Читать книгу Operation Spandau - Reginald Rosenfeldt - Страница 6
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ОглавлениеMichael Herold parkte vor der vertrauten Front der „Bull Eyes Taverne“ und gähnte ungeniert. Der Einkaufsbummel mit Elzbieta hatte den ganzen Nachmittag in Anspruch genommen, und nun dürstete es ihn geradezu nach einem erfrischenden Red Barrel. Das süffige Starkbier floss nur in wenigen Berliner Kneipen und am liebsten genoss es Michael immer noch in der Taverne: Bis zum Rand eingeschenkt und, entgegen den sonst üblichen englischen Gepflogenheiten, eiskalt serviert.
„Cheers!“ Erwartungsvoll öffnete Michael die rotlackierte Tür und bemerkte sofort über der dicht gedrängten Menge Bills wirren, grauen Haarschopf. Der baumlange Wirt stand regungslos hinter seiner Theke und zelebrierte gerade die geheiligte Prozedur des schaumlosen Bierzapfens. Mit einem erfreuten Lächeln blickte er jetzt kurz von seinem schräg unter den Hahn gehaltenen Glas auf und Herold erwiderte den stillen Gruß mit der erhobenen rechten Hand.
Gut, dachte er dabei, unter zwei oder drei Red Barrel brauchte er erst gar kein Gespräch mit Bill zu beginnen. Also auf einen langen, anstrengenden Abend! Gutgelaunt schlängelte sich Michael durch den überfüllten Raum und schlug im Vorbeigehen einem ihm flüchtig bekannten Sergeanten auf die Schulter. „Everything all right, Peter?“
„Couldn’t be better! “ Der Sergeant grinste entschuldigend mit vollem Mund und würzte, ohne aufzublicken, seine Portion fish and ships mit einigen Tropfen Vinegar nach. Wie die meisten der hier anwesenden Berufssoldaten war er in den nahegelegenen Brooke Barracks stationiert und besuchte die Taverne eigentlich nur für eine ruhige Partie Dart. Die bunten Plastikpfeile schwirrten auch heute von lautstarken Kommentaren begleitet zielsicher durch den dichten Tabaksqualm und den aktuellen Punktestand notierte ein Offizier der Royal Air Force auf der ehrwürdigen Schiefertafel neben der Toilettentür.
Herold bewunderte einen Augenblick die unleserlichen Zahlen, dann trat er einen Schritt vor und zwängte sich zwischen zwei Soldaten an die Theke. Der Uniformierte neben seiner linken Schulter rückte etwas zur Seite und Michael ergriff ungefragt einen half-pint des am Spülbecken stehenden, rötlichen Bieres.
„Cheers Bill!“ Der hagere Schotte wölbte nur vielsagend die rechte Augenbraue und schob statt einer Antwort den nächsten leeren Krug unter den Zapfhahn.
Michael Herold lächelte belustigt; das war wieder eine von Bills typischen Reaktionen. Nicht vorhersehbar und genauso widersprüchlich wie seine gesamte Biographie. Nach seinen eigenen humorvollen Erinnerungen scheiterte Bill 1945 schmählich an der streng verbotenen Fraternisierung mit den deutschen „Fräuleins“, und damit blieb ihm nur die Wahl zwischen den grünen Hügeln Schottlands und einem smaragdfarbenen Augenpaar. Bill traf nach einer durchzechten Nacht die einzig richtige Entscheidung, heiratete Edith genau einen Monat nach seiner Entlassung aus der Armee und sah das heimatliche Inverness nur noch sporadisch im Urlaub wieder. Zahllose berufliche Fehlschläge belasteten am Anfang die Ehe, und erst in den späten Sechzigern änderte sich Bills Pechsträhne mit einem Schlag.
Er übernahm eine heruntergewirtschaftete Kneipe und verwandelte sie innerhalb eines Jahres in einen liebevoll eingerichteten Pub. Hier fanden die in der Nähe stationierten Soldiers schon bald ein Stück Heimat und die übrige Nachbarschaft schätzte einfach nur das gute Bier. Das Herzstück der „Bull Eyes Taverne“ aber war und blieb: Bill. Dank seines unerschütterlichen Optimismus schien ihn nichts wirklich aus der Ruhe zu bringen, und genau diese Zufriedenheit spiegelte sich auch heute in seinem Gesicht wieder, als er Michael gutgelaunt fragte: „Endlich Feierabend oder immer noch auf der Jagd? Raider of the missing clue, eh?“
„Wenn du unbedingt einen zahlenden Gast verlieren möchtest, rede nur ruhig weiter!“ Michael Herold genehmigte sich einen großen Schluck und blickte sich dabei suchend um. „Apropos, ich vermisse einige deiner Stammgäste. Kann es sein, dass das Bier heute Abend vielleicht ein bisschen zu warm ist?“
„Come on, Mike! Du weißt doch ganz genau, dass die Jungs schon in der Kaserne für den Ernstfall schwitzen!“ Bill unterbrach sich, als er Michaels verständnisloses Gesicht bemerkte. „Hey, du bist ja wirklich nicht über die große Show informiert. Wach auf, Mike, „Unternehmen Winterschlaf“! Das alljährliche Manöver in Spandau! Richtig komplett mit Straßenkämpfen, Übungsmunition und Panzern. Mein Gott, sprich doch mit Peter, der ist schon ganz wild darauf, mit geschwärztem Gesicht durch die Altstadt zu rennen.“
Bill deutete mit dem frisch polierten Guinnessglas auf den Sergeanten. „Für ein oder zwei Bier drückt er dir bestimmt eine Kopie des Marschbefehls in die Hand; vorausgesetzt du hast überhaupt noch Zeit für diese Peanuts. Charlys Tod hält dich bestimmt mächtig auf Trab.“
„Ehrlich Bill, ich habe schon immer deine feine Nase bewundert.“ Michael Herold zog Leos Passbild aus der Tasche und schob es mit dem Zeigefinger zwischen die fertig gespülten Gläser. „Dieser Mann muss vor ungefähr drei, vier Tagen hier gewesen sein. Er sprach gebrochenes Deutsch mit einem leichten französischen Akzent.“
„Du lässt wirklich nichts aus! Ich habe doch gleich gewusst, dass der Typ nicht sauber ist.“
Ein kaltes Glitzern schimmerte in Bills grauen Augen, als er das Foto zurückreichte. „Ich nehme an, das ist einer von Charlys polnischen Geschäftspartnern? Das würde mir zumindest erklären, wieso er es gewagt hat, sich mit den Stinkern ausgerechnet in meinem Pub zu verabreden.“
„Bitte?“
„Der G.O.S., Mike! Trotz des Hausverbotes sind die Kerle hier einfach rein marschiert und diesmal war sogar ihr großer Boss Glaser dabei. Völlig ungerührt wickelte er mit deinem polnischen Freund einen Deal ab und verschwand dann wieder.“
Äußerlich völlig ruhig ergriff der Schotte ein neues Glas und hielt es gegen das Licht. „Also, was ist es diesmal? Verschieben die Polen jetzt zollfreien Alkohol aus dem Naafi-Club?“
Bill starrte Michael Herold einen Moment verblüfft an, dann überzog ein ungläubiges Lächeln seine markanten Gesichtszüge. „Du hast überhaupt keine Ahnung wovon ich rede, nicht wahr? Mike, dein Bekannter ist eine Connection mit dem G.O.S. eingegangen!“
„Leo und der German Object Service?“ Michael Herold schüttelte überrascht den Kopf. „Mein Gott, auf diesen Verein hätte ich nicht einmal in meinen übelsten Träumen getippt!“
„Ja, die Boys sind immer für ein paar bad news gut.“ Bill stellte unaufgefordert für das langsam schal werdende Bier ein frisch gezapftes auf den Tresen. Spülwasser tropfte von dem geriffelten Glas herab und Herold zog nachdenklich mit dem Finger eine feuchte Linie über die Tischplatte.
„Der G.O.S! Das ist doch nicht Charlys Gewichtsklasse, nicht einmal seine Liga. Und überhaupt“. Michael dämpfte nach einem Seitenblick in die unbeteiligten Gesichter seiner Nachbarn vorsichtshalber die Stimme. „Versteh mich nicht falsch, aber ich habe es eigentlich nie verstanden, warum unbedingt ein schlecht bezahlter deutscher Schutzdienst die Alliierten Einrichtungen bewachen muss. Das gibt doch nur böses Blut auf beiden Seiten!“
„Was fragst du mich? Die G.O.S.-Leute sind bei den Soldiers so verhasst, dass sie allein im letzten Jahr zweimal meinen Pub demoliert haben. Seitdem besitzen sie Hausverbot.“
„Das hat sie nicht davon abgehalten, sich hier mit Leo zu treffen.“ Herold setzte vorsichtig das bis zum Rand gefüllte Glas an und trank einen Schluck. „Dieser G.O.S. Häuptling Glaser, wo ist der eigentlich stationiert?“
„Paul Vincent Glaser beschützt höchstpersönlich den Supermarkt auf dem Areal des Kriegsverbrechergefängnisses und besitzt damit jederzeit ungehinderten Zugang zu allen Magazinen.“
„Na phantastisch; dann hat man wieder einmal den Bock zum Gärtner gemacht.“
„Eher den hungrigen Wolf zum Hirten! Soweit ich die Gespräche verfolgen konnte, fehlte Glaser eigentlich nur noch ein solventer Abnehmer für seine frisch geschlachteten Lämmer und den hat er ja jetzt in dem Polen gefunden.“
„Leopold Oblonsky ist ein verdammter Blender, der ohne Charlys Verbindungen nicht weit gekommen wäre.“ Zornig blickte Herold in Bills gleichmütiges Gesicht. „Diese zwei vertrauensseligen Idioten! Die haben wahrscheinlich nicht einmal gewusst, worauf sie sich da eingelassen haben, und dann ist irgendetwas fürchterlich schief gelaufen!“
Der Wirt nickte nur weise. Konzentriert füllte er zwölf Schnapsgläser mit Irish cream und reichte das Tablett der rothaarigen Studentin, die abwartend vor dem Tresen stand. Michael erwiderte das flüchtige Lächeln des Mädchens und wandte sich wieder dem Schotten zu. „Gehörte Glaser vor seinem Lokalverbot zu deinen regelmäßigen Kunden?“
„Du kannst seine Besuche in den letzten Jahren an einer Hand abzählen. Viel verdient habe ich ohnehin nicht an ihm, denn der Kerl hat ja nie mehr als zwei Bitter getrunken. Dafür drehte er dann mächtig auf und markierte den großen Leader. Du kennst doch diese Typen Mike, exakt geschnittene Frisur, penible Bekleidung und dazu laute, befehlsgewohnte Klappe.“
Bill unterbrach sich und begutachtete für einen Augenblick die wie eine zweite Haut sitzenden Jeans der Bedienung. Ohne den Blick von dem gerade über einen Tisch gebeugten Mädchen abzuwenden, entkorkte er eine Karaffe Malt Whisky und goss zwei Gläser voll.
„Cheers!“ Nachdenklich tupfte sich der Schotte die Lippen trocken. „Ich weiß ja, du gibst nicht viel auf unbewiesene Gerüchte, aber voriges Jahr vertrank ein Walliser mit diesem herrlichen Stoff fast seinen gesamten Sold. Der Major war einer von der geselligen Sorte und schon nach der ersten Lokalrunde gehörte ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Clever wie er war, erheiterte er sie mit amüsanten Storys über seine früheren Stationierungen und da ich die Pointen zwangsläufig mitsingen kann, habe ich am Anfang nur mit einem halben Ohr zugehört. Aber dann fiel auf einmal ein bestimmter Name, und ich fühlte wie sich mein Magen verkrampfte. Jesus, dachte ich, endlich besaß einmal jemand Informationen über Glasers Vergangenheit!“
„Der Mann liegt dir ja mächtig am Herzen.“
„Ich behalte manche Menschen nur gerne im Auge, sozusagen als vorbeugende Maßnahme. Zum Wohl!“
Entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten genehmigte sich Bill einen zweiten Drink und starrte dann nachdenklich in den leeren Tumbler.
„Jedenfalls beschwor der Major, dass er Glaser vor ungefähr acht Jahren in der Nähe von Mittenwald begegnet ist. Glaser flog damals die großen Transporthelikopter und nebenbei verschob er Arzneimittel aus den Magazinen der Bundeswehr. Irgendein dummer Zufall, über den sich der Major nicht weiter auslassen wollte, legte Glaser völlig unerwartet das Handwerk. Praktisch über Nacht beendete er seine Karriere als Berufssoldat und verschwand aus Bayern. Der Major hätte die Geschichte bestimmt vergessen, wenn ihn nicht Jahre später Glaser auf dem Airport Gatow kontrolliert hätte. Du kannst dir sein Gesicht vorstellen, als ihm klar wurde, dass ausgerechnet dieser Versager wieder am Drücker saß.“
Mit zwei routinierten Handgriffen sammelte Bill die leeren Whiskygläser ein und blickte dann überlegend auf die Zeiger der im Spiegel integrierten Uhr. „Es ist jetzt kurz vor Zehn. Wenn du dich etwas beeilst, kannst du Glaser vielleicht noch live erleben.“
„Manchmal sprichst du verdammt undeutlich.“
„Glaser und seine Jungs spielen fast jeden Abend Snooker im Siedlereck. Das ist ihr Stammlokal und liegt praktisch um die Ecke. Mit ein bisschen Glück triffst du sie noch an.“
„Klingt nicht uninteressant; wo finde ich dieses Stammlokal?“
„Ich ruf dir ein Taxi.“
„Das ist nicht nötig Bill. Ich lasse den Wagen nachher vor der Kneipe stehen; mein Wort darauf.“
„Du solltest den Malt nicht unterschätzen!“ Der Schotte legte den gerade ergriffenen Hörer wieder auf die Gabel und schüttelte missbilligend den Kopf. „All right, du musst selber wissen, was du tust. Also dann, du kannst die Kneipe nicht verfehlen. Biege einfach links in die Johannastraße ein und überquere die nächsten zwei Kreuzungen; dann siehst du das Siedlereck schon. Fahr möglichst nicht schneller als dreißig, die Straßen sind noch mit den alten Vorkriegskopfsteinen gepflastert. Und Mike, melde dich nicht erst wieder in vier Wochen. Ich hätte deine Meinung über Glaser gerne etwas früher gehört.“
„No problem, I call you.“ Michael Herold zwinkerte der Bedienung zu und schlenderte auf die Straße hinaus. Nicht mehr ganz nüchtern setzte er sich in seinen Wagen, startete den Motor und bog nur wenige Minuten später in die schlafende Johannastraße ein. Eine Katze huschte durch den Scheinwerferkegel, und Michael kniff übermüdet die Augen zusammen. Verschwommen erkannte er an der Fassade eines zweistöckigen Hauses eine rote Leuchtreklame und im Näherkommen verkündete unter ihr eine schwache Neonröhre das unwiderstehliche Angebot: „FUTTERN WIE BEI MUTTERN!“
Die leckere Botschaft schien durchaus angenommen zu werden, denn vor dem Gebäude standen selbst um diese Uhrzeit noch fünf Pkws. Herold rollte langsam an ihnen vorbei und parkte im Dunstkreis der nächsten Gaslaterne. Mit einer knappen Handbewegung drehte er den Zündschlüssel herum und musterte kritisch die finstere Straße. Dunkle Einfamilienhäuser ragten wie Scherenschnitte gegen den wolkenverhangenen Himmel und direkt neben den Datzun versperrte eine hohe Mauer die Aussicht. PAULS KOHLENBUNKER stand auf dem zerbröckelten Putz und die verblichenen Buchstaben erinnerten Michael an seine längst vergangene Kindheit. Unwillkürlich sah er die klapprigen Pferdewagen vor sich, bei denen man Kartoffelschalen gegen Brennholz tauschen konnte. Ruß lag auf dem verharschten Schnee und die Luft stank nach dem vom Wind niedergedrückten Qualm der Millionen Berliner Schornsteine. Für einen Augenblick spürte Herold sogar die glühenden Kacheln des elterlichen Ofens an seinen Händen, dann hatte ihn die Gegenwart wieder eingeholt.
Pedantisch schloss er seinen Wagen ab und schlenderte an der Steinwand auf das Siedlereck zu. Aus den angekippten Fenstern schallte ihm eine Melange aus hysterischen Gelächter und deutschen Schlagern entgegen und plötzlich pulsierte wieder das alte, vertraute Jagdfieber durch Michaels Adern. Jetzt gab es kein Zurück mehr, mit beiden Händen zerzauste er kurz seine Frisur und öffnete mit der bemüht freundlichen Miene eines professionellen Trinkers die Lokaltür.
Sofort hüllte ihn eine Wolke aus Tabaksqualm und verbrauchter Luft ein, und er blieb einen Moment lang breitbeinig auf der Schwelle stehen. Krampfhaft um sein Gleichgewicht kämpfend wirkte er wie ein Zecher, der sich in eine Kneipe außerhalb seines Kiezes verlaufen hatte. Leicht verwirrt, starrte er in den langgestreckten Raum und sondierte dabei unauffällig das Terrain.
„Na bravo; eine heruntergewirtschaftete und seit Jahren nicht mehr renovierte Klitsche!“ Das Siedlereck hatte genauso wie die übersteuerte Musik, seine beste Zeit in den späten Sechzigerjahren erlebt. An den Wänden klebte eine großgemusterte Tapete, auf der eingestaubte Glasträger die stolzen Gesichter mehrerer Kegelmannschaften präsentierten. Zwischen den Fotografien baumelten zwei angenagelte Rattenorden und in der Mitte eines Emailleschildes lächelte ein Kind aus einem überschäumenden Bierkrug.
„Prost, alter Knabe!“ Michael stolzierte an drei Tischen mit hochgestellten Stühlen vorbei und blieb vor der mit brauner Dekofolie beklebten Theke stehen. „Ein Pils und ein Korn!“
Hinter dem Schanktisch senkte der Wirt langsam seine Motorradzeitung, und Michael grinste ihm frech ins Gesicht. „Ein Großes natürlich!“
Schweigend schob der mit einer speckigen Lederweste bekleidete Mann ein Glas unter den Zapfhahn und knallte eine undefinierbare Flasche auf den Tisch.
„Brummt heute wohl nicht so richtig?“ Michael wertete das unverständliche Knurren als eine Antwort und nickte weise. „Na ja, ist halt nicht jeden Tag Sonntag. Da kann man nichts machen.“
Jede weitere Unterhaltung schien nicht unbedingt erwünscht zu sein, und so lehnte sich Michael an den Tresen und musterte ungeniert seine schäbige Umgebung. Rechts von ihm führte ein runder Torbogen in einen nur schwach beleuchteten Nebenraum und direkt am Fenster hockten die schon auf der Straße gehörten weiteren Gäste. Bequem auf den Stammtisch gestützt, lallten die vier alten Leute ihre unverständlichen Streitgespräche in einer solchen Lautstärke, dass Michael fast das Geräusch der Billardkugeln überhört hätte. Klick, Klick, Klick, drang es wie ein fernes Morsesignal aus dem Nebenraum an sein Ohr und Michael lächelte grimmig. Die geheime Botschaft hatte ihn wohl erreicht, aber noch durfte er ihrem Lockruf nicht folgen.
„So Meister, Molle und Schnaps. Prösterchen!“ Herold drehte sich herum und kippte den Inhalt des kleinen Glases in einem Schluck hinunter. Der billige Alkohol schmeckte so widerlich wie er es erwartet hatte und das Bier besaß nicht mehr genug Kohlensäure.
„Noch einen?“
„Lieber nicht. Ich muss noch nach Lichtenrade zurückfahren, und das war nicht der erste an diesem schönen Tage.“ Michael grinste dümmlich und wandte sich wieder dem Stammtisch zu. Die hitzige Debatte hatte dort anscheinend gerade ihren Höhepunkt erreicht, denn der ältere der beiden Männer stieß ruckartig seinen Stuhl zurück. Sichtlich verärgert zog er den Bund seiner abgewetzten Cordhose über die ansehnliche Wampe und torkelte zu der plärrenden Musikbox. Schwer atmend blieb er vor dem beleuchteten Menü stehen und musterte die Münzen in seiner Handfläche. Lautlos bewegten sich seine Lippen und Michael konnte förmlich die Gedanken des Angetrunkenen lesen. „Mist, was drücke ich nur: Rex oder Roy?“
Herold nickte mitfühlend und stellte sein halbvolles Glas ab. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck blickte er fragend den Wirt an.
„Gerade durch und dann die rechte Tür!“ Der Mann blätterte ohne aufzublicken weiter sein Journal um. Fachmännisch begutachtete er das Hochglanzfoto einer Harley samt der obligatorischen Blondine und deutete dabei mit dem Daumen auf den Durchgang zum Nebenzimmer.
„Schnittige Form!“ Herold ließ offen, ob er das Rad oder das breitbeinig auf ihm sitzende Modell meinte. Leicht vorgebeugt stolzierte er in die Richtung der Toilette und musterte dabei die sich hinter dem Torbogen bewegenden Schatten.
Die Männer waren im Halbdunkel nur undeutlich zu erkennen, denn die einzige Lampe im Raum beleuchtete gerade einmal den zentral aufgestellten Billardtisch. Wie kostbare Reliquien leuchteten die bunten Kugeln auf dem sanften Grün und Michael Herold flanierte mit dem bewusst aufrechten Gang des passionierten Säufers an ihnen vorbei. Um seine Lippen spielte ein dümmliches Grinsen, während er den zum Stoß bereiten Spieler anglotzte. Der weit über das Filztuch gebeugte Mann hielt in seiner Bewegung inne und schaute langsam von seinem Queue auf. Mit einem misstrauischen Blick musterte er den lästigen Zuschauer und Herold schüttelte die linke Hand in einer Wut vortäuschenden Geste. Für die Burschen war er hoffentlich nichts weiter als ein harmloser Gewohnheitstrinker, ein schlapper Spießbürger, der freiwillig kuschte, um sich keinen Ärger einzuhandeln.
Rülpsend tappte Michael weiter an den im Finstern lauernden Gestalten vorbei und registrierte aus den Augenwinkeln ihre kurzgeschorenen Schädel und die knappen Lederblousons. Schwere Springerstiefel und schwarze Jeans rundeten die bewusst militärisch wirkende Bekleidung ab und bei dem Anblick verkrampfte sich sein Magen.
„Ausgetrickst“, murmelte er in einem Anflug von grimmigem Galgenhumor und beschloss, seine Nachforschungen für den heutigen Abend zu beenden. Die Burschen strahlten eine derart misstrauische Aura aus, dass sich jede normale Unterhaltung von selbst erübrigt hatte. Michael schimpfte weiter undeutlich vor sich hin, um seine harmlose Erscheinung noch etwas zu betonen und griff nach der mit OO markierten Tür, als sie auch schon von innen heftig aufgestoßen wurde. Eine durchtrainierte Gestalt versperrte für Sekunden das Blickfeld und ehe Michael noch reagieren konnte, rammte ihn bereits eine breite Schulter rücksichtslos aus dem Weg.
„Hey Alter, so nun nicht!“ Auf die protestierenden Worte hin verharrte der Mann sofort mitten im Schritt und drehte sich aufreizend langsam um. Wahrscheinlich wollte er den vermeintlich Besoffenen nur drohend anblicken, doch dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er kniff alarmiert die Augen zusammen.
„Mist!“ fluchte Michael Herold lautlos. „Ganz großer Mist!“ Das ihn kühl abschätzende Gesicht gehörte einwandfrei der Stirnglatze, und der G.O.S.-Mann hatte ihn natürlich sofort wiedererkannt.