Читать книгу 100.000 Tacken - Reiner Hänsch - Страница 7
… un’ getz isser tot
ОглавлениеOnkel Günter ist tot. Na endlich.
Ja, Entschuldigung, das sagt man natürlich nicht, und über die Toten nur Gutes und so weiter, aber über Onkel Günter gibt es nichts Gutes. Oder? Nö, eigentlich nicht. Müsste ich lange drüber nachdenken, aber auch dann fällt mir nichts ein. Und wer ihn nicht gekannt hat, kann gar nicht mitreden. Er war vierundachtzig, im Gesicht und seinen Ansichten völlig zerknittert, provozierend gesund und eben ein ziemliches Ekel – bis zuletzt.
Er hat seine Mitmenschen, besonders uns, die Dreierfamilie Knippschild, weil er auch sonst keine hatte, schon lange genug geärgert. Es wurde einfach Zeit für ihn. Ja, es tut mir leid. Aber Onkel Günter, der Bruder meiner vor einigen Jahren leider ebenfalls verstorbenen Mutter, war ein mürrischer, alter Miesepeter, dem man besser aus dem Weg ging, als er noch lebte. Er war knurrig, bissig, böse und gemein. Er ließ keine Gelegenheit ungenutzt, um sich über alles und jeden zu beschweren, an allem rumzumeckern und alles schlecht zu machen. Besonders uns. Es war kaum auszuhalten mit ihm.
Und jetzt ist er tot. So. Das hat er davon.
„Wie lange lebt Opa Günter noch?“, fragte deshalb Max, unser zwölfjähriger Sohn, jedesmal, wenn wieder mal ein Pflichtbesuch bei dem alten Knacker anstand. „Boah, müssen wir jetzt echt wieder zu dem ätzenden Scheintoten?“, drohte wieder mal mit totaler Verweigerung und schob schnell andere wichtige Termine mit den Jungs aus seiner Klasse vor.
„Max!“, ermahnte ich ihn dann jedesmal lautstark, „so was sagt man nicht. Er ist immerhin dein Großonkel. Direkte Verwandtschaft! Man kümmert sich eben um seine Angehörigen. Besonders, wenn sie keinen anderen mehr haben. Wir sind praktisch die letzten Menschen auf der Welt …“
„… an denen Onkel Günter seine Gemeinheiten auslassen kann“, beendete meine liebe Frau Steffi den Satz, der eigentlich in eine andere Richtung gehen sollte. Aber gut, sie hatte ja recht. Große Lust hatte ich auch nie auf die sehr seltenen, meist sonntäglichen Fahrten nach Neheim-Hüsten.
„Also, macht euch fertig. Gleich geht’s los und zur Sportschau sind wir wieder zurück“, sagte ich dann immer und meistens klappte das ja auch.
Die Fahrt von Leckede-Hintersten, wo wir drei Knippschilds wohnen, ganz hinten im Sauerland, nach Neheim-Hüsten wurde meistens schweigend und in böse vor sich hin brummender schlechter Laune verbracht. Aber wat mutt, dat mutt. Er war immerhin mein Onkel.
Wenn ich Leckede-Hintersten als Ort „ganz hinten“ im Sauerland beschreibe, dann könnte ich auch sagen „mittendrin“. Gemeint ist eigentlich „weit weg von allem“. Sauerland eben. Aber wir fühlen uns dort sehr, sehr wohl. Schönes Fleckchen Erde. Das muss man schon sagen.
In Neheim angekommen, ließen wir uns also dann jedesmal mindestens eine Stunde lang auf Sauerländisch beschimpfen und ausmeckern, denn Onkel Günter war eben nicht nur knurrig, sondern auch ein richtiger Ur-Sauerländer und er sprach auch so. So mit dem singenden, zischenden „s“, dem rollenden „r“ und dem „ch“ statt „g“ und dem „g statt „j“ und all den anderen recht schrägen Auswüchsen dieses knorrigen Dialektes.
„Schrreibsse imma noch für dat Käseblatt in Leckede, Alex?“, begann er meistens mit mir. „Kannsse nich ma bei ’ne rrichtige Zeitung anfangen, Käa? Wat verdiensse denn da? Da kommt do’ bestimmt nix bei rrum!“ Und dann ging es meistens mit Steffi weiter. „Un’, Steffi, sach ma’, wat läufsse denn in so abcherrissene Texashosen rrum. Die sin auch chanz versckossen, keine Farbe mehr drrauf, un da sin au Löcher drrin, hasse dat schon chemerkt? Heute is’ Sonntag! Warrum hasse dich nich wenigstens für mich ma ’n bisken skhick chemacht? („sckick“, sagte er immer mit „k“ wie bei allen Wörtern mit „sch“) Außerdem bisse au’ dicker cheworden. Frriss donnich so viel, Steffi, verdorrich nomma! Habbter euch denn nich inne Chewalt?“ Und dann war er bei Max. „Und warrum hat euer Gunge (Junge) denn so sckrrecklich lange, fiese fettige Haare. Ihr dürft ihm sowat nich’ durchchehen lass’n. Ihr seid nich strreng chenuch mit ihm! Der brrauch’ ab und zu ma wat hinter de Löffel, glaubich!“
Wir tranken verbissen den mitgebrachten Kaffee, aßen den mitgebrachten Kuchen und widersprachen dem alten Knacker, so gut es ging. Max stierte glücklicherweise in den alten Blaupunkt-Röhrenfernseher, der Onkel Günters schlecht gelüftetes Wohnzimmer beherrschte, und bekam nicht viel von seinem Geknöter mit, und ich konnte Steffi gerade noch zurückhalten, dem Alten direkt an die Gurgel zu gehen und ihn so schon etwas früher ins Jenseits zu befördern, weil sie nun wirklich kein bisschen dick war. Aber ihre Jeans waren tatsächlich etwas zerissen, doch das hat man ja jetzt so.
Ach, der Alte war einfach unmöglich. Und was ich bei meiner kleinen Zeitung als Redaktionsleiter verdiene, ging Onkel Günter nun wirklich überhaupt nichts an. Außerdem ist es genug und reicht wunderbar für uns alle. Wir kommen gut klar.
Sicher macht man sich in meinem Alter auch schon mal Gedanken um die sogenannte Altersvorsorge.
Phh. Schon das Wort …! Früher habe ich immer laut und rebellisch gelacht, wenn mein Vater mich ermahnt hat, an die Rente und den ganzen Quatsch zu denken. Lebensversicherungen, Bausparverträge, ja, ja, lass mich bloß in Ruhe damit … Aber heute … mit Familie … naja … ach komm, es läuft ja alles.
Wir waren jedenfalls nach etwa zwei Stunden Onkel-Günter-Beleidigungen immer heilfroh, wenn wir dann endlich wieder loskonnten.
„So, Onkel Günter, es reicht mal wieder! Tschüss! Wir müssen“, sagten wir dann, dachten aber: Wir ham die Schnauze mal wieder so richtig voll von dir, du altes Ekelpaket.
Er war eben alt und verknöchert. Wahrscheinlich konnte er nichts dafür, weil man in seiner Generation und in seinem Alter eben alt und verknöchert zu sein hatte. Aber er war trotzdem ein alter Ätzer. Da gab’s nichts dran zu beschönigen. Ein waschechter Kotzbrocken. Bis heute.
Vor etwa vier Wochen war er also gestorben, ganz plötzlich an einem Herzinfarkt. Oder eben „Hätzinfack“, wie der Sauerländer gerne hinter vorgehaltener Hand und mit betroffenem Gesicht an den Nachbarn weiterklatscht. Nicht, dass man ihn vermisst hätte, aber nach drei Tagen fiel den Nachbarn auf, dass sie gar keinen Streit mehr mit dem alten Knacker hatten, weil er ja gar nicht mehr auftauchte. Und da hat man schließlich doch mal nach ihm gesehen, und es war zu spät. Tot – mit dem letzten, ganz ordentlichen Rentenbescheid in der Hand, saß er in seinem abgescheuerten Sessel vor dem laufenden Fernseher. Die Beerdigung fand sozusagen in aller Stille statt und war auch erwartungsgemäß spärlich besucht.
Und dann kam eines Tages dieser Brief vom Nachlassgericht, in dem man uns als Erben benannte.
Uns? Das kann doch nicht sein. Aber gut, er hatte keine anderen Verwandten mehr. Tante Emmi, seine Frau, war schon vor vielen Jahren gestorben, wahrscheinlich, damit sie endlich ihre Ruhe hatte vor dem alten Knöterich. Kinder hatten die beiden keine – et hat einfach nich geklappt, woll – und die Geschwister waren ja auch schon alle tot. Da bleiben nur noch wir, die kleine und im Großen und Ganzen recht fröhliche Familie Knippschild. Alex, Steffi und Max.
Ja, aber was sollte der olle Muffkopp denn schon zu vererben haben? Das kann ja wohl nichts Dolles sein, dachten wir so. Und heute kam dann die Bestätigung, dass wir tatsächlich auch Erben sind.
Das Schreiben des Gerichts vermeldete, dass sein Vermögen sich auf einige noch recht gut erhaltene Möbel, ein paar Bücher, Bilder, einen Kühlschrank, einen Blaupunkt-Röhrenfernseher … und ein Bankguthaben von 98.456,45 Euro beliefe. Und das alles gehöre jetzt uns!
Achtundneunzigtausend? Boah!
Was war Onkel Günter doch für ein wunderbarer Mensch! Gütig, weise, jesusgleich und ewiggut. Ich hab’s doch immer gewusst.
„Das gibt’s doch nicht!“, haucht Steffi leise und andachtsvoll, als sie das Schreiben des Nachlassgerichtes in den zitternden Händen hält.
„Lass mal sehn!“, meine ich nur und nehme ihr vorsichtig das Papier aus der Hand, damit auch ja keins von den schönen Worten, die sie eben noch so würdevoll vorgelesen hat, verrutscht oder herunterfällt. Ja, es scheint zu stimmen. Da steht in der für Menschen ja eigentlich gar nicht verständlichen Sprache der Ämter und Gerichte, dass das alles jetzt uns gehört. Wir sind plötzlich reich. Also, zumindest recht wohlhabend.
„Tatsächlich“, sage ich erstaunt und reiche ihr ziemlich aufgewühlt das schöne Schreiben zurück. „Da steht’s. Fast hunderttausend Tacken. Boah ey! Ich werd bekloppt!“
Ja, da entgleist einem schon mal das feine, gepflegte Hochdeutsch.
„So viel Geld hatte der alte Knaster noch auf der Kante?“, sagt Steffi und schüttelt noch mal den Kopf und sagt auch noch mal „Das gibt’s doch nicht!“ und auch noch mal „Boah ey!“.
„Was für Geld?“, fragt Max ganz nebenbei und sucht in erster Linie nach seinen neuen Sneakers, die gestern doch noch irgendwo waren.
„Opa Günters Geld!“, sage ich bedeutungsvoll, mit der angemessenen Würde, aber auch immer noch ehrlich erschrocken über die fantastische Höhe dieses überraschenden Nachlasses.
„Der hatte Geld?“, scheint auch Max nicht glauben zu wollen, denn angesehen hatte man das weder ihm noch seiner Wohnung. Und besonders freigiebig war er schon gar nicht. Ganz und gar nicht! Er hätte Max ruhig hier und da mal einen Zehner oder auch mal mehr in die Hand drücken können, wie gute Opas oder Großonkels das nun mal so machen. „Hier! Brauch keiner sehn“, sagen diese Opas dann üblicherweise, so wie ich es immer von meiner Oma gehört habe, die mir so oft heimlich was zugesteckt hat, damit die anderen Vettern und Cousinen es nicht bemerkten und möglicherweise neidisch wurden, weil ich nun mal der Lieblingsenkel meiner guten Oma war. Aber nee, für Opa Günter kam so was nicht in Frage.
„Der Gunge brrauch kein Geld. Dat verprrasselt der doch sons bloß für Killefit un Kokoloorres!“
Und jetzt können wir also alles gemeinsam verprasseln. Wirklich? Ja, scheint wohl so zu sein. Für Killefit un Kokolores!
„Wie viel Geld hatte der denn?“, fragt Max noch, aber dann hat er seine Sneakers im Flur entdeckt, da, wo all unsere Schuhe in Reih und Glied stehen und wo seine liebe Mutter sie wahrscheinlich gestern Abend tief seufzend deponiert hat und wo er sie natürlich nicht vermuten konnte. Seine Frage hat er schon wieder vergessen.
Steffi und ich verbringen einen ganz besonderen Abend in an- und verdächtiger Stille, und jeder macht wohl so ganz für sich ein paar geheime Pläne, was man mit dem Onkel-Günter-Geld wohl alles so anfangen könne. Ab und zu sehen wir uns an und schütteln fassungslos die Köpfe.
Das gibt’s doch nicht!
Wir fühlen uns wie die Gewinner in einem Fernsehquiz, haben aber noch nicht einmal eine einzige Frage richtig beantwortet. Ob Steffi sich wohl schon mit den Reichen und Schönen auf Sylt exotische Cocktails schlürfen sieht? Ach nein, das glaube ich eigentlich eher nicht. Vielleicht denkt sie an den kurzfristigen Besuch einiger edler Boutiquen, um die sie sonst immer seufzend einen größeren Bogen macht. Eine Super-Hitech-Küche mit Induktionsherd wäre sicher auch nicht schlecht, wer weiß, vielleicht ein neues Schlafzimmer und ein Bett mit Bocksprungmatratzen, oder wie die jetzt heißen, und bei denen ich auch keine Ahnung habe, was man außer Schlafen sonst noch darauf macht. Und ich will auch nicht wissen, warum die so heißen.
Ich selbst denke ganz kurz mal an ein neues Auto mit jeder Menge elektronischem Schickschnack innendrin, tollen Felgen und roten Bremssätteln … und an eine schöne weite Reise. Im letzten Jahr waren wir in Thailand, auf Ko Samui, das war schön und aufregend. Warum also nicht dieses Jahr noch weiter, noch exotischer? Hm, mal sehen. Die Kohle hätten wir ja jetzt. Obwohl dann natürlich schon wieder ein ganzer Batzen von dem schönen Geld abgeknabbert wäre. Hoho. Vorsicht, Dagobert! Bring es lieber in den Geldspeicher!
Vielleicht sollte man es anlegen. Genau. Das ist es. Aber anlegen? Wie geht das? Keine Ahnung. Von so was hatte ich noch nie eine Ahnung, weil es ja auch noch nie was Nennenswertes zum Anlegen gab bisher. Aktien? Aach, nee. Davon verstehe ich gar nichts. Lieber die Finger davon lassen, wenn man keine Ahnung hat. Das hat übrigens Onkel Günter auch immer gesagt.
Aber auf der Bank bringt es ja auch nichts. Zinsen gibt’s nicht mehr zur Zeit und manche der Superreichen müssen jetzt sogar Geld bezahlen, wenn sie ihre Vermögen auf der Bank in Sicherheit wissen wollen. Das weiß ich. Geld muss arbeiten, sagt man ja immer. Aber wie?
Oh, oh, es ist verdammt nicht leicht, plötzlich über einen Haufen Geld zu verfügen, das überhaupt nicht auf dem Plan stand.
Erst kürzlich habe ich noch von einem ganz seltsamen Syndrom gelesen, das Lottogewinner und plötzlich zu Geld gekommene ganz normale Menschen überfällt und sie regelrecht zugrunde richten kann. Es stürzt sie in bodenlose Depressionen bis hin zum Selbstmord, weil sie einfach nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen. So weit sollte es doch wohl nicht kommen. Ich denke auch an glücklose Lottogewinner, die ein paar Monate Ferrari gefahren sind und jetzt in der Fußgängerzone sitzen und uns zittrig ihren leeren Plastikbecher entgegenhalten oder mit gefrorenen Lippen verzweifelt eine schiefe Melodie in eine rostige Mundharmonika blasen. Ich habe auch davon gelesen, dass ganze Familien zerbrochen sind, weil sie mit dem plötzlichen Reichtum nicht klarkamen, weil sie sich zerstritten haben oder weil sie eben nicht wussten, wie sie ihr verdammtes Geld anlegen sollten.
Richtig anlegen. Das kann ein großes Problem sein. Das spüre ich jetzt auch. Ein ganz neues Problem, das ich vorher gar nicht hatte.
Steffi und ich sehen uns noch mal kopfschüttelnd und unsicher lächelnd an, wir können es noch gar nicht so richtig glauben und schon gar nicht locker darüber reden. So verrückt ist es. Fast hunderttausend Tacken – einfach so. Und wir schlafen nicht so besonders in dieser Nacht.
Da fängt es also schon an mit dem enormen Psychodruck, dem Fluch des Geldes.
In meinem Traum sitze ich auf einem dicken Kartoffelsack, in dem das ganze Geld steckt. Ich habe es in aller Eile da reingestopft, weil mir ein paar fragwürdige Herren in dunklen Anzügen auf den Fersen waren, die soeben aus der gläsernen Eingangstür der Leckeder Sparkasse gestürmt sind und mein Geld zu gerne hätten. Das sehe ich ihnen an. Es sind Angestellte der Sparkasse. Sie haben alle das rote Sparkassen-S auf der Stirn. Von der roten Schrift laufen ihnen dicke Tropfen wie Blut übers Gesicht.
Ein paar Scheine flattern einfach so um mich herum, weil sie nicht mehr in den Sack passen. So etwa wie bei Dagobert Duck, den auch immer ein paar lose Geldscheine umschwirren, was ihn regelmäßig wahnsinnig macht. Er will sein Geld eben immer schön zusammenhalten, damit er abends in seinem Geldspeicher auch schön weich darin baden kann, ohne sich die Entenknie am Geldspeicherboden aufzuschürfen. Er hat immer Sorgen um sein vieles Geld. Und ich jetzt auch.
Ich sitze also da, auf diesem prallen Sack und die schwarzen Sparkassen-Männer kommen näher. Sie haben stark gegelte Fri-suren, wie ich jetzt erkennen kann, wirken einigermaßen schmierig und mafiös und tra-gen schwere goldene Ringe an den Handge-lenken und flache schwarze Aktenmappen unter ihren muskulösen Armen, so wie ich Herrn Beckebanz von unserer Sparkasse in Leckede eigentlich noch nie gesehen habe. Aber er ist auch dabei. Ich erkenne ihn deutlich.
Die bösen Männer winken mir zu und lächeln dabei äußerst hinterhältig wie besonders gewiefte Gebrauchtwagenverkäufer. Und sie kommen unaufhaltsam näher. Sie wollen an den Sack. Sie sind jetzt überall.
Ich versuche, den schweren Sack zu schultern und ihnen zu entkommen, aber da platzt er auf, der ganze Geldsegen quillt heraus und lässt sich vom plötzlich aufkommenden Wind in die Luft wirbeln. Ich versuche, alles wieder einzufangen, aber es flattert mir Schein für Schein davon. Eine große Wolke fliegenden Geldes verdunkelt die ganze Szene.
Ich renne hinterher und hüpfe in grotesken Verrenkungen hoch, den Scheinen hinterher, recke mich dem entflatternden Reichtum entgegen, die Männer lachen, aber das Geld lässt sich nicht wieder einfangen. Es ist einfach futsch. Doch Herr Beckebanz hält plötzlich einen riesigen schwarzen Staubsauger in seinen klobigen, schwieligen Händen, die ich auch noch nie an ihm bemerkt habe, wenn ich mal an seinem Schreibtisch saß, saugt die ganze Kohle mit einem gemeinen Lächeln auf und verschwindet mit dem Staubsauger lachend wieder in seiner Sparkasse.
Als ich mich entsetzt und so plötzlich auf diese Weise völlig verarmt umdrehe, sehe ich meine arme kleine Familie in Lumpen und zitternd auf dem Gehweg vor dem Kaufhof sitzen und die vorbeieilenden Passanten an den gebügelten Hosenbeinen zupfen. Steffi und Max sind ausgemergelt und fast verhungert. Ich will zu ihnen hin, ihnen helfen, aber die schwarzen Männer in den Anzügen haben mich nach Mafiaart mit den Füßen in einen Betonkübel gesteckt. Der Beton ist schon hart geworden, hält mich gnadenlos fest und eine goldene Betonmischmaschine dreht langsam ihre letzten Runden.
Ja, Beton ist etwas, auf das man sich hundertprozentig verlassen kann. Die schwarzen Männer lachen und lachen … schweißgebadet werde ich wach und sehe Steffi müde blinzeln.
„Kann auch nicht schlafen“, murmelt sie und irgendwann stehen wir dann einfach auf. Aber ich glaube, jetzt habe ich eine Idee.
Beton! Gold! Hundertprozentig!
„Wir kaufen ein Haus!“, beginne ich das Frühstück am Sonntagmorgen vor der ersten Scheibe Brot in unserer kleinen familiären Runde.
„Aber wir haben doch ein Haus!“, meint Max und er hat ja recht. Wir wohnen hier seit einigen Jahren schon in diesem alten, liebevoll restaurierten und renovierten Gehöft in Leckede-Hintersten, ganz hinten, oder eben mitten im Sauerland, wie schon gesagt, und fühlen uns eigentlich sehr wohl darin. Es ist groß, schön und alt. Es passt gut zu uns.
„Nein, ein Haus für andere“, sage ich, „ein Mietshaus!“
„Warum das denn?“, fragt Steffi, weil sie auf diesen Gedanken vielleicht noch gar nicht gekommen ist.
Und ich sage nur verheißungsvoll: „Betongold.“ Zack. Das muss erst mal reichen. Dann schmiere ich mir lässig ein Käsebrot mit Marmelade und denke an meine Zukunft als Immobilientycoon mit einer imposanten Goldkette um den Hals und einer schweren teuren Uhr am Handgelenk. Ich blicke vom Balkon der Prestige Suite des Carlton Hotels in Cannes auf meine sich sanft in der Dünung wiegende stahlblaue Yacht und erlaube Max, mit dem Bentley einmal die Croisette rauf- und runterzufahren.
„Aber nicht so schnell, Max!“
„Was?“, fragt der.
„Ach nichts.“
„Betongeld?“, fragt Max dann, aber Steffi scheint schon so ungefähr zu verstehen, was ich meine.
„BetonGOLD“, verbessere ich Max. „Seht mal“, sage ich und fühle mich jetzt noch mehr wie ein gerissener Jongleur der Hochfinanz, der seinen unwissenden Jüngern etwas Wissenswertes über den komplizierten Umgang mit Geld erklärt. Dabei ist es doch ganz einfach.
„Wir kaufen von dem Onkel-Günter-Geld ein Mietshaus für mehrere Familien und dann kassieren wir die Mieten, solange die Hütte steht. Unser ganzes Leben ist damit praktisch jetzt schon abgesichert. Unser Geld arbeitet!“
Das ist wahrscheinlich übertrieben und das Geld von Onkel Günter wird dafür nicht ganz reichen, wir müssten uns also noch etwas leihen, außerdem ist alles etwas zu rosig gesehen … aber es hört sich doch schön an.
„Naja“, meint Steffi, „wir könnten natürlich auch den Kredit für unser eigenes Haus hier in Leckede damit abbezahlen.“
Ja, da hat sie natürlich recht. Das könnte man machen. Aber es ist eigentlich nicht das, was ich mir als soeben erstandener Großinvestor vorstelle. Und außerdem denke ich auch jetzt, vielleicht erstmalig wieder, an die Worte meines Vaters mit dem erhobenen Zeigefinger. An später denken!, Vorsorgen! und so was. Die Familie absichern! Tja, das könnte ich jetzt machen.
Und darum sage ich: „Aaach, nein, Steffi, der Kredit läuft doch von ganz alleine, und es dauert ja auch nur noch ein paar Jährchen, dann sind wir ihn schon los. Nein. Wir IN-VES-TIE-REN!“, posaune ich in staunende Gesichter und ich finde auch, dass es sich aus meinem Munde noch etwas seltsam anhört. Ungewohnt. Egal. Geld verändert eben Menschen.
Aber das Darlehen für unser schönes Bauernhaus hier in Leckede, das wir vor einigen Jahren aufnehmen mussten, läuft wirklich ganz gut von alleine. Ich verdiene in der Redaktion des Sauerlandbeobachters zwar keine Unsummen, aber immerhin bin ich der Redaktionsleiter dieses kleinen kostenlosen Anzeigenblattes, und wir kommen ganz gut zurecht. Der Kredit bekommt monatlich, was er braucht, und wir müssen nicht sparen. Das Onkel-Günter-Geld könnte also tatsächlich IN-VES-TIERT werden. Zum Beispiel eben in Betongold!
Es macht eigentlich doch auch richtig Spaß, über so etwas überhaupt mal nachdenken zu können. Endlich mal zu denen zu gehören, die unbedingt ihr Geld unterbringen müssen. Wohin damit, Onkel Dagobert? Vorsicht, die Panzerknacker graben schon wieder einen Tunnel!
Max ist das alles egal, er verzieht sich nach oben in sein Zimmer und hört wahrscheinlich wieder eine dieser schrecklichen Metall-Musikgruppen, und ich sitze mit Steffi allein in der Küche, um das Wort „Betongold“ noch mal gründlich von allen Seiten zu beleuchten.
„Naja“, meint sie dann nachdenklich und zieht einen Mundwinkel nach oben, was ihr außerordentlich gut steht. Sieht irgendwie frech aus. Sie ist die frechste … nein, nein, natürlich die schönste Frau der Welt, besonders mit hochgezogenem Mundwinkel. „Schlecht hört sich das ja nicht an.“
„Genau. Sieh mal, Steffi, wir kaufen ein schönes Haus und vermieten es an nette Menschen, die uns gerne und sogar monatlich dafür Geld bezahlen, in so einem schönen Haus wohnen zu dürfen. Wir sind nett zu ihnen, sie sind nett zu uns. Das ist doch toll. Und solange das Haus steht, bekommen wir Miete. Geld, ein Leben lang. Kohle ohne Ende. Die Familie ist abgesichert für alle Zeiten! Wer weiß denn, was später mal kommt?“
Sie sieht mich strinrunzelnd an und vielleicht überlegt sie, ob sie nicht versehentlich doch einen ganz anderen Mann geheiratet hat, denn so was hat sie eigentlich noch nie von mir gehört. Ich ja selbst auch nicht. Aber ich bin trotzdem sehr stolz, diesen ganzen Sachverhalt auf so eine hübsche, plausible und einfache Formel gebracht zu haben, weil ich auch wirklich meine, dass es eine ziemlich gute Idee ist, so ein Mietshaus zu kaufen.
„Tjaaa …“, sagt Steffi nur, „vielleicht hast du ja recht.“
Natürlich habe ich recht. Warum machen es denn viele andere auch so, die es nun wirklich wissen müssen? Donald Trump … oder Günther Jauch zum Beispiel. Der hat eine ganze Menge Mietshäuser, wie man liest, und scheint doch trotzdem, oder gerade deswegen, ziemlich gut drauf zu sein. Immobilien! Das ist doch das Zauberwort der Wohlhabenden, das man sich hinter vorgehaltener Hand und auf Dinnerpartys und Vernissagen zuflüstert. Beton bleibt!
Natürlich hatte es uns noch nie jemand zugeraunt, denn bisher gab es keinerlei überflüssiges Geld unterzubringen. Wir waren immer froh, dass es für alles gereicht hat. Aber jetzt, wo wir doch reich sind, sieht die Sache ja schon ganz anders aus.
Hunderttausend Tacken! Boah ey!