Читать книгу Frostsklave - Regina Mars - Страница 8
4. Morgen
Оглавление»Nein«, sagte die Bäckerin und sah ihn nicht an. »Wir brauchen keinen.«
Gal nickte, ballte die Fäuste und bedankte sich. Die Bäckerin schwieg und holte eine neue Fuhre Brot aus dem Ofen. Er ging hinaus. Auf die Straße. Wo sie ihn anstarrten oder schnell den Blick abwandten. Hoffnungslosigkeit verknotete sich zu einem schäbigen Knäuel in seinem Magen.
Dabei war die Bäckerin noch freundlich gewesen. Freundlicher als die meisten zumindest. Richtig fies war nur der Schmied gewesen. Der konnte es sich leisten. Groß und stark wie er war, musste er keine Angst vor Gal haben. Außerdem hatte er noch einen Sohn bei sich, der gebaut war wie ein fetter Ochse.
»Dich? Als Lehrling?«, hatte er gehöhnt. »Da kann ich ja gleich den Laden dichtmachen. Wer will denn Hufeisen von einer Missgeburt wie dir? Mach dich vom Acker oder ich zieh dir eins mit dem Hammer über.«
Gal hätte es fast darauf ankommen lassen. Er hatte dem Schmied vor die Füße gespuckt und war davon gestiefelt, halb erwartend, dass der ihm folgen würde. Hatte er nicht getan, glücklicherweise. Gals Gesicht war hässlich genug, auch ohne Bearbeitung mit dem Schmiedehammer.
Dreizehn, dachte er.
Dreizehn Absagen in zwei Stunden. Dreizehn Gulden Sold, wenn er in den sicheren Tod ging. Sein Mund fühlte sich taub und trocken an. Er schlurfte durch die stinkenden Gassen, fröstelte im Schatten der schimmeligen Häuser. Hörte die Schreie der spielenden Kinder, Ziegenblöken aus einem Hinterhof. Und fühlte sich allein, obwohl er von Menschen umgeben war. Die ihn nicht ansahen.
Er gab auf.
Nur für heute, das versprach er sich, als er sich zu seinem Versteck schleppte. Am nächsten Wochenende würde er es weiter versuchen. Bei jedem Bauern auf dem Markt würde er sich vorstellen. Und vielleicht hatte seine Mutter ja Glück gehabt. Sie wollte herumfragen, sobald die letzten Rüben verkauft waren.
Gal hob das knarrende Brett und quetschte sich durch die Lücke. Der Bach murmelte, die Käfer summten, und beinahe hätte er aufgeatmet.
Dann sah er Lukacs.
»Da bist du ja.« Der Schönling grinste ihm entgegen. Als würde er ihm gehören, saß er auf Gals Lieblingsplatz am Bach und stützte die Unterarme auf die Knie. Helle Haut erschien da, wo er sein Hemd hochgekrempelt hatte. Er kaute auf einem Halm Honiggras herum und winkte Gal zu. »Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf.«
Das Brett rastete hinter Gal ein. Er starrte. Und vergaß, zu atmen.
Ein verkackt blöder Sonnenstrahl fiel zwischen den Häusern hindurch auf den Platz, auf dem Lukacs Andon saß und brachte seine Haare zum Glänzen. Und Gals Puls zum Stolpern.
Trottel, dachte Gal. Trottel, Trottel, Trottel.
Er war nicht sicher, ob er sich selbst oder Lukacs Andon meinte.
»Was willst du, Andon?«, knurrte er. »Willst du dich für die letzte Abreibung rächen? Dann hättest du mal lieber deine blöden Freunde mitgebracht.«
Das Lächeln schwand. Der Idiot wirkte fast unsicher, beinahe wie nach dem Feuer.
»Nein, also, ich meine …« Lukacs zögerte. »Du hast es doch selbst gesagt. Wir Monster müssen zusammenhalten.« Er sprach so leise, dass Gal ihn kaum verstand.
»Was laberst du?« Gal traute sich keinen Schritt weiter. Er ballte die Fäuste und sah Lukacs drohend an.
Der zuckte mit den Achseln. »Du hast es niemandem verraten, nicht wahr? Sonst wäre ich nicht mehr hier. Sonst wäre ich drüben am Pranger und Vater würde meinen Namen aus den Stammbüchern streichen lassen.«
Oh, das. Er sah den Schmerz in Lukacs' Gesicht.
»Ich hab doch gesagt, dass ich keinem was verrate, du Dummschwätzer.« Er verschränkte die Arme.
»Und du hast dein Wort gehalten.« Lukacs legte den Kopf schief. »Und du weißt, was das bedeutet.«
»Nein«, gab Gal zu. Nervosität rieselte über seinen Nacken, die ganze Wirbelsäule. Was war hier los?
»Das bedeutet«, Lukacs erhob sich und steckte die Hände in die Hosentaschen, »dass wir Freunde sind, Gal Oshin.«
»Sind wir nicht!« Angst und Wut mischten sich in Gals Bauch. Süße Worte zuckten durch seinen Kopf, von versprochenen Welpen. Er spürte längst verheilte Tritte in den Rippen.
Fall nicht drauf rein, du Trottel, dachte er. Fall nicht auf Lukacs Andon rein.
»Ich fürchte, du hast keine Wahl.« Lukacs schüttelte den Kopf. »Du hast mich gerettet, ich hab dich gerettet und du bist mir als Einziger in das Feuer gefolgt. Wir müssen Freunde sein, Gal. Alles andere macht keinen Sinn.«
Machte der Kerl sich über ihn lustig oder plante er etwas?
»Ich bin dir nur hinterher, damit keiner sagen kann, dass du mutiger bist als ich.«
Lukacs blinzelte. Dann grinste er. »So war das. Ich dachte schon, du hättest dir Sorgen um mich gemacht.«
»In deinen Träumen, du Fatzke.«
Andon ging nicht darauf ein. »Oshin, mein Freund. Lass uns nicht streiten.« Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Du hast gemerkt, dass du der Einzige warst, der mir gefolgt ist, oder? Meine Freunde waren da und die sind geblieben. Alle sind geblieben. Und ich denke, also … Ich weiß, dass jeder von denen mich verraten hätte. Verraten, was ich bin.« Er sah Gal an und einen Augenblick lang wirkte er fast verzweifelt. »Wenn meine Freunde nicht meine Freunde sind, dann bist du der Einzige, den ich habe.«
»Bin ich nicht«, knurrte Gal. »Und jetzt hau ab. Ich bin nicht dein Freund.«
Andon gab nicht auf. Er deutete auf den Bach, in dessen Schlamm etwas steckte. Zwei verkorkte, verschnürte Flaschenhälse schauten heraus.
»Aber ich habe dir ein Bier mitgebracht. Lass mich wenigstens bleiben, bis wir ausgetrunken haben.«
Gal war nicht sicher, ob hinter all dem Spott irgendwo eine Prise Ernst lauerte. Aber er wusste eins: Ein kaltes Bier war genau das, was er jetzt brauchte.
»Ist gut.« Er stapfte zu Andon hinüber, warf sich neben ihm auf die Wiese und schnappte sich eine Flasche. Das Siegel, das man in den Ton gedrückt hatte, war das der Brauerei Horvath. Edles Zeug. Er konnte sich nur das billige Gesöff von Martons leisten, und in deren Bottichen schwammen Mäuseleichen. Hatte er zumindest gehört.
»Ich hätte auch einen Wein aus Vaters Keller geklaut«, sagte Lukacs leichthin. Er öffnete die zweite Flasche und setze sie an die Lippen. »Das tut gut. Na, aber ich dachte, mein guter Freund Gal bevorzugt bestimmt Dunkelbier. Hab ich recht?«
Hatte er. »Wenn du mich nochmal so nennst, brech ich dir einen Finger.« Gal sah ihn böse an. Er zögerte, seine Flasche zu öffnen. Hatte das Gefühl, einen Pakt mit dem Herrn der Wölfe selbst einzugehen, wenn er es tat.
»Wie denn?«
»Freund.«
»Aber du bist …« Andon hob die Hände. »Schon gut. Dann nenne ich dich einfach Gal.«
»Letzte Woche hast du mich noch Biest genannt.«
»Du hast dich auch wie ein Biest verhalten.« Nachdenklich sah Lukacs in das braune Wasser, auf dem ein paar abgenagte Hühnerknochen vorbeitrieben. »Aber ich weiß jetzt, warum. Darauf hätte ich wirklich früher kommen können. Ich wollte nicht denken, schätze ich. Ich war so blöd.«
»Was laberst du jetzt wieder, Andon?« Gal drehte die Flasche in den Händen. Eiskalt. Das Bier würde köstlich schmecken. Er spürte das Prickeln bereits auf der Zunge, aber noch zögerte er.
Lukacs blickte ihn an. Kein Hauch des üblichen Spotts lag in seiner Miene. Die hellen Haare glänzten im Sonnenlicht, doch sein Antlitz lag im Schatten.
»Niemand hat dir gedankt, weil du das Kind gerettet hast«, sagte Lukacs. »Keiner, nicht mal die Mutter. Und bei mir haben sie Purzelbäume gemacht, weil ich so ein großer Held bin.« Er schluckte sichtlich. Irgendwas am Zucken seiner Kehle sandte Schauer durch Gals Körper. Er fühlte sich wie ein ausgehungerter Wolf. »Es ist nicht gerecht.« Lukacs Andon nahm einen tiefen Schluck und wieder hüpfte sein Kehlkopf. Wieder kribbelte etwas in Gals Bauch, ganz tief.
»Ist doch scheißegal, wer sich bei wem bedankt«, murmelte er. Seine Stimme klang, als wäre sein Hals staubtrocken. Half wohl nichts. Er musste einen Schluck trinken. Der Korken ploppte und Bier sprudelte über seine Hände, rann an der braunen Flasche entlang. Hastig setzte er sie an die Lippen.
Was, wenn er was rein gemischt hat?, fragte eine Stimme in seinem Kopf. Eine Kinderstimme, die wusste, wie es war, dem Falschen zu vertrauen.
Gal verharrte. Setzte die Flasche wieder ab. Leckte den Schaum von seinen Lippen.
Lukacs starrte ins Wasser. »Aber es ist nicht gerecht, Gal. Es ist einfach nicht gerecht.« Er zögerte sichtlich. »Sie haben gefragt, ob du mir was tun wolltest, da drinnen. In den Flammen. Als ob du mir deshalb hinterhergerannt wärst.«
»Und trotzdem ist keiner von deinen feinen Freunden mitgekommen«, sagte Gal. »Keiner wollte brutzeln, um dich vor dem Biest zu retten.« Ohne nachzudenken, nahm er einen tiefen, kühlen Schluck. Mist, und das Zeug schmeckte köstlich. Malzig und stark.
»Nein. Sie sind nicht meine Freunde. Nur meine«, Lukacs stützte den Kopf auf die Unterarme, »Anhänger oder so. Die mögen mich, weil ich Geld habe und weil mein Vater der Bürgermeister ist. Weil man mit mir gut Mädels kennenlernt.«
Gal dachte an die Dralle, mit der Lukacs letzte Woche unterwegs gewesen war. »Ist doch toll.«
»Es ist nicht real. Nicht echt.«
»Was ist schon echt?«
»Nur eine Sache.«
»Was denn?« Verächtlich sah er Lukacs an.
»Unsere Freundschaft.« Der Mistkerl grinste, und Gal konnte nicht anders: Er wieherte los wie ein verdammter Gaul. Es war so schwer, das Lachen abzustellen, dass er davon Bauchschmerzen bekam.
»Der war gut.« Er setzte die Bierflasche an die Lippen. »War bisher ein Scheißtag, Andon, aber du machst ihn besser.«
»He, dazu sind Freunde da.« Andon prostete ihm zu. »Ich mein's ernst, Gal. Also, natürlich nur, wenn du willst. Wenn du nicht mein Freund sein willst, dann lass es.« Er nahm einen tiefen Schluck und Gal wusste, dass nun etwas Bedeutsames kommen würde.
Lukacs rülpste.
»Entschuldige.« Er wischte sich über den Mund. »Und nur, dass du es weißt: Es tut mir leid. Echt.«
»Was? Das kleine Bäuerchen?«
»Nein, du Pfosten.« Lukacs sah ihn nicht an. »Wie ich dich behandelt habe. Du warst immer ein Arschloch, aber … na, ich hab nicht gesehen, warum. Du wurdest dazu gemacht.«
»Niemand hat mich zu irgendwas gemacht«, knurrte Gal. »Ich bin, wer ich bin, klar?«
Lukacs nickte. »Ja, das bist du. Mein bester Freund.«
»Andon, wenn du nicht gleich in der Brühe da landen willst, hältst du besser die Klappe.« Gal zeigte mit der Flasche auf die trübe Suppe, die vor ihnen entlang zog.
Lukacs hob die Hände, als würde er sich ergeben. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Als der Ewige die Schönheit verteilt hatte, war ganz Hamparal leer ausgegangen, nur diesen Mistkerl hatte er damit überschüttet.
»Ich bin ruhig«, sagte Lukacs. »Und brav.«
»Wer's glaubt.«
Lukacs schwieg.
Sie saßen nebeneinander im Gras, hörten dem entfernten Treiben der Leute zu. Schauten in den Bach, der immer neuen Unrat mitführte. Es war richtig friedlich.
»Wie ist es?«, fragte Gal und erschrak. Er hatte nichts sagen wollen! Lukacs keinen Anlass geben wollen, ihn wieder mit diesem Freunde-Blödsinn zu verwirren.
»Wie ist was?« Lukacs sah ihn spöttisch an. »So wunderschön zu sein wie ich?«
»Ne, so eingebildet.« Gal spuckte in den Fluss. »Du weißt schon. Das.«
»Reden wir über Schweinereien?«
»Was?« Gal sah ihn an und kapierte, dass er schon wieder aufgezogen wurde. »Nein, du Flockenhirn. Ich meine, wie es ist … na, das. Ein Kalter zu sein.«
Schatten huschten durch Lukacs' Miene. »Oh. Das.« Er sah Gal nicht an. »Meistens denke ich nicht daran. Keiner weiß es.«
»Und du? Wann hast du es gemerkt?«
»Uh.« Andon fuhr sich durch die Haare. »Das ist jetzt echt peinlich.«
»Erzähl.« Mist, er grinste. Er konnte nicht anders. »Scheißt du Eiszapfen?«
»Schlimmer.«
»Schlimmer geht's nicht.«
Lukacs räusperte sich. »Gut, nicht schlimmer. Aber peinlicher.«
»Sag schon, Andon.«
»Unter einer Bedingung.«
»Nein.«
»Dann nicht.«
Gal rang mit sich. »Also gut. Und jetzt erzähl.«
»Willst du die Bedingung gar nicht wissen?« Lukacs hob eine Augenbraue. »Also gut. Ich erzähle es dir. Aber du musst wissen, dass du soeben zugestimmt hast, mein bester Freund zu sein.« Er lachte. »Schau nicht so entsetzt.«
Ich bin nicht dein bester Freund, du hässliche Schweinebacke, wollte Gal sagen. Aber irgendwie schaffte er es nicht.
Lukacs räusperte sich. »Du darfst nicht lachen, ja?«
Gal nickte.
»Also.« Lukacs fuhr sich wieder durch die Haare. »Ich habe nichts gemerkt, bis ich zwölf oder dreizehn war. Dann, also …« Er rieb sich den Nacken. »Nachts. Du weißt schon. Wenn man träumt. Und am nächsten Morgen. Und so.«
»Bist du plötzlich schüchtern, Andon?«
Lukacs warf ihm einen wütenden Blick zu. »Hast du schon mal darüber geredet? Nein? Dann halt die Klappe.«
»Ich dachte, das passiert, weil ich ein Biest bin«, gab Gal zu. »Bis ich kapiert habe, dass es allen so geht. Als ich das erste Mal mit 'nem Horn in der Hose aufgewacht bin, hab ich mich zu Tode gefürchtet.«
»Es sagt einem ja auch keiner.« Lukacs knurrte leise. »Zum Glück hab ich Freunde gehabt, die mir alles erklärt haben. So halb. Und erst, nachdem sie mich ausgelacht haben. Nur, also …« Er atmete tief ein. »Es ist wie Schnee.«
»Was?«
»Das. Du weißt schon. Es ist gefroren.«
Gal lachte. Er erschrak sich selbst darüber. »Was?«
Lukacs sah auf den Fluss. »Ich erzähl dir das nur, weil ich dir vertraue, du Arsch. Und du hast versprochen, nicht zu lachen.«
»Tut mir leid.«
Bilder rasten durch Gals Kopf und auf einmal war ihm überhaupt nicht mehr nach Lachen zumute. Nun stellte er sich auch noch vor, wie Lukacs seine Wichse verströmte. Gals Mund wurde trocken.
»Ich hab kapiert, dass es nicht ist, wie es sein sollte«, sagte Lukacs. »Und es hat mir eine furchtbare Angst gemacht. Ich, also, als ich mal allein im Keller war, da hab ich es ausprobiert.«
»Dir einen zu rubbeln?«
»Nein.« Lukacs schnaubte. »Eis zu erzeugen. So wie bei dem Feuer letzte Woche. Ich hatte keine Ahnung, wie es geht, aber …« Er schwieg.
Gal dachte an die vereiste Treppe. Die gelöschten Flammen, die Decke, die plötzliche Kälte auf seiner Haut. »Ich schätze, du hast den halben Keller vereist?«
Lukacs nickte. Er war totenblass. »Ich hatte so eine Angst. Ich hab immer noch Angst. Ich hatte völlige Panik, dass jemand runterkommt, bevor das Eis geschmolzen ist. Ich …«
Er umklammerte die Knie. Packte seine leere Bierflasche und schleuderte sie in den Bach. Wasser spritzte. Sie trudelte davon.
»Warum ich?«, flüsterte Lukacs. »Was habe ich getan? Ich …« Er seufzte. »Ich habe eine Liste gemacht, weißt du? Von allen Sünden, allem, was ich falsch gemacht habe. Um es wiedergutzumachen, alles. Damit der Ewige mich wieder in sein Herz aufnimmt und den Herrn der Wölfe von mit fernhält. Ich will es nicht. Ich habe nie darum gebeten, dem Herrn der Wölfe zu dienen. Ich will nicht so sein, wirklich.«
Gal war überfordert. Aber er verstand. Er unterdrückte den Impuls, die Hand auf Lukacs' Schulter zu legen und trank seine Flasche leer.
»Du bist ein Vollidiot«, sagte er und sah auf das Wasser. »Glaubst du echt, das ist deine Schuld?«
»Natürlich ist sie das.« Lukacs klang verzweifelt. Warum tat er das? Warum öffnete er sich Gal auf diese Weise? Warum machte er sich so verletzlich?
Weil er ihm vertraute.
Gals Kehle wurde eng. »Was stand auf der Liste?«, fragte er.
»Was? Oh, auf der. Lass mal sehen. Ich habe meinen Bruder gezwickt, weil ich sauer war, dass Mutter sich nur noch um ihn gekümmert hat. Er war noch ein Säugling.« Lukacs sah ganz elend aus. »Und ich hab ihn gezwickt, bis er geweint hat. Ich habe Nagy in eine Pfütze geschubst und mich mit Fodor geprügelt. Ich habe mit Mutter und Vater gestritten. Sowas.«
»Das machen alle, du Idiot.« Gal hätte seine Bierflasche gern Lukacs' hinterher geschleudert. Aber die Dinger kosteten Geld. »Denkst du echt, der Ewige würde ausgerechnet dich dafür strafen?«
»Aber das hat er.« Die Stimme ging beinahe im Murmeln des Bachs unter.
»Das ist doch nur irgendein Scheiß, den alle nachplappern. Dass der Herr der Wölfe die Kalten und die Brandstifter geschaffen hat, damit sie an seiner Seite reiten, wenn die Größte Schlacht beginnt. Damit sie unsere Seelen vergiften und unsere Häuser abfackeln. Diese Monster waren ganz normale Leute. Das arme Schwein, das hier gelebt hat.« Er deutete auf die verbrannte Hütte. »Und das arme Schwein, das letzte Woche am Pranger war. Die waren so normal wie … na, normal halt.«
»Was willst du mir sagen, Oshin?«
»Dass du ganz normal bist. Die Kalten gehören nicht zum Herrn der Wölfe. Denk doch mal nach. Wenn du kein Monster wärst, wäre der kleine Boghos verreckt. Ach ja, und wir beide auch. Erzähl mir doch nicht, dass der Herr der Wölfe will, dass du Säuglinge rettest. Letzte Woche, da hast du dem Ewigen gedient und nicht der alten Wolfsfresse.«
Lukacs schwieg.
Gal traute sich kaum, ihn anzusehen. Und als er es doch tat, rann ein Kribbeln durch seinen Körper, das ihn ganz verlegen machte. Lukacs starrte ihn an.
»Danke, Gal«, sagte er schließlich. »Ja, ich schätze, so kann man das sehen.« Er räusperte sich. »Du hast viel über diese Dinge nachgedacht, was?«
Schnell sah Gal wieder weg. »Auf dem Feld gibt's sonst nicht viel zu tun, also, für den Kopf.«
»Ist das so?« Lukacs klang irgendwie traurig. »Ja, so muss es sein. Schließlich dienst du dem Herrn der Wölfe ebenso wenig wie ich. Egal, was alle sagen.«
Wärme breitete sich in Gals Magen aus. Als hätte er an dem heißen Rum genippt, den seine Mutter in den schlimmsten Winternächten verteilte.
»Gut«, sagte er, bevor er allzu lange darüber nachdenken konnte. »Du hast recht, Andon.«
Nein!, brüllte eine helle Kinderstimme in seinem Kopf. Vertrau ihm nicht! Vertraue niemandem!
»Womit habe ich recht?«
Gals Magen verkrampfte sich, aber die Worte brachen aus seinem Mund, ohne sein Zutun. »Ich bin dein Freund.« Kalte Angst rann über seinen Rücken. Er wartete auf Gelächter. Spott. Tritte. »Aber nicht dein bester, klar?«
»Klar.« Er hörte das Lächeln. Schaffte es nicht, weiter in die Fluten zu starren, und wandte den Kopf.
Der Mistkerl strahlte heller als je zuvor. Reinweiße Zähne blitzten im gleißenden Licht. Er legte den Kopf schief und Gal fiel auf, wie kräftig sein Kiefer war.
»Was mich betrifft«, sagte der Mistkerl, »bist du mein allerbester Freund auf der ganzen Welt.« Spott glänzte in dunklen Augen.
»Fick dich, Andon.« Gal kämpfte gegen ein Lächeln an und erhob sich. »Ich muss los. Der Markt ist fast vorbei.«
Wie um ihn zu bestätigen, schlug die Turmuhr. Dumpfes Dröhnen wehte über die löcherigen Dächer.
»Ich muss auch los.« Lukacs sah fast traurig aus. »Vater erwartet, dass ich die Abrechnungen mache. Und das Feuerholz will gespalten werden.«
»Ihr heizt? Im Sommer?«
»Wird schnell kalt in der unteren Etage«, sagte Lukacs. »Vor allem im Salon. Mutter friert leicht.«
»Ah.« Was war ein Salon? Gal rieb sich über den Hosenboden. Trockene Erde rieselte zu Boden.
Lukacs tat es ihm nach. Blöderweise drehte er Gal dabei seine Kehrseite zu. Heute trug er eine andere Hose. Eine blaue, noch dünnere, unter der sich jeder Muskel seines Arschs abzeichnete. Gal konnte nicht wegsehen. Leider. So erwischte Lukacs ihn dabei.
»Hab ich was übersehen?«, fragte er.
»Was? Ja, also. Da ist noch ein Halm.«
»Wo?«, Lukacs verrenkte sich fast den Hals. »Mach ihn weg.«
»Ne.«
Lukacs runzelte die Stirn.
Damit es nicht noch seltsamer wurde, wischte Gal kurz über den blauen Gesäßboden. So schnell, als könnte er sich verbrennen. Tat er auch. Hitze kroch über seine Fingerspitzen, schlängelte sich durch die Hand und floss den Arm hoch.
»Ist weg«, krächzte er. Er hatte sich noch nie so gefürchtet.
»Danke.« Lukacs reckte sich. Gal schaffte es endlich, wegzuschauen, aber wieder zu spät. Er hatte bereits den hellen Streifen gesehen, wo das Hemd des Schönlings aus dem Gürtel rutschte. Er hatte einen fast weißen Bauch, in dessen Mitte ein heller Haarstreifen abwärts kletterte.
Da unten ist er also auch blond, flüsterte der Herr der Wölfe in Gals Ohr. Und seine Haut ist weiß wie Milch. Sicher schmeckt sie wie Milch.
Gal ballte die Hand zur Faust.
»Du bist ganz schön blass, du feines Söhnchen. Sitzt du den ganzen Tag in der Stube rum?«
»Und du bist ganz schön gebrutzelt, du Bauer.« Lukacs hielt ihm mit einer spöttischen Geste die Zaunlatte hoch. »Nach euch, edler Freund.«
»Danke, edler Fatzke.«
»Äußerst gern, bestes Biest.« Lukacs riss Witze wie stets. Aber sie wirkten … nett. Vermutlich scherzte man so unter Freunden. Vermutlich. Gal hatte nie einen Freund gehabt. Bis auf jetzt. Es wirkte echt. Es … könnte echt sein. Zumindest erwarteten ihn Andons Freunde nicht, um ihn auszulachen oder so. Nur eine Bucklige humpelte vorbei und wandte schnell den Blick ab, als sie das Biest erblickte.
Lukacs begleitete ihn zum Markt, Witze reißend und leuchtend. Die Wärme in seinen Augen erinnerte Gal an geröstete Kastanien. Er hatte Angst. Furchtbare Angst. Aber es war unmöglich, sich loszureißen.
Ja, es war nett. Lukacs war nett. Lustig. Und er wandte den Blick nicht ab, er musterte Gal sogar, als fände er ihn spannend. Wie, hm, ein wildes Pferd, das über die Koppel tobte. Oder eine Frucht, die er nicht kannte.
Gal hatte sich nie so gefühlt. Seine Wangen waren heiß, und es kam nicht von der Sommerhitze, die sich in den Gassen staute. Er wand sich unter diesem Blick. Niemand hatte ihn je so lange angesehen. Nicht mal seine Eltern oder seine Geschwister. Er hatte nicht gewusst, wie es sich anfühlte. Als würden Ameisen über seine Haut krabbeln, aber irgendwie … schön.
»Viel Spaß mit deinen Holzscheiten, Bleichling«, sagte er und es klang nicht mal mürrisch, sondern scherzhaft und leicht.
»Viel Spaß mit deinen Rüben, du Spanferkel.« Lukacs' Blick wanderte über Gals gebräunte Unterarme. »He, du hast ja sogar Sommersprossen. Sehr kleidsam. Vielleicht sollte ich auch mal aufs Land rausfahren.«
»Willst du bei der Ernte helfen?« Gal sah ihn zweifelnd an.
»Ich dachte eher daran, am Bach zu liegen und zu angeln. Ab und zu ins Wasser zu springen, wenn ich mich nach Abkühlung sehne.« Lukacs schnalzte mit der Zunge. »Soll ich dich besuchen kommen, Oshin?«
»Nenn mich Gal«, brummte der. »Klar, komm vorbei.«
Das würde der feine Bürgermeistersohn eh nicht tun, oder? Spätestens nächste Woche würde er ihn endlich vergessen haben. Richtig? Jetzt, auf der Straße, umgeben von Menschen, die sie unverhohlen anstarrten, kapierte Gal wieder, wie unmöglich eine Freundschaft mit Lukacs Andon war. Selbst, wenn der es wirklich wollte.
Jemand würde dem Bürgermeister erzählen, dass man seinen Sohn mit dem Biest gesehen hatte, der würde Lukacs beim Abendessen rügen, und das wäre es gewesen. Also genoss Gal es. Die letzten Augenblicke mit seinem ersten, einzigen und letzten Freund.
»Großartig«, sagte Lukacs. »Zeigst du mir, wie man angelt? Ich finde es sehr romantisch, aber ich habe keine Ahnung, wie es geht.«
Romantisch? »Du weißt schon, dass du den Fischen die Kehle durchschneiden musst, oder? Und die Würmer, die spießt man auf den Haken, dass sie sich nur so winden. Da kommt irgendein Glibber aus ihnen raus, aber sie zappeln weiter.«
»Kein Problem.« Andon zuckte mit den Achseln. »Ich bin nicht völlig verzärtelt, weißt du? Ich kann Hühner und Hasen schlachten.«
»Was, echt?«
»Wer soll es denn sonst machen? Vater ist zu fett und Mutter zu krank.«
»Ich dachte, ihr habt Diener.«
»Vater hat einen Sekretär und jemand, der sich um die Pferde kümmert. Mutter hat eine Dienstmagd. Das ist alles. Wir sind keine Adligen. Er ist schließlich nur der Bürgermeister. Wenn der Herzog kommt, scheißen wir uns alle ein vor Respekt und tiefer Ehrfurcht.«
»Tut ihr das, ja?« Gal lächelte. Ja, er traute sich. Die Sonne wärmte seinen Schädel und er ging Seite an Seite mit Lukacs Andon. Besser konnte es nicht sein, oder? Da durfte man schon mal grinsen.
»Du siehst anders aus, wenn du lächelst.« Der durchdringende Blick schien durch seine Stirn zu schauen. »Fast nett. Sogar ein wenig gut.«
Gal sah zu Boden und grunzte. »Hör auf, mir zu schmeicheln, Andon. Ich bin keins von den Mädels, die dir hinterherrennen.«
»Schade. Ich hab gehofft, dass ich dich ins Heu locken kann, wenn ich dir noch ein bisschen schmeichle.«
Gal stolperte. Beinahe wäre er in einen Haufen Pferdeäpfel getorkelt. Wütend sah er Lukacs an. Der lachte aus vollem Hals.
»War nur Spaß, du Bauerntölpel!«
»Ich geb dir gleich Bauerntölpel, du feiner Pinkel.« Gal spuckte vor ihm aus.
Lukacs grinste. »Ach ja?« Er lockerte die Schultern und ballte die Fäuste. Hob das Kinn so übertrieben wie die Schauspieler, die auf dem Erntefest auftraten. »Komm doch her, wenn du dich traust.«
»Ich traue mich.« Gal tat es schon wieder: Er lächelte.
Lukacs' Gesichtsausdruck änderte sich. Von spöttisch zu überrascht. Freudig überrascht. »Echt, du bist ein ganz neuer Mensch, wenn du deine Hackfresse entspannst. Mach das öfter und keiner hat mehr Angst vor dir.«
Dann wusste Gal, was er bestimmt nicht tun würde. Dass alle Angst vor ihm hatten, beschützte ihn vor Schlägen, Spucke und Demütigungen. Die Geräusche des Marktes holten ihn ein. Das Knarren der wegfahrenden Kutschen, das Lärmen, als Kisten auf Kisten geknallt wurden. Das Klimpern von Münzen, die gezählt wurden. Der Gestank von Kohl und verschüttetem Bier.
»Bist du nächste Woche wieder hier?«, fragte Lukacs und legte den Kopf schief. Das tat er oft. Nicht auf eine unsichere Art, sondern eine durch und durch spöttische. »Ich weiß nicht, wie ich eine Woche lang ohne meinen besten Freund auskommen soll.« Er fasste sich ans Herz.
»Kannst ja nachts mit deinen Puppen kuscheln und leise meinen Namen flüstern«, schlug Gal vor.
Lukacs schloss die Augen. »Das werde ich. Oh, stinkender Bauerntölpel, werde ich murmeln und leise weinen. Ich vermisse deine mies gelaunte Hackfresse. Komm bald wieder, damit ich mich an deinem Schweinestallgeruch erfreuen kann.«
Gal wollte gerade etwas erwidern, als eine Stimme seine Gedanken abschnitt.
»Lukacs«, sagte ein bleicher Kerl mit Samthut und Pickeln. »Nervt das Biest dich etwa wieder? Brauchst du Hilfe?«
Es war nicht nur er. Es war die ganze Bande, die aus einer Seitengasse heranschlenderte. Vier andere Söhnchen, von Händlern, von Kaufleuten. Leute wie Andons Vater.
Gal kam sich schäbig vor, als er ihre leuchtenden Kleider sah. Mohnblumenrot und Blattlausgrün strahlten ihm entgegen und ließen seine graugewaschenen Kleider noch trüber aussehen.
Das ist das Problem, wenn man aufhört, wütend zu sein, dachte er. Selbst für einen Moment. Dann ist Platz für anderes Gefühlszeugs und das breitet sich aus.
Er hatte Platz für Freundschaft gemacht, aber nun drängten Zweifel und Unsicherheit durch die offene Tür. Er richtete sich auf, versuchte, groß und stark zu sein. War er auch. Aber die Unsicherheit blieb. Denn Lukacs würde mit seinen Freunden abziehen und ihn zurücklassen, oder?
»Ich brauche keine Hilfe«, sagte Lukacs. Entspannt und spöttisch wie immer. »Nicht gegen meinen Freund Gal.« Er legte einen Arm um Gals Schultern. Einen sehr kräftigen Arm.
Wenn wir wollten, könnten wir zusammen jedes von diesen Söhnchen plattmachen, dachte Gal. Er wartete. Auf ein Lachen. Auf einen Witz, darauf, dass Lukacs erklärte, das sei nur ein Scherz gewesen.
Aber der lächelte. Wie ein Kater, der Milch riecht. »Gehen wir, Gal. Ich will noch ein paar Rüben kaufen, wenn welche übrig sind.«
Sanft stieß er ihn vorwärts. Gal kam sich wie ein gerettetes Fräulein vor und außerdem wie ein ungeschickter Klotz. Aber vor allem war er stolz. Das Gefühl summte durch seinen Leib, ließ seine Brust schwellen und seine Schritte noch raumgreifender werden.
»Ich such dir ein paar besonders schöne Rüben raus, wenn welche übrig sind«, sagte er. »Warum hast du das gesagt?«
»Weiß nicht«, log Lukacs. Offensichtlich log er. So unschuldig, wie er schaute, war nicht mal eine zwölfjährige Nonne. »Ich hatte plötzlich Lust auf Rüben.«
Leider gab es keine mehr. Gals Mutter spannte bereits das Pferd vor den leeren Karren und er hatte keinen Zweifel, dass sie den Stand eingepackt hätte und verschwunden wäre, wenn er nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre.
»Wo hast du dich rumgetrieben?«, motzte sie. »Die Rüben sind lang verkauft und nur, dass du's weißt: Keiner hat Arbeit für dich. Trau dich bloß nicht, rumzuheulen deshalb. Klar?« Ihre Augen weiteten sich, als sie Lukacs erblickten. »Oh. Hallo.«
»Frau Oshin.« Er lächelte strahlend und verbeugte sich knapp. »Wie kann ich beim Abbau helfen?«
Hatte er nicht heimgehen wollen? »Kannst mit mir den Stand abbauen«, brummte Gal und deutete auf das Holzgestell, das mit leeren Kisten bestückt war.
»Gerne.«
Gemeinsam hatten sie das Teil in Windeseile abgebaut. Lukacs stellte sich gut an, für ein Söhnchen. Ein Söhnchen, das Tiere schlachten und Feuerholz schlagen konnte, wie seine kräftigen Armmuskeln bewiesen. Gals Mutter konnte sich auf einer umgedrehten Kiste ausruhen und ihre Pfeife rauchen. Der widerliche Gestank des brennenden Wacholders wehte ihnen um die Nasen, als sie die Stangen einluden.
»He, Gal«, sagte Lukacs und reichte ihm die letzte Kiste. »Suchst du etwa Arbeit? Oder was hat deine Mutter da gesagt?«
Alles in Gal verkrampfte sich. Er nickte. »Zum Erntefest muss ich was gefunden haben.«
»Und was für eine Arbeit suchst du?«
»Ist doch egal.« Gal rammte die Kiste auf die nächste und rief: »Mutter! Wir sind fertig!«
Er spürte Lukacs' Blick auf sich, als er vom Karren sprang und sich streckte.
»Ist es schwer, Arbeit zu finden?«, fragte Lukacs, als würde er sich nach dem Wetter erkundigen.
»Ja, wenn man sowas hier hat.« Gal tippte an sein linkes Horn. »Und sowas.« Er zeigte auf seine roten Augen. »Und außerdem verflucht ist. Kann froh sein, dass sie mich noch nicht an den Pranger gestellt haben. Arbeit will mir keiner geben.« Es war schwer, das Lukacs zu erzählen, dem vermutlich jeder in Hamparal eine Anstellung angeboten hätte, und dazu noch eine gute Mahlzeit, ein Bier und eventuell eine kleine Rangelei im Heu.
»Oh.« Lukacs wischte sich die Hände an den Hüften ab und verzog den Mund. »Tut mir leid.«
»Ist ja nicht deine Schuld«, murmelte Gal. »Schätze, also, wir sehen uns nächste Woche?«
»Auf jeden Fall.« Warum lächelte der Kerl so viel? Das war, als hätte man die schärfste Klinge der Welt und würde achtlos damit rumfuchteln. »Selbe Zeit, selber Ort?«
Gal nickte. Und freute sich, dass er nach der nächsten Runde sinnloser Bewerbungen etwas hatte, das ihm tatsächlich Spaß machen würde.
»Ich bring Bier mit«, Lukacs grinste und Gal wusste, was jetzt kam, »mein Freund.«
Gal nickte wieder und kam sich wie ein Bauerntrampel vor. Zwei kichernde Mädels gingen an Lukacs vorbei und schauten ihn an, als wollten sie ihn bei lebendigem Leib verspeisen.
»Bis dann«, brummte Gal und schwang sich auf den Kutschbock. »Hack dir keinen Finger ab, wenn du mit der Axt spielst.«
»Lass dich nicht von den Schweinen zertrampeln, wenn du ihnen einen Gutenachtkuss gibst.«
Gal grunzte schon wieder. »Ich werd eins von ihnen Andon nennen, wenn du so weiter laberst.«
»Und ihm einen Kuss geben?«
Hitze kroch in Gals Wangen. »Träum weiter.«
»Wer träumt hier von wem?« Das Grinsen wurde breiter. »Pass auf, dass dein Höschen nicht nass wird, wenn du nachts an mich denkst.«
»Pass auf, dass ich dir nächste Woche nicht den Arsch versohle.«
»He, ist doch nicht meine Schuld, wenn du von mir träumst.« Lukacs steckte die Hände in die Hosentaschen und wippte vor und zurück wie ein übergroßer Lausbube. »Bis dann.«
Gal winkte knapp, wartete mit angehaltenem Atem, dass seine Mutter endlich neben ihm auf den Kutschbock geklettert war, lockerte die Zügel und schnalzte mit der Zunge. Viel zu langsam setzte die alte Mähre sich in Bewegung. Sein Kopf war heiß und das, obwohl sich Wolken vor die Sonne schoben und die Sommerhitze für einen Moment milderten.
Er glaubte, Lukacs' Blick im Nacken zu spüren, da, wo es brannte und kribbelte. Erst, als sie zum Ende des Marktes geholpert waren, wagte er einen schnellen Blick zurück.
Lukacs sah ihm nach. Mitten auf dem Marktplatz stand er, den Pranger hinter sich und musterte Gal, durchbohrte ihn mit seinem Blick, dass ihm ganz anders wurde. Eine Brise wirbelte die miefige Luft durch und ließ Lukacs Andons Haare flattern. Riss an seinem Hemd und presste es so dicht an seine Arme, dass jeder einzelne Muskel sichtbar wurde.
Lukacs lächelte. Nicht spöttisch, nicht überheblich. Wehmütig.
Scheiße, dachte Gal. Ich bin erledigt.