Читать книгу 100.000 Tacken - Reiner Hänsch - Страница 9

Jamas!

Оглавление

Mit einem Taschentuch vor dem Mund kann man die ersten zwei, drei Minuten ganz gut aushalten, aber dann sieht das mit dem Taschentuch einfach auch nicht so besonders aus, es wirft Fragen auf und wir verzichten auf diesen unhöflichen Atemschutz.

Er nützt auch sowieso nichts. Das Fett ist überall, es wabert durch den öligen Frittendunst und den beißenden Rauch, der aus der hinteren Ecke des Etablissements quillt, wo man im dichten Nebel jemanden erkennen kann, der mit großen Gesten herumhantiert und mühsam, aber ehrgeizig versucht, eine dürftige Mahlzeit aus verbranntem Fleisch herzustellen. Hier müsste dringend mal ein Fenster aufgerissen werden, aber vielleicht will man ja nicht, dass es zieht. Es ist sehr kalt draußen.

Langsam gewöhnen sich unsere Augen an die feindliche, fast undurchdringliche Atmosphäre und wir erkennen an zwei Plastiktischen andere Menschen, die auch sämtlich ohne Schutzmasken und scheinbar auch ohne weitere Probleme verschiedene Köstlichkeiten der griechischen Küche gut gelaunt verputzen. Es scheint ihnen also zu schmecken. Einer raucht schon genüsslich eine Zigarette, während der andere noch mit großem Appetit verzehrt. Das Rauchen fällt im allgemeinen Geräucher sowieso nicht auf. Das sonst übliche Rauchverbot in Gaststätten erübrigt sich also hier schon mal.

Und dann erkennen wir den Grillmeister selbst, der sich langsam immer deutlicher werdend aus dem Qualm schält. Gutmütige griechisch braune Augen sehen uns unter buschigen Augenbrauen in tiefem Schwarz an.

„Dat is‘ Herr Panagopoulos un seine Gattin, woll“, stellt uns Herr Dunkeloh den nebulösen Herrn und eine Frau vor, die wir aber im Dunst noch nicht ausmachen können. Er muss einmal kurz husten und etwas Schweiß abwischen. Aha, da, im Hintergrund, erkennen wir jetzt auch die Frau des obersten Grillmeisters. Sie nickt uns freundlich zu und wendet fachmännisch und voller Andacht mit den bloßen Händen eine große lange, fleischige Wurst und streicht dann liebevoll und ganz verträumt darüber hinweg.

An den griechischen Grillgott gewandt, sagt Dunkeloh dann: „Herr Panagopoulos, dat is‘ dat Ehepaar Knippschild, den’n ich grade dat Haus gezeicht habe, woll. Eventuell hätt’n sie es kauf’n wollen …“

Oh, Konjunktiv Perfekt. Wir sind für ihn also schon aus dem Rennen.

„Aaah“, sagt Herr Panagopoulos, scheint sich riesig über uns zu freuen, obwohl er uns ja gar nicht kennt, reißt die Arme hoch, besinnt sich aber dann und wischt sie sich erst noch an einem rotkarierten zerfetzten Handtuch ab, dessen Karos allerdings vom ständigen Abwischen fast verschwunden sind, umarmt uns dann aber umso herzlicher wie alte Freunde.

„De neue Chausbessiddsa! Chärzelick villkommäh. Chärzelick villkommäh. Trinke Ouzo auf Chaus. Umsonst. Kosta nix! Athina, bringst du de Ouzo, parakaló!“, ruft er nach hinten und die Grillwurst muss leider für einen Moment vernachlässigt werden.

Sehr freundlich, das Ehepaar Panagopoulos.

Und schon stehen vier kleine Ouzogläser vor uns auf der öligen Theke des Hauses und der große Gyrosmeister hebt seines, um mit uns anzustoßen. „Jamas!“, brüllt er, die Gläser knallen, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, zusammen, es spritzt ein wenig und schon bahnt das eiskalte Aniszeugs sich seinen feurigen Weg unsere Kehlen hinunter, bevor wir uns dagegen wehren können. Boah! Na, wenigstens ist es eiskalt, sonst kann man so was ja wirklich nicht trinken.

„Noch ein!“, brüllt Panagopoulos wieder herzlich lachend, die Flasche kreist und wieder heben wir wie fremdgesteuert die Gläser, um sie neu füllen zu lassen und deren Inhalt Richtung Magen zu schicken. Das haben die Griechen ja drauf. Das ist Hypnose, oder was! Ich weiß es nicht. Es funktioniert immer. Große Magie. Bei den Zauberworten „Trinke Ouzo auf Chaus!“ kann man gar nicht anders und muss das furchtbare Zeugs saufen. Man will ja auch das freundliche Volk der Griechen nicht beleidigen. Also: Jamas!

Herrn Dunkeloh geht es schon viel besser. Er hat wieder etwas Farbe im Gesicht.

„Woll’n we wat ess’n?“, fragt er. „Ich lad Sie ein, ja? Geht auf Kost’n von Dunkeloh und Wöbkemeier, hahaha …“ Und da lacht er schon wieder, sogar noch etwas wahnsinniger als eben, so dass wir uns doch wieder etwas Sorgen um ihn machen.

Tja, was essen? Mein etwas unsicherer Blick zu Steffi wird von ihrem ebenso zweifelnden Blick erwidert. Uns tränen etwas die Augen. Aber gut … eine Kleinigkeit könnte man vielleicht …

Zweimal Gyros. Steffi nimmt Bauernsalat mit Schafskäse.

Und Ouzo natürlich. Sowieso. Ouzo muss. Das Gyros ist verdammt lecker. Schön kross und ohne Fett. So muss das sein. Naja, das Fett hängt ja auch schließlich überall in der Luft um uns herum, das kann ja gar nicht mehr … egal. Es schmeckt.

„So“, sagt Dunkeloh dann erleichtert und schiebt sich eine übervolle Gabel mit dem gegrillten Geschnitzel in den Mund, „dann ham we’s also hinter uns, woll. Un ich muss Ihn‘ gratulieren. Sie sin tatsächlich de Ärsten, die bis Ghana gekomm‘ sind. Hahaha …“

Der Mann ist echt von der Rolle.

„Wie meinen Sie das, Herr Dunkeloh?“

„Naja, bisher binnich nie weiter als bis inne Türkei gekomm‘. Hahaha … Bei de Göktürks sin mir de Interessent’n meistens schreiend wieder wechgelauf’n. woll. Hahaha … Ich heiß übring’s Willi“, sagt er dann und hebt schon wieder sein Ouzoglas, um mit uns anzustoßen. Der Makler ist gänzlich von ihm abgefallen. Seine Sprache ist schon leicht abgeschliffen, aber man versteht ihn noch ganz gut. Netter Kerl, eigentlich.

„Alex“, sage ich und Steffi sagt: „Steffi. Ich nix mehr. Muss ja noch fahren.“ Sehr vernünftige Frau. Ich kann ja gar nicht mehr fahren.

„Also, Alex, Steffi, ich sach’s ma so: Diese Bude kosded mich noch den letzt’n Nerv, ja? Un heute hat’s mir wirklich gereicht, glaubt mir dat. So schlimm war’s noch nie. Dat gibb’s ja gar nich. Dat reinste Irrenhaus, woll. Die sin ja alle völlich wahnsinnich. Ich kanni mähr.“

Und dann schüttet er wieder Ouzo in sich rein und macht ein Gesicht, als denke er schon über eine frühzeitige Pensionierung nach oder darüber, was er im Leben alles falsch gemacht hat und dass es so alles einfach nicht weitergehen kann.

„Oooch“, sage ich, „ich fand’s ganss int’ressant, Willi“, und nehme auch noch einen ganz kleinen Schluck. Man gewöhnt sich ja doch irgendwie an das Zeugs, wenn man erst mal den leichten Ekel überwunden hat. „Multikulti, Willi! Is’doch toll. Die gansse Welt in eim Haus!“, töne ich herum, lächle überglücklich meine Steffi an und trinke fröhlich meinen Ouzo.

Herr Pangopoulos steht schon wieder mit der Ouzoflasche neben uns und kippt nach. „Tringe, tringe! Hahaha …! Das mein Frau Athina“, sagt er und schiebt seine blond gefärbte Gattin schmutzig, fast zweideutig lächelnd ins Bild. „Mein Göttin“, sagt er dann und kneift sie zielgenau in den Hintern. Ja, ich habe es genau gesehen. Athina haut ihm dafür lachend auf die fettigen Finger und schüttelt entschuldigend den Kopf.

„Un das die neue Chausbessidsa“, sagt er dann zu seiner Göttin, die jetzt wieder freundlich lächelt und auch „Chärzelick villkommäh!“ sagt.

„Oh, viel’n Dank, liebess Ehepaar Panago …“

„Binnisch Takis“, brüllt der lachende Grieche und gießt nach, dass die Gläser schwappen. Was für ein wunderbarer Laden, dieses Takis Orakel. Könnte meine Stammkneipe werden.

Steffi wirft mir einen ersten warnenden Blick zu und Willi Dunkeloh sieht mich noch immer an wie eine Erscheinung, weil er das mit dem ‚tollen Haus‘ von gerade wohl nicht so ganz verstanden hat.

„Wat sollas heiß’n: ganz int’ressant?“, fragt er dann regelrecht schockiert. „Ihr seid donnich tatsächlich int’ressiert an dem Irrenhaus, hä? Alex? Steffi?“

Ich mache eine spitze Schnute, neige den Kopf ein wenig, als würde ich verschiedene Dinge kritisch gegeneinander abwägen, wozu ich ja gar nicht mehr fähig bin. Dann sehe ich Steffi an. Sie macht ein ähnliches Gesicht, aber mit zusätzlichem Hin- und Herwiegen ihres hübschen Kopfes. Das heißt, sie wägt auch ab, aber ganz so toll fand sie es möglicherweise doch nicht. Oder sie ist sich nicht ganz sicher, oder sie hat noch etwas ganz anderes vor.

„Naja“, sage ich, „is‘ doch’n schön’s Hausss. Juhngstil.“

„Ja, ja, Juhngstil. Sicher isses schön … sicher!“, bestätigt mir mein neuer Freund Willi.

Der arme Kerl ist ganz durcheinander. Wo er doch alles schon abgeschrieben hatte. Damit hatte er wohl überhaupt nicht gerechnet und jetzt muss er wieder umschalten auf Makler.

„Es is‘ sogar säähr schön. Ihr könnt es hab’n. Säähr gerne. Ich mach euch ’n Wahnsinnspreisss, woll. Der Verkäufer is‘ auf jed’n Fall einverstand’n – mit jed’m Angebot. Der will den Kasten loosswerd’n, weil … ach, is‘ ja egal. Un ich verssichte auf meine Provision. Nehmt es! Nehmt es! Alex, Steffi, bitte, tut mir den Gefallen. Ich kanndanichmehrrein!“

Och, der Arme. Vielleicht denkt er auch schon daran, den schönen Beruf des Maklers aufzugeben. Das wäre aber schade.

„Ja, und was würde es denn dann kosten?“, fragt Steffi und daran merke ich, wie geschäftstüchtig sie doch tatsächlich ist, denn den Preis des Hauses kennen wir ja eigentlich von der Anzeige. Sie will also handeln. Und ich stelle auch mit Zufriedenheit fest, dass der Gedanke mit dem Hausbesitzertum auch bei ihr noch immer voll im Rennen ist.

„Ssweihunnert!“, bläst Willi Dunkeloh raus und sackt kraftlos in sich zusammen. „Dassis ein Hammerpreis, dassis eine Rendite von über sieb’n Prossent! Dassis einfach der Wahnsinn!“

Sieben Prozent!? Ist das gut? Ich weiß gar nicht so genau. So weit waren wir ja in das Mehrfamilienhausgeschäft noch gar nicht eingestiegen, um dazu eine Meinung zu haben.

„Sieb’n Prossent!“, singt Willi noch mal ganz verzweifelt und „Ssweihunnert! Letsses Wort!“ und dann reicht er uns etwas geheftetes Papier aus seiner schwarzen Mappe. „Das sin die Ssahlen. Die lügen nicht, woll!“

Ich sehe Steffi an und wir zucken beide unmerklich mit den Achseln, so dass Willi es nicht merkt. Aber der merkt sowieso nichts, weil er schon wieder mit dem Ouzoglas nach Takis winkt.

„Hundertachtzig!“, sagt Steffi dann und ich verschlucke mich fast an meinem alkoholischen Anis-Kaltgetränk. Boah, wie cool ist die denn drauf? Da macht der arme Willi schon so einen Hammerpreis, und dann will sie ihn noch weiter runterhandeln. Der arme Willi! Das kann man doch nicht machen!

Willi stiert sie blöde an und stöß ein-, zweimal auf. Dann schüttelt er sich kurz und sagt einfach: „Hunnertachssig! Ass klar! Scheisegal.“

Und in diesem Moment bedauere ich es dann doch, dass sie nicht „Hundertsechzig“ gesagt hat. Aber egal. Scheisegal sogar.

Und dann ruft Takis noch einmal „Jamas!“, die Gläser krachen und Steffi gibt mir ein Zeichen, dass es jetzt wirklich Zeit für uns wird. Ja, wenn es am schönsten ist …

„Wir überlegen“, sagt Steffi und steht schon aufrecht neben mir. Was gibt’s da noch zu überlegen? Ich meine, auch hundertachtzig ist doch ein toller Preis. Schnäppchen! Doch Steffi zieht mich schon hoch und ich kann nur noch reaktionsschnell den Rest aus dem halbvollen Ouzoglas hinunterschütten.

„Tschüss Willi, wir müss’n“, sage ich also. „Wir meld’n uns! Schön’s Hauss! Wirklich. Wir überlehng.“

Dann packt Steffi die Willi-Papiere ein und zerrt mich aus dem Frittennebel ins Freie. Willi schaut uns ganz traurig hinterher. Der arme Kerl.

„Kauft es. Sieb’n Prossent!“, ruft er uns hinterher und dann weint er, glaube ich.

Die frische Luft ist ein echter Schock und bringt mich fast um das Gleichgewicht. Aber dann fange ich mich wieder und Steffi bugsiert mich geschickt zu unserem alten Volvo, den wir nach einiger Zeit auch ohne Zwischenfälle erreichen.

Ich drehe mich dann aber noch mal sehnsüchtig um und sehe auch Freund Willi jetzt in äußerst gewagten Schleifen auf seinen Mercedes zuwanken. Er schließt ihn sorgfältig auf, lässt noch ganz nebenbei einen hintenraus knattern, weil er sich ganz alleine wähnt, und dann fährt er mit Vollgas von dannen.

„Wir meld’nuns, Willi!“, rufe ich ihm hinterher, aber er hört mich natürlich nicht mehr.

Im selben Moment biegt ein Lieferwagen um die Ecke und hält direkt vor unserem Haus an. Elektro Stankozi steht in großen dicken Lettern an der Seite und darunter der flotte und sehr sinnige Spruch Hast du’n Kurzen in der Dosi – Stankozi!.

Zwei kräftige Männer in blauer Arbeitskleidung und großen Westernhüten steigen bedächtig aus, werfen ihre Zigaretten in hohem Bogen auf die Straße und sehen sich lauernd nach allen Seiten um. Sie stehen breitbeinig vor ihrem Lieferwagen und ich warte nur darauf, dass sie in der nächsten Sekunde ihre Colts aus den Blaumännern ziehen und wild auf bisher unsichtbare Verfolger schießen. Aber sie sehen sich nur um, der eine rückt seinen Cowboyhut zurecht und dann betreten sie mit zwei schweren Werkzeugkästen das Haus.

„Macht mir bloß nix kaputt!“, rufe ich ihnen zu und dann knallt Steffi meine Tür zu.

Unser guter, alter Volvo nimmt den Gestank des Takis Orakels dankbar an und wir donnern los.

***

Ich hatte einen Traum.

Es war eine wunderschöne, laue Sommernacht und ich saß mit vielen Menschen an einem großen, langen Tisch, der im Hinterhof unseres grauen Hauses in Arnsberg stand. Es waren unsere Menschen. Alle Bewohner des Hauses Ruhrstraße 214 waren anwesend und der Grill räucherte munter vor sich hin. Takis lautes Lachen übertönte sogar das Geschrei des kleinen Göktürk-Monsters, das ab und zu eine kleine Ohrfeige bekam, und Takis schnitt immer wieder kleine, dünne Schnipsel von dem gewaltigen Gyrosspieß ab, der sich goldbraun und saftig vor der Glut drehte. Ab und zu kniff er seine Frau wolllüstig knurrend in den Hintern.

Herr Horstkötter hatte seine gesamte Marschmusik-CD-Sammlung samt Plattenspieler in den Hof getragen, spielte ein Meisterwerk nach dem anderen ab und marschierte dazu im Takt stramm hin und her. Frau Göktürk hatte ihren Riesenfernseher in den Hof geschleppt und Herr Wukuada, Herr Nguyen und das Ehepaar Bolschakow saßen einträchtig davor und verfolgten eine sehr interessante Diskussion.

Die Libanesen hatten ihren Schlangenbeschwörer dabei und eine seiner Kobras schlängelte friedlich zischend zwischen den Gartenstühlen umher. Der Herr Maharadscha hatte seinen Tiger vorsichtshalber an die Leine gelegt, damit er die Schlangen nicht beißt oder umgekehrt. Und alle vertrugen sich ganz wunderbar. Selbst die Araber sangen gemeinsam mit Herrn Bhattacharya den Rhythmus des Radetzky-Marsches mit. „Tadda-buff-tadda-buff-tadda-buff-tata.“

Und alle trugen bunte T-Shirts, die Herr Wozniak in seiner kleinen Druckerei gefertigt hatte und auf denen in liebevoll geschwungenen Lettern zu lesen stand: „Knippschilds – we love you!“ Daneben prangte ein rotes Herz. Herr Wozniak selbst war nicht dabei.

Ach, es war so schön. Multikulti. Ein paar Hühner trotteten gackernd um uns herum und pickten fröhlich und dankbar alles auf, was uns herunterfiel. Nur Willi Dunkeloh saß in einer Ecke und schüttelte andauernd den Kopf.

Auch Steffi hatte einen Traum.

Allerdings in gewissen Dingen grundlegend anders als meiner, wie ich dann erfuhr. Auch sie hatte von einer großen Feier geträumt, die bei ihr allerdings im Nebel vom Takis Orakel stattfand. Frau Bolschakow spielte finstere russische Balladen auf einem stählernen, rostigen Klavier und Wukuada übergoss Willi Dunkeloh mit schwarzem Frittenöl. Herr Horstkötter trug sein klassisches Unterhemd, das allerdings in Fetzen an ihm herunterhing, weil Herr Nguyen ihn mit seinem Sportrad überrollt hatte, und das Schutzblech sich sehr unglücklich im Feinripp verfangen hatte. Horstkötter schimpfte und nervte, und die Araber banden ihn daraufhin auf Takis‘ Grill, um ihm endlich mal Feuer unterm Arsch zu machen, dem alten Nazi. Herr Bhattacharya hetzte dann seinen Tiger auf die Libanesen, um ihn zu retten, aber der blöde Tiger fiel lieber über Frau Göktürk her, die deswegen auch laut um Hilfe brüllte. Ihr betrunkener Ehegatte aber saß teilnahmslos an einem der Plastiktische und Takis ersäufte ihn lachend im Ouzo. Nguyen und Wukuada kochten im hinteren Bereich Hunde, die schon lange nicht mehr bellten, und Helmut Vonderbrake, unser Klempner, warf eine schwarze Kloschüssel aus dem zweiten Stock, die laut krachend vor dem Grill zerplatzte.

Wieder wachen wir ziemlich gleichzeitig auf und Steffi sagt schweißüberströmt: „Meinst du echt, wir sollten dieses Haus kaufen?“

„Ja, warum denn nicht, Steffi? Es ist doch sehr schön“, antworte ich fröhlich. Das fällt mir natürlich auch sehr leicht, denn ich hatte ja diesen wunderbaren Traum.

„Aber diese Leute!“, sagt Steffi.

„Ach“, versuche ich sie zu beruhigen, „die sind doch alle sehr nett. Ja, gut, vielleicht ist der eine oder andere etwas gewöhnungsbedürftig, zum Beispiel dieser schreckliche Horstkötter. Und die Göktürks, naja, ich weiß noch nicht … Aber du wirst sehen, Steffi, schon bald werden wir gemeinsam mit ihnen schöne Feste im Hinterhof unseres Hauses feiern.

Hauptsache, die Substanz ist gut! Sieben Prozent! Wahnsinn. Und dann der Preis! Und wie du den eiskalt runtergehandelt hast. Meine Güte, Steffi, bist du cool.“

Steffi sagt dann nichts mehr und geht ins Bad.

„Sieh dir doch nur mal an, was uns der Willi gegeben hat. Das sind die Zahlen. Die lügen nicht“, sage ich am Frühstückstisch und reiche ihr die Papiere, die Willi Dunkeloh in seiner schwarzen Mappe mit sich herumgetragen hat und die Steffi gestern glücklicherweise noch aus dem Takis Orakel mitgenommen hatte. Ich hätte sie glatt vergessen. Aber heute Nacht habe ich sie noch mal heimlich studiert. Ich hatte den kurzen, schnellen Ouzo-Rausch irgendwann endlich hinter mir und musste einfach noch mal aufstehen. War nicht mehr müde und hatte außerdem mächtig Durst nach dem gut gewürzten Gyros.

Und da habe ich mir Willis Papiere angesehen. Das Exposé, wie man so was ja nennt.

Es war zwar alles etwas kompliziert, aber die wichtigen Sachen waren ja dick unterstrichen. Und das waren die Mieteinnahmen und die Darlehenskosten für eine Finanzierung. Und das sah verdammt gut aus. Es sollten nach Willis Rechnung so jeden Monat etwa Zweitausend Euro übrig bleiben.

Zweitausend! Das muss man sich mal vorstellen! Für nichts und wieder nichts. Bloß, weil die Leute in unserem Haus wohnen und Miete zahlen!

Und dass wir ja selbst dank Onkel Günter über ganze hunderttausend Euro verfügten, wusste Willi ja gar nicht, als er dieses Exposé erstellt hatte. So hoch werden die Finanzierungskosten also gar nicht sein.

„Sieben Prozent! Das ist der Wahnsinn!“

„Wie, sieben Prozent?“, fragt Max und beißt lässig in sein Marmeladenbrot.

„Erklär ich dir im Auto. Komm, Max, wir müssen los! Du hast noch Marmelade an der Backe.“

Und dann gehe ich mit Max zum Auto, um ihn zur Schule zu bringen und selbst zur Redaktion zu fahren.

„Sieh’s dir mal genau an, Steffi. Es lohnt sich wirklich. Willi hat recht. Das ist der Hammer! Wir sollten es kaufen.“

„Was sollen wir kaufen, Papa?“, fragt Max und ich erkläre ihm dann auf der Fahrt in seine Schule, dass die Familie Knippschild demnächst relativ breitspurig ins Immobiliengeschäft einsteigen wird.

„Geil“, sagt er nur. Na bitte.

Und dann sagt er noch: „Marvins Eltern haben auch so ein Mietshaus.“

„Na, siehste!“

„Sie sagen, es macht nur Ärger.“

„Ach!“

***

In der Redaktion des Sauerlandbeobachters herrscht ein wildes Durcheinander. Irgendetwas scheint passiert zu sein. Und es ist kalt. Viel zu kalt.

„Morgen Alex!“, ruft Ulli Müllenbach, mein lieber Kollege hier beim Sauerlandbeobachter. Ulli schreibt sehr flott, ist immer engagiert und wirft sich auch immer voll rein. Meistens ist es ihm sogar egal, worum es geht. Er fährt einfach immer volle Kraft. Manchmal übertreibt er auch ein wenig, aber er ist ein guter Schreiber und ein prima Kerl. Ich mag ihn gut leiden.

„Komm ma gleich zu Don Camillo rübber. Is‘ wat passiert!“

„Was denn?“, frage ich und schließe erst mal ärgerlich das Fenster in meinem Büro. Frau Brzskravic, unsere Putzfrau, lässt es immer offen stehen, wenn sie mit unseren Büros fertig ist.

„Frisch Lufft gutt fierr alte Sesselstinkärr!“, sagt sie immer, aber zu viel davon ist nichts für mich. Vor allem, wenn die frische Luft gerade mal so fünf Grad hat. Und mehr ist jetzt, Anfang Dezember, auch nicht zu erwarten. Außerdem schließen die verdammten Fenster auch nicht mehr so richtig und sind sowieso immer kalt. Ist eben ein alter Kasten hier direkt am Marktplatz von Leckede, in dem unsere Redaktion schon seit vielen Jahren überlebt, aber recht gemütlich. Wir haben uns dran gewöhnt und uns gefällt’s. Die Heizkörper sind heute allerdings auch eiskalt. Eigentlich sollte die Heizung doch jetzt um diese Jahreszeit auf Hochtouren laufen.

„Was ist denn mit der Heizung los?“, frage ich Ulli verärgert, denn ein kaltes Büro kann ich einfach nicht ausstehen.

„Kaputt!“, sagt er.

„Wie, kaputt?“

„Keine Ahnung. Monteur kommt gleich!“

„So ein Mist!“

„Bis gleich beim Don!“

„Was ist denn jetzt passiert?“, rufe ich Ulli noch hinterher, aber er ist schon weg. „Na gut … ich komme gleich!“

Herkules trottet schnaufend den Gang entlang und schielt neugierig wie immer in mein Büro.

„Hallo Herkules, mein Großer, komm mal her, ich hab auch was für dich“, sage ich und er wedelt freudig mit dem Schwanz, weil er damit schon gerechnet hatte. Herkules ist eine imposante graue Dogge, noch recht jung, aber trotzdem schon ein Riese und der Hund von Anke Niggeloh.

„Morgen Anke!“

„Morng Alex, alles klar?“

„Sicher.“

Herkules verschlingt das Stück, das ich ihm gegeben habe, mit einem Happ und dann schnüffelt er alles ab und sucht nach weiteren Leckerchen, aber heute habe ich nur dieses eine für ihn. Es war ein halbes Rindersteak, das wir am Wochenende leider nicht besonders gut hinbekommen haben. Aber dem Hund hat’s eindeutig gut geschmeckt.

„Is‘ ja ‘ne dolle Sache, nä?“, sagt Anke dann und zieht ihre buschigen Augenbrauen hoch.

„Was denn? Das mit der Heizung?“

„Ja, dat auch, aber ich merke, du weiß‘ nonnix. Na, dann komma schnell mit zu Don Camillo.“

„Ja, ich komme.“

Don Camillo ist mein Partner bei diesem kleinen Blatt und sozusagen der Herr der Finanzen. Er ist Geschäftsführer, ich der Redaktionsleiter. Don Camillo versteht eine Menge von Geld und Einnahmen und Ausgaben, Kosten und Gewinnen, Vorsteuer, Mehrwertsteuer und so was. Ich weiß nur, wie man gute Artikel schreibt und den Dingen auf der Spur bleibt. Aber wir ergänzen uns ganz gut. Ach ja, Don Camillo heißt er natürlich nicht wirklich. Er heißt Heinz-Josef Camillo Montebello. Sein Vater war Italiener. Don Camillo hat sich da eben so angeboten.

„Morng allerseits!“, rufe ich in die Runde der Kollegen in Dons Büro. Außer Ulli und Anke sind noch Peter Wichmann, unser Grafiker und Fotograf, und Elke Hagenkordt da. Ebenfalls Redakteurin. Wir sind ein gutes Team und verstehen uns alle so weit ganz prima.

Gut, ab und zu gibt es auch mal richtig Streit, weil zum Beispiel Peter sich ein Büro mit Elke teilt und ab und zu einfach mal vergisst, dass ja überall Rauchverbot herrscht, auf dessen Einhaltung Elke strengtens achtet. Tja. Da fliegen schon mal die Fetzen, denn Peter muss einfach immer rauchen, und er kann ja nicht den ganzen Tag draußen stehen. Wer soll denn dann die Arbeit machen?

Und auch Anke und der Don geraten immer wieder mal aneinander, weil Anke eben Herkules hat, den sie nicht alleine zuhause lassen kann und der hin und wieder schon mal ein wenig Unruhe oder auch mal einen unangenehmen Geruch in der Redaktion verbreiten kann. Er ist eben noch jung und da passiert schon mal ein kleines Malheur, wenn Anke vergisst, früh genug mit ihm rauszugehen. Nur: Ein kleines Malheur hat bei so einer Dogge dann schon mal gewaltige Dimensionen.

Natürlich ist Herkules auch jetzt wieder dabei und läuft direkt schwanzwedelnd ausgerechnet zum Don.

„Och Anke, muss denn dä Hund schon widder hier … oh näää!“ Der Don dreht sich etwas angewidert ab und vermeidet es, in die Nähe der sabbernden Lefzen dieses riesigen, tapsigen Monstrums zu kommen. „Anke, bitte, nimm den wech!“

„Hooch, is‘ ja schon gut!“, sagt Anke beleidigt und dann sagt sie zu ihrem Hund: „Herkules, Platz!“, aber er platzt nicht, sondern begrüßt erst mal freudig die anderen in der Runde. So viel Zeit muss sein.

Wir versuchen, ihn so gut, wie das bei so einem Riesenhund geht, zu ignorieren und ich frage den Don jetzt, was denn eigentlich los sei.

„Heizung kaputt!“, sagt er als Erstes, fasst zur Sicherheit noch mal die Rippen seines Heizkörpers an und schüttelt verärgert den Kopf. Er hat seinen Mantel an.

„Hab ich schon gemerkt“, antworte ich ihm ebenfalls ziemlich ärgerlich.

„Monteur kommt gleich.“

„Und was noch?“, frage ich, denn wegen einer kaputten Heizung wird er uns ja wohl nicht in sein Büro bestellt haben.

Da leuchten seine Augen auf und er beugt sich ein wenig über seinen Schreibtisch zu uns herüber. Aha, es ist also tatsächlich was passiert.

„Falschgeld in Leckede!“, haut er dann raus und lässt seine Faust dabei eindrucksvoll auf den Schreibtisch krachen. „Ha, is‘ dat wat, Leute?!“

Ja, das ist was. Allerdings. Hat’s noch nie gegeben.

„Falschgeld? Erzähl mal, Don, wer hat’s entdeckt? Wo ist es aufgetaucht?“, frage ich höchst interessiert, denn es passiert nun mal eben leider nicht besonders viel in Leckede-Hintersten. Eigentlich nie überhaupt irgendwas. Deshalb freue ich mich natürlich ganz besonders, hier möglicherweise einen richtigen Kriminalfall zu haben. Ich sehe schon die fette Headline und den Artikel mit ein paar schönen Falschgeldbildern, ein paar Geschädigten, vielleicht sogar schon einem Verdächtigen …

Der Don lehnt sich genussvoll zurück und beginnt.

„Juwelier Dorenkamp hat sich heute morgen bei de Polizeiwache gemeldet und ’n falschen Fuffziger abgegeben, woll. Kam ihm irgendwie komisch vor. Papier war anders als sonst oder wat, un da issser ehm zur Polizei gegangen. Und: Es is‘ tatsächlich Falschgeld! Vorweihnachtszeit. Da wäre wohl Saison für sowwat. Getz hatter natürlich Pech, weil er von diesen scheiß Fuffzigern wohl noch ’n paar andere hat. Die darf er getz alle abliefern und kricht nix ersetzt. Vielleicht hätter se lieber ausgeben soll’n. Hahaha … der olle Kurzhöfer hätte se doch alle genomm’, der Blindfisch, der merkt donnix!“, lacht der Don, aber Elke Hagenkordt sagt empört: „Das ist doch nicht lustig, Heinz-Josef!“ Sie nennt ihn nicht Don.

Heinz Kurzhöfer ist der Leiter des Edeka-Lebensmittelmarktes in Leckede und schon ziemlich alt und schwer tüddelig.

„Schulligung. Natürlich nich.“ Der Don räuspert sich.

„Und? Gibt’s schon ‘ne Spur?“, frage ich, und der freundlich sabbernde Herkules scheint auch interessiert, denn er spitzt aufmerksam die Ohren.

„Nee, nonnix. Aber vielleicht könntes‘ du ja ma kucken, ob du wat rauskriss, Alex. Geh domma bei dem Dorenkamp vorbei. Vielleicht sin we ja besser als de Pollezei. Die hat nämmich nonnix, wie ich die kenne.“

„Ja, klar, das mach ich. Ich geh gleich mal hin.“

„Gut“, sagt der Don, „ham we sons noch wat?“

„Tja, ich kümmer mich dann mal um de Sache mit dem neuen Pflaster inne Fußgängerzone“, sagt Ulli und scheint etwas enttäuscht, dass er nicht der Sache mit dem Falschgeld nachgehen darf. Aber das mache ich sehr gerne selbst.

Und außerdem ist die Sache mit dem neuen Pflaster auch nicht übel. Da wurde wochenlang diskutiert, welches Pflaster man denn nun nehmen sollte, die Bürger durften sogar selbst entscheiden, nachdem sie mehrere Quadratmeter Probepflaster ausprobieren konnten. Und als man dann endlich, endlich nach vielem Hin und Her eins ausgesucht hatte und die erste Straße schon fertig war, hat der Bauamtsleiter bemerkt, dass die Jungs leider das falsche Pflaster gelegt hatten. Ha! Alles wieder raus, wäre jetzt zu teuer und würde viel zu lange dauern. Und jetzt ist man gerade dabei, den Bürgern das falsche Pflaster schönzureden. Ha! Wo sind wir denn hier? In Schilda? Eigentlich könnte Ulli mit dieser Wahnsinnsstory auch verdammt zufrieden sein.

„Ja, und Peter und Elke müssen ja noch den Bürgermeister vor der Wahl interviewen und fotografieren“, sage ich und Anke sagt nur: „Und ich hab meine Anzeigen! Komm, Herkules!“, und dann verschwinden alle wieder. Herkules dreht sich noch mal etwas sehnsüchtig nach uns um, dann ist auch er raus.

Als ich dann mit dem Don alleine bin, sieht er mich fragend an.

„Is‘ no wat, Alex?“

„Och … jaaa … sag mal, Don, sind sieben Prozent eigentlich viel?“, frage ich ihn so ganz locker, wie nebenbei.

Er sieht mich an und sagt: „Für Wein ’n bisken wenich un für Bier eigentlich zu viel, hahaha.“

„Nein, ich meine … Rendite.“

Bei diesem Wort aus meinem Mund muss er erst mal seine Brille abnehmen und mich noch mal sehr prüfend anschauen, ob wirklich ich es bin, der da diese Frage gestellt hat.

„Seit wann kenns‘ du denn solche Fremdwörter?“, fragt er und grinst mich an.

„Wir kaufen ein Haus“, spucke ich aus und warte gespannt auf seine Reaktion.

„Hast doch ’n Haus!“

„Nein, eins für andere, Mietshaus, weißt du, Anlageobjekt.“

Schon wieder so ein Wort aus meiner neuen Fremdsprache.

„Hasse im Lotto gewonnen oder hasse geerbt?“

„Na, du weißt doch, dass Onkel Günter vor Kurzem dann so plötzlich …“

„Ach, der olle Stinkstiefel! Und der hat dir wat vererbt?“

„Jo“, sage ich, „hundertausend Tacken!“

„Donnerwetter“, meint der Don. „Und getz willze dat Geld anlegen.“

„Genau.“

„Haus is‘ nich schlecht“, meint er da nachdenklich und wichtig den Mund spitzend. „Betongold!“

Na bitte. Sag ich doch.

„Sieben Prozent is‘ auch verdammt gut. Würd ich machen.“

„Echt?“

„Naja, is‘ denn de Substanz …?“

„Substanz ist astrein“, antworte ich schnell und etwas aufgeregt, dass auch der Großmeister der Finanzen mir seinen Segen zu geben scheint.

„Gute Lage?“, fragt er noch.

„Gute Lage!“

„Alles vermietet?“

„Alles vermietet, alles nette Leute.“

„Ja, dann …“, sagt er nur und nickt noch mal. „Herzlichen Glückwunsch!“

„Danke, Don.“

Gut gelaunt und emotional gestärkt verlasse ich sein Büro und denke an das spätere Gespräch mit Steffi zuhause. Wenn sie die Willi-Papiere gelesen hat und ich ihr von Dons Meinung zu der Sache erzähle, ist sie sicher auch restlos überzeugt, die letzten Zweifel sind zerstreut und unser herrliches Leben als sorgenfreie Immobilienbesitzer im Luxus kann beginnen.

Jetzt erst mal zu Dorenkamp.

Als ich die Redaktion verlasse, kommt mir Helmut Vonderbrake von der Firma Heizung-Sanitär Ebbinghaus mit einem Kollegen entgegen.

„Hallo Helmut!“, grüße ich ihn, denn seit er in unserem Bauernhaus das antike Heizungssystem gewissermaßen zu Forschungszwecken betreut, ist er schon ein richtig guter Bekannter. Freund könnte man eigentlich sagen. Fast wöchentlich, besonders eben im Winter, besucht er uns und repariert an dem alten Schätzchen herum. Es macht ihm sehr viel Spaß, sagt er und nachher trinken wir immer noch ein, zwei Fläschchen Bier zusammen und reden über das Leben … naja, meistens über Heizungssysteme.

„Den Brenner krisse nich kaputt“, sagt er immer, und solange er das sagt, denken wir auch noch nicht über die Anschaffung einer neuen Heizung nach, obwohl man natürlich enorm dabei sparen könnte. „Neueste Brennwerttechnik, Wärmepumpe, Solaranlage oder Pelletheizung“ und so was sagt er ja auch manchmal. Aber zum Schluss sagt er dann wieder: „Den Brenner krisse nich kaputt“, und geht leicht besoffen nach Hause.

„Helmut, die Heizung in der Redaktion ist kaputt“, rufe ich ihm zu.

„Deswegen binnich ja hier“, meint er und grinst siegessicher. Und da weiß ich, dass er sie wieder hinbekommen wird.

„Heute Nammitach habbter wieder ’n warmen Arsch, ihr fleißigen Schreiberlinge! Ganz schön kalt getz, woll? Sibirisch!“ Und dann singt er „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand … Hohohohoho.“

Guter Mann.

***

„Herr Dorenkamp, wie haben Sie denn festgestellt, dass es tatsächlich Falschgeld war?“

„Na, hier, seh’n Se doch selbs, Herr Knippschild“, sagt der gute Herr Dorenkamp – ein, wie soll man sagen?, seriöser älterer Herr trifft es wohl am besten – und reicht mir einen Fünfziger. „Zwei von den falschen Lappen hab ich noch behalten. Hier, fühlen Se mal!“

Ich nehme den Schein entgegen und reibe ihn zwischen Daumen und Zeigfinger, kann aber nichts Besonderes feststellen. Auch der Druck und die Farben sind meiner Meinung nach einwandfrei.

„Und hör’n Se mal. Der knistert doch ganz anders“, fügt Dorenkamp aufgeregt hinzu und fasst ihn selber noch mal an, um ihn kräftig knistern zu lassen.

Naja, wenn man ihn länger in der Hand hat, dann merkt man, dass vielleicht wirklich irgendetwas anders ist an diesem Fünfziger. Ja, ich glaube, er knistert tatsächlich etwas anders, obwohl ich mir noch nie über das Knistern eines Geldscheines Gedanken gemacht habe. Das merkt man wahrscheinlich nur, wenn man die Scheine länger in der Hand hat als nötig. Vielleicht zählt Herr Dorenkamp den ganzen Tag sein Geld und bringt es dann auch abends in seinen Geldspeicher, wie ich das ja demnächst auch tun werde. Er hat sein Geld eben sehr lieb und da achtet er auf jede Kleinigkeit.

„Und hier, pass’n Se auf.“ Mit diesen Worten legt er den Schein in eine Keramikschale, zückt ein Feuerzeug und zündet ihn an.

„Hey, was machen Sie denn da, Herr Dorenkamp. Das sind doch fünfzig Euro!“ Und ich versuche, den Schein zu retten und verbrenne mir fast die Finger dabei.

„Nein, lass’n Se’n brennen. Der is’ ja falsch. Aber achten Se ma auf de Flamme. Bläulich.“

Ja, er hat recht, die Flamme ist bläulich.

„Aber was hat das denn zu bedeuten? Wieso ist das denn dann …?“

Und woher weiß er, dass echte Scheine dann wahrscheinlich nicht bläulich verbrennen. Sollte Herr Dorenkamp etwa selbst … Nein, nein. Vielleicht ist es ganz anders, und Juwelier Dorenkamp hat so viel Geld, dass er sich damit Zigarren anzündet. Für einen kleinen, sehr deutlichen Moment sehe ich ihn in einem abgedunkelten Hinterzimmer an einem Pokertisch mit einigen zwielichtigen Gestalten sitzen. Eine üppige Blondine steht hinter Herrn Dorenkamp und knabbert ihm am Ohr, während er sich mit einem Fünfziger eine dicke Zigarre anzündet. Woher soll er das sonst wissen?

„Die Pollezei hat’s mir gesacht. Die wissen sowwat.“

Ach so. Na, und außerdem ist Herr Dorenkamp ja auch schon sehr lange verheiratet. Da würde er sicher niemals mit so einer Blondine im Hinterzimmer … Schluss jetzt, Alex!

„Ach so, die verbrennen also Scheine.“

„Ja, daran kann man’s erkennen. Auch erkennen, wenn man ganz sicher sein will.“

„Und wenn’s dann nicht bläulich brennt …?“, frage ich dann trotzdem noch, aber die Antwort ist mir ja eigentlich schon klar. Und deshalb zuckt Herr Dorenkamp auch nur mit den Schultern und sagt: „Tja, dann … hasse Pech gehabt, Junge, woll. Hahaha.“

Ja, ja.

„Und Sie mussten den falschen Fünfziger dann bei der Polizei lassen und bekommen ihn nicht ersetzt?“, frage ich ihn dann und mache mir ein paar Notizen.

„So isses“, sagt er. „Ich hätte se lieber dem ollen Kurzhöfer angedreht. Der merkt doch sowieso nix mehr“, kichert er albern los, was ich ihm als seriösem Herrn eigentlich nicht zugetraut hätte. „Aber dat darf man ja nich.“

„Nein. Das darf man nicht, Herr Dorenkamp. Wissen Sie denn, wer Ihnen die Scheine gegeben hat?“, frage ich weiter.

„Na, dat hat de Pollezei mich ja auch schon gefracht, aber ich weises nich genau. „Ich weiß nur, dat einer von Herrn Fauseweh kommt, unser‘m Briefträger. Der hat bei mir so ein kleines Schmuckstück für seine Frau gekauft. So’n billigen Modeschmuckring, wissen Se. Eigentlich verkaufe ich sowwat ja gar nich. Naja … Und ich habb ihm noch fast zwanzich Euro wieder rausgegeb’n. Echte zwanzich Euro.“

„Ja, klar. Aber Sie meinen doch nicht, dass Herr Fauseweh …“

„Nä, nä, der bestimmt nich. Aber irgendjemand hat ihm den Schein ja angedreht. Jemand, der es vielleicht selbs nich wusste, datter falsch ist. Dat ist ja dat Schwierige bei de Rückverfolgung, man weiß nie genau, wo dat Geld herkommt.“

Ja, das stimmt. Schwierig.

„Na, ich bleib mal dran. Vielen Dank, Herr Dorenkamp und einen schönen Tag noch!“

Die Sonne kommt mal kurz raus und es ist noch kälter geworden in Leckede-Hintersten. Wenn das so weitergeht, dann haben wir Weihnachten vielleicht sogar Schnee.

100.000 Tacken

Подняться наверх