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II.Seifenopern und Selfie-Medien

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Was Kim Kardashians Hintern mit Donald Trumps Wahlerfolg zu tun hat, wie sich »cogito ergo sum« in ein »in media ergo sum« verwandelt hat und weshalb das Krawallpotenzial bei Sport und Politik so hoch sind. Über den Aufstieg der Supermarken in der Umfragedemokratie. Die Welt als Selfie-Wille und Seifenopern-Vorstellung.


»Putin has become a big hero in Russia with an all time high popularity. Obama, on the other hand, has fallen to his lowest ever numbers. SAD« — Donald J. Trump@realDonaldTrump 22.3.2014

Viele Wege führten zu Donald Trump, aber keiner war so eindrucksvoll wie Kim Kardashians Hintern: Demokratie und Popkultur sind buchstäblich auf den Arsch gekommen. Kim Kardashians Allerwertester und Donald Trumps Frisur spucken Mediengold wie einst der Grimm’sche Goldesel. Kardashians Kehrseite bricht alle Internetrekorde – Trumps Tweets sind ähnlich erfolgreich. Willkommen im Selfie-Zeitalter! »Keeping Up with the Kardashians« gibt es seit 2007 und ist die Reality-TV-Show des »famous for being famous«. Die Soap machte selbst aus der peinlichsten Entblößung Cash, Trumps Reality-TV-Show »The Apprentice« nicht unähnlich. Die mediale Schlacke von schiefgegangenen Botox-Behandlungen, abartig aufgespritzten Lippen, lächerlich großen Silikonbrüsten verweist darauf, wie wichtig es in der multikulturellen Warengesellschaft ist, sich zu jeder Zeit zu zeigen oder sich wie Donald Trump twitternd mitzuteilen. Jede Epoche hat ihre stilbildenden Ikonen: Mit Kim Kardashian zogen Trash und Freakshow in den Pop und die diversen Feuilletons ein – weshalb also nicht auch ins Weiße Haus? Kanye West, Ehemann der omnipräsenten Kardashian und bekannter Rapper, ist folgerichtig ein wichtiger Trump-Unterstützer. Ein Hintern und harter Rap machen zusammen sogar schon Politik: Kim Kardashian erreichte im Juni 2018, zusammen mit anderen It-Girls, die Begnadigung von Cyntoia Brown, einer unschuldig zu lebenslänglich verurteilten Gefangenen. Donald Trump hatte sich persönlich um die Angelegenheit gekümmert.

Eine präsidiale selfish-Demokratie kann eben gleichzeitig vieles und ist unvorhersehbar. Ein Präsidialerlass vermag gleichzeitig Eltern von ihren minderjährigen Kindern trennen und eine Unschuldige aus lebenslanger Haft befreien. Entscheidend ist dabei die Tagesform des Präsidenten und nicht etwa die geltenden Gesetze. Politik ist im TRUMPISMUS nicht Ausdruck von Regeln, sondern von persönlichen Präferenzen. Demokratie verkommt so zum erratischen Prozess.

Diese Art von Selfie-Politik wurde schon von Silvio Berlusconi erfolgreich praktiziert. »Die Welt« titelte kurz nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten: »Rotzfrech – So erklärt sich das Phänomen TRUMPUSCONI« (10.11.2016). Die Parallelen zwischen Trump und dem ehemaligen italienischen Medienmogul sind offensichtlich: Sie dienen einer einzigen Vision, der von sich selbst. Sie formulieren einfache Lösungen für komplexe Probleme, sind aber Meister darin, es nie zur Probe aufs Exempel kommen zu lassen. Sie sind quasi von Amts wegen unverantwortlich. Beide spielen perfekt auf der Klaviatur der Medien. Die Kombination von Vulgarität, undurchsichtigen Geschäften, Marken- und Selfie-Ideologie ist unschlagbar: Berlusconi kündigte seinen Einzug in die Politik an mit »Ich muss jetzt in die Politik gehen, weil ich keinen Paten mehr habe. Ich muss jetzt mein eigener Pate werden« (zitiert nach Alexander Stille) und gewann die Wahlen. Der Italiener war zwar um vieles geschickter, gewiefter als der Amerikaner, dennoch: Berlusconi gab einen Vorgeschmack aufs politische und mediale Selfie-Zeitalter des 21. Jahrhunderts. Quoten, Frauen wie Puppen und Informationspornografie machten fortan Politiker im demokratischen Medien- und Umfragezirkus. Berlusconi inszenierte TRUMPISMUS avant la lettre: Sex, Lügen und Macht sind seitdem aus dem normalen Politik-, Umfrage- und Mediengeschäft nicht mehr wegzudenken. Es fehlt lediglich die Selbstkritik der Medien und Experten, die unter kritischer Öffentlichkeit vorwiegend eine Re-Skandalisierung von lügenden Politikern verstehen.

»Beim Nachdenken über Berlusconis seltsames Verhältnis zur Faktenwahrheit dämmerte mir, dass die Begegnung mit ihm, mir eine tief reichende anthropologische Diskrepanz vor Augen geführt hatte. Dass für mich Dinge wie Genauigkeit im Umgang mit Fakten, das Dokumentieren von Aussagen, die Orientierung an objektiven Wahrheiten so wichtig sind, gehört zu meinem Rüstzeug als Journalist, als Mann des gedruckten Wortes, zum verschrobenen, naiven und altmodischen Credo eines durch Gutenberg und die Aufklärung geprägten Zeitalters; Berlusconi dagegen ist das Geschöpf einer anderen Ära, einer Ära des Fernsehens und der Massenmedien, in der es im Wesentlichen nur noch auf Image und Wahrnehmung ankommt. Berlusconi ist nicht nur ein Geschöpf, sondern zugleich ein Mitschöpfer der postmodernen Welt, in der es nicht mehr entscheidend ist, was tatsächlich passiert ist, sondern an welche Version dessen, was passiert ist, die Leute glauben. »Verstehst du nicht«, machte er einmal einem seiner engsten Berater klar, »dass etwas, das nicht im Fernsehen läuft, nicht existiert?« Diese klugen Beobachtungen aus dem Jahr 2006 stammen von Alexander Stille, Autor von »Citizen Berlusconi«.

Das Fernsehen brachte allen westlichen Demokratien die »scripted reality«, die zunächst die Wirklichkeit ins Fernsehen, dann aus der Wirklichkeit Fernsehen machte. Demokratische Prozesse wurden mehr und mehr in ein Skript transformiert, das mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu schaffen hatte. Zunächst schien dies alles nur ein riesengroßer Spaß zu sein. »Wir amüsieren uns zu Tode« fasste Neil Postman die Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie zusammen. Und tatsächlich. Die multikulturelle Warengesellschaft ergötzte sich an TV-Formaten, die Fremdschämen zum Dauerzustand machten. Nicht nur der Boulevard machte fröhlich mit, sondern nach und nach auch die Qualitätsmedien. Experten, Talk-Hosts, Publikum, sie alle wurden ein Stück »Tutti Frutti«.

Wie immer waren die Vereinigten Staaten von Amerika diesbezüglich stilbildend. »Kennedy or Nixon: Does It Make Any Difference?«, fragte der renommierte Historiker Arthur M. Schlesinger schon im Jahr 1960 (!). Er beklagte dabei die Ähnlichkeiten der für uns Nachgeborene so komplett unterschiedlich wirkenden Politiker wie Richard Nixon und John F. Kennedy. Schlesinger monierte schon damals, dass die Kandidaten wie vorgefertigte Politikprodukte daherkämen. Politisches Programm? Konkrete Gesetzesvorschläge? Ausbau der Demokratie? Fehlanzeige! Schon bei Kennedy und Nixon spielte das Image eine große Rolle. »Nixon schwitzte – Kennedy gewann« (»Die Welt«, 5.6.2005). Die Fernsehdemokratie machte damit das Image zur politischen Führungsqualität: 1980 wurde logischerweise auch das erste Mal ein Schauspieler Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Ronald Reagan entsetzte viele Intellektuelle aufgrund seiner mangelnden politischen Erfahrung – dabei hätten sie schon damals realisieren müssen, dass fortan Prominenz in allen Lebensbereichen jegliche Kompetenz schlagen würde. Vom Schauspieler zum Twitterpräsident war der Weg also schon seit 1980 gar nicht mehr so weit, wie man meinen könnte. Seit nämlich die Apparate die Wirklichkeit übernehmen, gilt: the winner is the image. Bei Kennedy und Nixon war dies zum ersten Mal offensichtlich. Wer nämlich 1960 nur Radio gehört hatte, war überzeugt, dass Richard Nixon gewinnen würde. Seine Stimme war dunkel, sonor und angenehm, während John F. Kennedy äußerst affektiert klang. Doch wer Fernsehen guckte, sah einzig den gut aussehenden John F. Kennedy neben einem schwitzenden, blassen und düster wirkenden Richard Nixon. Seitdem entscheidet das Fernsehen über die höchsten Politiker und weniger die von ihnen vertretenen Programme. So ist es wenig erstaunlich, dass mehr und mehr nur noch die Person und nicht die Politik im Vordergrund steht. Es bleibt indessen die Aufgabe einer kritischen vierten Gewalt, sich vom Schein nicht so blenden zu lassen, dass man selbst mit allen Mitteln ins Rampenlicht drängen will. Doch die Demokratie ist endgültig eine Seifenoper geworden: Für die meisten Menschen leider mit eher schlecht geschriebenen Folgen und Figuren. Was genau sind eigentlich Seifenopern?

Eine Seifenoper ist ein in regelmässigen Abständen publiziertes Unterhaltungsformat, das primär Werbezwecken dient. Soap-Operas gehören in die Anfangszeit der technisch übermittelten Medienmoderne. Es gibt sie schon seit 1932 (Radio), doch sie erfreuen sich bis in unsere Tage völlig ungebrochener Beliebtheit, wie etwa die HBO-Serie »Game of Thrones« beweist. 1947 kamen die Seifenopern ins Fernsehen, und seitdem gibt es keinen Bereich in Gesellschaft und Politik, der nicht dem guten Drehbuch filmischer »Realitäten« zu gehorchen hat. Das Geheimnis von Soaps besteht im Wesentlichen aus einem guten Skript, attraktiven Hauptdarstellern, die miteinander, untereinander, durcheinander entlang verschiedenen Handlungssträngen agieren. Drama, eingebautes maschinelles Lachen, Liebe, kurz alles, was das private Herz erfreut, bilden die verschiedenen Storylines. Seifenopern hören nie auf: Cliffhangers (Spannungsbögen) sorgen dafür, dass keine Episode verpasst werden darf. Deshalb erfreuen sich gegenwärtig auch so viele extreme Positionen ungebührlich hohe Fernsehpräsenz. »Drama Baby, Drama!« ist das Motto. Danach richten sich Medien und Umfragen. Deshalb setzen Polit-Talks auch auf Extreme statt auf Diskussionen. Das Script, die Suspense, die Unterhaltung müssen stimmen: Seifenopern-Journalismus eben. Polit-Talks sind nicht zum Diskutieren oder für die Information da, sondern in erster Linie dafür geschaffen, den Sender und die Moderatoren zu promoten. Es geht um gute Storys, nicht etwa um die politische Wirklichkeit. Diese kommt nur zum Zug, wenn sie knackig auf den Punkt gebracht werden kann. Seifenopern-Journalismus verkauft Marken, Moderatoren-Brands und Politiker-Marken. Der viel beschworene gute alte Printjournalismus gehorcht ähnlichen Regeln: zuerst die Werbung, dann die Information. Zwar richtet sich der Inhalt nicht explizit an Werbekunden, darf aber natürlich auch nicht in direktem Widerspruch dazu stehen. Dies war früher noch krasser. Die spektakulären Konflikte der großen Verlagshäuser mit der Auto-, Atom-, Pharma- und Ölindustrie der 1980er-Jahre erzählen davon. Doch noch 2011 führte beispielsweise ein kritischer Artikel über ein Warenhaus in der Schweiz zur Sistierung von über 50 000-Franken-Werbung im betreffenden Blatt. Es versteht sich von selbst, dass der betreffende Journalist nicht mehr lange für das Blatt arbeiten durfte. Wer sich also heute über die Anzeigen im Netz, die fehlende Trennung zwischen Business und Information und die Identität zwischen Influencer und Produkt beklagt, täte gut daran, auf die lange Geschichte der scripted reality auch der klassischen Medien hinzuweisen.

Schon früher verkauften sich auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die meisten Sendungen wie Seifenopern. Selbst Experten wurden nach dem Seifenopern-Prinzip ausgewählt: Alle hatten einigermaßen gut auszusehen oder zumindest den ihnen zugewiesenen Part ordentlich auszufüllen. Vorbild dieser Art von Fernsehen war selbstverständlich der Sport, respektive die Sportberichterstattung. Deshalb kommen die besten Polit-Talker nicht etwa aus der Philosophie, sondern aus der Werbe- und Sportindustrie. Die meisten begannen als Sportjournalisten, deren Ziel üblicherweise darin besteht, für die jeweilige Sportart möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren. Wahlen werden wie Liga-Spiele im Fußball inszeniert: Es gibt Duelle, Prognosen, Experten, es gibt gute Vorbereitungen, Mittelfelder und Endspiele. All dies nennt sich in der Politik dann »Demoskopie«. So ist das Krawallpotenzial beim Sport und in der Politik nicht nur ähnlich hoch, sondern entsprechend inszeniert. So folgte der Kommerzialisierung des Sports die durch und durch marketingorientierte Politik. Die Produkte, die in diesem undemokratischen Script verkauft werden, heißen Wahlen, Politiker, Moderatoren, TV-Sender, Umfragen, Prognosen und Börsenwerte. Es geht den meisten Politakteuren und -produkten nicht wirklich um Deliberation, Aushandlung und Diskussion unterschiedlicher Positionen, sondern vor allem um Eigenmarketing. Demokratie? Gerechtigkeit? Gleichheit vor dem Gesetz? Wohlstand? Bildung für alle? Völlig egal, solange die Einschaltquoten, die Retweets, der Zitationskatalog der diversen Medienbanken und die Wiederwahl passen. Schon Barack Obama war ein genialer Verkäufer – Donald Trump hat es ihm nur nachmachen müssen. Beide haben erkannt, dass Wahlen dadurch zu gewinnen sind, wenn man in erster Linie sich selbst verkauft. Dadurch gibt man übrigens auch den Gegnern die Möglichkeit, sich selbst zu verkaufen. Demokratie als Konsum kennt eben keine politischen Grenzen. Hat beispielsweise die Korruption der FIFA der Fußballeuphorie von Milliarden Abbruch getan? Nicht wirklich. Also. Wer es schafft, sich zu verkaufen, spielt in den westlichen Demokratien sehr schnell und sehr erstaunlich in der Spitzenliga.

Dieser Wirklichkeitsverlust durch die ständige Demokratie-Inszenierung, durch diese scripted reality wird durch die Kennzeichnung als »Die Empörungsdemokratie« (Bernhard Pörksen, »NZZ«, 15.2.2018), »Die Aufmerksamkeitsfalle« (Matthias Zehnder) oder »Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet« (Stephan Ruß-Mohl) in ihrer medialen Totalität nicht erfasst. Es geht schon lange nicht mehr darum, dass die Medien ihre Aufgabe nicht richtig wahrnehmen, sondern wie stark die medialen Drehbücher von Brot und Spiele die politische Logik der westlichen Demokratien dominieren. Bei Experten und Journalisten fehlt in dieser Hinsicht die Selbstkritik. Wenige wollen den eigenen Anteil der Selfie-Medien-Marketingtendenzen anerkennen. Dabei wird die Einsicht verpasst, dass durch die Scriptgebung die totalitäre Privatisierung der Politik und aller öffentlichen Belange alle dazu gezwungen werden, sich letztlich selbst zu verkaufen. Eine Demokratie im Privatmodus beschert nur noch Selfie-Medien, Selfie-Politiker, Selfie-Experten, Selfie-Studien, Selfie-Kunst. Deshalb wurde die eigene Markenpflege in den vergangenen 20 Jahren im Journalismus wichtiger als die eigentliche journalistische Arbeit. Umfragewerte, Hitlisten, Trend Topics, Klicks bestimmen die politische Agenda und nicht die realpolitischen Verhältnisse, unter denen Bürger und Bürgerinnen leben. Demokratie oder gar die Wirklichkeit kommen nur dann zur Sprache, wenn sie »sexy« genug für allfällige Aufmacher, Tickermeldungen oder sonstige Aufreger sind. Gestritten wird nicht über Politik, sondern über Fiktion. Deshalb schafft es die Burka unzählige Male in Polit-Talks, während die Armut alleinerziehender Mütter niemanden zu interessieren scheint. Obwohl hunderttausendfach mehr Mütter alleinerziehend und arm sind, als dass es ihnen auch nur im Traum in den Sinn käme, mit Burka durch die Gegend zu laufen.

Doch Umfrageheinis stellen regelmäßig idiotische »Ja-Nein-Fragen« nach der Burka und verkaufen dies als Politik, was dazu führt, dass auch Politiker sofort die Burka »wichtig« finden und damit Gendertheoretikerinnen auf den Plan rufen. Politische Themen werden also nicht aufgrund der Wirklichkeit, sondern von marktorientierten Ratingagenturen, sprich den Umfrageinstituten erhoben. Dies ist TRUMPISMUS pur. Die Demoskopie-Demokratie inszeniert konstant Wirklichkeits- und Wahrheitsverlust, da stellen die Lügen Trumps eigentlich nur das Tüpfelchen auf dem i dar.

Journalismus als Marketingperformance verdient nach wie vor viel Geld damit, sich um die wirklichen Themen zu foutieren: Hauptsache, die Quote stimmt. Deshalb gibt es auch so wenig journalistische Recherche in der realen Welt, während die Diskurse, die Metaebenen und die gegenseitigen Beschuldigungen zunehmen. Das Spektakel fasziniert durchwegs, der Schein gewinnt über die Realität. Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit treten hinter das diskursive Medienspektakel zurück: Die Demokratie fällt buchstäblich aus dem Blick. Die Eroberung der Welt als Marke in der Informationsindustrie führt dazu, Journalismus mit fiktiven Trend-Topics, Beliebtheitsskala, Lesedauer, Klischees, Diskursen, Umfragewerten, Expertengedöns und Markenwettbewerb zu verwechseln. Darin gleichen sich Medienberichte und Unternehmenspraktiken. »Der Aufstieg der Supermarken«, wie sie Trump um seine dreiste Rollenfassade aufgebaut hat, wurzelt in einer scheinbar harmlosen Idee, die Mitte der 1980er-Jahre von einer Management-theoretikerin entwickelt wurde, dass »Unternehmen, um erfolgreich zu sein, vor allem Marken produzieren müssen und nicht etwa Produkte.« (Naomi Klein in ihrem neuesten Buch »Gegen Trump«, S. 30). Medien müssen seit Längerem keinen Qualitätsjournalismus mehr produzieren, sondern vor allem sich selbst verkaufen. Darin treffen sie sich – wenn auch ständig das Gegenteil behauptet wird – mit dem Präsidenten.

Kaum ein anderer beherrscht dieses Konzept so gut wie Donald Trump: sowohl in seinen Unternehmen als auch in puncto Medienberichte: Aus Nichts entsteht Werbung, Marken- und Politpräsenz. Im TRUMPISMUS treffen sich alle Marken-Junkies, Selfie-Medien und -Politiker. Politik wird in Talks simuliert, während die Welt draußen unter der Klimaerwärmung, der grassierenden Gewalt gegen Frauen und den Niedriglohnjobs ächzt und stöhnt. Well: Das Markendasein ist bei entsprechendem Aufmerksamkeitswert für die Betroffenen in der realen Welt leider äußerst lukrativ. Die Marken-Selfies in Unternehmen, Politik, Sport, Entertainment und Medien sind nämlich austauschbar und machen so überall Karriere. Journalisten werden Regierungssprecher, Politiker nach ihrer Amtszeit Unternehmensberater, besonders Finanzpolitiker sind begehrte künftige Vorstände bei globalen Großbanken. Die Marke des jeweiligen Akteurs in Medien, Politik oder auch in den Universitäten ist ausschlaggebend, nicht der reale Berufsweg, die reale politische Leistung oder persönliche Bilanz. Die Insignien der Moderne sind beliebig austauschbar.

Der Aufstieg von Medien und Demokratie zu Supermarken führte dazu, dass nicht die Informationsqualität, sondern das Markenimage über den Erfolg entscheidet. Deshalb gibt es kaum Großprojekte mehr, die von der Demokratie, das heißt von der Öffentlichkeit erfolgreich getragen und durchgeführt werden und wenn doch, sie dann völlig versagen. Denn schon die Vergabe der Projekte beruhte meist auf Images statt auf realen Leistungen. Bei völligem Versagen öffentlicher Projekte ist deshalb auch niemand mehr wirklich verantwortlich: Es wurde ja vor allem ein Image und nicht die Realität versprochen.

Wer mit Edmund Husserl »zu den Sachen selbst« hinguckt, erschrickt deshalb darüber, wie entscheidend die Fiktionen schon geworden sind. Nachrichten, TV-Talks, Wahlsonntage promoten nicht die Demokratie, sondern in erster Linie den Sender, die Moderatoren, die Experten, die Talk-Hosts. Der Erfolg der Rechtspopulisten in ganz Europa lässt deshalb jedes Journalistenherz hüpfen: Endlich gibt es Action, Drama, Skandal! So folgen Talks, Expertenrunden und Politcafés den klassischen Schemata von Seifenopern: Demokratie dient in erster Linie dem Konsum. Politainment puscht den Warencharakter der Politik und ihre Marktschreier. Ware und Marketingagent werden identisch. Demokratie wird somit Handelsartikel, von Politikexperten in leicht verdauliche Päckchen geschnürt. Dass die Demokratie damit den großen Herausforderungen nicht mehr gewachsen ist, erklärt sich von selbst. Diese »Kauf mich!«-Haltung verbreitet sich in der hochindividualisierten Gesellschaft wie ein Virus. Somit hat die Seifenoper-Demokratie mit echter politischer Partizipation und echten politischen Themen oft so wenig zu tun wie eine Parfümflasche auf dem Misthaufen. Nur Sendeformate wie »Markus Lanz« auf ZDF oder auch der »Club« auf SRF funktionieren besser. Ansonsten dominieren die klassischen Hickhack-Polit-Talks. Gespräche und Demokratie brauchen eben Zeit und Vielfalt. Buntheit sowohl in Bezug auf Gäste als auch Themen. Nicht zuletzt deshalb sind digitale Podcasts so beliebt: Sie erneuern die bisherige Medienlandschaft mit echten Qualitätsstandards, unterschiedlichen Themen und Menschen. Sie bieten auch gute politische und demokratische Lösungen für globale Probleme – nur leider werden sie vom dominanten Seifenopernjournalismus und der Script-Politik noch nicht wirklich wahrgenommen.

Die paradoxe Wirkung von Donald Trump ist jedoch, dass diese bisher unangefochtene Markeninszenierung vom sogenannten Qualitätsjournalismus stärker hinterfragt wird. Dies ist richtig und wichtig. Schauen wir kurz auf das klassische Presse-Briefing der White House Journalists. Dieses diente jahrzehntelang vorwiegend der Inszenierung von Demokratie, war eine Show für den Präsidenten und ein geniales Marketingtool für die anwesenden Journalisten. Die jeweiligen Pressesprecher oder gar der Präsident selbst traten vor die Auserwählten, berichteten und stellten sich der Presse. Es war ein brillantes Theater, das nichts ans Licht, dafür umso mehr ins Licht rückte.

Erst die Wahl von Donald Trump veränderte dieses gut eingespielte Ritual und machte das ganze Theater zum totalen Fake. Es gibt für die anwesenden Journalisten kein Wellness-Stück mehr. Sie sehen sich in der Defensive, die Show ist vorbei. Die Journalisten wähnen sich in veritablen Horrorfilmen, ohne zu realisieren, dass sie jahrzehntelang einer Show-Information gedient haben. Unter Trump ist die Inszenierung ihres Glamours beraubt. Sarah Huckabee Sanders, Pressesprecherin des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten, »burns facts and then she uses that ash to create a perfect smokey eye. Like maybe she’s born with it, maybe it’s lies. It’s probably lies« ( Huckabee verbrennt Fakten, deren Asche sie für ihre perfekten Smokey Eyes verwendet. Vielleicht ist sie so geboren, vielleicht sind dies alles Lügen. Wahrscheinlich ist auch das eine Lüge), meinte Michelle Wolf präzise, wenn auch bösartig, während ihres Auftritts beim Pressedinner im Weißen Haus 2018. »Wenn Trump behauptet, der mexikanische Präsident habe ihn angerufen, um ihm zu seiner Einwanderungspolitik zu gratulieren, was schlicht gelogen ist, sagt Sanders: Der Präsident hat nicht gelogen, nächste Frage. Wenn Trump behauptet, die Pfadfinder hätten angerufen, um eine seiner Reden zu loben, was ebenfalls gelogen ist, sagt Sanders: Der Präsident hat nicht gelogen, nächste Frage« (»SZ«, 18.6.2018).

Und dennoch ändert sich nichts. Es ist nur eine weitere, neue Folge der Serie Pressekonferenz im »White House« eingeläutet worden. Und die Journalisten machen weiter mit. Sie empören sich zwar über den Umgang mit ihnen, der Welt und der Wahrheit allgemein, berichten aber trotzdem weiter, als sei dies alles noch Wirklichkeit. Sie realisieren nicht, dass im Zeitalter von TRUMPISMUS sich weder ein Präsident noch seine Entourage um Aufrichtigkeit, Verantwortung, Anstand oder gar Wahrheit kümmern muss. Egos, Selfies und Markenpolitiker sind für sich und niemanden sonst da. Deshalb rechtfertigen sie sich für ihre Lügen, ihren Unanstand, ihre Impertinenz und Verantwortlichkeit nie. Im besten Falle kommt mal eine Entschuldigung, doch eine Rechtfertigung Erklärung, Legitimation oder gar die Übernahme von Verantwortung? Fehlanzeige. Der Fehler der Journalisten ist, dass sie an solchem Verhalten jahrelang gut verdienten und deshalb das dreckige Spiel einfach weiterspielten. Was die Journalisten des Weißen Hauses im Jahr 2018 immer noch in den Presseraum treibt, bleibt ein Rätsel. Selbst Donald Trump findet, seine Tweets würden vollends reichen, um seine Politik zu erklären. Die Heuchelei vieler Journalisten, sich über die Populisten zu entsetzen, mit diesen aber gleichzeitig echt unanständige Quoten zu erreichen, wird viel zu selten diskutiert.

Denn klar ist: Die 140 Zeichen auf TWITTER, die Donald Trump zur Präsidentschaft verhalfen, kommen nicht aus dem Niemandsland. Sie manifestieren das seit Jahren gepflegte Seifenopern- und Selfie-Medienprinzip: Dem Verkauf wird alles untergeordnet. Informationen sind nur Nebengeräusche der eigentlichen Zielsetzung, nämlich die entsprechenden Politprodukte möglichst geschickt zu verkaufen. TRUMPISMUS ist die politkommunikative Selfie-Revolution aller Lebenszusammenhänge, die ihrerseits einem teils unbewussten, teils beabsichtigten neoliberalen Skript einer gesellschaftslosen, individuellen, privatisierten Politik folgen: Geniales Politmarketing braucht keinen Reality-Check (siehe Emmanuel Macron, der auch nur sich selbst verkaufen musste), sondern veräußert Wünsche und Träume. TRUMPISMUS kann deshalb – keck an Arthur Schopenhauer angelehnt – politphilosophisch als »Die Welt als Selfie-Wille und Seifenoper-Vorstellung« zusammengefasst werden.

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