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6. Ein Angebot

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Dass heute das Erntefest gefeiert wurde, war kein Grund, nicht um sechs Uhr morgens auf den Feldern zu stehen und die letzten Ähren zu sensen. Das war die Meinung seines Vaters und so standen Gal und seine Brüder mittags verschwitzt im prallen Sonnenschein und jagten die Sensen durch die letzten gelben Stängel. Mutter und die Schwestern gingen hinter ihnen, sammelten sie auf und banden sie.

Das halbe Feld war schon abgeerntet. Es war das schlechteste, das immer am längsten brauchte. Selbst jetzt waren noch einige unreife Ähren unter den goldenen.

So golden wie Lukacs' Haare, dachte Gal und mähte sie nieder. Sie glänzten in der Sonne und fielen.

Alle Muskeln schmerzten, die Arme wollten aufgeben. Der Schweiß rann über seinen Rücken, Tropfen flogen durch die Luft, wenn er die Sense schwang. Er trug das Hemd um die Hüften und hätte sich am liebsten komplett ausgezogen, so drückend war die Hitze. Staub klebte auf seiner Haut.

Er ertrug seinen eigenen Gestank kaum. Hoffentlich war noch Zeit, ein Bad im Fluss zu nehmen, bevor sie zum Fest aufbrachen. Zu seinem letzten Fest. Dort würde er Lukacs zum letzten Mal sehen. Er würde ihm ein Bier ausgeben und sich verabschieden. Und dann würde er mit den Anheurern gehen, in ihrem Pulk zum nächsten Ort ziehen, mehr Söhne sammeln. Wie Schäferhunde würden sie Schafe zusammentreiben, und er war eins davon.

Sein großer Bruder Soos reckte sich, wischte sich über das Gesicht. Er nickte Gal zu.

»Sauber«, sagte er und deutete auf die Schneise, die Gal in das Feld geschlagen hatte. »Wird schwer nächstes Jahr. Ohne dich.«

»Ja.« Gal packte seine Sense fester. »Aber ihr schafft das.«

Und sie würden wieder mehr Gemüse verkaufen, zu besseren Preisen. Die Nachbarn würden öfter vorbeikommen, wenn der Verfluchte nicht mehr im Haus war.

»Eh.« Soos war groß, breit und dumm wie ein Baumstamm. Er grinste. »Hast du gehört? Kata hat Ja gesagt. Im Oktober wird geheiratet.«

»Hat sie dann schon 'nen dicken Bauch?«, fragte Gal.

Soos' Gesicht wurde noch röter. »W-was?«, stotterte er.

»Weil sie heute Nacht vom Hof geschlichen ist. Ich konnt nicht schlafen, da hab ich sie gesehen.«

Soos sah sich nervös um und Gal brummte beschwichtigend.

»Ich sag nichts. Und morgen bin ich weg.«

»Gut.« Soos räusperte sich. »Also, nicht gut, dass du gehst.«

»Danke.«

»Die Ernte nächstes Jahr. Das wird zum Kotzen. Vater kann kaum noch sensen, so krumm ist der. Das bleibt dann alles an mir hängen.« Er kniff die Augen zusammen und sah aus wie ein blinzelndes Ferkel. »He, da kommt wer. Ist das Bürgermeister Andons Sohn?«

Angenehme Schauer rannen über Gals Haut. Seine nasse, stinkende Haut. Betont langsam atmete er ein und wandte sich um.

Lukacs starrte ihn an. Er war noch ein Stück entfernt, so weit den geschlängelten Feldweg hinunter, dass er kaum größer als Gals Hand wirkte. Und doch konnte Gal sein Starren erkennen. Wie ein Prinz ritt Lukacs auf einem Apfelschimmel durch die abgeernteten Felder, auf einem Hengst, der tänzelte und Fesseln hatte, die schlanker als die von Gals kleiner Schwester waren.

Lukacs, dachte er und sein Herz trommelte einen ungeduldigen Rhythmus. Seine Brust weitete sich und er fuhr sich schnell durch die Haare, als wäre bei dem Gestrüpp auf seinem Kopf irgendwas zu retten. Die Handkante streifte ein raues Horn. Kaum hatte er die Arme gehoben, malträtierte sein Achselgeruch seine Nase.

Mist, Mist, Mist. Er stank wie ein … ein Bauer. Er schluckte. Fühlte sich grob und eklig neben Lukacs, der sauber und frisch daherkam wie immer. Dessen hellbraune Lederweste seine Augen noch mehr wie Kastanien aussehen ließen.

»Andon!«, rief Gal und schaffte es, seine Stimme nicht brechen zu lassen. Sie war nur ein wenig rauer als sonst. »Was machst du hier?«

»Ich wollte dich abholen!«, rief Lukacs zurück. Sein Blick war auf Gals bloßen Oberkörper gerichtet, die Wangen von der Hitze gerötet. »Aber am Hof war nur deine Schwester. Ich wusste nicht, dass ihr noch arbeitet.«

»Muss sein«, sagte Gal. Er stiefelte zu Lukacs hinüber. An seiner Schwester Hora vorbei, die Lukacs anstarrte, als wäre er eine brutzelnde Schweinshaxe. Gal starrte vermutlich ganz ähnlich. Seltsamerweise schaute Lukacs ebenfalls irgendwie, na, hungrig.

»Äh.« Lukacs blinzelte. Sein Pferd schnaubte nervös und er musste es zügeln. Es drehte sich einmal um sich selbst. »Ah ja. Natürlich.«

Was hatte dem jetzt die Sprache verschlagen? Gal kratzte seinen nackten Bauch und versuchte, nicht wie ein schäbiger Bauer auszusehen, obwohl Halme und Staub an ihm klebten.

»Schöner Gaul«, sagte er, um etwas zu sagen. Wie konnte es sein, dass Lukacs noch besser aussah als sonst? Vielleicht, weil er nicht wie sonst vom Schatten und Mief der Stadt umgeben war. Hier, vor den grünen Hügeln, im warmen Sonnenlicht, strahlte er noch heller.

»Ja. Ist mein Lieblingspferd.« Lukacs räusperte sich. »Also. Ich wollte dich zum Erntefest abholen. Und etwas mit dir besprechen. Aber du hast zu tun, hm?«

»Ja.« Ein Bienenschwarm summte in Gals Bauch. Lukacs wollte ihn abholen. Ihn! »Tut mir leid.«

»Geh ruhig.« Seine Mutter war unbemerkt an ihn herangetreten. »Wir machen das allein zu Ende. Hallo, Herr Andon.« Sie lächelte und entblößte ihre Zahnlücken.

Lukacs verneigte sich, wie vor einer Königin. Flink ließ er sich aus dem Sattel gleiten. »Verbindlichsten Dank, Frau Oshin. Ich hoffe, ich störe nicht allzu sehr.«

»Ne. Ne, gar nicht.« Sie errötete wie ein Mädchen. Lukacs, diese Schmalzzunge. »Geh ruhig, Gal. Wir sehen uns beim Fest.« Sie legte eine Hand auf seine Schulter und er spürte die Hornhaut in der Innenfläche, wie raue Kiesel.

»Sicher?«

Sie nickte. Schenkte ihm einen Blick, der so eindringlich war, dass sie auch gleich »Bettle ihn um Arbeit an, du Trottel!«, hätte schreien können.

Gal schluckte. Sah Lukacs an, dessen Hemd sauber und gebügelt war. Roch sich selbst.

Er schob ihr die Sense in die Hand und winkte seinem Vater zu, der aussah, als würde er gleich überkochen.

Drückt der Kerl sich am letzten Tag noch vor der Arbeit, hörte er ihn sagen. Aber Lukacs war hier. Er holte ihn ab.

Du klingst wie so eine verkackte Märchenprinzessin, dachte Gal. Reiß dich am Riemen.

»Gut.« Er trat auf den Feldweg. »Komm mit, Andon.« Er ballte die Fäuste. Marschierte voran, über den zertrampelten Weg, und wirbelte mit jedem Schritt mehr Staub auf.

Mist, dachte er. Ich stinke, ich bin verdreckt und Lukacs Andon ist hier. Wütend sah er an sich hinab. Grobe Muskeln, Schmutz und Schweiß. Was mochte das Söhnchen von ihm denken?

»Danke, dass du mich abholst, mein Freund«, flötete Lukacs. Er führte das Pferd neben sich. Die Hufe des Apfelschimmels erzeugten ein dumpfes Dröhnen auf dem Boden, das Gal bis in die Fußsohlen spürte. Goldene Ähren zogen rechts an ihnen vorbei. »Wie nett von dir. Oh, und ich habe ganz vergessen, dir einen guten Tag zu wünschen.«

»Guten Tag«, brummte Gal. »Tut mir leid, dass ich stinke.«

»Was?« Lukacs sah ihn an. Er war so nah, dass Gal die Sprenkel in seinen Augen zählen konnte. »Dass du was?«

»Ich stinke wie 'ne Wasserleiche.« Gal rieb sich über die Nase. »Riechst du das nicht?«

Die Sonne setzte Lukacs anscheinend zu, dem blassen Stadtjungen. Sein Gesicht war schon rosa.

»Stinken würde ich das nicht nennen«, murmelte er. Sah auf seine Füße. Heller Staub hatte sich auf die teuren Stiefel gelegt. »Mich stört's nicht.«

»Aber mich«, sagte Gal. »Komm mit, ja?«

»Immer, edler Freund.«

***

Es dauerte nicht lange, den Bach zu erreichen. Sonne fiel auf die locker stehenden Birken am Ufer und zauberte Muster auf das dichte Gras. Wasser gluckerte und Grillen zirpten auf der anderen Seite, wo die Kuhweide lag.

»Kannst dein Pferd da anbinden«, sagte Gal und deutete auf einen niedrigen Ast. »Oder hier warten.«

Es wäre ihm ganz recht gewesen, aber Lukacs schüttelte den Kopf. »Ich komme mit. Wir müssen reden.«

»Müssen wir das?« Angst stürzte auf Gal ein. Hatte Lukacs etwas gemerkt? War ihm klar geworden, dass Gal auf ihn reagierte, wie er es nur auf eine Frau tun sollte?

»Ja.« Lukacs räusperte sich. Schon wieder. Er räusperte sich heute oft.

»Was ist? Gibt es schlechte Nachrichten?«

Der Schönling schüttelte den Kopf. Sah wieder zu Boden, als wollte er es vermeiden, Gal anzuschauen. Kein Wunder, verdreckt wie er war.

»Eher gute. Glaube ich. Vielleicht schmeißt du mich auch in den Bach, wenn ich es sage.« Lukacs beobachtete das glitzernde Wasser. »Na, lieber in den hier als den in Hamparal. Warum waren wir hier nie angeln?«

»Wolltest du das wirklich?« Gal sah ihn erstaunt an.

»Natürlich. Na, aber noch ist ja Zeit.«

»Ich gehe morgen.« Gals Kehle wurde eng. »Heute auf dem Fest rede ich mit den Anheurern und dann …«

»Nein.« Lukacs legte eine Hand auf seinen Arm. Zuckte zurück, als wäre ihm klar geworden, dass sie dadurch schmutzig wurde. Der Sonnenbrand in seinem Gesicht wurde immer schlimmer.

»Ich hab nichts gefunden.« Gal lächelte, was ziemlich verunglückte. »Ich muss.« Entschlossen entknotete er das Hemd um seine Hüften und streifte die Stiefel ab. Öffnete den Strick, den er statt eines Gürtels trug und verharrte.

»Was ist?«, fragte Andon und klang heiser. »Bist du auf einmal schüchtern?«

»Ne. Natürlich nicht.« Gal konnte ihn nicht anschauen. Das Gras kitzelte unter seinen nackten Fußsohlen und er fühlte sich wie ein totaler Volltrottel. »Will nur nicht, dass du neidisch wirst.«

»Werd ich nicht.« Wieder ein Räuspern.

»Bist du erkältet?«

»Was?« Verwirrt schien er auch.

So schnell er konnte, ließ Gal die Hose zu Boden gleiten, riss seine Unterkleider herunter und wandte sich ab. Lief über das weiche Gras und hielt erst an, als er das Ufer erreichte. Er glaubte, Lukacs' Blicke auf dem Rücken zu spüren. Auf dem Arsch.

Trottel, dachte er. Lukacs ist nicht wie du. Als er sich umwandte, bestätigte sich dies. Lukacs band gerade die Zügel seines Apfelschimmels an den Ast und sah ihn nicht an.

Und warum war er jetzt enttäuscht? Warum sollte ausgerechnet Lukacs Andon … Schließlich war Gal ein Verfluchter und außerdem ein Mann! Er stöhnte leise und trat in den Bach. Zuckte zusammen, als das eisige Wasser seine Knöchel umspülte. Die Kälte drang bis auf seine Knochen und es tat so gut. Er watete tiefer, bis er bis zu den Hüften darin stand. Die Strömung streichelte seine Haut, er schaufelte Wasser über seine Schultern, fröstelte und begann, sich abzureiben.

»Ich habe einen Vorschlag«, sagte Lukacs hinter ihm.

Gal wandte sich um, und versuchte dabei krampfhaft, Lukacs nicht zu viel zu zeigen. »Ja?«

Sein Freund saß am Ufer, die Hände auf den Knien. Leckte sich über die Lippen, bevor er weitersprach. »Aber es ist wirklich nur das. Ein Vorschlag. Also reg dich nicht auf.«

»Ich reg mich nie auf«, brummte Gal und fuhr mit seiner Waschaktion fort. Er war verdammt froh, dass das Wasser so eisig war. Nicht, dass sein Unterleib ihn noch verriet.

»Gut.« Lukacs wirkte unsicher. Was hatte er? »Gal. Willst du für mich arbeiten?«

»Was?« Nun drehte Gal sich doch um und erinnerte sich erst einen Moment später, dass er Lukacs nun fast alles entblößte. »Für dich? Als was?«

Eine Entschuldigung war über Lukacs' Gesicht geschrieben. »Als mein Diener.« Er hob die Hände. »Bevor du antwortest, lass mich sagen, dass ich dich damit nicht ärgern will, ich dachte nur, es wäre besser als nichts, so lange du keine andere Anstellung hast. Ich will dich nicht beleidigen. Es ist ein ehrliches Angebot und die Bezahlung ist, na ja, ganz gut. Acht Gulden im Monat, zwei Mahlzeiten am Tag.« Er sah zu Boden. »Und ein Schlafplatz, also, sozusagen.«

»Sozusagen?« Etwas in Gal wollte aufblühen, jubeln, sich freuen. Aber es traute sich nicht.

»Es wäre, also. Im Stall.« Lukacs knetete seine Knie durch. »Es ist sauber, nur, halt im Stall. Wir haben keinen Platz mehr im Haus. Ich …«

»Ja. Ich mach's.«

»Ja?« Überrascht sah Lukacs auf. »Echt?«

»Natürlich, du … Holzaffe.« Gal wunderte sich, wie heiser er klang. Fast, als würde er gleich losheulen oder so. »Ich … danke. Echt. Danke, Lukacs.«

»B-bitte.« Ein Blinzeln. »Echt, du … du willst?«

He, besser als mich im Krieg mit dem Drachenbaron abschlachten zu lassen, wollte Gal sagen. Da ertrage ich sogar deine Hackfresse. Aber er schaffte es nicht, Witze zu reißen. Mist, jetzt verschwamm sein Blick doch. Lukacs machte ihn zu so einem Weichling.

»Natürlich will ich.« Gal sah in die vorbeiziehende Strömung. »Ich will nicht sterben. Und ich will …« Bei dir sein. Aber er wagte es nicht, das zu sagen. »Ja, ich will nicht sterben. Sag die Wahrheit. Du brauchst gar keinen Diener, oder? Du machst das nur, weil du mir helfen willst.«

Lukacs schwieg. Vielleicht nickte er. »Ich brauche nicht unbedingt einen Diener. Aber ich brauche einen Freund. Jemand, der weiß, wer ich bin. Was ich bin. Und der mich trotzdem mag.« Ein weiteres Räuspern. »Ziemlich egoistisch, was? Aber ich habe … Egal. Ich freu mich, dass du annimmst.«

»Ich freu mich, dass ich bleiben kann.« Der Druck in Gals Brust war unerträglich. Bei dir. Im gleichen Haus wie du. Fast. Er würde in Lukacs' Nähe sein. Er würde ihm näher sein als je zuvor. Vermutlich. »Was macht so ein Diener eigentlich?«

»Keine Ahnung.« Ein schiefes Grinsen. »Ich hab Vater gesagt, dass ich unbedingt einen Diener brauche. Also, wenn ich zustimme, Dalma zu heiraten. Wegen der Leute. Der Erbe der Aviet-Mühle sollte keine Hühner schlachten und kein Holz hacken. Das macht das Personal. Vermutlich bin ich jetzt so edel, dass ich sogar Hilfe beim Ankleiden brauche.« Er lachte. »He, ich finde schon etwas, das du tun kannst. Wir finden etwas.«

Dalma. Gal forschte in Lukacs' Miene. »Dein Vater ist dagegen, oder? Dass ich in euer Haus komme?«

Lukacs' betretene Miene sagte alles.

»He, die meisten wollen keinen Verfluchten im Haus haben. Ist schon in Ordnung.«

»Nein, ist es nicht«, murmelte Lukacs. »Er hat getan, als wollte ich einen verlausten Straßenköter reinschleppen. Ich hab Wochen gebraucht … Und er hat erst Ja gesagt, als ich versprochen habe, Dalma den Antrag zu machen.«

»So lange versuchst du das schon?« Gal blinzelte.

»Ich wollte dir nichts sagen, weil ich nicht wusste, ob es klappt. He. Ich hatte echt Angst, dass du ablehnst. Du bist so stolz.«

»Nicht zu stolz, um am Leben zu bleiben.«

Ein Eichelhäher flatterte über ihre Köpfe hinweg. Wind kam auf und jagte über die Wasseroberfläche. Sie sahen sich an. Gal traute sich, die Mundwinkel zu entspannen. Zu verziehen.

Lukacs lächelte. Ein Lächeln, das er nur zeigte, wenn sie allein waren.

»Danke. Ich werde der beste Diener sein, echt. Was immer ein Diener tut.«

»Als Erstes steigt er aus dem Bach, zieht sich an und geht mit mir ein Bier trinken.« Zähne blitzten. »Das ist ein Befehl, Bursche.«

»Fick dich, Andon.« Gal legte den Kopf schief. »Tut mir leid. Ich meinte: Fick dich, edler Herr.«

Lukacs' Lachen war dunkel und köstlich wie Süßholz. »Oshin, ich werde so einen Spaß haben, wenn du endlich unter meiner Fuchtel bist.«

Ein Schatten flog über ihnen. Ein Falke kreiste lautlos. Ein winziger Tropfen Bitternis breitete sich in Gal aus. »Was ist mit Dalma? Muss ich ihr auch gehorchen?«

»Nein, sie hat schon jemand. Eine Zofe. Deshalb konnte ich Vater überhaupt überreden, dich einzustellen. Weil ich einen Diener brauche, um Dalmas Familie zu beeindrucken.«

Gal stellte sich vor, neben Lukacs in dieser besseren Stube zu stehen und … dienerliche Sachen zu machen. Tee einkippen und so. Er ahnte, dass es nicht ganz reibungslos ablaufen könnte. Aber er schwor dem Ewigen, dass er es versuchen würde. Er würde zum besten Diener werden, den je ein Bürgermeistersohn und Mühlenerbe gehabt hatte!

»Komm endlich raus«, sagte Lukacs. »Du hast schon ganz blaue Lippen. Und dein Schwanz ist zur Nacktschnecke zusammengeschrumpelt.«

Gal sah nach unten. So ein Trottel. Das war mindestens noch eine mittelgroße Blutwurst. »Da schaust du deinem Diener hin, ja?« Provozierend nahm er seinen Schwengel in die Hand. Er wusste auch nicht, was ihn ritt. Nicht im Krieg mit dem Drachenbaron zu verrecken, machte seinen Kopf ganz leicht. Er rieb über die zarte Haut und leckte sich die Lippen. »Soll ich dir etwa auch mit Schweinkram dienen?«

Lukacs riss die Augen auf. Seine Wangen verfärbten sich dunkelrot und er hob die Hände. »Wa… Nein! Natürlich nicht! Überhaupt nicht!«

Mit der Reaktion hatte Gal nicht gerechnet. Mit Ablehnung: natürlich. Aber nicht mit dem absoluten Entsetzen.

»Piss dich nicht ein, Andon.« Er entließ seinen Kolben wieder. Wieder spürte er diese Bitternis, obwohl er hätte jubeln sollen. »War nur ein Witz. Ich weiß, dass du nicht so bist.« Und nur, um jeden Verdacht zu ersticken, fügte er hinzu: »Ich ja auch nicht. Echt, schon wenn ich dran denke, kommt mir das Frühstück hoch.«

»Ah. Ja. Mir auch. Gut, gut.« Lukacs rieb sich über die Knie. Sah zu Boden. Sein Kehlkopf hüpfte. »Uh. Jetzt komm endlich aus dem Wasser, du Ochse. Ich will los.«

Gal trat aus dem Wasser und schüttelte sich wie ein Hund. Gab sich Mühe, Lukacs zu erwischen, der lachte und aufsprang.

»Das kriegst du zurück, Bursche!«

»Nenn mich noch mal Bursche und ich versohl dir den Arsch, Andon.«

Lukacs sprang ihn an und sie rollten über die Wiese. Dunkles Lachen drang an Gals Ohren. Heiser und kehlig strömte es durch ihn und setzte ihn in Brand. Er packte Lukacs an den Handgelenken, warf ihn herum. Spreizte seine Beine mit den Schenkeln und merkte erst dann, dass sein Gegner sich nicht mehr wehrte. Heißer Atem strich über sein Gesicht. Lukacs' Pupillen weiteten sich.

»Hab ich dich«, keuchte Gal.

»Ja.« Es war nur noch ein Hauchen, das Lukacs von sich gab. Er leckte sich über die Lippen. Zuckte zusammen. Und bäumte sich auf. Sekunden später war Gal unter seinem schweren Körper begraben. Er versuchte, sich zu wehren, aber die Wärme von Lukacs' Körper, dessen Hände, die seine Unterarme umklammerten, machten ihn vollkommen bewegungsunfähig. Lukacs' Atem ging schwer von der Rangelei, seine Wangen waren gerötet. Die Haare hingen ihm wild ins Gesicht.

»Oshin«, hauchte der Mistkerl und lächelte. »Wer hat hier wen?«

Gal schluckte. Er roch Lukacs' Atem, süß und warm. Kribblige Erregung sauste in ihm abwärts, füllte seinen Unterleib und ließ ihn anschwellen.

Nein!, dachte er. Nicht. Er darf nichts merken, Ewiger. Bitte hilf mir. Er darf mich nicht hassen.

»Andon.« Er zwang sich, zu lächeln. »Komm noch näher und ich glaube, du willst mich küssen.«

»Ha. Nein.« Ein Schatten flog über Lukacs' Gesicht. »Erzähl nicht so eine eklige Scheiße.«

Es war wie ein Schlag in den Magen, aber Gal lachte hohl. »Ich wette, deine Hose platzt gleich. Pass auf, dass du die nicht einsaust, wenn du weiter auf mir rumreitest.«

Mit einem wütenden Schrei ließ Lukacs ihn los und richtete sich auf. Wandte sich ab, so dass Gal viel zu viel von seinem festen Hintern sehen konnte.

»Du kannst einem echt jeden Spaß verderben«, knurrte Lukacs. »Echt.«

Gal wandte sich ebenfalls ab, bis er sich beruhigt hatte. Nicht, dass Lukacs noch den Hammer bemerkte, der steil von seinem Körper abstand. Er atmete tief ein. Versuchte, die Berührung von Lukacs' Händen, die Hitze seiner Schenkel zu vergessen.

»Nicht meine Schuld, dass du pervers bist«, sagte Gal leichthin. Innerlich zitterte er.

Reg dich ab, befahl er seiner Körpermitte. Es half nicht.

»Wer ist hier pervers, du Hornochse?« Lukacs' Lachen klang gezwungen. »Ich geh pissen. Komm nicht auf die Idee, mir nachzulaufen, klar?«

»Lauf du mir nicht nach.« Erleichtert atmete Gal ein. Eine Gnadenfrist. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. »Ich geh auch.« Er marschierte los und wartete nicht ab, ob Lukacs noch etwas sagte. Fand ein Brombeergestrüpp am Ufer, das ihn vor dessen Blicken verbarg, und traute sich erst dann, in Lukacs' Richtung zu schauen. Der war verschwunden. Weiter hinten, halb verborgen vom Ginster, blitzte Gold. Lukacs' Haare.

Gut. »Hör auf«, befahl Gal seinem Unterleib. Wütend starrte er auf den geschwollenen Schaft. »Er wird es merken, wenn du nicht aufhörst.«

Aber es nützte nichts. Er musste zum Sünder werden, um nicht erwischt zu werden. Nach einem schnellen Blick hinter sich umfasste er seinen Schwanz und versuchte, wenigstens nicht an etwas Perverses zu denken, während er Druck abließ. Auch das klappte nicht.

Lukacs' erhitztes Gesicht erschien vor ihm, die seltsame Art, wie er sich einen Moment lang nicht gewehrt hatte, wie er einfach unter Gal gelegen hatte. Wie Gal seine Schenkel auseinandergedrückt hatte. Er stellte sich vor, Lukacs sei nackt, dass die Sonne und die Birkenblätter ein Lichtmuster auf seine helle Haut zeichneten. Dass er die Augen schloss und stöhnte. Dass seine Lippen sich öffneten, dass Gal die Kälte am Bauch spürte, als Lukacs sich aufbäumte und schrie.

Gal schrie nicht. Als der Blitz in ihn fuhr, als sein Reiben immer hektischer wurde, biss er sich auf die Lippen und grub die Zähne hinein, bis er Blut schmeckte. Nur ein dumpfes Stöhnen drang hervor, obwohl ihm schwindlig wurde vor Erlösung. Obwohl er in die Knie ging, seine Milch verströmte und helle Lichter vor seinen Augen tanzten. Das Beben in seinem Inneren ließ nach und wich wohliger Entspannung. Er betrachtete die Sauerei auf seinen Händen, auf seinen Schenkeln, im Gras, und fühlte sich tonnenschwer.

Sünder, dachte er. Biest.

Er wischte sich die Hände ab. Bat den Ewigen um Vergebung und als er sicher war, dass man ihm nichts mehr ansehen konnte, trat er hervor.

Lukacs wartete auf ihn.

»Was hat so lange gedauert?«, fragte er und seine Zähne blitzten.

»Nichts.« Gal konnte ihn nicht ansehen. Er ging zwischen den Birken hindurch und schnappte sich seine Kleidung. Streifte das Hemd über, das glücklicherweise frisch roch. Gut, dass er es die ganze Zeit um die Hüfte gebunden hatte.

»Du warst ja ewig weg. Hast du dir noch einen gerubbelt?«, fragte Lukacs.

»Ja, und dabei hab ich an deine Mutter gedacht.«

Ein Würgen. »Du bist heute echt widerlich.«

»Und du echt pervers.« Gal knotete seine Hose zu. Schaffte es immer noch nicht, Lukacs anzusehen, ohne dessen erhitztes, stöhnendes Gesicht zu sehen. Die Kälte auf seiner Haut zu spüren.

Es ist wie Schnee.

»Äh.« Er setzte sich, um seine Stiefel anzuziehen. »Also. Danke noch mal.«

»Bitte.« Lukacs wippte vor und zurück, Ferse, Ballen, Ferse, Ballen. »Also. He, vielleicht, also … Wenn wir jetzt echt lange zusammen sind, du als mein Diener und so … Ich meine.« Er seufzte. »Mann, lach mich nicht aus, ja? Aber vielleicht müssen wir uns gar nicht immer streiten.«

»Was?« Gal lachte. Wie ein Trottel lächelte er zu Lukacs hoch. »He, du weißt, wie ich es meine, wenn ich dich einen perversen Weichling nenne, oder?«

»Nein. Wie?«

Gals Herz trommelte wie wild. »Na, du weißt schon.«

»Nein, weiß ich nicht.« Lukacs legte den Kopf schief. »Meinst du, dass du eigentlich sagst: Mein Freund, ohne dich wäre mein Leben arm?«

»Ja.« Gal rieb sich über die breite Nase. »Genau das.«

»Oh.« Das Wippen hörte auf. »Ich, also. Ich auch.«

»Das weiß ich doch, Lukacs.« Mist, er wurde rührselig. »Äh. Schönling.«

»Biest.« Es lag so viel Wärme in Lukacs' Stimme, als hätte er »Liebster« gesagt. Zumindest bildete Gal sich das ein.

Du musst aufpassen, dachte er. Verrat dich nicht. Genieße und schweig und sei kein Volltrottel.

Doch sein Mund wurde nass, wenn er daran dachte, wie salzig Lukacs' Haut schmecken würde. Seine Finger zuckten vor Verlangen, ihn zu packen, wieder ins Gras zu werfen, diesmal nicht aufzuhören, ihn zu nehmen, egal …

Egal, wie sehr Lukacs ihn danach hassen würde.

Nein. Nein, das durfte er nicht tun. Nicht mit seinem einzigen Freund. Lukacs Andon, der ihn davor gerettet hatte, ein Söldner zu werden.

Trotz des Tumults in seinem Inneren lächelte Gal. »He. Ich kann's noch gar nicht kapieren. Ich werd nicht im Krieg gegen den alten Drachenbaron verrecken. Ich werd in 'nem gemütlichen Stall liegen und den Pferden beim Furzen zuhören. Und dir Tee servieren und den Arsch abputzen und was du sonst so brauchst.«

»Ich sehe schon, du wirst der beste Diener aller Zeiten.« Lukacs verdrehte die Augen.

»Werd ich.« Gal erhob sich. »Nein, echt. Du sagst was und ich mach's. Versprochen.«

»Das glaube ich, wenn ich es erlebe.«

»Glaub's ruhig. Na los, gib mir einen Befehl.«

Lukacs legte den Kopf schief. »Lass mich deine Hörner anfassen.«

Gal zuckte zurück. »Sie sind verflucht. Mach das lieber nicht.«

»Das war ein Befehl.«

Gal seufzte. Er senkte den Kopf, damit seine verdammten Hörner auf Lukacs' Augenhöhe waren. Spürte den Druck von dessen Fingern. Nicht auf den Hörnern, die Dinger waren taub. Auf der Stirn, ganz sacht, weil die Haut dort spannte.

»Du sägst sie ab, oder?« Lukacs klang interessiert. »Ich sehe die Kanten.«

»Ja. So kurz, wie ich kann.« Die Hörner waren gerade nur Stumpen. »Wenn ich sie wachsen lasse, dann … na, dann wachsen die richtig. Ich glaube, die würden einmal rund gehen und die Spitzen wären hier.« Er deutete auf seine Wangen.

»Ah.« Lukacs trat zurück. Er wirkte äußerst interessiert. »Es war ein Brandstifter, der dich verflucht hat, oder?«

»Ja. Der hatte einen ganzen Bauernhof niedergeflämmt, weil sie ihn weggejagt haben. Er hätte geerbt, wenn er kein Monster gewesen wäre. War der älteste Sohn.« Gal kratzte sich im Nacken. »Das hat ihn echt sauer gemacht. Als sie ihm die Schlinge um den Hals gelegt haben, da hat er mit den Verwünschungen angefangen, sagt Mutter. Du da, du wirst von einem Stier gefickt werden und dran verrecken. Du da, du wirst von deinem eigenen Pflug überrollt. Und du, du wirst ein Monster gebären.«

»Aber das bist du nicht. Das Monster bin ich.« Lukacs sagte es so leicht, aber Gal wusste, dass er sich sorgte. »Du bist nur verflucht.«

»Ist doch alles das Gleiche. Nur mir sieht man es an.«

»Ja.« Lukacs zögerte. »Ist irgendwas davon eingetroffen? Von den anderen Flüchen?«

Darüber hatte Gal nicht groß nachgedacht. »Keine Ahnung. Glaub nicht. Brigitta Onnig läuft jedenfalls immer noch rum, ohne von 'nem Stier gefickt worden zu sein.«

»Ganz schön fies.« Lukacs reckte sich. »Ich könnte ein Bier vertragen. Was ist mit dir?«

»Zwei. He, wenn du mir 'ne Anzahlung gibst, kann ich dir eins ausgeben.«

»Der Lohn kommt am Monatsende.« Lukacs band sein Pferd los. Der Sonnenbrand war besser geworden. Viel besser. Seine Wangen waren nur noch ganz leicht gerötet. Lag vielleicht daran, dass er ein Kalter war. »Bis dahin spendiere ich dir alles.«

»Oh.« Gal steckte die Hände in die Hosentaschen. »Gut. Aber ich will dir echt nicht auf der Tasche liegen. Sobald Zahltag war, geht's in die nächste Kneipe, klar?«

»Klar.« Ein Lächeln, so strahlend wie die Sommersonne. So hell, dass es schmerzte. »Ich freu mich drauf.«

»Ich auch.«

Einträchtig und fast ohne sich zu streiten gingen sie nebeneinander her. Über den Trampelpfad, an leeren Feldern entlang und über Wiesen, auf denen die Äste der Birnbäume sich vor Früchten bogen. Leichter Wind kühlte Gals Stirn und er konnte nicht glauben, dass Lukacs ihn gerettet hatte. Dass Lukacs ihm vertraute.

Er würde ihn nicht enttäuschen. Gleich morgen würde er herausfinden, wie man Tee richtig eingoss. Das mit dem Ankleiden war ein Witz gewesen, oder?

Was, wenn nicht?

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