft: Die Firma ging an das höchstbietende Konkurrenzunternehmen, bis auf die Villa verschacherte ihr Anwalt sämtliche Immobilien zu Wucherpreisen und ein Teil der antiquarischen Einlagerungen ging an Museen oder private Sammler. So waren wir zwar hinterher an Sachgegenständen ärmer, aber auf dem Bankkonto um noch mehr Stellen vor dem Komma reicher und das konnte Rachel durchaus befriedigen.“

„Du hast dich also für deine Frau entschieden, obwohl du wusstest, was dich erwartet“, sagte Ben.

„Keine Ahnung, ob…nein, falsch.“ Matt schüttelte den Kopf. „Eigentlich war mir durchaus bewusst, worauf ich mich einlasse.“ Er lächelte und ein merkwürdiger Ausdruck legte sich auf seine schmalen Gesichtszüge. „Zum ersten Mal getroffen haben wir uns auf der Feier zu Ehren ihres Vaters, der der Universität einen neuen Chemiesaal gesponsert hat. Sie stand dort oben, auf der Bühne, in einem berauschenden Kleid aus weißer Organza, mit roten Stickereien besetzt. Sie war so wunderschön! Der Himmel weiß, woher ich den Mut genommen habe, sie hinterher anzusprechen. Es war wie ein Zwang, ich konnte nicht anders, ich musste sie um ein Treffen bitten. Du hast keine Vorstellung, wie schön sie war…“

Er sah sie vor sich, wie sie damals die Stufen herabschwebte, auf ihn zukam, charmant lächelte. Von dieser Sekunde an hatte er sie geliebt, liebte sie mehr, als er es selbst begreifen konnte, würde niemals wieder von ihr los kommen. Und Rachel? Was empfand sie für ihn? Liebte sie ihn auf dieselbe Weise? Nein, das war seine Illusion, der er sich immer dann hingab, wenn ihr gemeinsames Leben wieder einmal in völlig unterschiedlichen Richtungen verlief.

„Manchmal denke ich, sie hat mich nur geheiratet, weil ich als einziger des unzählbar großen Haufens von Verehrern so dumm war, meinen Namen herzugeben.“

Ben konnte ihm nicht ganz folgen. „Du hast deinen Name für eure Ehe geopfert?“

„Sozusagen. Bedingung im Ehevertrag war, dass ich ihren Namen annehmen würde – mein Geburtsname lautet Cordick.“ Matt seufzte. „Ohne diese Bedingung zu erfüllen, hätte sie mich nie geheiratet. Van Haren – alter, niederländischer Adel! So etwas gibt eine Frau wie Rachel nicht einfach her. Er ist ihr wichtigstes Argument in allen Streitfragen.“ Seine Miene verfinsterte sich und er äffte seine Frau nach: „‘Ich bin eine van Haren – was erwartest du?! Ich habe eine Pflicht zu erfüllen.‘“

Ben konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Von irgendwoher muss deine jüngste Tochter ihr Wesen ja mitbekommen haben!“

„Ich habe schon oft versucht, Rachel klarzumachen, dass das der falsche Ansatz ist – sie kann aus ihrer Tochter kein Ebenbild schaffen, aber auf dem Ohr ist sie taub!“ Matt machte eine resignierte Handbewegung. „Ich fürchte, Patty hat sich schon zu sehr mit ihr identifiziert. Jean dagegen…“ Er lächelte. „Sie ist eigensinnig und im Grunde ihres Herzens mutiger, als sie es selbst im Moment einschätzen kann. Sie lässt sich von ihrer Mutter keinen Stempel aufdrücken.“

Bens Blick wanderte hinüber zum Kamin, blieben an den züngelnden Flammen hängen, die allmählich niederbrannten. „Dann pass gut darauf auf, dass niemand ihr diesen Eigensinn wegnimmt. Er wird sie davor bewahren, ein Leben zu führen, das sie unglücklich macht.“

Matt ließ die Worte des Ranchers auf sich wirken. Er konnte nicht ahnen, wie häufig er sie sich in den kommenden Jahren ins Gedächtnis zurückrufen und sich fragen würde, warum alles so gekommen war. Mutig zu sein bedeutete auch, sich manchmal gegen Menschen zu stellen, die einem etwas bedeuteten, doch das erkannte Matthew erst später, sehr viel später.

* * *

Um die Zeit des späten Nachmittags lagen die Gebäude und Koppeln der Arkin Ranch für gewöhnlich ruhig und verlassen in ihrer schützenden Einfriedung zwischen den Bäumen. Die Mittagspause war vorüber, die Männer schon längst wieder draußen bei der Arbeit. Die Tore des Pferdestalls standen weit offen, sodass der auffrischende Mittagswind hineinblasen konnte. Nur in der ersten Box links stand Kitty, Amys Schimmelstute. Alle anderen Verschläge lagen leer und frisch gemistet da und schienen die dazugehörigen Tiere zurückzuerwarten.

Die Boxentür war geöffnet worden und mit besorgtem Gesicht hielt die Rancherstochter ihr Pferd am Halfter fest, während Chris McKinley immer und immer wieder mit beiden Händen am linken Vorderbein hinabstrich. Endlich richtete er sich auf.

„Was ist denn jetzt?“, brach Amy ungeduldig das bedrückende Schweigen.

Zweifelnd hob Chris die Schultern. „Meines Erachtens hat sie sich eine Sehne gezerrt, aber am besten wir holen morgen den Tierarzt, wenn es nicht besser wird, damit der sich das mal ansieht.“ Er drehte sich um und wollte den Verschlag verlassen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Hallo Jean!“

Ein wenig nervös, wie immer in seiner Gegenwart, die Hände ineinandergekrampft, verharrte das junge Mädchen im offenen Tor. Sie stand schon einige Minuten unbemerkt dort, hatte jedoch nicht gewagt, sich bemerkbar zu machen.

„Hallo“, entgegnete sie und spürte, wie sie leicht errötete. „Ich bin eigentlich nur gekommen um zu fragen, wann wir die nächste Reitstunde machen können. “

Verblüfft starrte Amy sie an. „Wolltest du nicht für die Klausur morgen lernen?“

„Ach!“ Jean winkte ab. „Die kann warten bis heute Abend.“

„Na ja“, mischte Chris sich zweifelnd ein. „Wenn du wegen meiner Reitstunde eine schlechte Note schreibst…“

„Blödsinn“, rief Jean hastig. „Ich bin spitze in Englisch!“

Ein amüsiertes Grinsen spielte um Chris’ Lippen. „Von mir aus steht im Augenblick nichts im Weg!“

Jean jubilierte innerlich. Amy half ihr, eines der Pferde von der Koppel zu holen und erzählte ihr dabei betrübt von der Verletzung ihrer Stute. So leid es Jean tat, aber sie konnte sich nicht richtig auf die Worte ihrer neuen Freundin konzentrieren. Ihre Freude, eine Stunde mit Chris auf dem Reitplatz zu verbringen, beflügelte sie förmlich und nahm jeden ihrer Gedanken vollkommen ein.

* * *

Zusammengesunken saß Matthew am Esstisch und studierte die aktuelle Tageszeitung, als seine älteste Tochter eintrat. Er war alleine. Weder von Rachel, noch von Patty hatte er seit den Morgenstunden etwas gesehen. Vielleicht vergnügten sie sich wieder damit, die Modegeschäfte abzuklappern, stundenlang Kleider anzuprobieren und sich danach in ein Café zu setzen, um allen zu zeigen, wie schick sie angezogen waren. Er seufzte. Er kannte das alles ja lang genug und es wäre wirklich an der Zeit für ihn, sich daran zu gewöhnen. Schließlich konnte er seiner Frau nicht einmal den Vorwurf machen, sein hart verdientes Geld für solchen Quatsch zu verschwenden, sie besaß ja genug eigenes, mehr als genug, erheblich mehr als er selbst jemals haben würde.

„Wo sind die anderen?“, wollte Jean, scheinbar gleichgültig wissen, aber eigentlich war die Frage überflüssig – der Cadillac stand nicht draußen, im Hof. Matthew hob den Blick und nahm sich die Lesebrille von der Nase.

„Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, Kleines. Deine Mutter wird wohl erst spät heute Abend zurück sein. Die Vorbereitungen für diese Modenschau in Summersdale beanspruchen sie voll und ganz. Und deine Schwester – ich habe keinen blassen Schimmer, wo sie sich jeden Nachmittag herumtreibt. Vielleicht ist sie mit deiner Mutter unterwegs, ich weiß es nicht. Sie erzählen einem ja nicht gerade ausführlich, womit sie ihre Zeit totschlagen.“

„Hmm.“ Jean senkte den Kopf. Sie wusste es auch nicht genau und nachdem das Verhältnis zwischen ihnen ohnehin nicht berauschend war, musste sie ehrlicherweise gestehen, dass es sie auch nicht sonderlich interessierte. Dafür musste sie die Gunst der ruhigen Minute nutzen. Ihr Vater war doch Arzt, er musste ihr all die Fragen beantworten können, die sie beschäftigten, denn wenn nicht er – wer dann?

„Daddy?“

„Ja?“

Es war ihr peinlich, entsetzlich peinlich sogar. Wenn sie irgendjemanden sonst gehabt hätte – sie wäre damit nicht zu ihm gekommen. Ihrer Mutter konnte sie allerdings unmöglich derartige Fragen stellen. Sie würde sie ihr nie beantworten, sondern glauben, ihre Tochter hätte irgendetwas Verbotenes getan. Sie hatte sich nicht für „gewisse Dinge“ zu interessieren. Sie sei zu jung und solle erst einmal zusehen, dass sie den Rest ihres Lebens auf die Reihe bekam, bevor sie mit Sachen anfing, die nicht gut für sie wären. Jean hörte noch immer den Tonfall, in dem Rachel diese Ermahnung hervorgebracht hatte im Zusammenhang mit dem vergangenen Schulball und der Tatsache, dass dort eine Menge Jungs herumliefen.

Aber Jean musste es wissen, sie musste erfahren, woher diese eigenartigen Gefühle in ihr kamen, sobald sie in seiner Nähe war. Sie kannte dieses Kribbeln, diese Ungeduld von sich nicht. Es war ihr neu und es machte sie fast verrückt, nicht zu wissen, was genau diese Sehnsucht zu stillen vermochte.

„Ich habe wirklich keine solchen Zeitschriften gelesen!“, beteuerte sie vorneweg, ehe sie überhaupt auf den eigentlichen, ihr so kritisch erscheinenden Punkt zu sprechen kam. „Wirklich nicht! Aber…nun ja, die anderen Mädchen in der Schule reden immer über solche…Sachen und…das verstehe ich nicht!“

So, jetzt war es heraus und sie konnte durchatmen. Das entsprach zumindest zum Teil den Tatsachen, obwohl erst Chris McKinleys Gegenwart sie völlig verwirrte, aber das konnte sie ihrem Vater unmöglich beichten – er würde ihr am Ende die Reitstunden verbieten.

Matthew musste sich zurücklehnen. Oh Gott – weshalb war in solchen Situationen seine Frau bloß nie da? Rachel könnte damit bestimmt viel gewandter umgehen als er!

„Was denn…für Sachen?“ Welch blödsinnige Frage! Natürlich erriet er es, sie war längst in dem Alter, in dem das Interesse daran erwachte, das war nur natürlich! Er konnte sie jetzt nicht fortschicken, wie ein kleines Kind. Sie war sechzehn, eigentlich schon eine junge Frau und war es nicht seine Pflicht, sie darüber zu unterrichten, was zwischen beiden Geschlechtern alles passierte? Könnte er es jemals verantworten, sie ahnungslos ins offene Messer laufenzulassen? Waren die Zeiten des bisweilen bösen Erwachens für die Frau in der Hochzeitsnacht nicht endlich vorbei? Es lag in seiner Hand.

Jean hielt den Kopf noch immer gesenkt, damit ihr Vater nicht sehen konnte, wie sie vor Scham errötete. Sie sprach so leise und undeutlich, dass er sie kaum verstand. „Nun ja, sie reden darüber mit einem Mann zu schlafen…“

„Ja, weißt du…“ Unruhig rutschte Matt auf dem harten, ungepolsterten Stuhl hin und her. „Das ist ein wenig kompliziert!“ Meine Güte, du bist doch Arzt! Also, benimm dich auch wie einer! „Nein, eigentlich ist es ganz einfach: Deine Schulkameradinnen reden darüber, wie Babys entstehen. Ich meine, so werden sie gezeugt, sie kommen nicht mit dem Storch. Das ist genau wie bei den Hunden oder den Pferden. Hast du das auf der Ranch noch nie gesehen? Wenn der eine auf den anderen drauf springt und…“ Er schloss die Augen. Herrgott – brachte er denn keinen vernünftigen Satz zustande?

„Nein“, antwortete Jean zögernd. „Die Pferde spielen zwar miteinander, aber aufeinander drauf springen? Nein, das haben sie noch nie getan!“

„Gut, gut!“ Matthew raufte sich das hellbraune Haar. „Hör zu: Ich gebe dir ein Buch darüber, ja? Da kannst du bis ins letzte Detail alles nachlesen! Das scheint mir am praktischsten, ja, das ist wahrscheinlich das Beste.“ Er sprang hastig auf und trat ans Bücherregal, um das entsprechende Werk herauszusuchen. Als er es seiner Tochter in die Hand drückte, blickten ihre grünen Augen ihn noch immer schüchtern und fragend an. Er musste lächeln. „Mach’ dir keine Gedanken! Irgendwann hättest du es sowieso erfahren müssen und – wenn du irgendetwas nicht verstehst: Du weißt ja, wer der medizinische Fachmann in der Familie ist, einverstanden?“

Jean nickte wortlos. Sie starrte den dünnen Band in ihren Händen an. „Die Sexualität des Menschen“ stand in großen Druckbuchstaben auf dem Umschlag.

„Danke“, murmelte sie und drehte sich um. Eiligen Schrittes lief sie zu ihrem Zimmer hinüber, erleichtert, von ihrem Vater mit so großem Verständnis behandelt worden zu sein. Sie schloss die Türe hinter sich und setzte sich an den Schreibtisch. Schnell schlugen ihre Finger das Buch auf und sie begann, die Zeilen aufgeregt zu verschlingen. Jetzt würde sie dem dunklen Schatten endlich Licht einhauchen! Endlich würde auch sie Bescheid wissen und mitreden können! Immer schneller glitten ihre Augen über die Buchstaben, saugten sie auf, um die unerträglich gewordene Neugierde zu stillen.

Jean war noch nie verliebt gewesen, jedenfalls nicht vor Chris. War sie verliebt in Chris? Vielleicht bin ich in ihn verliebt und deshalb fühlt es sich so schön an, wenn er in meiner Nähe ist.

Früher, in London, vor einigen Jahren hatte sie mit einer Gruppe von Jungen eine innige Freundschaft geschlossen und jeden Tag, nach der Schule mit ihnen gespielt – bis Rachel es unterbunden hatte. Nicht standesgemäßer Umgang waren sie gewesen, diese Gassenjungs, die Jean so angehimmelt hatte, weil sie den Mut besaßen, Süßigkeiten aus einem Geschäft zu stehlen und mit Kirschkernen Wettspucken in anderer Leute geöffnete Fenster zu veranstalten. Elf oder zwölf war sie damals gewesen. Die endgültige Trennung war ihr unerträglich erschienen. Nachdem ihre Mutter dahintergekommen war, weshalb die Schule für ihre älteste Tochter immer so ungewöhnlich lang dauerte, war sie zuerst vor Zorn völlig außer sich geraten, um Jean dann sofort in die beste und nobelste Mädchenschule Londons zu stecken – ganz gleich, dass sie monatlich ein Heidengeld kostete. Dort gab es keine Jungs und auch aus Jeans Freizeit blieben sie fortan verschwunden. In der Nachbarschaft lebten nur Mädchen ihres Alters. Die Jungen waren entweder viel älter oder noch Babys. Beides taugte nicht, um gemeinsam den Tagträumen nachzuhängen, denen sich Jean und ihre Freundin Sally so häufig hingaben, wenn sie sich vorstellten, einmal große Damen zu sein. Männer gab es da nicht – abgesehen von der Tatsache, dass sie beide natürlich verheiratet sein würden. Wieso Ehepaare Kinder bekamen, hatte Jean nie interessiert. Sie waren noch viel zu klein gewesen und ihre Gedanken und Spiele noch voll kindlicher Unschuld. Ihre Körper hatten noch keine Signale gesendet, die sie dafür empfänglich machten, aber jetzt war alles anders. Jetzt war sie sechzehn und es gab einen jungen Mann namens Chris McKinley in ihrem Leben.

Je länger Jeans Augen über die Zeilen glitten, desto aufgeregter wurde sie. Obwohl der Text sehr theoretisch gehalten war, spürte sie das Pochen in ihrem Schoss und ein Verlangen, das ihr zuvor unbekannt gewesen war. Sie konnte es nicht recht deuten, aber sie ahnte, wer es befriedigen konnte und das widerum trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Oh Gott! Ich bin doch gar nicht attraktiv und schön genug! Wie komme ich darauf, mir zu wünschen, dass er dasselbe für mich empfindet, wie ich für ihn?

* * *

Das Fenster über dem Esstisch im Wohnraum stand weit offen und die noch kühle Frühjahrsluft zog herein. Überall auf den Sträuchern und Bäumen, sogar auf den Grashalmen hing glitzernder Tau. Das Radio spielte leise die Countrymusik des Lokalsenders, während auf der gesamten Tischplatte Jeans Schulunterlagen verstreut lagen. Aus dem Mathematikordner gähnte sie das leere, weiße Karoblatt an und wartete auf die Bearbeitung der Hausaufgaben. Völlig in Gedanken versunken starrte Jean vor sich hin.

Für den morgigen Tag hatte ihre Mutter angekündigt, ihre beiden Töchter mit zu einer Modenschau nehmen zu wollen. Jean graute ein wenig bei der Vorstellung, neben ihrer Mutter und Patty und weiteren Snobs, Smalltalk halten zu müssen. Insbesondere, da sie keinerlei Interesse daran hatte, welches Kleid gerade modern war oder auch nicht. Sie wollte einfach nur zu Amy auf die Ranch und reiten!

Nachdem Rachel vor drei Tagen plötzlich aufgefallen war, dass sie ihre Familie über all ihren anderen Tätigkeiten ein wenig vernachlässigt hatte, bestand sie nun auf gemeinsamer Freizeitgestaltung. Jean seufzte unglücklich. Erst am vorigen Abend hatten sich ihre Eltern deshalb wieder lautstark gestritten. Die halbe Nacht waren ihre Stimmen durch das Haus gedrungen und heute Morgen hatte Patty ihrer älteren Schwester erklärt: „Eigentlich bist nur du daran Schuld, dass ich kein Auge zugetan habe. Bei dem Krach…“

„Wieso ich?“, hatte Jean gefragt.

„Na, weil Paps auf deiner Seite steht und Mom nicht möchte, dass du dich noch länger mit diesem Gesindel auf der Ranch herumtreibst – verständlicherweise.“

Jean seufzte noch einmal und legte den Stift beiseite. Sie fürchtete um ihre Reitstunden und die Zeit mit Amy auf der Arkin Ranch. Hoffentlich würde ihr Vater sich nicht von Rachel unterbuttern lassen! Sie wollte nichts anderes machen in ihrer Freizeit und Amy war ihre beste Freundin, die beste, die sie je gehabt hatte!

Das laute Knattern eines Automotors ließ Jean aufspringen. Eilig lief sie zum Fenster neben der Haustüre und schob den weißen Vorhang zurück.

Der alte, knallrote Pickup mit dem rostenden, eingedellten Dach bog durch die Einfahrt im Gestrüpp. Ruckartig kam das uralte, klapprige Gefährt mitten im Hof zum Stehen. Amy stöhnte schmerzhaft auf.

„Ich möchte bloß einmal wissen, was du immer mit der armen Rostbeule anstellst!“ Sie rieb sich das Steißbein, das durch die holprige Fahrt von der Ranch herüber auf dem harten, durchgesessenen Sitz äußerst mitgenommen worden war.

Beleidigt schob Trey sich den Hut aus der Stirn. „Nächstes Mal darfst du gerne hinterherlaufen!“

„Nimm es mir nicht übel“, bat Amy mit entschuldigendem Achselzucken, „aber bei den anderen bockt er wirklich nicht wie eine junge Kuh. Warte hier.“ Schnell stieg sie den hohen Absatz auf die gefrorene Erde hinunter. „Ich bin gleich zurück!“

Ahnend verzog Trey das Gesicht. „Das behaupten Frauen immer!“ Er stellte den Motor ab.

Gut gelaunt eine Melodie vor sich hin summend, rannte Amy zur Hütte hinüber, nahm die beiden Stufen vor dem Eingang mit einem Satz und schlug mit der Hand gegen die Tür. Ungeduldig trat sie von einem Bein aufs andere, während sie kleine Wölkchen in die beißend-kalte Luft hauchte. Als sich auch nach einigen Sekunden nichts rührte, donnerte ihre Faust erneut gegen das Holz.

„Hey!“, schrie Trey kopfschüttelnd vom Wagen herüber. „Du solltest den armen Leuten wenigstens Zeit geben, bis zur Tür zu gelangen, bevor du sie einschlägst!“

„Das kannst gerne du übernehmen!“, rief Amy zurück. „Ich kuck mal ums Haus!“

„Aber pass auf, dass du nicht in die Fänge der Giftschlange gerätst!“, warnte der junge Mann. Rachels Ruf als schöne, aber unerbittliche Leiterin des Modevereins hatte sich innerhalb weniger Wochen herumgesprochen und sie wurde zwar überall respektvoll behandelt, aber nur die wenigstens hatten wirklich das Bedürfnis, mehr Zeit als nötig mit ihr zu verbringen. „Mit mir als rettendem Helden wirst du nicht rechnen können!“

Amy kümmerte sich nicht um ihn, sondern lief rechts um das Blockhaus herum und hätte in ihrer Aufregung und Vorfreude beinahe das offenstehende Fenster übersehen. Erstaunt hielt sie inne. Flink blickte sie um sich, ehe sie sich kurz entschlossen hineinbeugte. Unverkennbar – das waren Jeans Schulsachen, die dort lagen und aus dem Radio drang noch immer leise Musik. Ohne lange darüber nachzudenken schwang Amy ihre Beine aufs Fensterbrett und kletterte auf allen Vieren über den Tisch.

„Jean?“, rief sie leise und sah sich neugierig im Inneren des Wohnraums um, bevor sie mit lautem Poltern zu Boden sprang. „Jetzt komm schon! Wo steckst du?“ Sie verharrte einen Augenblick. Da vernahm sie das leise Klappern einer Tür.

In ihren gewohnten Bluejeans und einer Jacke über dem Arm kam Jean aus ihrem Zimmer geeilt. „Abfahrbereit!“

„Sehr gut! Hast du Geld?“

„Geld?“ Jean starrte sie verständnislos an. „Bevor meine Mutter mir Geld gibt, muss ich genau erklären, wofür ich es haben will! Außerdem: Was soll ich damit?!“

„Auch egal!“ Amy packte sie am Arm. „Daddy hat mir nämlich eine ganze Menge Scheine mitgegeben und mir aufgetragen, für uns beide ein paar neue Klamotten zu besorgen. Wir fahren nach Silvertown zum Einkaufen! Trey bringt uns hin!“

„Das ist ja spitze!“ Jean lachte. Sie klappte das Mathematikbuch zu und schloss das Fenster. „Ich zahle es dir zurück, sobald ich meinen Vater alleine erwische. Hoffen wir, dass niemand von meiner Familie so bald nach Hause kommt.“

„Will deine Mutter immer noch Familientage einführen?“

„Ich fürchte, ja!“

Von draußen erklang ungeduldiges Hupen und Treys laute Stimme: „Hey ihr beiden! Die Geschäfte haben sogar in Silvertown nicht länger geöffnet wegen euch! Also, haltet euer Kaffeekränzchen auf der Fahrt ab!“ Demonstrativ drückte er noch einige Male auf die Hupe, die quietschend über den Hof trompetete.

Jean kicherte. Die Vorstellung, nach Silvertown zu fahren und durch die Läden zu bummeln, gefiel ihr. Sie hakte sich bei Amy und gemeinsam rannten die beiden Mädchen hinaus in das kalte Frühjahr.

Die Brücke zur Sonne

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