Читать книгу Reisch un berümp! - Reiner Hänsch - Страница 8

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Keine Faxen mehr

„TILLMANN! Wat is’ denn mit dir passiert? Um Jottes willen! Du siehs’ ja AUS! Jetz’ erzähl doch mal!“ Mama Sabine ist entsetzt.

„Ja, also …“

Tja, alles kann ich ihr natürlich nicht erzählen. Sie würde vor lauter Sorgen sterben. Ich beschließe also, auf jeden Fall nichts vom Knoche zu sagen, denn den finden meine Eltern auch sehr seltsam, das weiß ich. Und von den Schlieperboys will ich ihr auch nichts erzählen und von der Gitarre schon gar nicht. Eigentlich finden sie’s ja gut, dass ich Musik mache. Deswegen ja auch der Klavierunterricht.

Aber eine Gitarre? Elektrisch?

Wenn meine Eltern wüssten, dass ich mein Geld dafür ausgeben will, dann würden sie glatt ausrasten, und ich weiß genau, dass sie dabei an Sodom Terror denken, die sie schon mal versehentlich im Fernsehen in einem Videoclip gesehen haben. Meine Mutter hat dann ganz entsetzt und angewidert auf einen anderen Sender geschaltet. So, wie sie’s immer macht, wenn sich plötzlich beim ’Traumschiff’ oder beim ’Gebirgsdoktor’ doch noch völlig unerwartet eine Sexszene androht. Dann gibt’s immer irgendwie auf einem anderen Sender „doch bestimmt noch was Besseres“. Ganz hektisch schaltet sie dann um und macht dann meinen armen Papa an, der mal wieder nichts gemerkt hat. „Dieter, also wirklisch! Ts, ts, ts!“

Wie albern! Als ob ich nicht schon längst wüsste, was passiert, wenn im Traumschiff die Kabinentüren zugehen, oder was der Gebirgsdoktor und die Sennerin so ganz privat auf der Alm treiben.

Ich bin fast fünfzehn! Aber egal. Eltern sind so. Die Gitarre muss also auf jeden Fall geheim bleiben.

Und wenn Mama Sabine erfährt, was für ein gefährliches Leben ich in Wirklichkeit führe, dass ich tagtäglich gegen brutale Räubergangs mein trauriges Leben verteidigen muss, dann bricht sie mir hier auf den Stufen vor dem Haus zusammen. Das ist alles nichts für Mütter.

Mein Vater würde nur fragen: „Wer war dat?“, „Prüjelei?“, „Haste jeheult?“, Wehr disch!“ und „Musste eben besser aufpassen!“ oder so was. Naja, so sind Väter eben. Manchmal ganz problemlos und manchmal … naja.

Ich sage also eigentlich nichts.

„Wo is’ denn dat Pflaster her?“, fragt Mama Sabine mit aufgerissenen Augen.

„Ach, das … äh … hatte ich noch … und die … die Schramme hab’ ich mir … also … ich bin gestürzt, ausgerutscht … Hundehaufen, riesengroß … und zack … ist nicht weiter schlimm. Die Brille ist übrigens auch kaputt“, setze ich fröhlich hinzu - alles immer noch direkt vor der Haustür unseres kleinen, fast farblosen Hauses stehend, das Opa uns mal vererbt hat und endlich mal wieder gestrichen werden müsste.

Es ist so ein kleines, enges Siedlungshäuschen mit Spitzdach, Vorgarten, Hecke und Waschbetonplatten vor der Tür. Klein und spitz wie ein Vogelhaus und wie Millionen andere. Gar nicht aber auch ein bisschen was Besonderes. Aber dafür habe ich ja den Namen.

Man kommt rein und links geht sofort die enge Bergsteigertreppe nach oben in drei weitere Winzkammern mit schrägen Wänden. Eine davon ist mein Vogelnest. Und unten quetscht man sich durch den schmalen Flur vorbei an Vogelklo und Vogelküche zum Vogelwohnzimmer. Das ist der größte Raum im Haus, der aber durch eine wuchtige, fette Polstergarnitur mit Blumenmuster und eine mordsmäßig gewaltige, braune Eichenschrankwand verstellt wird. Der restliche noch freie Platz ist durch Blumenhocker, Beistelltischchen und eine Glasvitrine verbaut. Wie wir es geschafft haben, in dieses Gedränge jetzt auch noch ein Klavier zu stellen, ist mir eigentlich immer noch ein Rätsel. Aber es steht da und wartet darauf, dass ich spiele.

„Na, komm erstmal rein, Junge“, sagt Mama Sabine dann endlich. Danke.

Also gehe ich durch die seit Ewigkeiten quietschende Haustür, die mein Vater einfach nicht ölt, ins Haus. Er müsste die schwere Tür dazu aushängen, Öl drauf und wieder einhängen. Das wäre alles. Aber Papa Dieter mag körperliche Arbeit nicht besonders und lässt die Tür lieber quietschen. Er ist leider zurzeit arbeitslos und jobbt nur gelegentlich mal bei ’Saftig und Grün’, so ’ner Gartenbaufirma, obwohl er eigentlich tschechischer Zeichner ist.

Nein, war’n Witz, er ist technischer Zeichner! Aber zurzeit scheint einfach technisch nicht viel zu zeichnen zu sein.

Und meine Mama Sabine hat einen Teilzeitjob als Kassiererin im Schnappes-Supermarkt, obwohl sie eigentlich Dekorateurin gelernt hat. Kassiererin ist auch nicht grad’ ’n Traumberuf. Den ganzen Tag „Wat kosten die Gürkschen?“ und „Kasse 12, Frau Heisterkamp!“ und so was zu hören.

Aber was anderes ist eben zur Zeit nicht drin.

„Wer war dat?“, fragt Papa Dieter. Er sitzt wie der Obergeier vom Vogelhaus am Tisch, hat wie immer den Niederrhein-Kurier vor der Nase und blickt nur einmal kurz auf.

„Er is’ jefallen, der Arme“, antwortet ihm Mama Sabine und ihre Stimme bekommt einen Klang, als würde sie von einem Dreijährigen reden, der ganz böse Aua-Aua hat.

„Oder waret ’ne Prüjelei?“ Dieter lässt nicht locker, als scheint er etwas zu ahnen und schielt noch mal ganz kurz an der Zeitung vorbei zu mir rüber.

„Nee, nee, bin ausgerutscht! Hundekacke!“ Dabei kann ich ihn allerdings nicht direkt ansehen. Lügen liegt mir nicht so richtig.

„Diese verschissenen Köter überall! Na, musste eben besser aufpassen“, sagt er, „auch mal nach unten kuck’n!“ und widmet sich wieder seiner Zeitung.

Das scheint ihm wohl letztlich doch wichtiger zu sein als Schwerverletzte in seiner Familie.

Mama Sabine funkelt ihn böse an, stöhnt und verdreht die Augen nach ganz oben, sagt aber nichts. Die beiden verstehen sich schon eine ganze Weile nicht mehr so richtig.

Es gibt oft Streit. Eines meiner weiteren Probleme. Heute gibt es zwar keinen Streit, weil Mama Sabine sich schwer zusammennimmt, aber die Stimmung ist erst mal im Eimer und wir essen schweigend, bis ich dann so schnell wie’s geht nach oben verschwinde.

Oben in meinem Zimmer lege ich erst mal Sodom Terror auf. Und zwar richtig laut.

Dieter hat mir diese CD zwar vor längerer Zeit weggenommen, als er das fiese Cover gesehen hat, weil er natürlich den schlechten Einfluss dieser „verjammelten, brutalen, stinkenden und lärmenden Bande“ so weit wie möglich von mir fernhalten will, aber ich habe sie natürlich längst wieder.

Ich meine … gut … auf dem Cover sieht man vier Typen, also Sodom Terror, wie sie mit Äxten und riesigen Vorschlaghämmern eine große, weiße Luxuslimousine zerdeppern und dabei offensichtlich auch noch einen Mordsspaß haben. Naja, ich sag mal, vielleicht ist diese Limousine ja Schrott, vielleicht schon ganz durchgerostet, was man von außen gar nicht so sieht, und sie tun dem Besitzer lediglich einen Gefallen damit, sie zu zerlegen. Vielleicht ist es auch ihre eigene Limousine, die sie nicht mehr mögen, weil sie günstig ein anderes Auto bekommen können, oder die Karre hat ihnen vielleicht sogar die Vorfahrt genommen. Es muss auf jeden Fall einen Grund geben, warum sie das machen. Ganz so üble Kerle sind Sodom Terror nicht.

„Mach’ dat verdammte Jedröhne aus!“, brüllt Papa Dieter die Treppe rauf.

„Warzen abmähen!“, schreit der Sänger nach unten und mit dieser Botschaft ist die Welt für mich erst mal wieder in Ordnung.

Am nächsten Tag repariere ich nach der Schule mein Rad - heute morgen bin ich mit Papa Dieters Rad gefahren - bringe meine Brille zu Optiker Heimann und als ich den Laden verlasse - ohne Brille und leider etwas kurzsichtig - riecht es sehr verdächtig ganz in meiner Nähe. Ich schnüffle fast blind in der Luft herum und in die Richtung, aus der der Geruch zu kommen scheint. Eindeutig Schweiß.

„Ronny?“, rufe ich in die Richtung, aus der der Geruch kommt.

„Isch bin dat nisch!“, tönt es aus der Nische zwischen Optiker Heimanns und Walter Knoches Laden.

So ein Blödmann!

Ich knibble mit den Augen angestrengt dort hin. Etwas unscharf und schemenhaft sehe ich ihn: Ronny Rexona. Alleine. Das wäre meine Chance jetzt.

„Ronny, du Stinktier, gib mir sofort meine Kohle wieder“, brülle ich ihn an und gehe mit großen Schritten auf den groben Kerl zu. Er scheint sogar so was wie Respekt zu haben und weicht langsam zurück.

„Hau ab!“, sagt er und versucht mir auszuweichen. Als er merkt, dass das nicht funktioniert, weil ich mich ganz breit mache und ihm mit den Armen den Fluchtweg versperre, blickt er sich nach hinten zur Mauer um, stößt sich mit einem Fuß ab, und plötzlich schießt der massige Kerl wie eine Sprungfeder nach vorne und überrennt mich einfach. Und dann eiert er schnell über den Dorfplatz davon. An seinen Stinkfüßen glänzen neue goldene Sneakers.

„Wat für ’ne Kohle?“, ruft er noch und lacht dreckig. „Hab mir wat Schönes jekauft dafür!“

Leider kann ich ihn dann auch schon nicht mehr sehen, weil ich ja keine Brille mehr habe. Nur die Sneakers glänzen noch trübe in der Ferne.

Mistkerl! Dann ist die Kohle wohl einfach weg.

Wütend drehe ich mich zu Walter Knoche’s Laden um. Als ich gerade die Klinke drücken will, höre ich drinnen jemanden Gitarre spielen. Richtig gut.

„Griaß di“, sagt Walter Knoche etwas erschrocken und legt die Gitarre zur Seite. „Hab’s noch amol probiert“, meint er verlegen und bietet mir einen knarzenden Stuhl an.

„Sie sind ja echt gut, Herr Knoche.“„Ach, ja, lang nimmer g’spielt. Kannst ja auch amol spiel’n, wenn’st willst“, sagt er freundlich und reicht mir das rote Traumteil.

„Mmh. Woaßt, Till, i hab gestern noch lang überlegt und i glaub, i hab a Idee, wie i dir helfen könnt“, meint der Alte nachdenklich. „Du willst die Gitarr’n doch unbedingt hab’n, oder?“

„Ja, klar,“ sage ich und schrubbe ein paar meiner eingeübten Akkorde auf dem guten Stück.

„Naja, woaßt, i wollt sie eigentlich gar net verkauf’n. I hob’s halt bloß ins Schaufenster g’hängt, weil’s schön ausschaut. Pass amol auf, Till, wir könnt’n an Deal machen.“

Aha, was kommt jetzt, Till Heisterkamp? Ich höre auf zu spielen und sehe ihn erwartungsvoll an. Ein Deal?

„Woaßt, i hob im Moment so wenig Zeit, mi um den Laden zu kümmern. I muaß immer zuschließ’n, wenn i weg bin und dann is’ er halt zu! Und a Laden, der immer zu is’, is’ halt koa richtiger Laden. I bräucht jemanden, der ab und zu amol hier is’ und aufpasst, woaßt?“

Und der Deal? Er macht eine kleine Pause und ich halte vor Spannung die Luft an.

„Woaßt, mei Frau, die Gunni, ist ziemlich krank, und i geh jeden Tag ins Krank’nhaus, um sie zu b’suchen. Vielleicht könnt’st du ab und zu a paar Stund’n hier im Laden …?“

Ja. Warum nicht, aber wo ist der Deal?

„Ja, das könnte ich, Herr Knoche. Das würde ich schon machen“, sage ich.

„Naja, i hob mer ’dacht …“

Jetzt kommt der Deal.

„I hob mer halt so ’dacht, dann könnt’st du so die Gitarr’n sozusag’n abzahl’n. Ich tät hundertfünfz’g Euro dafür neh’n. Ich hoff’, des is’ dir net z’viel. Dann tät’s du arbeiten für mi, mir mach’n an Lohn aus und i geb dir dann die Gitarr’n, wenn’st dei Geld verdient hast. Wär des wos?“, fragt er vorsichtig.

Deal!

Des wär wos!

„Ja, das wär’ super, Herr Knoche.“ Ich bin völlig von den Socken. „Und ich brauch dann gar nichts zu bezahlen und irgendwann gehört sie mir?“

Jetzt hält mich nichts mehr auf dem knarzenden Stuhl.

„Ja, so hob i mir des ’dacht. Könnt aber a bisserl dauern! I zahl dir bloß fünf Euro für an ganz’n Nachmittag.“

„Egal, so machen wir’s!“

Ich komme also doch noch an meine Gitarre!

„Und für jeden Nachmittag, wo’sd do bist, mach’n mir an Strich do an die Wand.“ Er nimmt einen dicken Bleistift, dreht sich zur Wand um und macht den ersten Strich. „Oan schenk i dir!“, sagt er und grinst breit dabei.

„Danke, Herr Knoche!“

„Wannst willst, könnt’ i dir a poar Tricks auf der Gitarr’n zeig’n.“

„Ja. Super. Wann fangen wir an?“, frage ich ihn.

Er zuckt mit den Schultern, spitzt seine Lippen und sagt: „Morg’n? Um drei?“

„Äh, … lieber erst um vier. Geht das?“

Sechs Stunden Schule. Hausaufgaben. Üben für Mathe … seit ich mit Alex und Abi eine Band habe, läuft’s nicht mehr so optimal beim Heinrich-Lübke-Gym.

„Geht a“, brummt er.

„Morgen um vier bin ich wieder hier, Herr Knoche! Super. Und vielen Dank.“

„Brauchst di net zu bedank’n, muaßt ja hart arbeit’n.“

Ja. Ja. Ja.

Alles wird gut! Bald werde ich mit meiner roten Gitarre mit Abi und Alex über die Rockbühnen dieser Welt fetzen - und es allen zeigen.

An der Ampel hinter dem Schnappes-Supermarkt wird das Leben plötzlich brandgefährlich. Vanessa Hülsemann und irgendeine Freundin tauchen wie aus dem Nichts neben mir auf.

Oh, oh, oh. Vanessa!

Augenblicklich verdreifacht sich mein Pulsschlag und wahrscheinlich ändere ich auch gerade meine Gesichtsfarbe von mittelbeige in knallrot. Ich nehme mir vor, erst mal ganz unverfänglich starr geradeaus zu gucken, so als hätte ich die beiden gar nicht bemerkt. Das ist, glaube ich, das Beste, was man in solchen Momenten machen kann und was anderes fällt mir auch nicht ein.

Vanessa Hülsemann!

Wenn die auftaucht, ist Alarm. Jedenfalls bei mir. Vanessa ist eben, … wie soll ich sagen … sie ist eben nicht nur irgendeine Vanessa, sondern „Oh-Oh-Vanessa“, die absolute Topschnecke auf unserer Schule. Blond und blond und … einfach irgendwie … na, einfach toll eben. Und leider weiß sie das auch selber. Alle, aber auch wirklich alle stehen auf sie. Und ich natürlich auch. Aber ich denke mal, da brauch’ ich erst mal keine weiteren Planungen zu machen. Eigentlich hat sie mich noch nie beachtet.

Nach „Vanessa-Oh-Oh-Vanessa“ kommt dann eigentlich erst mal gar nichts mädchenmäßig Erwähnenswertes … und diese Freundin da neben ihr kenne ich gar nicht. Wahrscheinlich neu auf unserer Schule.

Oh Mann, oh Mann, Vanessa-Oh-Oh-Vanessa sieht so Hammer aus mit ihren langen, blonden Haaren und den großen, blauen Augen und diesem Gesicht mit der Nase und dem Mund mittendrin … äh, Quatsch … naja, also, so ein Mädchen kann man praktisch gar nicht ansprechen. Ich kann’s jedenfalls nicht.

Deshalb bin ich auch eigentlich gar nicht da und gucke auch üüüberhaupt nicht hin, als die beiden so neben mir stehen und kichern. Ich versuche, nur aus dem Augenwinkel zu ihr hinzusehen, ohne dabei den Kopf zu drehen. Mir wird so heiß, dass die Brille leicht beschlägt.

Da kichern sie schon wieder. Mädchen kichern einfach immer, wenn mindestens zwei von ihnen zusammen sind, und du denkst natürlich, sie kichern über dich. Und, richtig, das tun sie auch. Knallrot wie ich nun schon mal bin, glotze ich stur geradeaus und unheimlich angestrengt auf die verdammte Ampel, die diesmal einfach nicht grün werden will.

„Hallo, Tilli, mein Süßer, warum sachste denn nix?“, fragt Vanessa-Oh-Oh-Vanessa mich und kommt sogar etwas näher ran.

Sie spricht mit mir! Sie hat mich gesehen, sie wendet sich an mich, sie nennt mich bei meinem Vornamen, sie kennt mich, sie erfindet süße Koseworte für mich, … sie liebt mich … ’Tilli, mein Süßer’. Ich bin wie betäubt, es klingelt in meinen Ohren und mir wächst ein haariger Pelz auf der Zunge. Alles wird ganz klebrig und ich vermute, ich werde wahrscheinlich nie wieder sprechen können.

„Mmpf! Ich? Mm, och, ich … Hallöchen!“, versuche ich, diesen fiesen Fremdkörper in meinem Mund zu bewegen und tue so, als hätte ich sie gerade erst gesehen. Was für eine Überraschung!

Liebt sie mich wirklich?

„Wat siehs’ du heute widder beklopp’ aus!“, sagt sie und prustet laut los. Die Freundin lacht nicht.

Nein, … Vanessa liebt mich dann wohl eher nicht und ich schiebe mein Rad ohne Hoffnung weiter Richtung Dorfplatz an einem wütenden, hupenden Autofahrer vorbei.

„Pass doch auf, du Blindfisch!“

Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!

Ja, mein sehr spezielles Outfit aus dem Second-Hand-Laden gibt öfter mal Anlass zu dummen Bemerkungen. Das bin ich schon seit Längerem gewohnt. Auch meine Frisur könnte ich mir etwas gewagter vorstellen, aber mit solchen Plänen komme ich bei meinen Eltern einfach nicht durch. Aber ich rede mir seit einiger Zeit ziemlich erfolgreich ein, dass es mir gar nichts ausmacht, so rumzulaufen. Ich sage mir einfach: Es ist mir egal. TO-TAL E-GAL.

Alle haben ja jetzt diese abgefahrenen, schlabberigen Jeans, die so tief hängen, dass oben immer ein Stück Unterhose rausguckt. Nein, keine Unterhosen, sondern Boxershorts, die meistens einem gewissen Calvin Klein gehören, weil sein Name oben auf dem Bund steht.

Diese Hosensäcke sind so lang, dass es staubt beim Gehen, weil sie über den Boden schleifen mit coolen Tarnmustern, oder so. Viele tragen auch diese Kapuzen-Shirts mit fetten Nummern, amerikanischen Sprüchen oder diesen edlen Zeichen von all den wichtigen Marken drauf.

ICH WILL DAS GAR NICHT HABEN.

Ich brauche so was nicht! Wer mich liebt, der muss meine etwas zu große Cord-Hose und das T-Shirt, auf dem ’Hinterher weiß man immer mehr – der Niederrhein-Kurier’ steht, mögen.

Das bin ich. Till Heisterkamp.

Aber, wartet, Leute. Wenn ich erst mal der große und berühmte Gitarrist und Sänger in unserer bis jetzt leider noch namenlosen, unbekannten und unberühmten Partykellerband bin, dann lacht keiner mehr. Dann kriegen sie alle ihr großes Maul nicht mehr zu, stoßen sich ehrfürchtig mit den Ellbogen an und sagen voller Respekt

„Dat is’ doch dä Heisterkamp da oben neben dä Robbie Williams! Den kenn isch! Dä war mal bei mir inne Parallel!“

Und vielleicht … vielleicht erlaube ich Vanessa-Oh-Oh-Vanessa dann, meine Freundin zu werden.

Mal seh’n. Wenn sie mich ganz nett bittet, natürlich nur.

An der Haustür empfängt mich heute Papa Dieter persönlich und er ist sauer. Das kann man deutlich sehen.

„TILLMANN!“

Und wie er das sagt, daran kann man auch deutlich hören, wie sauer er ist.

„Du has’ uns anjelogen!“

„Wie-wieso?“

Mama Sabine erscheint jetzt in der Küchentür, lehnt sich an den Türrahmen und verschränkt die Arme. Das jüngste Gericht.

„Uwe Hartkötter hat misch anjerufen.“

Ich hätte es wissen müssen.

Die beiden spielen schon seit Jahren Skat mit Peter „Shorty“ Schortens und sind einigermaßen dicke Freunde. Immer noch, obwohl Papa Dieter meistens gewinnt. Naja, und wenn so was wie gestern passiert, dann ist es ja eigentlich ganz normal, dass Hartkötter sich mal meldet und seinen Kumpel Dieter über das geheime Doppelleben seines missratenen Sohnes Till informiert. Ich ziehe die quietschende Haustür zu und erwarte Dieters Standpauke.

„Uwe hat mir erzählt, dat dieser verrückte, alte Knoche jestern mit ’ner jewaltigen Donnerbüchse auf dich jeschossen hat. Du hättes’ disch auf ’m Boden jewälzt und jeblutet wie n Schwein. Dann hätte der Kerl disch anjeblisch in sein’ Laden jezerrt oder so ähnlisch, sagen jedenfalls de Leute. Die haben alles jeseh’n und Uwe hat sie alle jefragt. Und später hat Uwe disch dann aus seinem Kramladen flüschten sehen, wo Knoche disch wahrscheinlisch umbringen wollte, oder wat weiß denn isch? Wat sachs’ du dazu?“

Meine Güte, was die Leute sich da zusammenreimen!

„Ich, ich …“, stottere ich, „… das stimmt doch alles nicht.“

Mama Sabine ist ebenfalls sehr gespannt auf meine Antwort, sagt erst mal gar nichts und zieht die Augenbrauen hoch.

„Und wat war dann da los?“, poltert Papa Dieter und ich sehe ein, dass es wohl keinen Sinn mehr hat, irgendwas zu verheimlichen. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist hier angesagt.

Also erzähle ich eben doch die ganze üble Geschichte mit der Schlieper-Gang. Ich sage aber nichts von den fünfzig Euro. Dafür berichte ich aber umso ausführlicher, wie heldenhaft der Knoche mich da rausgehauen hat. Ich bin richtig stolz auf den alten Knaster und habe die ganze Sache noch ein wenig ausgeschmückt.

„Soso“, sagt Papa Dieter und schnauft noch mal verächtlich. Was bedeutet, dass ihn mein Bericht überhaupt nicht oder nur wenig beeindruckt und schon gar überzeugt hat.

„Pass mal auf, Till, wenn dat wieder eine von deinen Fantasiejeschichten ist, dann sachet lieber gleich. Und ich sachet jetzt nur ein Mal: Du hältst disch ab sofort einfach wesch von diesem Verrückten! Der hat nur einen schleschten Einfluss auf dich. Wer weiß, wat da noch alles passiert. Und wenn ich disch noch einmal vor oder sogar in diesem Laden sehe, dann kommst du jar nisch mehr vor die Tür. Dann nur noch zur Klavierstunde bei Frau Dröge-Semmeling und da bringe isch disch eijenhändig hin. Also, Schule, Klavier und jute Noten! Un’ keine Faxen mehr! Ist dat klar?“

„Ja, aber die Schliepers …“, werfe ich ein.

„Un’ von diesen Schliepertypen hältst du disch natürlisch auch wech!“

„Aber wenn die sich nicht von mir …“

„Isch will jetzt nix mehr hören,Till! Is’ dat klar?“

Papa Dieter ist richtig laut geworden. Er hat mal wieder so … ’ne richtige Dreckslaune und klarer kann es eigentlich nicht sein. Ja, ja, ja, es ist klar. Es heißt also: keine Gitarre, kein Spezialunterricht bei Knoche und noch nicht einmal in die Nähe des Ladens darf ich. Mann! Ist das ungerecht!

„Aber es war doch alles ganz anders“, starte ich einen allerallerletzten verzweifelten Versuch.

„IS’ DAT KLAR?“, donnert der böse Dieter noch mal.

„Ja, ja, ist schon klar.“

„Und sag bloß nisch ’ja, ja’! Dat heißt, leck misch am …“

Beinahe hätte er auch noch das zu leckende Körperteil genannt, aber Mama Sabine fällt ihm schnell ins Wort.

„Et reischt, Dieter. Der Junge hattet ja bejriffen.“ Und Dieter trottet beleidigt und eingeschüchtert Richtung Wohnzimmer zurück.

Dann wendet sie sich zu mir und sieht mich ehrlich besorgt mit gespitztem Mund an.

„Also, Tillmann, tu mir den Jefallen, un’ jeh da nie mehr hin. Der alte Knoche scheint ja wirklisch ein jefährlischer Verrückter zu sein. Isch hab escht Angst um disch. Jeh da bitte nie mehr hin!“ Und dann fügt sie noch völlig unnötigerweise und mit Seitenblick auf Papa Dieter hinzu: „Da jebe isch deinem Vater AUSNAHMSWEISE mal Rescht.“

Das war einer zu viel! Oh, da verwandelt sich Dieters Gesicht sich in eine einzige Fratze der Empörung die unrasierte Klappe fällt ihm runter.

Ojeoje, denke ich nur, wenn das jetzt wieder losgeht, dann ist der Tag wirklich voll gelungen.

„Hab schon verstanden“, murmle ich. „Ich geh dann mal. Aber eins sag ich euch: Der Knoche ist ’n super Typ!“, und verschwinde ganz schnell nach oben in mein Zimmer und schließe die Tür ab.

Na, das ist ja alles toll gelaufen. Wie soll denn jetzt noch die Sache mit der Weltkarriere klappen, wenn’s an dieser Stelle schon blockiert? Ich muss das Ganze morgen gleich mit Alex und Abdullah besprechen.

„Warzen abmähen!“

„Mach dat scheiß Jedröhne aus!“


Reisch un berümp!

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