Читать книгу Reisch un berümp! - Reiner Hänsch - Страница 6
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Nix passiert!
„Tillmann, Tillmann, wat bis’ du mir doch ’n hoffnungslosen Fall. Aus dir wird doch nie ’n rischtijen Musiker! Vill zu lahm und vill zu schlapp spiels’ du dat! ’Dä fröhlische Landmann’, dat is’ doch auch ’n fröhlisches Liedschen! Un’ dat da is’ e ’ne Cis! Mannomann! Tillmann!“, krächzt Hannelore Dröge-Semmeling, meine eisenharte linksrheinische Klavierlehrerin.
Dann hustet sie dreimal ziemlich rostig, weil sie immer so furchtbar viel raucht, und sagt dann etwas ärgerlich aber auch irgendwie ganz froh, weil sie ja dann gleich wieder rauchen kann: „Schluss für heute! Du bis’ doch ma’ wieder jar nisch bei dä Sache. So jeht dat nisch. Du MUSS’ mehr üben, Tillmann! Ährlisch!“
Und dann schüttelt sie ihren knochigen Kopf mit den wirren grauen Haaren obendrauf, dass ich sogar meine, es knirschen zu hören. Es staubt sogar ein bisschen, glaube ich.
„Ja, klar, muss ich“, murmle ich kleinlaut, klappe dann doch ziemlich erleichtert den Klavierdeckel zu - etwas zu heftig vielleicht - und packe schnell meine Noten zusammen, bevor sie sich’s doch noch anders überlegt. Nichts wie raus hier! Der fröhliche Landmann und diese schlecht gelaunte Frau machen mich noch fix und fertig. Und Klavier … find’ ich einfach nicht gut.
Boah! „Der fröhliche Landmann.“ Die Nummer ist doch wirklich das Allerletzte.
„Bis Donnerstag, Frau Dröge-Semmeling!“
„Bis Donnestach, Tillmann!“
Tillmann.
Ja, das bin ich. Meine Freunde sagen natürlich Till zu mir, aber eigentlich heiße ich TILL! MANN! Doch, doch, das ist ein durchaus möglicher Vorname für Jungen. So was kann man machen. Hat meine Mutter sich damals so ausgedacht und mein Vater hatte wohl keine bessere Idee. Oder es war ihm egal.
„Es wär’ doch was ganz Besonderes“, haben sie sich dann beide später rausgeredet, als ich mich mal beschwert habe. Ja, ja, was Besonderes ist es wirklich. So heißt keiner. Jedenfalls hab’ ich noch nie einen getroffen. Natürlich sagen alle Till zu mir. Nachname Heisterkamp. Daran ließ sich leider auch nichts mehr ändern, aber ich denke, es gibt Schlimmeres.
Tja, ich bin also fast fünfzehn und … irgendwie so mittel. Eigentlich in allem. Mittelgroß, also nicht besonders groß, aber eigentlich auch nicht zu klein, so mittel gebaut, also nicht dick und auch nicht dünn, in der Schule bin ich so mittelgut, sehe verdammt mittelgut aus, also nicht so besonders, aber auch nicht so ganz daneben … naja, ich bin eben so’n ganz mittelmäßig normaler Typ – mit ’nem besonderen Namen allerdings - und mit Brille.
Vor Knoches An- und Verkauf, lehne ich mein Rad an die Hauswand.
„AN- UND VERKAUF, ...ALTER KNOCHE“, steht da in vergilbten Aufklebebuchstaben auf einem schmutzigen Neonschild über dem Eingang. Ich weiß, dass der Besitzer Walter heißt, aber das „W“ hat sich schon vor längerer Zeit abgelöst und für immer verabschiedet. Ein sagenhafter Laden. Alles drin. Ich stiere neugierig durch die halbblinden, ungeputzten Scheibe des Schaufensters. Ja, da hängt sie noch. Mittendrin, superrot und wunderschön. Meine Gitarre.
Ein Mega-Teil! Die muss ich haben. Unbedingt.
Tiefrot ist sie mit glänzendem Chrom und perlmuttfarbenen Knöpfen. Außerdem hat sie einen „Jammerhaken“. Das ist ein Vibratohebel, der alle Töne zum Jaulen bringen kann. Irre.
Ich habe keine Ahnung, was sie kosten soll. Ein Preisschild kann ich nicht entdecken, aber heute mache ich auf jeden Fall eine Anzahlung. Fünfzig Euro habe ich dabei, die ich mir hart in den letzten Wochen für das Austragen des blöden Niederrhein-Kuriers verdient habe. Ich hoffe, das reicht dem alten Knoche.
Walter Knoche selbst ist so ein älterer Typ, der manchmal ganz lässig an den Türpfosten gelehnt im Eingang seines Ladens steht, Schnupftabak schnupft und etwas brummig über den Dorfplatz von Jückerath schaut. Das ist unser verpenntes kleines Kaff hier am Niederrhein.
Er sieht eigentlich ganz irre aus, der Knoche. Der schrägste Typ im ganzen Kaff, aber ziemlich chillig. Für Jückerath ist er auf jeden Fall ’ne echte Bereicherung. Er ist ein reichlich dünner Kerl mit langen, grauen Haaren, die zu ’nem Zopf zusammengebunden sind, der hinten durch die Schnalle seiner Baseballkappe raushängt. Sein langer Körper steckt meistens in so ’nem orangenen Overall, sodass er fast aussieht wie einer von der Müllabfuhr. Aber irgendwie ganz cool. Außerdem kommt er aus Bayern und redet auch so.
„Griaß di“, brummt er, wenn Leute kommen, und „Pfiat di“, wenn sie wieder gehen. Es kommt aber fast nie jemand, zu dem er das brummen könnte. Und grüßen tut ihn eigentlich auch keiner. Den Leuten in Jückerath ist er jedenfalls nicht ganz geheuer und sein Laden ist den meisten zu schäbig - und auch irgendwie verdächtig. „Der alte Spinner“, sagen sie immer und „Wat will denn dä Bayer hier?“ Die Jückerather sind lieber unter sich. Spießer.
Oh Mann, was da für ’n Kram in dem Laden rumsteht. Kramladen, sagt man ja auch. Wahrscheinlich hat er sie doch nicht mehr alle, der alte Knoche, und die Leute haben tatsächlich recht. Ich sehe verstaubte, urzeitliche Radios mit labbrigem, zerissenem Stoff vor den Lautsprechern und riesigen, goldenen Knöpfen, an denen sowieso nie mehr jemand dreht. Es gibt Fernseher, die aussehen, als würden sie noch mit Kohle betrieben, alte zerfledderte Comic-Hefte, eine Carrerabahn, bei der die Fahrspuren rosten, ein rosa Mountain-Bike ohne Reifen, ein einigermaßen modernes Keyboard mit jeder Menge bunten Schaltern und Knöpfen … und ’ne Menge alter Waffen. Drei riesige Uralt-Flinten und Messer, Krummdolche und andere Mordwerkzeuge sieht man da an der Wand hängen.
Die rote Gitarre ist das Beste, was er hat. Von Knoche selbst ist allerdings durch das schmierige Schaufenster nichts zu sehen.
„Hallo, Till-Män!“, schnauft es plötzlich ganz unangenehm hinter mir und ein beißender Schweißgeruch verpestet augenblicklich die Atmosphäre, dass ich mich nicht mehr traue, tief einzuatmen.
Oh, oh, jetzt habe ich wohl ein Problem. Es ist ziemlich groß, dick und schwer und heißt Ronny Prosocha. Es tritt in Gestalt eines gemeingefährlichen, menschenähnlichen Blödmanns ohne nachweisbare Gehirnfunktionen auf. Alle nennen ihn Ronny Rexona, weil er so schrecklich nach Schweiß riecht und unbedingt mal ein Deo benutzen sollte - oder einfach überhaupt mal duschen.
Aufpassen, was jetzt passiert. Es könnte gut sein, dass das schon das Ende dieser Geschichte bedeutet, weil ich dieses Kapitel gar nicht überlebe.
„Was willst du, du Vollpfosten?“, schnauze ich ihn an, was ziemlich mutig ist, denn Ronny ist echt gefährlich und nicht alleine. Er hat seine ganze Steinzeitlertruppe mitgebracht, die hohl grinsend um ihn herum steht. Wir nennen sie die Schlieper-Gang. Benannt nach der abgewrackten Siedlung, in der sie alle wohnen. Alle sind schon seit vielen, vielen Jahren in der siebten oder achten Klasse der Ede-Kowalski Hauptschule und kommen irgendwie nicht weiter.
Ich schaffe es gerade noch, mich zu bücken, sodass sein Schlag mir nur die Brille vom Kopf haut. Leider komme ich dabei aus dem Gleichgewicht, tappe halb blind herum – und trete dann auch noch voll drauf. Auf die Brille. Knirsch. Fuck! Sagt man nicht, ich weiß, aber in dem Fall … Ein Bügel ist verbogen und ein Glas gesprungen – naja, nur ein Glas. Unter den Blinden ist der Einäugige … das kennt man ja.
Verdammt blöde Situation!
Und ich habe ja so wenig Erfahrung mit Gewalttaten und habe auch kein Interesse, auf diesem Gebiet irgendwelche Fortschritte zu machen. Also entscheide ich mich für einen verbalen Gegenschlag. Viel anderes bleibt mir ja auch gar nicht übrig.
„Tach, Ronny, wieder mal frustriert heute?“
Die Frage gefällt ihm gar nicht. Er schnauft und der Boden unter uns zittert. Ich spüre, wie Ronny sich langsam, ganz langsam aufpumpt. Zentimeter für Zentimeter wird er größer und größer und er ist sowieso schon ziemlich groß. Und dick.
Gleich platzt er.
Ronny Prosocha. Boah, was bist du lästig.
Wahrscheinlich ist er ein ganz bedauernswerter Kerl, mit dem man eigentlich ’ne Menge Mitleid haben sollte. Hab’ ich aber nicht. Er geht allen furchtbar auf die Nerven, und alle gehen ihm so gut es geht aus dem Weg, weil er nämlich ganz übel zuhauen kann, wenn man ihn reizt. Und reizen kann man ihn ganz einfach. Wahrscheinlich fühlt er sich jetzt gerade gereizt, weil er nicht genau weiß, was ’frustriert’ heißt.
Ich muss also etwas vorsichtig sein.
Ronny runzelt seine viel zu niedrige Stirn und zieht die wilden Augenbrauen bedrohlich zusammen. Sicherlich hat er einen komplizierten genetischen Defekt oder er hat zu wenig Sauerstoff bei der Geburt bekommen, Nabelschnur um den Hals, Steißlage, Zangengeburt … man hört da ja so einiges. Bis heute hat es die Wissenschaft offensichtlich auch nicht fertig gebracht, diese geheimnisvolle Krankheit, oder wenigstens Ronny „Rexona“ Prosocha, in den Griff zu kriegen. Vielleicht hat man auch einfach vergessen, ihn zu behandeln.
Da!
Auf ein kurzes gefährliches Kopfnicken des dummen Ronny hin und noch ehe ich überhaupt überlegen kann, ob zuerst Zuhauen nicht vielleicht doch besser wäre, packen mich auch schon die schmutzigen Hände seiner Dreckskerle und zerren mich in die Nische zwischen Knoches Laden und Optiker Heimann direkt hinter das Schild mit der Aufschrift:
’Kannste mal sehen – Neue Brille von Heimann!’
Also, weg vom Dorfplatz, wo ja aber sowieso keiner ist, der uns sehen könnte. Unser kleines Kaff ist heute wie ausgestorben. Obwohl es erst Mai ist, ist es schon so heiß, dass wahrscheinlich alle im Schwimmbad sind.
Auch Frau Andernach, die das kleine Büdchen - Leute von weiter weg sagen auch Kiosk - mitten auf dem Dorfplatz betreibt, hat zugemacht.
Kleines verdientes Päuschen.
„Machst ’n hier? W’s glotz’n da ins blöde Schaufenster vom doofen Knoche, du Opfer?“, würgt Ronny Rexona aus seinem breiten Maul heraus - er riecht etwas nach Zigaretten - und dreht mir ziemlich gekonnt und schief grinsend den Arm um - seine besondere Spezialität, die ich schon mal kennenlernen durfte.
„Kannste dir denn wat kaufen, Opfer? Haste Jeld? Zeisch ma’!“
Und dabei rückt er jetzt gefährlich näher. Wirklich unangenehm. Er quetscht seinen fetten Bauch gegen meinen und drückt mich mit dem Rücken an die Mauer. Das ist gar nicht schön. Der Rest der Gang steht blöd grinsend rum.
„Ich hab’ kein Geld. Haut ab, ihr Gehirnamputierten!“, keuche ich, jetzt doch langsam in eine gewisse Panik geratend. Es wird immer handgreiflicher und da bin ich eben leider, wie schon gesagt, nicht so richtig gut. Naja, und Ronny redet eben nicht so gerne.
Am liebsten gar nicht. Und so greift der stirnrunzelnde Ronny einfach blitzschnell in meine Hosentasche, versinkt mit dem halben fleischigen Arm darin - ich darf noch kurz seinen stümperhaften Versuch einer selbst tätowierten Schlange bewundern - und findet aber nur zwei Gitarrenplektrons, die ich immer bei mir habe.
Den Fünfziger findet er im Leben nicht. Der ist unten in meinem rechten Schuh todsicher versteckt.
„Wo haste denn dein Jeld, Opfer?“, pustet der dicke Ronny mich an und reißt an meinem T-Shirt vom Niederrhein-Kurier, das an den Nähten leicht einreißt.
„Hab’ kein Geld. Lass mich los! Du stinkst!“
Ich muss besser aufpassen, was ich sage. Wütend nimmt Ronny jetzt meine Schultasche und kippt sie mit einer großen Geste vor meinen Füßen aus. Oh, Mann!
Auch das noch.
„So“, sagt er dann einigermaßen befriedigt mit kurzem „O“ und ich stelle fest, dass es ihm jetzt wirklich etwas besser zu gehen scheint. Na, toll. Dann rückt er noch mal näher an mich ran und sagt: „Lühsch misch nisch an!“, nimmt seine rote Kappe ab und wischt mit dem Handrücken den heftig strömenden Schweiß von seiner Stirn.
„Zieht ihn ma’ hier rübber!“, befiehlt er seinen Steinzeitochsen und die packen mich an den Füßen und zerren mich noch weiter in die Lücke zwischen den Häusern. Leider verliere ich dabei den rechten Schuh.
„Ha!“, blökt Ronny, „Da! Haste ja doch Jeld!“
Und dann schnappt er sich meinen schwer verdienten Fünfziger, der ganz unschuldig aus dem Schuh gesegelt ist, hält ihn triumphierend hoch und die ganze Schliepergang jault vor lauter Freude dazu.
„Fünfzig Ocken!“, raunzt Ronny voller Ehrfurcht. Und dann sagt seine Meute: „Boah!“
Und dann grinst er mich wieder schief an.
„Gib mir sofort meine Kohle wieder, du Drecksack!“, fauche ich ihn an und springe, für alle überraschend, auf, um ihm den Schein wieder zu entreißen. Aber da schnappen mich schon die Schliepers und ehe ich mich überhaupt irgendwie wehren kann, habe ich eins, zwei oder auch dreiundzwanzig ihrer dreckigen Knie im Bauch und sinke mit einem dumpfen „Mmmpf“ wieder in der finsteren Lücke zwischen den beiden Häusern zusammen.
Im Fallen ist es mir doch glatt noch gelungen, mit der Stirn einen Vorsprung in der Mauer mitzunehmen, bevor ich dann auf einem Kellerrost neben dem Hintereingang von Knoches Laden zu liegen komme. Einmal Überfall mit allem, bitte! Doppelte Portion! Extra Blut dabei? Ja, bitte! Für Zuhause, oder gleich hier? Gleich hier!
Etwas Blut tropft neben mir auf’s Pflaster.
Und dann knallt es.
Eine gewaltige Explosion dröhnt zwischen den Häuserwänden und ein glitzernder, bunter Funkenregen fällt auf mich herab. Es sieht eigentlich sehr schön aus.
Ich bin also wahrscheinlich tot. Im Himmel.
Gar nicht so übel hier, denke ich so. Hier geht ja richtig was ab.
Mitten im Rauch steht der liebe Gott in einem orangenem Overall und hat eine lange Flinte in der Hand. Er sieht fast aus wie ein Müllmann. Der Rauch lichtet sich ein wenig … und … da wird mir klar, dass der liebe Gott in Wirklichkeit Walter Knoche heißt und einen Kramladen in Jückerath führt.
Er flucht: „Himmiherrgottsakra!“ und schwenkt wütend die Flinte. Die Schlieper-Gang braucht noch einen kurzen Moment, um zu begreifen, was da läuft, aber dann rennen sie, mit den Beinen in der Hand, über den leergefegten Platz weg. Der dicke Ronny schnauft als Letzter hinterher und jault dabei wie ein Schwein im Anhänger vor dem Schlachthof. Und dann sind sie alle verschwunden - mit meinen fünfzig Euro.
„Wat is’ denn da los?“, hört man plötzlich aufgeregte Stimmen vom Dorfplatz. Ganz Jückerath ist also doch nicht im Schwimmbad.
„Ach, du lieber Jott!“
Sag’ ich doch.
„Ein Wahnsinnijer!“
„Hilfe! Polizei!“
„Der hat ejnen umjebracht!“
„Aber dat ist doch dä allte Knoche!“
„Pollezei!“
Und wie der alte Knoche da so steht mit seiner mittelalterlichen Flinte, sieht’s auch wirklich ziemlich gefährlich aus. Jückerrath ist jedenfalls erwacht. Ich jetzt endgültig auch, kann meinen Schuh nicht finden und stecke stinksauer die kaputte Brille in die Hosentasche.
„Is’ ois in Ordnung, meine Herrschaft’n!“, brüllt Knoche über den Platz. „Nix passiert!“
Dann beugt er sich zu mir runter, ohne weiter auf die Leute zu achten.
„Haderlump’n, dammische! Bist verletzt?“, fragt Knoche mich besorgt und lehnt die Flinte an die Wand.
Ich blicke etwas misstrauisch auf das gewaltige Schießeisen.
„I hob net g’schoss’n“, meint er mit einer tiefen, ganz sympathischen bayerischen Stimme. „Des oide Ding geht doch gar nimmer. Is aus’m Laden.“
„Und der Wahnsinnsknall?“, frage ich ihn.
„A Sylvesterkracher“, antwortet er lachend. „A aus’m Load’n. Hat er doch noch an guaten Zweck erfüllt und die Hosenbrunzer verjagt.“
Was der für Ausdrücke kennt.
„Aber i bin wohl doch z’spät komm’n“, sagt er dann und sieht sich er mich ganz besorgt an. Wahrscheinlich, weil ich über dem Auge eine klaffende Wunde habe, aus der literweise Blut fließt.
„Du blut’s ja“, sagt er, aber ich winke nur locker ab und fange an, meine Sachen zusammenzusuchen.
Alle meine Schulbücher und Hefte sind auf dem Pflaster verstreut. Der Kakao, den ich heute in der Schule nicht getrunken habe, ist ausgelaufen und ins Liederheft gesickert. Na, super, alles braun. Auch der ’Fröhliche Landmann’ ist kaum noch wiederzuerkennen. Alle anderen Seiten kleben zusammen. Vielleicht werde ich jetzt nie wieder einen Blick in dieses Buch werfen können und das Kapitel Dröge-Semmeling ist damit endgültig abgeschlossen. Hat ja dann vielleicht auch seine gute Seite gehabt, mal so richtig gemein überfallen zu werden.
„Wart, i helf dir“, bietet sich Herr Knoche an.
Der liebe Gott scheint wirklich ’n ganz netter Mann zu sein. So etwa Ende fünfzig oder auch schon achtzig. Ich kann Menschen so schlecht schätzen. Jedenfalls ist er älter als mein Papa Dieter. Aber immer noch ziemlich drahtig und irgendwie cool wirkt er. Cooler als mein Papa Dieter auf jeden Fall und der ist erst fünfundvierzig.
„Danke, Herr Knoche“, sage ich, „es geht schon.“
Aber er will mir helfen. Schon kniet er neben mir, stöhnt ein bisschen, hält sich eine Hand in den Rücken und hilft mir, die Bücher und Hefte wieder in meine Tasche zu stopfen.
„Äh, ich bin Till Heisterkamp.“
„Walter Knoche. I hob di scho amol vor’m Load’n g’seh’n.“
Dann drückt er mir fest und verbindlich die Hand und nickt dabei sehr ernsthaft.
„Kimm amol rein, i moch dir do a Pflaster drauf.“