Читать книгу Reisch un berümp! - Reiner Hänsch - Страница 7
Оглавление2
Himmiherrgottsakra!
Also betreten wir seinen Laden der tausend Glückseligkeiten und ich staune mit aufgerissenen Augen in alle Richtungen. Der Laden ist ziemlich schlecht beleuchtet und es riecht nach dickem Muff, uraltem Staub und vielleicht sogar auch nach Mäusepippi. Ich weiß es nicht. Mama Sabine behauptet immer, sie könne Mäusepippi riechen. Ich nicht.
Aber egal, für mich riecht es irgendwie alt, nach Abenteuern und echten Geheimnissen.
„Dene’ Oarschg’sichter muaß ma’s doch amol zeig’n“, sagt Knoche mit einem sehr ärgerlichen Gesichtsausdruck und hängt die alte Flinte wieder an die Wand.
„Die mach’n nur Mist. Jetzt is’ amol Schluss damit.“
Ja, denke ich. Für mich ist jetzt auch irgendwie Schluss. Ich bin ruiniert und das mit der Gitarre wird dann wohl leider nichts.
„I such schnell amol des Pflaster“, brummt Knoche und verschwindet hinter einem raschelnden Holzperlenvorhang im hinteren, dunklen Teil des Ladens. Ich drehe mich zum Schaufenster um und sehe sehnsüchtig meine geliebte Gitarre von hinten. Wie sie glänzt. Ein tolles Teil. Schmink’s dir ab, Till! Die Schliepers haben dein Geld. Kannst ja noch mal ein halbes Jahr Zeitungen rumbringen. Oder besser gleich ein ganzes, dann reicht’s vielleicht. Mann, oh Mann, ich bin so sauer und wütend, habe erstaunlich niedere Gefühle und denke an ganz gemeine Rache an der verdammten Schlieper-Gang!
„So, do is des Pflaster.“ Der alte Knoche schwenkt es triumphierend in seiner Hand, nähert sich lächelnd und nickt mir freundlich zu.
„Setz di amol do her“, sagt er und weist auf einen alten Lehnstuhl. Der Stuhl knarzt bedenklich, als ich mich setze, und er wackelt hin und her.
„Müsste amol g’leimt werd’n“, meint Knoche. „Hob wenig Zeit im Moment und kimm net dazu.“
Er hat Recht.
Hier müsste mal so einiges gemacht werden. Die alten Flinten könnten mal wieder glänzen und die Carrerabahn könnte auch mal entrostet werden. Und wer kauft ein rosa Fahrrad ohne Reifen?
Dann tupft Knoche mit einem weißen, halb zerbröselten Papiertaschentuch, das er knurrend aus einer Tasche seines orangenen Overalls zieht, erst mal das Blut ab. Fast steril also. Er peilt die richtige Stelle an und klebt mir dann zielsicher das Pflaster auf die Stirn. Genau dahin, wo der Mauervorsprung seine hässlichen Spuren hinterlassen hat. Er kneift dabei ein Auge zu und nimmt die Zunge zwischen die Zähne. Gefährlich! Gefährlich! Jetzt bloß nicht zubeißen! Ich muss daran denken, wie ich mir mal bei den Bundesjugendspielen beim Weitsprung auf die Zunge gebissen habe. Drei Meter sechzig gesprungen, die Zunge ist zwar drangeblieben, aber ich konnte eine Woche nicht mehr richtig reden.
Die Knoche-Zunge zieht sich urplötzlich wie eine erschrockene Schlange zurück und er spricht damit.
„So!“, sagt er, sehr endgültig und offensichtlich sehr zufrieden mit seiner Behandlung. „Des war’s. Is ja bloß a Schrammerl.“
„Danke, Herr Knoche, sehr nett von Ihnen.“
„A scho guat, ma muaß doch z’sammhalt’n gegen die Saubande.“
„Die haben mein ganzes Geld geklaut“, entrüste ich mich. „Fünfzig Euro!“
„Himmiherrgottsakra!“ Knoche ist richtig außer sich. „Des is ja a Verbrechen! Soll’n mia … zur Polizei geh’n?“, fragt er mich etwas zögernd, so als ob er nicht unbedingt an die Wirksamkeit der örtlichen Polizei glauben würde.
„Ach, das wird nichts bringen, Herr Knoche. Die werden alles abstreiten und hinterher ist alles noch schlimmer als vorher für mich. Muss mir etwas anderes ausdenken.“
„Wahrscheinlich hast Recht“, meint er. „Aber des geht do net. So viel Geld. Wos trägst denn a so viel Geld mit dir rum?“
„Das Geld war ja für Sie, Herr Knoche.“
„Für mi?“
„Naja, dafür“, sage ich und zeige schwer seufzend in Richtung Schaufenster. „Ich wollte diese Gitarre damit anzahlen. Ich will sie unbedingt haben und dachte, Sie würden sicher eine Anzahlung annehmen. Fünfzig Euro, dachte ich, das wäre doch gegangen, oder?“
„Ah, so is’ des.“
Er sieht mich lange und nachdenklich an, verzieht den bayerischen Mund zu einer Art Lächeln, sagt erst mal nichts und geht zum Schaufenster.
Dort reckt er sich beachtlich weit vor, dass ich schon Angst habe, er fällt kopfüber rein, und angelt ziemlich umständlich die Gitarre heraus. Dabei stöhnt er lange, laut und ausgiebig und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand in den Rücken.
„Der Rück’n“, meint er. „Könnt mir was Bess’res vorstell’n, als alt zu wer’n.“
Vielleicht ist er auch schon neunzig. Doch er winkt mit der freien Hand ab, als wolle er etwas wegwerfen und grinst auch schon wieder.
„Ja, die Gitarr’ is guat. Die Beste“, sagt er bewundernd. „Kannst spiel’n?“
„Ein bisschen“, antworte ich ihm wahrheitsgemäß und erzähle ihm von unserer Band. Von Abi und Alex, meinen beiden einzigen Freunden, mit denen ich schon seit einiger Zeit große Pläne habe. Wir werden mal als knallharte Rockband die ganze Welt erobern. Erst mal natürlich Jückerath.
„Wir spielen im Moment allerdings alle nur auf so Schrottinstrumenten.“
„Schrott, wie moanst des?“
„Naja, Alex’ Papa war mal Schlagzeuger in ’ner Skiffleband und die Instrumente stehen noch da im Keller.“
Alex’ Papa ist vor einiger Zeit einfach abgehauen. Nach Spanien. Macht angeblich Musik in ’ner Strandbar und ist pleite. No tengo dinero!
„Skiffle!“, sagt Walter ehrfürchtig oder nachdenklich, verzieht den Mund und nickt bedächtig.
Skifflebands sind so witzige Bands, die teilweise auf selbstgebauten Instrumenten spielen, die aus Sachen gemacht werden, die mit Musik gar nichts zu tun haben. Also Eimer, Tonnen oder sogar Gießkannen oder so was. Richtige Schrottbands also.
Und ich habe mir aus dem Nachlass von Alex’ Papa ein sechssaitiges Schepperbanjo gefischt. Ja, ich weiß, ein Banjo gehört natürlich nicht unbedingt in eine Rockband, nein, … es ist eigentlich sogar das Gegenteil von Rock, aber was soll ich machen?
„Kann schon ’n paar Akkorde und ’n paar gute Songs. Ich bin auch der Sänger unserer Band“, berichte ich ihm stolz. Ich plaudere mit ihm wie mit einem alten Freund. Als ob ich ihn schon ewig kennen würde. „Alex ist unser Drummer und Abi spielt Bass. Naja, es ist kein richtiges Schlagzeug, mehr so ’n Haufen Klappergerümpel und ein Waschbrett, und Abis Bass ist eigentlich nur ’n Eimer.“
„Wos, an Eimer?“
„Ja, ein Eimer“, antworte ich resigniert. Da hat nämlich jemand auf einem umgedrehten Speisfass – das sind so dicke Gummikübel, in denen die Maurer ihren Mörtel anrühren - einen Besenstiel befestigt und eine dicke Nylonwäscheleine drangespannt. Wenn man an der Leine zupft und dabei den Besenstiel biegt, kommen echt tiefe Töne aus dem Kübel. Nichts Genaues natürlich, aber tief sind sie auf jeden Fall.
„Naja, ein richtiger Bass wär’ schon besser und besonders cool sieht’s auch nicht aus mit dem Eimer, aber wir haben nichts anderes. Richtige Instrumente kosten Geld und dafür arbeiten wir. Die beiden bei Winterscheid an der Tankstelle und ich … ich muss jetzt mal sehen.“
„So, so“, sagt Walter Knoche und nickt ernsthaft dazu.
„Kennen Sie Sodom Terror, Herr Knoche?“
„Saudumm Terror? Na, kenn i net“, sagt er und schüttelt energisch den Kopf.
Naja, kann er auch nicht kennen.
Sodom Terror ist unsere absolute Lieblingsband. Rock. Knallhart. Der Sänger hat so eine ähnliche Gitarre, wie die hier im Schaufenster er macht immer so gefährlich damit herum, sticht Löcher in die Luft und schreit irgendwas ins Mikro, das sich anhört wie „Warzen abmähen!“ Echt Hammer!
Unser Englischlehrer, Herr Echtermann, den ich mal mutig danach gefragt habe, meint, es müsse wohl „What’s on up, man“ oder so ähnlich heißen, also, so was wie „Was ’n los, Mann?“. Ganz genau wüsste er’s aber auch nicht. Der Sänger würde leider so undeutlich rumbrüllen. Lächerlich. Na, egal. Echtermann hat eben keine Ahnung. Auf jeden Fall sind Sodom Terror richtig gut.
„Von denen spielen wir auch was.“
„Soso“, sagt er und kratzt sich am Bart. „Ihr müsst’s eig’ne Lieder mach’n“, sagt er dann und sieht mich dabei eindringlich an. „Net nur des Zeugs von de andern nachspiel’n. Do wird ma net berühmt.“
Ah, so. Da hat er natürlich Recht. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Reich und berühmt. Das wollen wir natürlich auf jeden Fall werden.
Und dann plappere ich weiter. Irgendwie habe ich so das Gefühl, dem Mann kann ich alles erzählen. Der versteht mich.
„Hab’ früher selbst amol g’spielt“, sagt er dann plötzlich. „Is’ aber scho lang her.“
Es entsteht eine kleine Pause und er hängt einen Moment seinen Gedanken nach. Dann schüttelt er den Kopf, sagt laut „Ach!“ und winkt wieder mit der rechten Hand ab.
„Und du wollt’st die Gitarr’n also kauf’n“, brummt er dann nachdenklich. „Mmmh.“
„Ja, das wollte ich, aber ohne Geld ….“
„Mmmh“, brummt er noch mal und da fällt mir beim Blick auf meine Micky-Maus-Uhr mit dem in der Mitte gesprungenem Glas, wo immer um halb der große Zeiger hinter verschwindet, ganz heiß ein, dass ich jetzt aber dringend nach Hause muss. Es ist ja ganz schön spät geworden.
„Oh, ich muss jetzt los, Herr Knoche. Tut mir leid. Vielen Dank und Tschüss!“
„Ja, dann lass di wieder amol seh’n“, meint er und hängt die Gitarre mit viel Gestöhne wieder ins Fenster.
„Mach ich. Bestimmt.“ Dann bin ich raus.
Fast.
„Tach, Till!“
Der Dorfsheriff, Uwe Hartkötter, steht plötzlich breitbeinig vor mir und will gerade Knoches Laden sehr amtlich betreten, wie mir scheint.
„Ah, Tag, Herr Hartkötter.“
„Wat machs’ du denn hier? Hier soll jeschoss’n word’n sein. Du hass’ doch wohl nix damit zu tun?“, sagt er und sieht mich listig an. „Einen etwa fünfzehnjährigen Jungen soll man erschoss’n oder wenigstens schwer verletzt hab’n. Bis’ du dat?“ Dabei zieht er seine linke Augenbraue hoch, öffnet etwas dümmlich den Mund, als ob da noch etwas kommen würde und starrt sehr intensiv auf mein Pflaster an der Stirn.
„Ich bin nicht erschossen worden, sehen Sie ja, und das da ist nur ’n Kratzer. Also, es war so … äh …“
Aber die ganze Geschichte mit den Schliepers und so würde zu viel für ihn sein. Das würde dauern, vielleicht begreift er’s gar nicht und wahrscheinlich würde er mich noch mit auf seine Wache nehmen, um ein blödes Protokoll zu machen. Und das alles würde meinen Ärger mit den Schlieperbopys sowieso nur vergrößern. Also sage ich ihm nur: „Wir haben bloß Sylvesterknaller getestet. Herr Knoche und ich. Müssen ja funktionieren, wenn’s dann soweit ist“, und hoffe, ihm die Angelegenheit damit erklärt zu haben.
„Sylvästerknaller tästen, ja klar“, meint er nun, zieht die rechte Augenbraue auch noch hoch und grinst wissend. „Na, da woll’n wir doch mal selber seh’n, wat hier eigentlisch los is’.“
Und mit diesen endgültigen, hochpolizeilichen, amtlichen Worten stiefelt er dann in den Laden. So ein Fuck, denke ich, jetzt bekommt Knoche auch noch Ärger wegen mir. Welchen Ärger ich gleich bekommen soll, ahne ich da allerdings noch nicht.