Читать книгу Brandmale - Reiner Karl Litz - Страница 7
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Ansgar Monreal war das Koblenzer Pendant zu Berger. Vergleichbar waren die beiden Beamten trotz gleichen Alters freilich nicht.
Als Erster Kriminalhauptkommissar leitete Monreal die für Kapitaldelikte zuständige K11 und war insofern für die Folgearbeiten zuständig, wenn sich in Neuwied ein von Berger überprüftes Tötungsdelikt als Mord entpuppte. In solchen Fällen wurde Berger allerdings meist auch als Ermittler in diesen Folgearbeiten eingesetzt, weil er die »Neuwieder Verhältnisse« bestens kannte. Und weil sich seine Erfolgsquote sehen lassen konnte. Ein Umstand, der Monreal nicht wirklich gefiel, empfand er Bergers legendäre Alleingänge und dessen Arbeitsstil doch als regelrecht abstoßend. Bergers Arbeitsweise sei ihm fremd, so ließ er im Koblenzer Kollegenkreis zumindest verlauten. In Wirklichkeit beneidete er Berger um dessen unbekümmerte und zupackende Art. Gott sei Dank, so dachte Monreal insgeheim nach jedem neuen Ermittlungserfolg seines Neuwieder Kollegen, Gott sei Dank läuft er mit seinen Disziplinlosigkeiten auch immer wieder gegen Wände und hat die letztmögliche Sprosse seiner Karriereleiter bereits erklommen. Ohne, dass es ihn in irgendeiner Weise befriedigen konnte, hatte Monreal in den vielen Jahren der Zusammenarbeit eine tiefsitzende Aversion, genauer gesagt, eine beißende Eifersucht gegen den störrischen Kripomann von der Westerwälder Seite des Rheins entwickelt. Eine Eifersucht, die allerdings leider und das verständlicherweise, nicht in Gänze von Kriminaldirektor Herbert Kleinschmidt, Leiter der Zentralen Kriminalinspektion Koblenz, geteilt wurde. Kleinschmidt sah Berger zwar auch als einen schlecht bis gar nicht führbaren Kollegen an, der gegen dienstliche Vorschriften verstieß und sich damit bereits die eine oder andere Rüge eingefangen hatte. Er zog Berger allerdings auch immer wieder zu den Ermittlungsarbeiten in Neuwieder Mordfällen hinzu. Sehr zum Missfallen Monreals, der sich durch Bergers Einsatz ein ums andere Mal um die Erfolge der von ihm geleiteten Ermittlungen betrogen fühlte. Die Blöße, eine derart dunkle, emotionale Befindlichkeit wie die Eifersucht auf den beruflichen Erfolg eines Kollegen zu offenbaren, würde er sich allerdings niemals geben.
Berger war sich unsicher, ob es seine knirschenden Zähne oder das auf dem Boden reibende Türblatt von Monreals Büro war, das dieses kratzige Geräusch erzeugte, als er ohne zu klopfen und ungefragt ins Büro seines Koblenzer Kollegen eintrat. So aufgeschreckt und verwundert, wie der Leiter der K11 Berger ansah, schien das Kratzgeräusch eher nicht vom hängenden Türblatt zu stammen.
»Ronny! Ah, komm rein. Hab schon von eurem Brandopfer gehört. Deshalb bist du doch wahrscheinlich hier? Du bringst uns den Bericht, ja?«
Monreals übertrieben freundlicher Empfang ließ Berger vermuten, dass es seinem Kollegen nicht sonderlich gut ging und er nach jeglicher Art von Zuneigung lechzte. Normalerweise empfing er ihn immer aufgesetzt kühl. Ärger mit der Frau vielleicht? Die entsprechende Frage schluckte Berger runter. Stattdessen und nur unwesentlich mehr einfühlsam: »Na, Ansgar, da gibt´s am Samstag bei 1860 die erste Klatsche für deine TuS, was?«
Monreal, der auf einen solch provokanten Angriff nicht vorbereitet war, hatte keine Zeit sich eine ausreichende Gelassenheit zu erarbeiten und reagierte verschnupft.
»Ihr kriegt in Neuwied ja noch nicht mal ´nen Fussballverein in die Oberliga!«, giftete er mit spontan geröteten Wangen und einem angriffslustigen Blick auf den Kollegen.
»Da hast du auch wieder Recht«, meinte Berger mit ehrlichem Desinteresse an jeglicher Form von Vereinsverbundenheit. Stattdessen warf er Rübesams Bericht auf den Schreibtisch. »Da, der Bericht über die Brandleiche. Sieht so aus, als wär‘s ein Tötungsdelikt.« Seine Augenbrauen hatten sich zu grimmigen Wülsten aufgeworfen, um seiner Aussage entsprechendes Gewicht zu verleihen.
Monreal überflog den Bericht der Neuwieder Kriminaltechnik und meinte schließlich: »Kann sein, kann auch nicht sein.« Er begutachtete den Bericht nochmals mit zusammengekniffenen Augen, als verursachte der ihm Magenschmerzen. Dabei setzte er eine bedeutungsschwangere Miene auf. Dann entspannten sich seine Gesichtszüge und er sah Berger an. »Ist aber auch nicht unsere Entscheidung. Ich gebe es sofort zur Staatsanwaltschaft, die sollen mit dem Richter sprechen … warte mal kurz!« Er griff zum Telefon und wählte eine vierstellige interne Rufnummer. »Klaus … ja, Ronny steht vor meinem Schreibtisch. Es geht um die Brandleiche aus Neuwied. Ja … der Bericht von Rübesam soll zur Staatsanwaltschaft, fährst du nicht sowieso … ach, die Dragowar? Okay, ich gehe rüber.« Er legte den Hörer auf und erhob sich mit demonstrativer Schmerzmiene mühsam aus seinem Schreibtischstuhl.
»Hat´s dich auch erwischt?«, meinte Berger, dessen Kreuzbeinschmerzen gerade eine Auszeit nahmen.
»Hab mich irgendwie verhoben letztes Wochenende«, stieß Monreal gequält hervor und stützte seinen Rücken mit der rechten Hand. »Der Bohnert sagt, die Dragowar sitzt nebenan beim Öczan und quatscht mit dem über die schönsten Plätze an der türkischen Riviera. Der besorge ich sofort was an richtiger Arbeit!« Zur Unterstützung seiner markigen Worte nickte er heftig.
»Da komme ich mit«, meinte Berger, weil er fürchtete, die Übergabe des Berichtes an die junge Staatsanwältin könnte mit einer Wertung Monreals versehen sein und somit ungünstige Auswirkungen auf die Entscheidung zur weiteren Ermittlung haben, insbesondere auf die von Berger gewünschte intensive Untersuchung der Brandleiche.
Nach einem dreimaligen knappen Klopfen öffnete Ansgar Monreal die Bürotür des Kollegen Öczan Eyüboglu, der seit drei Jahren als Kriminaloberkommissar in seinem Kommissariat Dienst tat und betrat schwungvoll den Raum. Von seinen Rückenproblemen schien er mit Blick auf die junge Staatsanwältin nichts mehr zu spüren. Berger bemerkte die Spontanheilung seines Kollegen und hob anerkennend die Augenbrauen.
Eyüboglu saß leicht angespannt hinter seinem Schreibtisch und lächelte blöd, während die attraktive Juristin eine Schreibtisch füllende Landkarte studierte, über die sie sich gebeugt hatte und somit den beiden eintretenden Kriminalbeamten ihren prachtvollen Hintern feilbot. Die perfekten Rundungen waren in einen cremefarbenen, knielangen und engen Rock gehüllt.
Berger war sonnenklar, weshalb Monreals Rückenleiden nun keine Rolle mehr spielen durfte.
»Frau Dragowar, ich grüße sie«, flötete Monreal auch sogleich und hielt ihr die ausgestreckte Hand hin. Na, der konnte ja dermaßen scheißfreundlich sein, der Schleimer.
»Hallo, Herr Monreal …« Die Dragowar gab ihm die Hand und schenkte ihm ein unverbindliches Lächeln.
»Und … Hallo, Herr Berger!«
Täuschte er sich, oder hatte die Dragowar ihm einen mehr oder weniger versteckt lasziven Augenaufschlag geschenkt? Berger fühlte ein leichtes Kribbeln zwischen Bauchnabel und Steiß. Als er ihr die Hand reichte, meinte er einen schwachen Stromstoß zu spüren.
»Nun, hier haben wir den Bericht aus Neuwied … Sie haben von dem Brand gehört?« Monreal hielt der Staatsanwältin den Bericht hin, die ihre weiße Seidenbluse in Form brachte, bevor sie die Dokumentenmappe mit den Informationen der Kriminaltechnik entgegennahm und diese konzentriert überflog.
»Ein Brandopfer in einem Schuppen oder so etwas Ähnlichem, in Neuwied?«, wandte sie sich an Berger, nachdem sie den Kopf wieder gehoben und dabei ihre brustlangen blonden Haare mit einer schwungvollen Kopfbewegung nach hinten geworfen hatte.
Sie tänzelte geschmeidig von einem Bein auf das andere. Ihre Stilettos machten dabei spitze Klackgeräusche auf dem Boden. Selbst eine detonierende Handgranate im Flur hätte nicht verhindert, dass die Blicke der drei Männer an den perfekten Waden der Staatsanwältin wie Fliegen am Dreck klebten.
»Ein abgängiges Gebäude in Engers, etwa vier mal vier Meter groß … ja, so etwas wie ein Schuppen, könnte man sagen.« Berger versuchte krampfhaft, nicht auf die drall gefüllte Bluse zu starren. Er zwang sich stattdessen, knapp an der Staatsanwältin vorbei, auf einen hässlichen Kalender der Sparkasse Koblenz an der hinteren Wand zu schauen. Im Geiste zählte er dabei langsam rückwärts von vierundzwanzig bis zwanzig.
»Gegen drei Uhr letzte Nacht ist der Brand entdeckt worden … muss schätzungsweise eine Stunde vorher entstanden sein, sagte der Zeuge Sascha Heinz …«, las sie von dem Bericht ab und zupfte sich versonnen am Ohrläppchen. »Das sieht nicht nach einem Unglücksfall aus, was meinen sie Herr Berger?«
»Sehe ich genauso«, beeilte sich Berger zu sagen, versuchte dabei aber so unschuldig, wie nur möglich zu wirken.
Monreal räusperte sich, sagte aber nichts. Dafür sprach sein genervter Gesichtsausdruck Bände. Scheinbar spürte er bereits, dass er dieses Spiel verloren und sich auf längere Arbeit an diesem Fall einzustellen hatte.
»Nun, dann wäre die Sache für mich klar.«, meinte die Dragowar dann auch folgerichtig. »Ich würde hier eine gerichtsmedizinische Sektion schon auch selbst anordnen, aber es erscheint mir sicherer Herrn Richter Roland, der heute Dienst hat, entscheiden zu lassen. Herr Monreal …«, sie wandte sich dem Leiter der K11 zu. »Würden sie bitte Herrn Direktor Kleinschmidt darüber informieren, damit er vorbereitet ist für den Fall, dass es sich hierbei um eine Straftat handelt? Dann müsste er eine Sonderkommission einberufen. Ich bin in einer halben Stunde zu Gericht und werde ihnen die Entscheidung von dort sofort telefonisch mitteilen. Ich denke, dass es nur eine Formsache ist.«
Berger versuchte, seine Chance zu nutzen, und seiner Sicht der Dinge noch das Quäntchen mehr an Gewicht zu verleihen. »Frau Dragowar, was ihnen im Bericht sicher schon aufgefallen ist … die Eltern einer neunzehnjährigen Abiturientin hatten sich im Laufe des Tages bei uns gemeldet. Ihre Tochter wird seit gestern vermisst. Das könnte ja passen.«
»Ja, Herr Berger, das könnte passen. Aber, da wir es nicht mit Sicherheit sagen können … na, Herr Richter Roland wird uns den Beschluss schon machen.« Lydia Dragowar klemmte sich die Dokumentenmappe unter den Arm und nickte energisch.
»Gut, dann mache ich mich mal wieder auf den Weg nach Neuwied.« Berger war mit sich zufrieden. Lächelnd gab er der Dragowar die Hand zum Abschied, wobei er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, sie halte seine Hand ein wenig länger als nötig. Niemals hatte er bisher in seinem Leben den Eindruck gehabt, er müsse sich vor irgendeiner Frau, beziehungsweise vor den Folgen eines Kontaktes zu einer Frau, fürchten. Aber diese Dragowar …
Er lächelte kurz, drehte auf dem Absatz um und marschierte mit einer Entschlossenheit aus dem Raum, die sogar ihm selbst reichlich affektiert erschien. Monreal folgte ihm, mit einer leichten Blässe um die Nase. Während des gemeinsamen Gangs über den Flur sprach er Berger an.
»Das ist ja nun … ich meine, klar, dass die Leiche jetzt untersucht werden muss. Schon alleine, weil es wegen des vermissten Mädchens ausgeschlossen werden muss, dass …«
»Das ist die Tote!«, legte sich Berger mit eiserner Miene fest.
»Warum … ha, das kannst du doch nicht ernst meinen? Wie kommst du nur immer auf solche Sachen … das ist die Tote …« Monreal hob die Augenbrauen und wackelte mit dem Kopf, um Berger nachzuäffen. Als Schauspieler brauchte der sich jedenfalls nirgendwo zu bewerben.
»Das kannst du halten, wie du willst, Ansgar. Das sagt mir mein Bauch. Meine Intuition, verstehst du?« Er war stehengeblieben, dabei etwas lauter geworden und sah Monreal nun angriffslustig an. »Aber nein! Wie kann ich nur davon ausgehen, dass ihr hier in Koblenz etwas anderes versteht, als die Dinge, die in Berichten stehen, oder die ihr selbst auf Papier krakelt. Bei euch funktioniert ja nur der Kopf. Aber …« Er fuchtelte mit seinem Zeigefinger vor Monreals Nase herum. Der wich vorsichtshalber ein gutes Stück zurück. »Um einen Fall aufzulösen braucht´s halt Kopf und Bauch. Hörst du, Ansgar? IN-TU-I-TION!«, brüllte Berger die einzelnen Silben, sodass mehrere Köpfe interessiert aus den Türen rechts und links des Flurs herausschauten.
»Also jetzt mach mal halblang, Ronny. Was glaubst du denn überhaupt? Meinst du etwa, wir wären hier die Deppen, oder was? Glaubst du, du wärst der einzige fähige Ermittler zwischen Köln und Frankfurt … was?« Monreal war ebenfalls laut geworden und rollte dabei mit den Augen.
»Nein, Ansgar, glaub ich nicht. Aber einer der wenigen mit Intuition eben!«
-
»Was können sie mir über den Toten, oder sollte ich besser die Tote, sagen?«
»Eine Frage und bereits eine Festlegung, guter Herr Berger. So kennen wir sie.« Gutjahr lachte kurz auf und fuhr dann in seinem sonoren Vibrato fort: »Also zum einen … ich habe mir das Brandopfer nur kurz anschauen können. Mit etwas Glück werden wir noch genügend Gewebe zur Extraktion von DNA finden. Das Vorhandensein von verwertbarem Material ist auch bei solchen Brandopfern nicht ausgeschlossen, aber mitunter schwierig, wie sie wissen. Zum anderen kann ich ihnen natürlich auch noch nicht bestätigen, dass es sich um eine weibliche Leiche handelt. Zumindest nicht spontan. Das werden sie verstehen, Herr Berger. Aber, wie ich sie kenne, sind sie sich da nicht nur sicher, sondern haben wahrscheinlich auch recht.«
Berger hörte, dass im Hintergrund gesprochen wurde. Wahrscheinlich wurde Gutjahr etwas gefragt. Jedenfalls unterbrach der das Telefonat kurz und legte dabei die Hand auf die Sprechmuschel, bevor er weitersprach.
»Herr Berger, ich habe allerdings auch einen Verdacht, die Brandleiche betreffend. Morgen bereits kann ich ihnen Genaueres sagen. Heute nicht!«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die weiteres diesbezügliches Nachfragen ausschließen sollte, lachte aber sofort wieder freundlich auf.
Bevor Berger trotzdem nachhaken konnte, sprach der Rechtsmediziner weiter. »Was wir allerdings gut gebrauchen könnten, wäre der Hinweis auf einen behandelnden Zahnarzt. Ich meine, wenn sie sich so sicher sind, dass es sich um eine weibliche Leiche handelt, ahnen sie vielleicht auch schon, um wen es sich dabei handeln könnte. Das würde mir auch erklären, was es mit der mitgelieferten Zahn- und Haarbürste auf sich hat.« Berger konnte das Grinsen auf dem Gesicht des Rechtsmediziners förmlich spüren. »Deshalb dachte ich mir, sie könnten mir ja auch möglicherweise den behandelnden Zahnarzt nennen. Ich meine nur … das würde uns viel Zeit und einen Datenabgleich ersparen.«
»Da haben sie recht, Professor.« Berger hatte weder der K11 in Koblenz, noch Gutjahr vorab mitgeteilt, dass er auf eigene Veranlassung bereits bei den Eltern der als vermisst gemeldeten jungen Frau ermittelt hatte. Sorokin, umsichtig wie er war, hatte sich gegen Ende des Gesprächs von Frau Doktor Seifert-Möbus den Namen des Zahnarztes geben lassen, bei dem die Familie sich behandeln ließ. Aus dem Niko wird noch was, hatte Berger dabei anerkennend und nicht ohne Stolz gedacht. Immerhin hatte er, Berger, sich für die Aufnahme des jungen Kommissars in seine Neuwieder K1/K2 stark gemacht. Nachdem er Gutjahr seinen Verdacht eingeräumt hatte, dass es sich bei der Brandleiche um eine neunzehnjährige Vermisste handelte, nannte er den Zahnarzt, mit der Bitte, den Abgleich des Opfergebisses schnellstmöglich vorzunehmen.
Gutjahr hatte absolut recht. Das würde ihnen viel Zeit sparen. Denn fände man ohne den behandelnden Zahnarzt für das Opfergebiss keine Übereinstimmung in verfügbarem Datenmaterial, wäre man auf den DNA-Abgleich angewiesen. Das war, wie Gutjahr bereits andeutete, bei Brandleichen mitunter schwierig, zumindest, wenn man schnelle und sichere Ergebnisse haben wollte. Die Spezialisten benötigten für die gängige Analysemethode eine Mindestmenge an Gewebe. Genau genommen mindestens fünfzig Picogramm. Das war so gut wie nichts, aber auch diese winzige Menge musste erstmal gefunden werden. Zudem konnte das verwertbare Gewebe verunreinigt sein, zum Beispiel mit Brandbeschleuniger, was die Erstellung eines DNA-Profils erschweren könnte oder so gut wie unmöglich machen. Aber selbst wenn die Erstellung eines DNA-Profils möglich wäre, war nicht davon auszugehen, dass man in vorhandenen DNA-Datenbanken die Person auch ausfindig machte, zu der die analysierte DNA passte. Berger war deshalb froh, dass er sich nicht nur sicher war, um wen es sich beim Opfer handelte, sondern auch, dass er Gutjahr ergänzend zu den Personendaten auch den behandelnden Dentisten der verschwundenen Katharina Seifert nennen konnte. So hätte man auf der einen Seite die Chance auf ein DNA-Profil und auf der anderen die dazu passende Person. Doppelt genäht hält besser.
Professor Doktor Severin Gutjahr war Rechtsmediziner und stellvertretender Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Uniklinik Bonn, das sie neben dem der Mainzer Uni für erforderliche rechtsmedizinische Untersuchungen nutzten. Und Gutjahr war überdies der einzige Arzt, dem Berger wirklich vertraute.
»Bitte rufen sie mich an, sobald sie etwas haben«, meinte Berger, dem es plötzlich pressierte, nachdem er erschrocken festgestellt hatte, dass es bereits kurz vor sechs war.
»Sie sind doch immer meine erste Adresse für Neuigkeiten, Herr Berger. Das wissen sie doch.« Gutjahr lachte nochmals herzhaft und verabschiedete sich dann.
Berger schaltete sein Mobiltelefon aus und wunderte sich, dass es überhaupt noch funktionierte. Üblicherweise gab der Akku nach einem halben Tag den Geist auf. Mit einem Magengrummeln dachte er an das Versprechen, spätestens um sechs Uhr zu Hause zu sein, dass er Monika morgens gegeben hatte. Der Geburtstag von Melanie, ihrer besten Freundin! Das würde er nicht mehr schaffen. Sollte er sie anrufen? Er verwarf den Gedanken, da er sich die Moralpredigt am Telefon ersparen wollte. Vielleicht war sie ja selbst spät dran und wäre noch zu Hause, wenn er käme. Frauen suchten doch in der Regel ewig nach einem passenden Kleidungsstück und schauten dabei nicht auf die Uhr. Trotz eines aufsteigend unguten Gefühls in der Magengrube schenkte er dieser typisch weiblichen Verhaltensdisposition Hoffnung.
»Bis morgen Niko«, rief er, während er an Sorokins Büro vorbeilief und hektisch auf die Treppe zusteuerte.
»Haaalt, Chef!«
Berger bremste drei Schritte vor der ersten Treppenstufe ab. »Was gibt´s denn noch? Verdammt, ich muss los!«, brüllte er unwirsch zurück.
Sorokin streckte seinen Kopf aus dem Türrahmen. »Monreal!«
Berger verdrehte die Augen und hob die Arme, um seine Verärgerung zu signalisieren.
»Nein, du musst nicht mit ihm sprechen. Er hat eben angerufen, als du am Telefonieren warst. Sie haben die SOKO Seerose zusammengestellt und wir beide sind dabei. Kriminaldirektor Kleinschmidt hat darauf bestanden, obwohl noch nichts Genaues vorliegt. Ob Monreal auch auf die eilige Einberufung der Ermittlungsgruppe bestanden hat, weiß ich nicht.« Sorokin grinste frech, aber Berger hatte keine Zeit, darauf einzugehen. Er winkte ab, drehte sich um und sprang die Treppe hinab, indem er jeweils drei Stufen auf einmal nahm.
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Als er die Garagenauffahrt hochfuhr war es dreizehn Minuten nach sechs. Und war Monika schon weg! Ihr Fiesta war nicht mehr in der Garage. Mit schlechtem Gewissen und einem leichten Schläfenschmerz betrat er die Diele. Janis begrüßte ihn überschwänglich und leckte aufgeregt an seiner Hand. Na, wenigstens der Hund freute sich über seine Ankunft. Ich könnte nachfahren, dachte er, begrub den Gedanken aber sofort wieder, als er sich Monikas Vorwurfshaltung vorstellte. Das würde die Stimmung auf der Geburtstagsparty ganz bestimmt nicht heben. Außerdem müsste er selbst fahren und könnte nicht trinken. Ohne Alkohol wäre der Abend bei Melanie für ihn nicht zu ertragen. Wenn er nur an die üblichen Verdächtigen dachte, die sich als erweiterter Freundeskreis zu jedem noch so langweiligen Anlass bei ihr zusammenfanden: Der Apotheker, der Arzt, der Lehrer und der Pfarrer. Und fast alle natürlich aus dem gleichen Neuwieder Stadtteil. Gladbach! Mein Gott, wie bieder! Melanies Bekanntenkreis ähnelte dem Stereotyp einer gepflegten Konversationsrunde der bürgerlichen Oberschicht des neunzehnten Jahrhunderts. Nein, da wollte er nicht abgemalt sein. Diese Leute fühlten sich als etwas Besseres und waren in ihrer Bigotterie nicht zu überbieten. Der katholische Pfarrer, der interessanterweise gar nicht aus Gladbach, sondern aus Kurtscheid stammte, hatte ihn anlässlich des Grillfestes im Sommer vor zwei Jahren heuchlerisch gefragt, ob der tägliche Umgang mit dieser abstoßenden Kriminalität nicht letztlich auf einen Gesetzeshüter abfärbe. Die Frage, mit einem scheinheiligen Grinsen gestellt, hatte sehr zur Belustigung der ganzen Grillrunde beigetragen. Und sie war natürlich zielgerichtet auf ihn, Berger, gerichtet. Auf Bergers Gegenfrage, ob nicht der Umgang mit den ganzen Sünden dieser Welt auf den Gottesmann abfärbe, hatte der mit einem verklärten Blick, den Finger gen Himmel gehoben, damit beantwortet, dass er sich stets des besonderen göttlichen Schutzes gewiss sei. Berger zog ein übler Schwindel durch den Schädel, als er an diese Figur dachte, die sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund zum seelsorgerischen Beistand der ganzen Mischpoke aufgeschwungen hatte.
Er ging in die Küche und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Nein, die pseudophilosophische Runde mit ihren heuchlerischen Teilnehmern könnte er heute Abend nicht ertragen. Monika würde es sicherlich verstehen, wenn er nicht nachkäme. Immerhin, und das musste ihr einfach klar sein, war er bereits tief in die Ermittlungsarbeit des neuen Falles eingetaucht und hatte heute wahrlich keine Däumchen gedreht. Sie kannte doch seine Arbeit und die Unannehmlichkeiten, die sie mit sich brachte. Und letztlich war es Moni letztlich noch immer gelungen, Verständnis für ihn aufzubringen.
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Ein Klacken in der Leitung, dann vernahm er das ruhige, rauschende Atmen seines Gegenübers.
»Hallo?«, fragte er, wie üblich mit einer leichten Unsicherheit in seiner Stimme. Es ging nicht anders. Er war sich dessen bewusst, wusste aber auch nicht, wieso er sich nach dem Wählen dieser Nummer immer so schwach fühlte.
»Ja, ich höre.« Die Stimme klang tief und schnarrend. Ein klein wenig erinnerte sie ihn immer an die Stimme des verstorbenen Soulsängers Barry White. Sie hallte, als dränge sie durch eine lange Röhre in sein Ohr.
»Ich habe …« Er räusperte sich und atmete einmal schnell und tief ein, um den Worten herauszuhelfen. »Ich habe es genauso gemacht, wie wir es geplant haben.« Mit gesenktem Kopf versuchte er seine Stimme zu drücken, aber, anstatt eines sonoren Klangs, versagte sie ihm. Er hielt die Hand vor die Sprechmuschel, da er zu einem willkürlichen und stimmbefreienden Husten ansetzte.
»Ich weiß. Wir haben es verfolgt. Es ist gut gelaufen, du brauchst dir keine Gedanken zu machen«, klang es monoton aus dem Hörer.
In der Leitung rauschte es. Irgendwie waren diese Telefonate immer bizarr. Es war, als telefoniere er mit einem Anschluss auf einem anderen Planeten. Dabei wünschte er sich im Augenblick nichts sehnlicher, als dass ihm einer aus der Gruppe auf die Schulter klopfte und ihn zu einem gemeinsamen Latte Macchiato auf einen sonnenbeschienenen, mediterranen Marktplatz mitnähme. Überhaupt, so kam ihm wieder in den Sinn, lag sein Traumziel nach wie vor südlich der Alpen, in der immerwährenden Sonne. Aber, so lange er noch nicht dort unten war …
»Was soll nun passieren? Ich meine, was …«
»Bleib ganz ruhig!« Die Stimme sprach gedehnt, war aber etwas lauter geworden. Wahrscheinlich hielt man ihn für einen Versager. »Es gibt keinen Grund besorgt zu sein. Du verhältst dich, wie immer.«
»Ja …«, beeilte er sich zu entgegnen. Das klang zwar nicht überzeugend, gab ihm aber so etwas wie Selbstvertrauen. »Ich wollte mich auch nur noch einmal rückversichern.«
»Das ist in Ordnung.«
Gut. Immerhin standen sie ihm für ein Gespräch zur Verfügung. Das war wichtig für ihn. So stabil er auch ansonsten wirkte, ein solcher Einsatz beeindruckte ihn mehr, als ihm lieb war. Und letztlich war er nicht täglich mit solcher Art von Aufträgen betraut. Das musste man doch verstehen. Die anderen würden auch nicht lockerer damit umgehen, da war er sich ganz sicher.
»Nun gut … Danke!« Was sollte er jetzt noch sagen, ohne Gefahr zu laufen, als Schwächling angesehen zu werden, als jemand, der den Aufgaben nicht gewachsen schien?
»Du musst dich nicht bedanken«, hallte die dunkle Stimme in fast meditativer Monotonie aus dem Hörer. »Es werden noch mehr Aufträge kommen. Die momentane Lage wird unseren ganzen Einsatz erfordern!«