Читать книгу Schokoladenschwestern - Regina Reitz - Страница 7
5. Kapitel
Оглавление„Kneif mich mal! - AUAAA! Bist du bescheuert?“
„Du hast gesagt, ich soll dich kneifen.“
„Na und? Das habe ich doch nicht ernst gemeint.“ Sven betastete vorwurfsvoll seinen Arm.
„Selbst schuld! In Zukunft bist du halt vorsichtiger mit dem, was du dir wünschst. Es könnte nämlich in Erfüllung gehen.“ Eva grinste diabolisch.
„Als ob ich das nicht wüsste, aber dass die da wieder auftaucht, habe ich mir ganz sicher nicht gewünscht.“ Sven zeigte in meine Richtung.
Ich stand in der Eingangstüre des Lokals und schaute unsicher zu ihnen herüber. Es war eine blöde Idee gewesen, noch einmal an den Ort meiner Schande zurückzukehren, aber nachdem ich meinen Eltern endlich gebeichtet hatte, wie der Abend im Restaurant verlaufen war – es waren nur ein paar wesentliche Details unter den Tisch gefallen - hatte meine Mutter keine Ruhe gegeben, bis ich mich bereit erklärte, wenigstens Bluse und Schürze zurückzubringen. Auch wenn ihre Tochter in allen anderen Dingen versagte, eine Diebin würde nicht aus ihr werden.
„Porco Dio! Was will die denn hier?“, fauchte Eva. „Sag der Chaos-Kuh, sie soll wieder verschwinden!“
Aber Sven sagte der Chaos-Kuh nicht, dass sie wieder verschwinden sollte, nein, er sagte der Einfachheit halber überhaupt nichts mehr.
„Na los! Mach schon, bevor ich es tue!“
Evas Drohung schien Sven wachzurütteln und immerhin besaß er genug Herz, mich nicht völlig schutzlos ihrem Zorn auszuliefern. „Komm schon, ganz so unschuldig waren wir auch nicht an dem Chaos“, wagte er einzuwenden.
Ich hatte es gewusst! Die beiden mussten die Wasserflasche manipuliert haben, aber dass aus dem Streich eine richtige Katastrophe entwachsen war, daran trug ich ganz allein die Schuld.
Offensichtlich teilte Eva meine Ansicht. „Sven, hör auf, mir in den Rücken zu fallen. Wenn diese stupida mucca nicht hier aufgetaucht wäre, hätte ich mit Max gearbeitet und alles wäre in schönster Ordnung gewesen.“
Ihre Worte taten unerwartet weh, aber es half alles nichts, ich musste da jetzt durch und je schneller ich es hinter mich brachte, umso besser. Also straffte ich meine Schultern und wagte mich hinein.
„Achtung, sie kommt näher!“, flüsterte Sven.
„Mir doch egal! Kann sie ruhig hören, dass hier keiner Bock auf sie hat.“ Eva verschränkte die Arme vor ihrem Busen, der heftig auf und ab wogte.
„Hallo!“ In gebührendem Abstand blieb ich vor ihnen stehen.
„Hallo!“, presste Sven hervor.
Eva hingegen schwieg. Stattdessen blickte sie stur auf einen Punkt hinter mir, während ihre Fingerspitzen ein wildes Stakkato gegen das blank polierte Holz des Tresens trommelten, so dass man sich Sorgen machen musste, ob das edle Holz diese Tortur unbeschadet überstehen würde.
„Ich wollte die Sachen zurückbringen. Ich habe sie gestern versehentlich anbehalten.“ In gebührendem Abstand zu Eva legte ich die Schürze und die rote Bluse auf den Tresen. „Es ist auch schon alles gewaschen und gebügelt. Das hat meine Mutter heute Mittag noch schnell erledigt.“
Eva verdrehte die Augen. „Na klar, die Maaamaaa! Wer auch sonst?“
„Es tut mir leid wegen gestern und ich hoffe, es war nicht so schlimm für euch.“
Svens Blick schoss ahnungsvoll zu Eva, die so viel Luft in sich hineinpumpte, dass jedes in ihrer Nähe befindliche, sauerstoffbetriebene Wesen umkippen musste. Warum Sven noch immer auf seinen Füßen stand, war mir ein Rätsel. Anscheinend hatte Eva genug gepumpt, denn plötzlich legte sie los. „Dass es nicht so schlimm war für uns? Sag mal, wie bescheuert bist du eigentlich?“ Wütend sprang sie vom Hocker und stampfte auf mich zu.
„Oh, wie wundervoll! Da sehe ich Sie friedlich miteinander vereint. Ich bin gespannt zu hören, wie Ihr erster gemeinsamer Abend verlaufen ist.“ Mit ausgebreiteten Armen und einem noch breiteren Lächeln betrat Herr Sillich das Restaurant und rettete mich vor dem sicheren Tod. „Sie müssen Pauline sein. Wie schön! Pünktlich zum Dienst. Ganz der Vater. So pflichtbewusst und eifrig. Ich hoffe, Sie hatten einen guten Start mit Eva und Sven? Ach, was frage ich? Die beiden sind ja meine besten Leute und ich nehme mal an, dass auch Sie gute Arbeit geleistet haben, sonst wären Sie heute nicht wieder hier, nicht wahr?“ Herr Sillich lachte jovial.
Er war aufgekratzt wie das Duracell-Häschen aus der Werbung, dem man jedoch nicht vier Batterien, sondern gleich einen Starkstromanschluss verpasst hatte. Eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Plüschgesellen ließ sich auch nicht leugnen. Herr Sillich besaß eine ziemlich kleine Nase, die in die Höhe strebte und die bei einer Frau vermutlich niedlich ausgesehen hätte. Ihm hingegen raubte sie jegliche Männlichkeit. So klein das Näschen war, so lang waren seine Zähne.
„Ludwig wird sich freuen, wenn ich ihm davon berichte, wie schnell Sie sich bei uns eingelebt haben. Er kann sehr stolz auf seine Tochter sein und ich freue mich, Sie in unserem Team begrüßen zu dürfen!“ Die Arme wurden noch ausladender zur Seite gestreckt. Dann blieb Herr Sillich abrupt stehen, so als hätte jemand dem Duracell-Häschen den Strom gekappt. Das spitze Gesicht wurde noch spitzer und die kleine Nase zuckte unkontrolliert. Dafür weiteten sich die Augen unnatürlich und wanderten beständig von uns zum Aquarium und wieder zurück, bis sie schließlich bei den Meeresbewohnern hängen blieben. Das Wasser im Aquarium war über Nacht klarer geworden, was nicht unbedingt von Vorteil war, gab es doch nun einen gnadenlosen Blick auf die Zerstörung preis.
Aus Herrn Sillichs Kehle entfuhr ein Ton, der irgendwo zwischen gewürgtem Frosch und überfahrenem Igel anzusiedeln war. „Was ist das?“, krächzte er und ging vor den Meeresbewohnern in die Knie. „Wo sind sie denn alle?“
Fassungslos begann er seine heißgeliebten Fische zu zählen, aber so sehr er sich auch anstrengte, nach dem vierten Fisch war Schluss. „Wo sind sie hin? Und warum sieht es so schrecklich aus?“
Mir zerbrach das Herz, wie er so kummervoll vor dem Aquarium hin und her rutschte und um seine Fische trauerte. Wenn Herr Sillich seine Kinder verloren hätte, sein Schmerz hätte kaum größer sein können.
Und wer trug die Schuld daran? Ich! Ich ganz allein! Also musste ich auch die Verantwortung auf mich nehmen und deshalb wagte ich mich einen Schritt vor, obwohl ich am liebsten davongelaufen wäre.
Eva, die meine Absicht zu erraten schien, preschte ebenfalls vor. „Herr Sillich, wie soll ich es sagen? Also gestern, also, da gab es ein Problem“, bemühte sie sich um eine Erklärung, von der sie selbst noch nicht wusste, wie sie ausfallen sollte.
„Was sagen Sie, Eva? Was denn für ein Problem?“
Sven und Eva sahen sich an, dann schauten sie zu mir.
Warum war ich bloß noch einmal in dieses blöde Lokal zurückgekommen?
Eva fluchte leise vor sich hin und Sven knetete seine Hand, die immer noch bandagiert war.
„Das war der Hund! Ja, der Hund war das“, stammelte ich. Zunächst waren meine Worte unverständlich, lediglich ein Flüstern, dann jedoch gewannen sie an Stärke, bis sie an Sillichs Ohr zu dringen vermochten.
„Der Hund? Von welchem Hund reden Sie in Gottes Namen?“
„Nun ja, das war so ein kleiner, bulliger. Eine Französische Dogge, glaube ich.“
„Ja und? Wie kommt die Dogge an meine Fische?“
Sollte ich Herrn Sillich sagen, dass Eva und Sven mir einen Streich gespielt hatten, der so ziemlich in die Hose gegangen war? Verdient hätten sie es, aber etwas ließ mich zögern. So gemein sie sich mir gegenüber benommen hatten, sah ich doch, dass sie es am liebsten rückgängig machen würden. Herrn Sillich dermaßen leiden zu sehen, hatten sie ganz bestimmt nicht gewollt.
„Es war eine ganz besondere Dogge“, beeilte ich mich zu erklären. „Eine dressierte Dogge sozusagen. Eine Zirkusdogge. So eine, die Kunststücke kann und diese konnte den Deckel des Aquariums öffnen.“
Zwar hörte Herr Sillich den Unsinn, den ich von mir gab, aber er reagierte nicht darauf. „Schauen Sie nur! Pavarottis Flosse ist angeknabbert.“ Das Entsetzen in seiner Stimme steigerte sich mit jedem einzelnen Wort.
„Ja, aber Pavarotti hat sich gewehrt“, platzte Sven nun heraus.
Evas und mein Kopf flogen gleichzeitig zu ihm herum.
„Was redest du für einen Scheiß?“, zischte Eva ihrem Kollegen zu. „Ein kleiner Fisch hat sich gegen einen Hund gewehrt? Wie das denn? Etwa mit Karate?“
Auch Herr Sillich runzelte die Stirn. „Er hat sich gewehrt? Wie hat er das denn geschafft? Gegen einen Hund hat er doch überhaupt keine Chance.“
„Nun, er ist ganz schnell geschwommen, so dass der Hund ihn nicht packen konnte“, beeilte ich mich zu antworten und erntete damit nicht nur einen anerkennenden Blick von Sven, sondern auch von Eva.
„So schnell ist er geschwommen? Der arme kleine Kerl. Der Stress hätte ihn umbringen können.“
„Von dem anderen Stress ganz zu schweigen“, murmelte Eva.
„Warum, in Gottes Namen, haben Sie denn nichts unternommen?“
Sven hob vielsagend seine bandagierte Hand. Sein Blick drückte Kummer und Schmerz aus. Er stand da, wie der tragische Held einer Apokalypse, dem es nur unter dem risikoreichen Einsatz des eigenen Lebens gelungen war, wenigstens vier Bewohner des Paradieses zu retten.
„Sven, hat der Hund Sie etwa gebissen?“
„Äh, nun ja, nicht direkt. Aber er hat es versucht.“
Diese Information reichte Herrn Sillich vollkommen aus.
Eine Weile schwiegen wir, in gemeinsamer Trauer und in Gedenken an die Flossenträger vereint.
„Die Hundebesitzer wollen Anzeige erstatten“, brachte Eva uns schließlich alle ins Hier und Jetzt zurück.
„Die wollen was?“ Sillich sprang empört auf die Beine.
„Ja doch, das sind so ein paar Wichtigtuer! Studenten von der Uni. Jura oder so. Die haben sich unmöglich benommen. Sie waren arrogant und überheblich und sie meinten, wir hätten Schuld und es wären ja auch nur ein paar blöde Fische.“
DAS hatten die Studenten nicht gesagt, da war ich mir ziemlich sicher. Sie hatten andere, wirklich sehr unschöne Dinge von sich gegeben. Blöde Fische war jedoch nicht dabei gewesen. Dieses Attribut und noch weitaus fantasievollere hatten sich die Studenten für uns aufbewahrt, aber Eva wäre nicht Eva, wenn sie nicht gewusst hätte, welche Wirkung ihre Worte erzielten. Und sie sollte recht behalten.
„Blöde Fische? BLÖDE FISCHE!“, ereiferte sich Herr Sillich. „Diese Leute sollen mal kommen. Dann werden sie mich kennenlernen! Blöde Fische! Diese Banausen sollten lieber Biologie statt Jura studieren, damit sie eine Ahnung von den Dingen bekommen.“ Herr Sillich war sichtlich empört. „Jetzt ab an die Arbeit mit euch!“, befahl er. „Ich habe noch etwas zu erledigen!“ Er stürmte aus dem Lokal und brauste davon, nur um eine knappe Stunde später wieder aufzutauchen.
Die Gäste, die an diesem Abend das Lokal betraten, taten dies mit einem Ausdruck der Verwunderung im Gesicht.
Der Deckel des Aquariums war nun mit einer Kette und einem riesigen Vorhängeschloss gesichert und das Aquarium selbst wurde von einem neuen, stabilen Gestell getragen.
Die größte Verwunderung löste jedoch das neue Schild aus, das an der Eingangstüre des Restaurants prangte. In dicken Lettern war darauf zu lesen:
Hunde und Jurastudenten müssen draußen bleiben!